Omnia vincit amor - Alles bezwingt die Liebe
Teadium vitae - Lebensüberdruss
Part: 1/3 Disclaimer: Alles uns! Wer sonst käme auch auf so eine Idee?!? Rating: Slash 18 Warning: Ein klein bisschen Angst, Zucker Betas: Wir selber! Note: Tolle lege - Nimm und ließ! Reviews wären ganz toll! --------------------- Nach Juliens Geschmack war es schon viel zu spät und viel zu dunkel. Wie hatte er nur so die Zeit vergessen können? Er lebte nun schon ein paar Tage hier. Er kannte die Pfade und er kannte die Geräusche. Und dennoch waren sie ihm unheimlich. Die Schatten der großen Bäume mit ihren feinen Verästelungen wirkten bedrohlich. Bei jedem Geräusch wollte er herumfahren, um nach der Ursache zu suchen. Um so mehr erschrak er, als er gerade auf den Pfad hinter sich blickte, er aber auf einmal ein seltsames Geräusch DIREKT vor sich hörte. Er sprang reflexartig zurück und unterdrückte den Impuls wegzurennen. Er MUSSTE da lang, wenn er nach Hause wollte. Es gab keinen anderen Weg, wenn er nicht durch das kniehohe Dickicht stapfen wollte. Vorsichtig und mit rasendem Herzen wagte er sich langsam näher. Ein Tier, das auf dem Boden lag. Vielleicht ein Reh? Aber... wenn hier ein gerissenes Tier lag, war der Jäger doch sicher auch nicht weit? Mit zitternden Fingern schob er etwas Gebüsch beiseite. Falsch gedacht. Kein Reh, sondern ein Pferd oder wohl eher ein Fohlen. War es tot? Er legte eine Hand auf den noch warmen Körper, der sich allerdings mit seiner Atmung hob und senkte. Wieso stand es nicht auf? Es lag regungslos da. Lauter Fragen jagten durch Juliens Kopf und geistesabwesend streichelte er die Flanke des jungen Tieres. Seine Finger wurden feucht. Er hob die Hand zu seinem Gesicht - dunkle Flüssigkeit, aber der Geruch war ihm bekannt: Blut. Das Kleine war verletzt? Julien fasste einen Entschluss: Er würde das Tier erst mal mitnehmen. Es war wirklich klein, aber nicht allzu leicht. Er schaffte es kaum es hochzuhiefen und hoffte nur, dass er die Verletzung nicht noch verschlimmerte. Es war zum Glück nicht mehr weit bis zu seiner Hütte, trotzdem kostete es ihn geraume Kräfte, das Fohlen bis dorthin zu tragen. Er bemühte sich, seine Last vorsichtig auf dem Boden vor seinem kleinen Kamin abzulegen und keuchte vor Erschöpfung. Seine Arme schmerzten und er war völlig erledigt. Aber Julien hatte es geschafft. Und konnte nun auch genug Kerzen anzünden, um seinen Fund näher zu betrachten. Die Kerzen reihten sich bald auf dem Kaminsims und das Feuer wurde auch neu entfacht und tauchten so das Fohlen in ihr Licht. Braunes Fell und eine dunkle Mähne. Eigentlich ein schönes Tier. Julien hatte wenig Ahnung, aber er würde darauf tippen, dass es ein Rassepferd war. Er besah sich nun auch die Verletzung. Das sah gar nicht gut aus. Ein tiefer Schnitt zog sich über die Flanke und glitzerte blutig rot. Er war kein Veterinär, ganz und gar nicht, und alles was er im Medizinschrank im Badezimmer fand, war eine Tube Iod, die auch bis auf den letzten Tropfen für seinen neuen Schützling verwendet wurde. "Wieso tauchst du gerade jetzt auf?", fragte Julien das bewusstlose Tier sanft und streichelte durch die kurze Mähne. Immerhin wusste Julien selber nicht, wie lange er überhaupt noch hier wäre, um sich um das kleine Ding zu kümmern. Nach und nach breitete sich eine angenehme Wärme in dem kleinen Holzhaus aus und Julien spürte die Müdigkeit und die Erschöpfung in seinen Gliedern. Bald wurde ihm sein Arm sogar beim Streicheln durch das Fell schwer. Er spürte, wie ihm immer wieder die Augen zufielen und bald driftete der junge Mann ins Reich der Träume über. Wirre Träume plagten Liams Schlaf. Wölfe. Er wurde verfolgt! Von Wölfen. Sie kamen immer näher! Nein! Sie durften ihn nicht kriegen! Plötzlich wachte das junge Fohlen auf. Er atmete schwer und konnte sich nur mit Mühe beruhigen. Das Erste, was er feststellte, war, dass es angenehm warm um ihn herum war. Seine Wunde am Bein schmerzte fürchterlich, aber im Moment hatte er noch ganz andere Sorgen. Wo um Himmels Willen befand er sich hier? Er ließ seinen Blick schweifen so gut das im Liegen ging, da er noch nicht die Kraft hatte aufzustehen. Ein Kamin, in dem ein Feuer brannte, unter ihm ein flauschiger Teppich, die Wände aus Holz. Doch dann bemerkte er noch etwas ganz anderes. Da lag etwas auf seinem Bauch! Ängstlich schaute er an sich herunter und erschrak. Ein Mann! Da lag ein Mann neben ihm! Und dessen Hand lag auf ihm! Nach dem ersten Schock sah er jedoch, dass der Fremde ruhig atmete und zu schlafen schien. Seine Furcht verschwand ganz langsam. 