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Winter 1945
 

 Es geschah an einem eiskalten Januarabend im Jahr 1945.
Frierend stand Joséphine Jordi auf dem Bahnsteig. Schneeflocken wirbelten durch die Luft und klebten in ihrem Gesicht und in den Locken. Das Kind auf ihrem Arm konnte nicht ihr eigenes gewesen sein, auch nicht ihre Schwester. Das Aussehen der Beiden war viel zu verschieden. Die vierzehnjährige Joséphine war eher brünett, mit einem schwarzen Krauskopf. Die erst zweijährige Sara war blass und einige blonde Strähnen schauten unter ihrer warmen Fellmütze hervor. Weiter an oder in das Bahnhofsgebäude konnten sie nicht. Viele, zu viele Menschen drängten sich hier. In der Bahnhofhalle, auf dem Bahnsteig und in der Wartehalle lagen oder hockten Menschen auf ihrem Gepäck am Boden. Andere waren eingedöst, in Wolldecken gehüllt. Alle diese, von Angst gezeichneten Menschen, wollten einen Platz im Zug. Alle wollten weg von hier, alle…fast alle, vor allem Mütter mit Kindern und viele ältere Personen. Sie waren auf der Flucht.

 Joséphine verfolgte mit ihrem Blick aufmerksam das Geschehen um sich herum. Ein grosser Koffer stand dicht neben ihr. Die Mutter der kleinen Sara wollte gleich wieder zurück sein. Sie wollte die anderen zwei Geschwister in dem bereitstehenden Zug unterbringen und dann Joséphine mit Sara und den Koffer holen. Diese wenigen Minuten aber erschienen Joséphine sehr lange. Die Hektik auf dem Bahnsteig steigerte sich. Eine eindringliche Stimme ertönte durch den Lautsprecher. Diese  Durchsage jagte die Menschen in den schon überfüllten Zug. Joséphine hörte die Durchsage deutlich, aber sie verstand es nicht. Es war nicht ihre Muttersprache. Der Gedanke, dass dieser Zug ohne sie und Sara den Bahnhof verlassen würde, war für sie entsetzlich.

 Dann plötzlich geschah es. Der Zug setzte sich langsam in Bewegung. Joséphine, von Angst und Schrecken ergriffen, sprang mutig und entschlossen auf das nächste Trittbrett des schon rollenden Zuges. Sie klammerte sich mit der linken Hand an den Griff und versuchte das Kind auf ihrem Arm noch fester an sich zu nehmen. Mit grosser Anstrengung, konnte sie sich und das Kind durch die Wagentüre zwängen. "Aber, aber kleines Marjelchen,* dass war wirklich sehr gefährlich", rief ihr die alte Bäuerin noch zu, die ihr bei diesem gefährlichen Manöver geholfen hatte. Joséphine erwiderte mit einen hastigen "Merci, merci beaucoup de vous être donné tout ce mal !" Sie hatte es geschafft. Nur der Koffer war zurückgeblieben.

 Der Zug rollte jetzt schneller. Im dichten Gedränge stand sie nun, wie ein Hering eingepresst. Der Feind, die Tiefflieger durften den beleuchteten Zug auf keinen Fall entdecken. Deshalb wurde die spärliche Beleuchtung ausgeschaltet. Eine unheimliche Stimmung herrschte im Eisenbahnwagen. Aufgeregte Menschen drängelten zwischen den mit unförmigem Gepäck verstellten Gängen. Sara schrie laut und eindringlich. Joséphine konnte das Kind nicht beruhigen. Sie war selber noch in grosser Erregung und sucht sich verzweifelt durch die Flüchtlinge zu zwängen. Sie suchte die Mutter der Kleinen. Diese musste doch irgendwo sein. Die Mutter und die zwei Geschwister von Sara, wo waren sie nur? Hatten sie einen Platz gefunden? Vielleicht in dem nächsten Wagon? Also versucht Joséphine sich langsam nach vorne zu verschieben, sich durchzudrängen.

 Eine dunkle Schneelandschaft zog an den Fenstern vorbei. Aber keine friedliche Winterlandschaft. Man hörte das Rattern der Räder und aus der Ferne die Einschläge der Kanonen. Man erkannte tote Soldaten, die verstreut im Schnee lagen, Pferdeleichen und verlassene, zerstörte Häuser. Hier hatten Kampfhandlungen gegen die Zivilbevölkerung stattgefunden. Hier waren Menschen vertrieben worden. Hier waren Mütter, Kinder und Grosseltern von ihrem Zuhause verjagt worden, deren Väter im Krieg ihr Leben einsetzen mussten. Furchtbare Bilder, traurige Bilder, die wie schwarze Schatten vorbeizogen. Es war eigenartig, bedrückend ruhig im dunklen Zug. Nur Sara beruhigte sich nicht, immer wieder schrie sie laut und eindringlich: “Mami, Mami!“

 Mit ängstlichen Blicken sucht Joséphine weiter nach Saras Mutter. Endlich entdeckte sie sie, weiter vorne im Abteil. Das furchtbare Schreien “Mami, Mami!“  war nicht zu überhören.  Dann konnte sie das Kind der Mutter in die Arme legen. Die drei Geschwister waren wieder beisammen, bei ihrer Mutter. Joséphine, die junge Heldin, fand noch einen Platz. Eingeklemmt, zwischen Koffern und Rucksäcken, kauerte sie sich müde und erschöpft hin. Der Zug fuhr fast lautlos durch eine eiskalte, grausam verunstaltete Winterlandschaft.

 Joséphine wurde sich erst viel später bewusst, welche liebevolle, uneigennützige Tat sie hier vollbracht hatte. Dank ihrer mutigen Entschlossenheit war sie, mit der kleinen Sara, auf den fahrenden Zug gesprungen. Sie hatte ihr eigenes Leben riskiert, aber sie hatte dadurch auch das Leben der kleinen Sara entschieden beeinflusst, denn sehr viele Kinder haben während des Krieges ihre Eltern verloren. Noch heute werden in den Kriegen  Familien auseinander gerissen. Das ist sehr traurig, denkst du auch so?

 Es gibt eine großartige Hoffung und dieser Gedanke steht an dem Gebäude der Vereinten Nationen in New York.
„Und Gott wird gewiß Recht sprechen unter den Nationen und die Dinge richtigstellen hinsichtlich vieler Völker. Und sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden müssen und ihre Speere zu Winzermessern. Nation wird nicht gegen Nation das Schwert erheben, auch werden sie den Krieg nicht mehr lernen.“

Diese Geschichte ist leider wahr. Sie ist in Wirklichkeit auch hier noch nicht zu Ende. Vielleicht erzähle ich sie euch später einmal fertig.

*Marjelchen: liebevolle ostpreußische Bezeichnung für Mädchen.

Buch zum gleichen Thema: "An der Hand meiner Schwester" zwei Mädchen im kriegszerstörten Deutschland, von Bärbel Probert-Wright, erschienen im Weltbild Verlag.

Das deutsche Schiff "Wilhelm Gustloff" wird am 30.Januar 1945 von einem sowjetischen U-Boot in der Ostsee versenkt. Rund 9000 Menschem, meistens Flüchtlingskinder mit ihren Müttern sterben.

 Christiane Wild

 

 Der 2.Weltkrieg - Briefmarke aus Frankreich



Briefmarken sind ein sehr interessantes und lehrreiches Hobby.
Ich bin für jede Marke sehr dankbar.
Christiane Wild

 

Zehn Jahre Vertreibung, Briefmarke aus Deutschland

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