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Drei ist einer zu viel

Alles fing an, wie immer solche Sachen anfangen: völlig harmlos. Ich saß in meinem Laden mit einer Tasse Wellnesstee als ein alt bekanntes Gesicht auftauchte.
"Hallo. Leben Sie noch. Ich hab sie bestimmt ein halbes Jahr hier nicht gesehen!"
"Ich war im Land der Liebe, des guten Weines und des Gesangs", grinste er.
Ein Freund von ihm hatte wohl ein halbes Jahr in Rom gelebt und dort eine Menge Spaß mit vielen Frauen gehabt und so entschloss sich der bayerische Möbel-Designer genannt Kläuschen ebenfalls in die aufregende Metropole zu gehen.

Tatsächlich war er so von den italienischen Frauen begeistert, dass er einer schlanken, sehr attraktiven Brünetten das Ja-Wort gab. Natürlich nicht auf dem Papier. Er nahm sie mit nach München, um seine Designer-Werkstatt wieder in Schwung zu bringen und stellte ihr in Aussicht, bald wieder nach Italien mit gemeinsamen Ehering zu gehen.
Ich fing an, mir alle möglichen Sachen vorzustellen: Frauen mit wallenden Haar in Gaius Julius Caesar-Gewand, Silberpokale, bis zum Rand mit bordeauxrotem Wein gefüllt und Schalen voller praller Trauben.
Seine italienische Freundin holte mich polternd auf den Boden der Tatsachen zurück als sie kurz nach ihm den Laden betrat. Uncharmant, kurzes, stoppeliges Haar und ein unmodisches Outfit, dass ich anfing, am Geschmack des Möbeldesigners zu zweifeln. Sie war Welten von all seinen Ex-Freundinnen entfernt und ich kannte wirklich jede. Die achte vor ihr zeigte ihm meinen Laden und jedes Jahr kaufte er für seine Frauen "Second Hand" ein.
Ich blätterte schnell in einer Modezeitschrift und sie, so schien es, redete gern über ihre Vergangenheit als Glamour-Model. Um es mit meinen Worten zu sagen: Sie schwelgte in ihrer Vergangenheit und legte ein "Ich bin eine erfahrene Frau-Gehabe" an den Tag.

Ein anderes Pärchen, die einmal im Jahr zu mir kommen und begeisterte Swinger-Club-Besucher sind, kommen ein paar Sekunden später in den Laden, um wie eh und je nach erotischen Lack- und Ledersachen zu suchen.
Die Italienerin erzählte von dem hemmungslosen Treiben italienischer Frauen und doch waren sich alle einig, dass Südländerinnen viel spießiger als deutsche Frauen sind
So ging die Diskussion in die erste Runde: Wer von den anwesenden war schon einmal während einer Beziehung fremd gegangen?
Keiner gab es zu, aber die Italienerin stritt es nicht heftig genug ab.
"Kannst du treu sein?", fragte ihr neuer Freund Klaus.
"Darauf muss eine Frau wohl nicht antworten", pustete sie ihm entgegen und leitete, ohne es zu wollen Runde zwei ein.
"Ehrlichkeit ist das Wichtigste in einer Beziehung", sagte Simone, die sich gerade durch die Lederabteilung wühlte und ein höchst aufreizendes Korsette zu Tage förderte.
"Woher willst du denn das wissen?", konterte Antoinette.
Ich war nicht ganz sicher, was ich dazu sagen sollte, weil ich so offen und ehrlich bin, wie es die Situationen zulassen. Doch diese Theorie würde den Rahmen der gerade stattfindenden Diskussion sprengen.

"Männer lügen alle", sagte ich und gab den Anwesenden völlig neuen Gesprächsstoff.
Schlagartig war Runde zwei beendet, weil beide Frauen sich nach etwas Tragbaren umschauten. Beide Männer traten zu mir vor, stützten sich seitlich auf Kleiderständer und schauten mich sehr ernst an.
"Das schlimmste ist, wenn Partner sich anlügen. Uns kann das nicht passieren, dafür gehen wir in den Swingerclub", erzählte Bernd, Polizist seit seinem 18. Lebensjahr, wie er es mir stolz erzählte.
"Entschuldige mal, aber was hat ein Swingerclub mit lügen zu tun", lehnte sich der Möbeldesigner vor, "denn um sich nicht anzulügen, muss man anderen doch nicht beim Sex zuschauen."
Stille. Das wollte der sportliche Bernd nicht überbieten.
Das Gespräch driftete ab: "Was für Leute gehen überhaupt in so einen Club?" Klaus fragte mit so einem abfälligen Ton in der Stimme, dass ich das Gefühl hatte, jeden Moment könnte ein Unheil geschehen.
Dann geschah das Unglaubliche: Simone entdeckte ein wunderschönes Top, auf deren Suche die Südländerin schon ihr ganzes Leben lang war. Die eine wollte es und die andere wollte es der anderen nicht geben.
Das Spiel und die Diskussionen endeten abrupt mit dem lautlosen Abgang der Italienerin. Klaus entschuldigte sich und rannte ihr hinterher.
Ein paar Stunden später erhielt ich einen Anruf mit einer Erklärung und einer Einladung zum Abendessen. Klaus und seine Antoinette gaben sich die Ehre und hätte ich gewusst, was mich erwartet, hätte ich nie zugesagt.
Ihre Wohnung befand sich in einem wunderschönen alten Haus. Der Eingang war schlicht und die Wohnung noch schlichter. Ich hatte nicht das Gefühl, bei einem Möbeldesigner zu sein, denn die Wohnung war kaum eingerichtet.
"Ich liebe es äußerst spartanisch", sagte Klaus zwischen zwei Schlückchen Aperol Sauer als ihm meine suchenden Blicke nach Möbelstücken auffielen.
"Setzen wir uns", sagte Antoinette in einem hautengen schwarzen Kleid.
Zwischen Broccolisuppe und Nudelauflauf aus der Fertigpackung redeten wir über das Wetter, Italien als wunderbares Urlaubsland bis sie fragten, ob jemand zu Hause auf mich wartete.
"Ich habe leider immer Pech mit den Männern", erklärte ich. Dann erzählte ich ihnen von meiner letzten großen Enttäuschung und wie mir ein Mann fehlen würde.
Klaus machte dann ein paar schlechte Witze und ohne es zu merken, lag Antoinettes linke Hand auf meinem Bein und mit der rechten streichelte sie über mein Haar: "Hat dir eigentlich schon jemand gesagt, wie schön du bist?"
Klar, sie fand mich attraktiv. Aber sie war eine Frau.
"Ich bin nicht lesbisch", erklärte ich.
"Und jetzt?"
"Ich weiß nicht."
Klaus meldete sich von der anderen Seite des Tisches: "Bist du nicht neugierig?"
Ich fühlte mich nicht angesprochen und antwortete nicht.
Dann bekam ich Panik.
"Hast du niemals Lust gehabt mit einer Frau zu schlafen?", fragte er.
Ich schüttelte vehement meinen Kopf.
"Und mit mir natürlich, sozusagen einen Dreier."
"Warum sollte ich das tun?"
Sie wussten es nicht. Dann verabschiedete ich mich und ging. Klaus und seine italienische Freundin tauchten nie wieder in meinem Laden auf.