'Hm, sieht ja eigentlich nicht sehr gefährlich aus. Hoffentlich schläft der noch eine Weile.' Langsam kamen seine Erinnerungen wieder. Er war im Wald herumgetollt, nicht genug auf seine Umgebung achtend. Plötzlich hatte sich sein Instinkt gemeldet. Er war in Gefahr. Schnell hatte er seinen großen Bruder über Gedanken gerufen und war gerannt. Einfach nur weg. Er hörte die Gefahr hinter sich näherkommen. Er hatte Angst. Da war Trajan auch schon an seiner Seite. Doch es war zu spät. Sie waren eingekreist. Um sie herum hatte sich ein ganzes Rudel Wölfe aufgestellt, das sie nun mit Zähnefletschen und Knurren hungrig anblickte. Trajan hat ihn fortgeschickt, durch eines seiner Tore. Doch er war am Bein erwischt worden. Von da an rissen seine Erinnerungen ab. Anscheinend war er aber durchgekommen, sonst wäre er jetzt wohl nicht hier. *Trajan! Trajan, wo bist du?*, sendete er seinem Bruder, doch es kam keine Antwort. *Du darfst mich nicht auch noch verlassen! Hörst du, Trajan?* Da merkte er, wie sich etwas an seiner Seite bewegte. Der Mensch. Er wachte auf. Julien öffnete verschlafen die Augen. Aua. Auf dem Boden schlafen tat seinem Rücken ganz und gar nicht gut. Aber sofort war er wacher, als er eine Bewegung neben sich spürte und als er den Kopf wandte, sah er sich zwei großen, dunklen Pferdeaugen gegenüber. Huch! Er erschrak und setzte sich erst mal kerzengerade auf und nahm seine Hände von dem Tier. Dann schalt er sich selber allerdings einen Idioten. Das war ein Fohlen! Kein Monster! Was konnte es ihm schon tun? Oder bissen die? Er war sich nicht sicher, glaubte aber eher nicht daran. "Morgen, Kleines", grüßte er also erst mal vorsichtig und musterte sein Gegenüber. Es hatte es also durch die Nacht geschafft. Und schien nun hellauf wach zu sein. Was hatte sich denn da in seiner Mähne verfangen? Langsam und vorsichtig wollte Julien danach greifen. Mit großen Augen sah Liam den jungen Mann an und zuckte selbst ein wenig zusammen, als dieser vor ihm zurückwich. 'Hat der etwa Angst vor mir?' Auf den Gruß wollte er gern antworten, da er sich nun ziemlich sicher war, dass er sich vor seinem Gegenüber nicht fürchten musste, doch kam nicht mehr als ein leises Schnaufen dabei heraus. Stimmt, er war ja in seiner Pferdeform und da konnte er nicht reden. Erschrocken wollte er seinen Kopf wegdrehen, als er sah, dass der Mann seine Hand nach seinem Amulett ausstreckte. Ein gehetztes Wiehern erklang, doch es war zu spät. Und Julien erschrak erneut, hatte aber die Hand um das funkelnde Etwas geschlossen, das seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Er wollte das Pferd nicht ängstigen und dachte bei sich selber, dass er denkbar schlecht für eine solche Aufgabe geeignet war. Hieß es nicht immer, Tiere spürten, wenn man selber Angst hatte? Und er selbst war der größte Feigling, den er kannte. Aber er gab sich Mühe, streichelte sanft den Hals des aufgeschreckten Tieres und machte ein beruhigendes "Schhhh", als er nach und nach das Band mit dem Anhänger vom Hals des Fohlens löste und es ihm über den Kopf zog. Er hielt es ins Licht und betrachte ihn. Ein Amulett. Eindeutig. Es sah irgendwie fremdländisch aus... wertvoll, handgemacht. Wieso sollte jemand einem Fohlen so etwas geben? Nein! Was wollte der mit seinem Amulett!?! Das brauchte er noch! Das war das Wertvollste und Wichtigste, was er besaß! Die Verbindung zu seinem Bruder! Leise wiehernd verfolgte er jede Bewegung des anderen und wusste nicht, was er machen sollte. Die Hand in seiner Mähne beruhigte ihn zwar etwas, aber dennoch beäugte er ihn misstrauisch und versuchte dann, nach seinem Besitz zu schnappen. Und Julien ließ das Amulett fallen, um seine Hände außerhalb der Reichweite der Zähne des Tieres zu bringen. Die bissen ja doch! "Hey, ich will es dir doch gar nicht wegnehmen!" Das Pferdchen schien das Amulett als seinen Besitz anzusehen. Vorsichtig griff er danach, auch wenn er Angst hatte. Wie sollte das Tier auch verstehen, was er da sagte. "Nur schauen?", bettelte er das Fohlen an und hielt es erneut in seiner Hand. Es war golden, funkelnd golden, denn das Metall war nicht glatt geschliffen, sondern an einigen Stellen noch rau, wie eben mittelalterliche Handarbeit, nicht wie maschinell hergestellt. Das wertvolle Metall bildete einen Kreis und durch den Kreis zogen sich weitere Goldverbindungen in verschnörkelten Mustern, die an Zweien erinnerten. Muster, wie Julien sie so aus keinem Land und keiner Epoche kannte ( http://www.shop.harz-urlaub.de/media/amulett-bronze-300.jpg ). Schließlich blickte Julien zu seinem neuen Begleiter auf. "Du willst es wiederhaben, oder?" Vorsichtig legte er dem Pferd das lange Band wieder um den Hals. "Was mach ich nun mit dir? Ich frag mich, wo du hingehörst..." Immer noch misstrauisch, aber auch ein wenig beruhigt durch die schüchternen Worte des anderen, sah er diesem zu, wie dieser sein Ein und Alles genau betrachtete. Hoffentlich hielt er sich an sein Versprechen. Doch als er fragte, ob er es wiederhaben wolle und Liam schnaufend nickte, hatte er es nur Sekunden später wieder um den Hals. Erstaunt und wahnsinnig erleichtert blickte er sein Gegenüber aus seinen fast schwarzen Augen an. Langsam fasste das kleine Fohlen Vertrauen. Und so bewegten sich seine Ohren wie selbstverständlich nach hinten und er schloss seine Augen halb, um somit zu zeigen, dass er sich hier wohlfühlte und vorläufig gern hier bleiben würde. 