Herstellungsstopp nach ideologischer Wende


Der historische Kontext der Verkündung des Dekrets von Memphis (dessen Niederschrift ja der Stein von Rosette darstellt) ist gekennzeichnet von außenpolitischer Lähmung Ägyptens, verursacht durch die Niederlage im 5. Syrischen Krieg. „Berater" von Ptolemaios V. war Aristomenes, ein guter Haushalter, der Ägyptens Stabilität gewährleisten wollte, indem er dessen Neutralität durchzusetzen versuchte. Das Verhältnis zu den Seleukiden und Antigoniden war friedlich, nur in Oberägypten herrschte ein unabhängiger einheimischer König. Unter diesen Voraussetzungen konnte Aristomenes den Pharao lenken, wie er wollte. Die Krönung, welche die Legitimität und Souveränität des Pharao unabänderlich machte, war wohl ein willkommenes Mittel, um von der Oberherrschaft des Beraters abzulenken. Vierzehn Jahre später wurde Ptolemaios V. dann ermordet.

Möglich, dass die restlichen erforderlichen Steintafeln noch hergestellt werden sollten, solange der Pharao am Leben war, aber spätestens nach seinem Tod könnte man von diesem Plan abgekommen sein. Ein Indiz für einen Kurswechsel noch zu Lebzeiten des Pharao kann der Machtwechsel am ägyptischen Hof 192 v. Chr. sein; Aristomenes wurde von Polykrates verdrängt. Dieser nahm 190 Kontakt mit Rom auf, indem er um Verstärkung des Handels bat, was ihm nicht gewährt wurde; er beendete außerdem den Aufstand in der Thebais in Oberägypten und erneuerte 182/181 die Allianz mit dem Achäischen Bund. Kurz vor dem Anschlag auf Ptolemaios V. empfing dieser gemeinsam mit Polykrates Polybios, den berühmten Geschichtsschreiber, der als Bote des Achäischen Bundes kam.
Die Politik Polykrates' stellte eine entschiedene Änderung gegenüber der von Aristomenes dar. Es wäre also wahrscheinlich, dass er sich um Nebensächlichkeiten wie die Verbreitung des Dekrets, das noch zu Zeiten seines Vorgängers erlassen wurde, nicht in erster Linie kümmern wollte. Im Großen und Ganzen betraf das Dekret auch nur die Priesterklasse, und die bedurften nicht weiterer einhundertzweiundzwanzig Repliken, um daran zu erinnern.
Nach dem Tod des Pharao und der Entmachtung des Polykrates herrschte Kleopatra für ihren unmündigen Sohn Ptolemaios VI. Ihr Bestreben war es, verstärkt mit Rom Kontakt aufzunehmen, denn die Nachbarn konnten nicht mehr intervenieren: Karthago war seit der Schlacht von Zama 202 entmachtet, Antiochos III. musste nach seiner Niederlage im Kampf gegen Rom 188 gemäß dem Frieden von Apamea die seleukidischen Besitzungen in Kleinasien an kleinere Staaten abtreten, die unter Roms Einfluss standen und das Seleukidenreich so in Schach hielten. Es kann durchaus sein, dass sie bezüglich der Wichtigkeit der Vervielfältigung des Dekrets ähnliche Gedanken hegte wie Polykrates und sich vornehmlich auf die Beziehungen zu Rom und eine kluge Heiratspolitik konzentrierte. Nach ihrem Tod brach die Uneinigkeit der Hinterbliebenen aus, aufgrund der Ptolemaios VIII. Ägypten verließ und später zurückeroberte, während Ptolemaios VI. neben seiner Schwester noch seine Tochter heiratete. Während dieser langwierigen Krise Ägyptens dachte kaum einer bei Hofe noch an das Dekret des längst verstorbenen Pharao Ptolemaios V., obgleich es die Priesterklasse nicht unwesentlich bereichert hatte. Die Herstellung von Abschriften war zu dieser Zeit schlicht unwesentlich, zumal da für ein solches Vorhaben Geld und Arbeitskräfte knapp waren. Nach dem Ende des verworrenen Krieges um die Herrschaft hatten die drei Geschwister, nun friedlich zu dritt das Reich der Ptolemäer beherrschend, genug mit der Wiederaufrichtung des Landes zu tun, so dass es hier erst recht an Geld und Arbeitskräften mangelte.
In späterer Zeit nahm der Einfluss der Römer stark zu, und gerade ein Menschenalter nach Ende des Erbfolgekrieges war Ägypten schon Teil des Römischen Reiches. Bis dahin versuchten die Seleukiden mehrmals zu intervenieren, und nachdem 63 v. Chr. ihre Macht durch die römische Eroberung gebrochen war, herrschte Kleopatra VII., die nur ihre Macht zu entfalten suchte und nicht darauf bedacht war, ein Dekret ihres Ahnen, das zudem nicht einmal sie selbst betraf, mit großem Aufwand zu vervielfältigen.

Es ist nicht einmal gesichert, ob das Dekret in späterer Zeit überhaupt noch gültig war. Die Erleichterungen, die Ptolemaios V. der Priesterklasse zugestanden hatte, konnten während der Herrschaft seiner Nachfolger aufgehoben worden sein. Und ein Dekret, das keine Gültigkeit mehr hat, wird wohl kein Herrscher auf kostspielige Weise reproduzieren lassen.

Insofern steht es außer Frage, dass eine ideologische Wende Ursache für das Fehlen weiterer Exemplare sein kann.

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Autor: Jonathan Groß