'Hoffentlich versteht er mich.' Das Kleine bewegte den Kopf wohl nur in Pferdemanier rauf und runter, trotzdem lächelte Julien, weil es fast wie ein Nicken aussah. Irgendwie sah es nun zufrieden aus. Er streichelte den Hals des Pferdchens. "Mhm, ich bin übrigens Julien und so lange du bei mir bist, bist du... mmh, Chocolat", entschied er wegen der braunen Färbung seines Freundes. "Ich rede mit einem Pferd", lachte der junge Mann über sich selber und fügte dann trauriger hinzu, "wenn man sonst niemanden hat. Besser als mit sich selbst zu sprechen." 'Julien heißt er also... Komischer Name...', dachte Liam, während er das Streicheln genoss. Mit dem Namen, der ihm verpasst wurde, konnte er nicht viel anfangen. Der klang in seinen Pferdeohren irgendwie unverständlich und seltsam fremd. 'Wo hat Trajan mich nur hingeschickt? Trajan...' Er konnte es nicht verhindern, dass er furchtbar traurig wurde, wenn er an seinen Bruder dachte. Er machte sich schreckliche Sorgen. Doch da hörte er auch schon Juliens letzte Worte und war gelinde gesagt erstaunt. 'Wenn man sonst niemanden hat?', wiederholte er. Aber das konnte doch gar nicht sein. Was er so bis jetzt von diesem jungen Mann mitbekommen hatte, war äußerst nett. Und so jemand hatte keine Freunde? Unvorstellbar. Aufmundernd stupste er ihn an der Schulter an, bewegte sich dabei jedoch zuviel, so dass der Schmerz in seinem Bein wieder zunahm und er wieder auf den Teppich zurücksank. Und Julien wunderte sich, als ihn die kalte Pferdeschnauze berührte. Wirklich ein kluges Fohlen - vielleicht spürte es seine Traurigkeit? Aber dann sackte es wieder in sich zusammen. Es hatte auch nicht versucht aufzustehen. "Was mach ich nur mit dir?", murmelte er und sah sich erneut die Wunde an. "Ich glaube, ich besorge dir erst mal etwas zu fressen." Er stand auf und holte eine Schüssel mit klarem Wasser, die er Chocolat gab, um dann hinaus in den Wald zu gehen, um ein paar Farne und Kräuter zu sammeln, wobei er nochmals ganz schön nass wurde vom Morgentau. Er hoffte, dass Chocolat so etwas fressen würde. Wenn er von einem Reiterstall kam, würde er das nicht gewöhnt sein. Er schob es dem Fohlen hin. "Ich hab ein wenig Gemüse im Garten und ich könnte es dir geben. Ich meine... einen Wintervorrat werde ich wohl nicht mehr brauchen", war er schon wieder traurig. Ganz ruhig blieb Liam liegen, als Julien seine Wunde betrachtete und blickte ihm dann nach, als dieser das Haus verließ. Für einen kurzen Moment kam ein kühler Luftstoß herein, der das Fohlen frösteln ließ. Er war es zwar ab und an auch etwas frischer gewöhnt, aber nachdem er die ganze Nacht, wie es schien, an einem Kaminfeuer verbracht hatte, war er empfindlicher. Nicht zu vergessen durch seine Verletzung. Als Julien wiederkam und ihm das Grünzeug vor die Nase hielt, wollte er diese sogleich rümpfen, doch erstens ging dies in Pferdeform nicht und zweitens verging ihm diese Reaktion, als er die folgenden Worte hörte. Nein, kein Gemüse aus dem Garten. Er wollte Juliens Wintervorrat nicht aufbrauchen. Dann aß er eben Farn und Kräuter. Und so schüttelte er langsam den Kopf und wieherte dabei, neigte ihn vor und zupfte an Juliens nasser Kleidung, um ihm zu verstehen zu geben, dass er sich umziehen sollte. Nasse Kleidung war gar nicht gut. Dadurch konnte man sich erkälten, hatte Trajan ihm immer gesagt. 'Trajan...' "Hey, du sollst nicht mich essen, sondern das Grünzeug", versuchte Julien seinen Wollpulli aus dem spielerischen Biss des Fohlens zu befreien, was er auch schaffte. "Da ist Kamille mit drin. Ich weiß nicht ob es hilft. Immerhin beugt es vor, wenn du dich erkältet haben solltest und schaden tut es wohl nicht", redete er vor sich hin, während er sich den Pullover über den Kopf zog. Zufrieden, dass der andere sich nun umzog, fraß er sein vorgesetztes Mahl und stellte schnaubend fest, dass es gar nicht mal so übel war. So etwas hatte er noch nie probiert. Zuhause hatten sie hinter dem Haus eine große saftige Wiese, auf der er grasen konnte, wenn er Appetit hatte. Aber da gab es hauptsächlich Gras und Klee und nicht so etwas. Besonders die Kamille schmeckte ihm. Erneut schnaubend nickte er und fraß weiter, während seine Gedanken erneut nach Hause und zu seinem Bruder abschweiften. *Trajan! Trajan, wo steckst du denn nur?*, fragte er erneut über die Verbindung, doch wieder einmal erhielt er keine Antwort. "So oft, wie du schnaufst, hatte ich mit der Erkältung nachher doch recht", überlegte Julien laut, während er sich auch eine neue Hose anzog. Immerhin hatte er ja auch in seinen Sachen geschlafen. Er kam sich etwas doof vor, mit einem Tier zu sprechen, aber gleichzeitig konnte er auch nicht aufhören. Zu lange hatte er seine Stimme nicht mehr gebraucht... mit niemandem geredet. Und davor, naja, davor war das meiste nur noch Schreien und Weinen gewesen. Er hockte sich schließlich wieder auf den Boden, vor seinen neuen Kameraden. "Ich weiß gar nicht was ich mit dir machen soll, Chocolat. Ich kann nicht einfach zurück ins Dorf und fragen, wem du gehörst." Bei dem Gedanken an diese Möglichkeit wurde ihm ganz übel und er zog die Knie an und schlang die Arme darum. Er wollte niemanden von dort wiedersehen. Er war kurz davor, wieder mit Weinen anzufangen. Er presste die Augen fest zusammen und holte Luft. Er hatte schon genug geheult. Überrascht blickte Liam von seinem Frühstück auf. Hatte er sich verhört oder klang das wirklich so, als würde Julien gleich anfangen zu weinen? Doch tatsächlich sah er eine kleine Träne in dessen Augenwinkel glitzern. Und was hatte er gesagt? Er könne nicht ins Dorf? Ja, aber warum denn? Nicht, dass es ihn selbst gestört hätte. Dort kannte er eh niemanden, wenn es wirklich stimmte, was er annahm und Trajan ihn durch das Tor geschickt hatte. So legte er den Kopf schief und neigte sich dann zu seinem Gastgeber herüber, um seine Wange an ihm zu reiben und leise zu schnauben. Ohne viel zu überlegen nahm Julien den sanften Kontakt an und schlang seine Arme um den Hals des Tieres und drückte sein Gesicht in die weiche Mähne. Er schniefte, wischte sich dann aber mit einem Ärmel über die Augen. "Du kannst ja auch gar nicht wissen, was für ein abartiger Versager ich bin", lachte er bitter und dachte an so einige Worte, die ihm seine Mutter entgegen geschleudert hatte. "Wenn du es wüsstest, wärst du nicht so ein lieber Kerl." Naja zumindest vermutete er, dass er hier einen kleinen Kerl vor sich hatte. Liam ließ es geschehen, dass er in eine Umarmung gezogen wurde, war aber doch ein wenig verdattert, als sein neuer Freund plötzlich zu weinen anfing und sich als 'abartigen Versager' bezeichnete. Am liebsten hätte er ihm gesagt, dass das doch gar nicht stimmte, doch war ihm das ja leider nicht möglich. Julien hatte sich schließlich ganz lieb um ihn gekümmert und da konnte er einfach kein Versager sein. Davon war er felsenfest überzeugt. Mit seiner weichen Zunge leckte er vorsichtig über Juliens Wange und hoffte, ihn so ein wenig zu trösten. Julien kniff bei dieser feuchten Berührung die Augen zusammen, doch irgendwie fühlte es sich ganz gut an, dass sich jemand um ihn kümmerte. Er löste sich langsam wieder von seinem Freund und wischte sich mit dem Pulli über die Wange. "Meine Tränen schmecken dir wohl. Ich kann dir sicher nachher etwas Salz geben." Aber die Tränen liefen immer noch weiter und seine Brust verkrampfte sich immer noch vor Schmerz. Aber er holte tief Luft und versuchte das Gefühl zu vertreiben, das ihm suggerierte, dass er nicht richtig atmen könnte. Er heulte hier. Vor einem Pferd! Er wurde rot, obwohl niemand da war, der es sehen konnte. Oder zumindest niemand, von dem Julien dachte, dass diesem die Mimik etwas sagen würde. "Tut mir leid, kleiner Chocolat. Ich bin eine Heulsuse." Leise wiehernd blickte Liam Julien an, als dieser sich von ihm löste und plötzlich rot wurde. 'Hm, was hat er denn? Das ist doch ganz natürlich, dass man auch mal weint.' In der kurzen Zeit hatte er sein Gegenüber schon sehr lieb gewonnen; wie es Kinder nun einmal taten, wenn sich jemand besonders um sie kümmerte. Mit seinen acht Jahren hatte Liam noch nicht so viel gesehen, dafür aber schon einiges gehört. Er war selten aus ihrem Dorf heraus gekommen. Allerdings hatte ihm Trajan immer von der anderen Welt erzählt, in die er manchmal durch seine Portale reiste. Die Welt, in der er, Liam, gerade war. Und da fiel ihm auch wieder etwas Wesentliches ein, was sein Bruder ihm über die Bewohner dieser Welt erzählt hatte: Hier lebten nur reine Menschen, keine Gestaltwandler, wie sie es waren. Und er hatte hier tatsächlich einen solchen reinen Menschen vor sich! "So wie du mich anguckst, hast du dir das wohl auch gerade überlegt, mhm?", versuchte sich Julien an einem Scherz und stand dann aber auf, um sich auch endlich etwas zum Frühstück zu machen. Manchmal fragte er sich, warum er das alles noch tat. Aufstehen, Frühstück machen, duschen... Und es hatte auch schon Tage gegeben, an denen er einfach nur depressiv im Bett gelegen hatte, ohne sich zu rühren. Mit seinem Brot setzte er sich wieder vor das Fohlen. "Ob das Schicksal dich mir geschickt hat? Um mir zu zeigen, dass es doch etwas hier gibt, das mich braucht?", überlegte Julien laut. Aber er war zum Pessimist geworden. "Oder um dich in meine endlose Pechsträhne hineinzureiten." Er seufzte. Er sollte solche Dinge nicht sagen, das wusste er selber. Er mochte sich nicht sonderlich, wenn er so war und nun tat es ihm leid. "Tut mir leid, Chocolat. Momentan geht es dir wohl schlechter als mir. Ich sollte weniger jammern." Und der junge Mann überlegte erneut, was er bloß mit Chocolats Verletzung machen sollte. Wieder einmal verstand Liam nicht, warum Julien solche Sachen sagte. Er fand ihn nett. Außerdem hatte nicht das Schicksal, sondern sein Bruder ihn hier her geschickt. Aber das konnte er Julien ja schlecht sagen. Er war mittlerweile fertig mit Fressen und fühlte, wie er langsam wieder müde wurde. Die Anstrengung und Aufregung des letzten Tages und der vergangenen Minuten waren doch zuviel für das Fohlen geworden. Und so stupste er seinen Menschen noch einmal mit der Schnauze an, sodass dieser fast nach hinten umkippte, da er sich auf sein Brot konzentrierte, und ließ sich zurück auf den Teppich sinken, wo er wenige Sekunden später schon am Schlafen war. "Mhm, mein Kleines", sagte Julien nur leicht verträumt und kraulte dem Tier durch die Mähne, wobei dieses offensichtlich wieder einschlief. Der Blondschopf war froh, dass die Iodschicht immer noch auf der Wunde hielt und diese scheinbar nicht mehr blutete. Wohl ganz gut, dass das Fohlen sie nicht mal bemerkt hatte oder versucht hatte, die Wunde abzulecken. Er beschloss allerdings, nun Verbandszeug zu holen, damit das Fohlen nicht an der Medizin leckte und sich nachher auch noch den Magen verdarb oder sich gar vergiftete. Er zeriss ein Bettlaken und kochte es mit Wasser ab, ehe er es draußen zum Trocken aufhing. Danach sollte es so keimfrei sein wie eben möglich. Anschließend sammelte er draußen mehr Grünzeug, dachte aber auch daran, nach Zucker in seiner Küche zu suchen. Pferde mochten doch Süßes, oder? Es war lange her, seitdem er mal wieder etwas zu tun hatte, das ihn von seinen Gedanken ablenkte und er fühlte sich danach ein wenig aufgeräumter als sonst. Er hatte es geschafft, einen provisorischen Verband anzulegen, während das Fohlen schlief und wachte danach mit Habichtsaugen auf dessen Erwachen. Futter und Trinken bereitgestellt und die Zuckerstücke sicher in seiner Hosentasche verstaut. Als Liam das nächste Mal die Augen aufschlug, sah er sich direkt seinem Menschen gegenüber. Dieser schien schon darauf gewartet zu haben, dass er wach wurde. Er merkte, dass sein Bein eingewickelt war und war Julien sehr dankbar, dass dieser sich so um ihn kümmerte. Vorsichtig hob er seinen Kopf und richtete seinen Rumpf so gut es ging auf, damit er sich wenigstens ein bisschen bewegen konnte. "Hey Chocolat. Ich hoffe du hast gut geschlafen", grüßte Julien sanft und streichelte seinem Schützling durch's Fell. Er glaubte langsam wirklich daran, das verletzte Tier wieder auf die Beine zu kriegen. Er hatte begonnen, das dunkle Fohlen wirklich zu mögen. Er wusste, dass er selbst vielleicht zu anhänglich war. Und zu einsam, wie er sich selber eingestand. Aber immerhin konnte das Tier auch etwas Liebe gebrauchen. Genüsslich reckte Liam sich dem Streicheln entgegen. Das tat gut! Sonst machte Trajan das ab und an, aber eben auch nur ab und an. Bei dem Gedanken an seinen Bruder wurde er wieder traurig, aber er versuchte, sich zu beruhigen, indem er sich immer wieder sagte, dass Trajan kein gewöhnlicher Gestaltwandler war, sondern wesentlich stärker und den Angriff sicherlich überlebt hatte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er ihn holen kam. Das hoffte er von ganzem Herzen. Immerhin liebte er seinen Bruder wie niemanden sonst. Dann widmete Liam sich wieder der Gegenwart und leckte Julien als Dank für die Streicheleinheiten zärtlich über den Arm, um ihm so auch etwas zurückzugeben. Julien lächelte. Ein außerordentlich liebes Wesen hatte da seinen Weg zu ihm gefunden. Er streichelte sanft über Chocolats Stirn. "Wo wohl deine Mutter ist? Sie wird dich sicher vermissen und dich suchen. Wie alle Mütter, nicht wahr?" Aber Julien erkannte die Unwahrheit in seiner eigenen Aussage und fügte traurig hinzu: "Bis auf meine... Die Liebe einer Mutter hält wohl doch nicht alles aus. Es tut mir so schrecklich Leid, wie das alles gelaufen ist", sprudelte nun mehr über seine Lippen, als er beabsichtigt hatte. Seine Mutter hatte auch viele Dinge gesagt, die ihm weh getan hatte, doch irgendwo wünschte er sich auch, dass es wieder wie vorher wäre. Dass er einfach nichts gesagt hätte, auch wenn er sich jeden Tag wie ein Lügner vorgekommen war. Nur... so wie es jetzt war, war es ja auch nicht besser. "Wieso mach ich nur immer alles falsch?" Liam fühlte, dass es Julien ganz und gar nicht gut ging. Richtige Probleme schien er zu haben. Aber Liam wusste nicht, wie er Julien hätte helfen können. Er roch den Zucker in der Hosentasche des anderen und entschied, ihn von seinen Sorgen so gut wie möglich abzulenken. Und so stupste er mit der Nase Juliens Hand beiseite und wollte sein Maul in die Hosentasche stopfen, um den Zucker herauszuangeln. Und Julien musste über das vorwitzige kleine Ding sogar lachen. Seine Hosentasche war allerdings zu eng, als dass das Maul des Fohlens etwas ausrichten konnte und so steckte er seine Hand in die Tasche und holte Chocolat das Süße heraus. "Da hast du. Ich hab deinen Namen wohl richtig gewählt", ließ er es aus seiner Hand fressen. So vergingen die nächsten Tage. Liam ging es immer besser. Mittlerweile konnte er auch schon wieder einigermaßen laufen. Einige Male hatte Julien ihm noch etwas über seine Vergangenheit erzählt und immer, wenn er wieder angefangen hatte zu weinen, hatte Liam versucht, ihn zu trösten und seinen Kopf an Juliens Bauch gepresst. Er hatte den jungen Menschen lieb gewonnen in der kurzen Zeit. Und er hatte sich vorgenommen, Julien zu helfen und ihn zu unterstützen, so gut es ihm möglich war. Doch plagte ihn weiterhin die Sorge um Trajan. Dieser hatte sich während der ganzen Zeit nicht gemeldet. Auch nicht, wenn er ihn über Gedanken gerufen hatte. Und so wuchs seine Furcht von Tag zu Tag. Julien war richtig stolz auf seinen kleinen Schützling als dieser sich schließlich erhob und die ersten wackeligen Schritte machte. Er humpelte zwar, aber auch das Kleine sah glücklich aus, dass es wieder lief. Außerdem hatte Julien immer mehr das Gefühl, dass dieses kleine Fohlen mehr verstand, als man es ihm zutraute. War es nicht seltsam, dass es ihn tröstete? Aber er nahm die Hilfe an. Er schlang seine Arme oft um den Hals des Tieres und hatte auch schon manchmal dessen Fell nass geweint. Meistens schämte er sich danach wieder für sich selber, weil er so eine Heulsuse war. Das kleine Fohlen war viel tapferer als er selbst. Verletzt, ohne seine Mutter und es gab trotzdem nicht auf. Nur manchmal sah es irgendwie, nun ja, nachdenklich aus. Auch wenn Julien sich dann ins Gedächtnis rief, dass Pferde nicht dachten. Oder zumindest nicht so wie Menschen. Er machte sich auch ein wenig Sorgen, dass, wenn es wieder springen und tollen konnte, seine kleine Holzhütte bald demoliert sein würde... Es waren eineinhalb Wochen vergangen, als Liam plötzlich die Stimme seines Bruders in seinem Kopf vernahm. *Liam? Liam! Wo bist du?* Erschrocken, aber überglücklich, dass es Trajan, wie es schien, gut ging, ruckte sein Kopf hoch und er antwortete: *Hier! Ich bin hier!* Trajan griff sich an die Stirn. Sein kleiner Bruder war wirklich immer sehr präzise. *Wo genau ist hier?*, fragte er also noch einmal nach. Er hatte wieder ein Portal geöffnet und befand sich nun auf der anderen Seite mitten in einem großen, dichten Wald. Aber er war wahnsinnig froh, dass Liam überhaupt noch lebte und er ihn gleich erreicht hatte. *Na, in Juliens Hütte*, meinte Liam mit einer Selbstverständlichkeit, die ihm oftmals zu eigen war. 'In Julidingens Hütte', äffte Trajan ihn in Gedanken nach. 'Dass er sich auch nicht einmal etwas genauer ausdrücken kann!' *Wo genau ist denn Julidingens Hütte?* *Er heißt Julien. Und ich weiß nicht genau, wo die Hütte ist. Irgendwo im Wald.* Hoffentlich reichte seinem Bruder diese Wegbeschreibung. Er konnte sich ja schließlich nicht mehr daran erinnern, wie er hierher gekommen war, da er bewusstlos gewesen und von Julien getragen worden war. *Na gut. Warte dort. Ich komm, so schnell ich kann.* Leicht frustriert, weil er den Weg nun immer noch nicht kannte, aber auch sehr beruhigt, dass es seinem kleinen Bruder gut zu gehen schien, lief er also in irgendeine Richtung. Gestrüpp und tief herabhängende Äste waren ihm immer wieder im Weg, so dass er nur recht langsam vorankam. Doch nach einer geraumen Weile sah er Rauch aufsteigen und fand sich nur Minuten später am Rande einer kleinen Lichtung wieder, auf der ein kleines Holzhaus stand. *Liam? Ist Julidingens Hütte ein Holzhaus?* Währenddessen war ein Plan im Kopfe des Fohlens gereift. Er hatte beschlossen, Julien mitzunehmen. Nur so konnte er ihm helfen. Er spürte irgendwie, dass Julien eine Dummheit begehen würde, wenn er wieder ganz allein wäre. Und vielleicht konnte er auch so gleich seinem Bruder helfen, der auch immer einsam, trotz seiner Gesellschaft, war. Er zuckte ein bisschen zusammen, als er Trajans Stimme wieder vernahm. *JULIENS Haus ist ein Holzhaus, ja. Aber warte bitte noch ein bisschen. Am besten, bis es dunkel ist. Da schläft Julien auch. Und dann lass ich dich rein.* Nein, noch würde er Trajan nichts von seinem Vorhaben erzählen. Dann würde der wieder rummotzen und sich gleich weigern. Nein, lieber eine Hauruckaktion und ihn aus großen Pferdeaugen anbetteln - da hatte er viel größere Chancen. Trajan wunderte sich zunächst, sah dann aber ein, dass sein kleiner Bruder wohl ausnahmsweise mal Recht hatte. Und so machte er es sich unter einer wuchtigen Linde bequem und wartete. Als es dunkel wurde und Julien immer noch keine Anstalten machte ins Bett zu gehen, stapfte Liam auf wackeligen Beinen zu eben diesen und zerrte an dessen T-Shirt, um ihn Richtung Bett zu bewegen. Er wurde immer ungeduldiger, weil er sich riesig freute, seinen großen Bruder wiederzusehen und Julien mit nach Hause zu nehmen. 'Jetzt geh schon endlich ins Bett!', dachte er immer wieder und zog weiter an Juliens Shirt. Julien ruderte mit den Armen, als er so gezogen wurde. "Hey! Du sollst dich nicht anstrengen. Hey hey! Was machst du?", stolperte er nach hinten, bis seine Knie gegen die Bettkante stießen und er auf die Laken fiel. "Kleiner Tunichtgut", blieb selbst dabei seine Stimme liebevoll. Wie konnte man so einem süßen Tier denn böse sein? "Aber du hast ja Recht. Ehe ich wieder auf dem Teppich mit dir einschlafe, was?" Er streichelte den Hals des Fohlens. "Jetzt, wo es dir besser geht, willst du wohl auf mich aufpassen, hm?" Aber Julien dachte sich auch: 'Warum nicht?' Es gab nichts, für das er wach bleiben musste und so zog er sich das Shirt über den Kopf und schlüpfte in seinen Pyjama, ehe er seine Füße unter die warme Wolldecke schob. Er blies die Kerze auf seinem Nachtisch aus, ließ aber das Kaminfeuer flackern. "Dann schlaf gut, mein kleiner Chocolat." Wie froh war Liam, als Julien auch sofort auf ihn hörte und brav ins Bett ging. Er wartete noch ein wenig, bis er gleichmäßige, tiefe Atemzüge vernahm und stolperte dann zur Tür, wo er mit den Zähnen den Riegel aufschob. *Trajan? Du kannst jetzt reinkommen!*, sendete er seinem Bruder. Trajan war unterdessen leicht eingedöst, nachdem er sich die Lichtung und das Haus von seinem Standpunkt aus genau betrachtet hatte. Endlich hörte er das Okay von Liam und so raffte er sich auf und schlich sich an die Tür an, drückte die Türklinke leise herunter, da er diesen Menschen, der nun sicherlich schlief, nicht wecken wollte. Liam trat sogleich von der Tür zurück, um seinen Bruder hereinzulassen. *Wir nehmen ihn mit*, sendete er dann auch gleich resolut, ohne einen Widerspruch zu dulden. Trajan blieb erst einmal verblüfft stehen - seit wann erteilte sein kleiner Bruder ihm Befehle? Doch als er auf eben diesen herabsah und die weit aufgerissenen Augen erblickte, konnte er gar nicht anders als zu nicken. Im nächsten Moment hätte er sich dafür selbst erwürgen mögen. Wieso konnte er dem Kleinen aber auch keinen Wunsch, oder in dem Falle wohl doch eher Befehl, ausschlagen, wenn er ihn so ansah? *Gut. Am besten du gibst ihm etwas von deinen Kräutern zum Schlafen, die du mir früher auch immer gegeben hast. Er sollte ja schließlich nicht unbedingt aufwachen.* Stirnrunzelnd sah er das Fohlen an. *Soll er nicht? Er weiß wohl noch gar nichts von seinem Glück?*, meinte er sarkastisch. Dabei wendete er das erste Mal seinen Blick zu demjenigen, um den sich dieses Gespräch drehte. Er sah blondes verwuscheltes Haar unter einer bis ans Kinn hochgezogenen Decke. Das war alles. Noch nicht einmal das Gesicht konnte er erkennen, weil der Mensch ihnen den Rücken zugedreht hatte. *Naja*, nuschelte Liam in Gedanken, *noch weiß er nichts davon. Ich konnte es ihm ja nicht sagen als Pferd. Mein Wiehern hat er nicht verstanden. Jedenfalls weiß ich, dass er es hasst, allein zu sein und dass es euch beiden gut tun würde, mal ein bisschen Gesellschaft zu haben.* Seine Worte waren fest, doch befürchtete er genau an dieser Stelle, zu viel von seinem so genial ausgetüfftelten Plan verraten zu haben. Trajan hörte Liam nur noch mit halbem Ohr zu, so dass er auf dessen Worte nicht weiter einging. Viel mehr interessierte ihn im Moment dieser blonde Wuschelkopf dort. Also ging er leise zum Bett und drehte den Schlafenden dann vorsichtig an der Schulter herum, so dass dieser nun auf dem Rücken lag und sein Gesicht Trajan zugewandt war. Dieser sah verblüfft auf den jungen Mann vor sich. 'Das ist ja noch ein halbes Kind!', dachte er verblüfft, 'und der soll hier draußen ganz allein überlebt haben?' Liam musterte seinen Bruder, der Julien ganz komisch ansah. *Trajan? Huhu? Du wolltest ihm die Kräuter geben*, erinnerte er ihn und war froh, dass er seine Worte vorhin wohl überhört zu haben schien. Trajan zuckte regelrecht zusammen, schüttelte dann den Kopf, als ob er dadurch seine Gedanken verscheuchen wolle und griff in seinen kleinen Beutel, den er immer, wenn er fortging, an seiner Hüfte trug. Schnell hatte er die richtigen Kräuter gefunden, schob sie sich in den Mund und zerkaute sie, bis sie zu einer Art Brei geworden waren, den er dann auf seine Hand spuckte und in das Glas Wasser mischte, das neben dem Bett auf einem kleinen Tischchen stand. Dann legte er eine Hand unter den Kopf des Menschen, um ihn so ein wenig anzuheben und flößte ihm langsam und vorsichtig das Gebräu ein, während er dabei immer wieder über den Hals strich, um ihn so zum Schlucken zu animieren. Liam beobachtete ihn dabei und wunderte sich insgeheim, warum sein großer Bruder, der sonst zu Fremden immer recht harsch war, Julien so sanft behandelte. Ihm sollte es nur recht sein - da würde er sich ganz sicher nicht beschweren. Endlich hatte der Mensch alles geschluckt. Als Trajan seinen Kopf wieder aufs Kissen sinken ließ, brabbelte der Kleine im Schlafe irgend etwas, das sich anhörte wie: "Nicht weggehen." Überrascht blickte der Gestaltwandler auf den Schlafenden und war einen Moment versucht, sich neben ihn zu legen und mitzuschlafen. Die letzten Tage hatten ihn ziemlich geschlaucht. *Komm endlich, Trajan. Lass uns gehen*, quengelte Liam. Er wollte heim und sich wieder in seiner Menschenform in sein Bett mummeln. Nickend zog Trajan die Decke vom Körper von... *Liam? Wie hieß er noch mal?* *Julien. Er heißt Julien*, antwortete das Fohlen ziemlich genervt. So einen einfachen Namen würde man sich doch wohl noch merken können! So lag Julien also schließlich ohne Decke vor ihm. Allein ein Pyjama schützte ihn vor der Kälte. Doch störte sich Trajan nicht daran, sondern hob den Schmörl, der wirklich ziemlich leicht und auch recht klein war, auf seine Arme. Er trug seine Last nach draußen, gefolgt von seinem Bruder, der langsam hinterher kam. Er machte ein wenig langsamer, weil er sah, dass Liam noch nicht so schnell laufen konnte. Die Wunde, die schon recht gut verheilt war, hatte er wohl registriert. Kaum hatten sie das Haus verlassen, da schlang Julien auch schon seine Arme um Trajans Hals und kuschelte sich an dessen Schulter. Trajan blieb kurz stehen und starrte auf das Bündel in seinen Armen, das leise vor sich her schmatzte. 'Woah, der Kleine ist ja richtig anhänglich!' Da spürte er auch schon, wie sein Bruder mit den Zähnen an seinem Shirt zerrte und ihn somit dazu brachte, wieder weiterzulaufen. Und so liefen sie und kamen nach einer geraumen Weile an der Stelle an, wo Trajan das Tor geöffnet hatte. Julien lag mittlerweile zitternd und bibbernd in seinen Armen und hatte sich noch fester im Schlaf an ihn gepresst. Schnell hatte er wieder ein Portal geöffnet und war nach seinem Bruder hindurch geschritten. Wie war Liam froh, als er auf der anderen Seite wieder ankam! Zwar sah der Wald hier genauso aus wie in der anderen Welt, aber dennoch fühlte er sich hier instinktiv wohler. Sogleich verwandelte er sich auch wieder in seine Menschform, denn das Wandeln konnte er nur in seiner Welt ausüben. Als er durch das Tor geschritten war damals, war er in seiner Tierform hindurch gegangen und musste deswegen auch so bleiben. Doch nun, endlich wieder als Mensch, fühlte er sich gleich besser. Zwar war er gern Pferd, doch auf Dauer war ihm das dann doch nicht so lieb. Rasch liefen die beiden Brüder, der eine ob seiner Wunde, der andere ob seiner lebenden Last etwas ausgebremst, ins Dorf, das nur einige Minuten entfernt war und das sie trotz Dunkelheit fanden. Als sie endlich aus dem Wald hervorbrachen und den niedrigen, aber recht weitläufigen Berg, auf dem das Dorf befestigt war, erreichten, hüpfte Liams Herz freudig. 'Endlich wieder daheim! Endlich wieder da!' Er hatte seine Heimat in den letzten Tagen schrecklich vermisst. Auch Trajan war froh, dass sie endlich da waren. Es war sehr anstrengend für ihn gewesen, zwei Portale innerhalb kurzer Zeit aufzubauen und dann noch solche Strecken zurückzulegen, wo er noch vor wenigen Tagen mit nicht gerade leichten Verletzungen im Bett gelegen hatte. Doch daran wollte er nun lieber nicht mehr zurückdenken. Es war vorbei. Sein Bruder war wieder da und mit ihm gleich noch jemand. Doch um diese Person, die sich immer noch vertrauensseelig an ihn kuschelte, wollte er sich morgen kümmern. Heute war er zu erschlagen dazu. Sie schritten die Wege und Gassen zum Gipfel des Berges hinauf, denn dort oben stand ihr Haus, welches sie, synchron seufzend, erleichtert betraten. Liam verzog sich mit einem gemurmelten "Gute Nacht" sogleich in sein Zimmer und fiel dort, so wie er war, in sein Bett und schlief, noch bevor er die Matratze richtig berührt hatte, zufrieden ein. Trajan konnte das nicht so einfach machen. Immerhin hatte er hier noch ein kleines, bis mittelgroßes Problem namens Julien, das er auch irgendwo hin verfrachten musste. Doch in seinem Haus gab es keine Schlafgelegenheiten außer dem Bett seines Bruders und seinem eigenen. 'Egal. Kommt er eben mit in mein Bett. Ist ja groß genug.' Und so schritt er gähnend die Treppe hinauf zu seinem Schlafzimmer, legte den Kleineren auf das Laken, zog sich schnell bis zur Shorts aus und krabbelte ebenso ins Bett. Er schaffte es noch gerade so, sie beide mit der Decke zuzudecken, dann forderte die Erschöpfung auch schon ihren Tribut und er driftete in einen erholsamen Schlaf. |
---|