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Thema des Monats:


Warum Gummikleidung nur im Untergrund?

von Jean-Wemer Rosenfeld


Wir sollten stolz sein auf die Kleidung, die uns am meisten Wohlbefinden beschert, die wir teils leidenschaftlich, teils aus einem Anders-als-die-andern-sein-wollen heraus tragen; mit der wir uns zum einem unter dem Blickwinkel Ihrer äußerst pikanten Note kleiden, zum
anderen aus rein praktischen Erwägungen heraus Gewöhnung und Gewohnheit uns in sie zu
hüllen.

Gleichgültig, welche anderen Aspekte für den einzelnen noch maßgebend sein mögen, wir sollten stolz sein auf die Wahl unserer bevorzugten Kleidung!  Sind wir es aber? Ich meine, nein, und wenn schon ja, dann wohl ausschließlich unter Gleichgesinnten, soweit wir unseren nächsten Gummibruder persönlich kennen.

Ich bin fest davon Überzeugt, daß das Gros von uns, mich eingeschlossen, sich nur im stillen Kämmerlein an seinen Gummikostümen erfreut; seine Eltern, seine Frau oder seine engsten Freunde nur dann über seine Neigung aufklärt, wenn jene durch einen dummen Zufall oder eine Unachtsamkeit seinerseits ohnehin bereits dahintergekommen sind. Wenn es klingelt, öffnet er entweder nicht, oder aber er reißt sich die Kleidung hastig vom Leibe, stürzt sich In normale Kleidung, ehe er atemlos dem Klingler öffnet.

Warum aber all diese verfluchte Heimlichkeit, diese spießbürgerlich anmutende
Geheimniskrämerei, diese fast schon panische Angst vor einer möglichen Entdeckung, warum diese aus Verlegenheit oder Scham knallroten Köpfe, wenn letzteres tatsächlich eingetreten ist?

Weshalb dieser peinliche, ja beinahe selbstzerstörerische Schuldkomplex wegen unserer besonderen Neigung? Was haben wir Verbotenes getan, daß wir uns jede freie Minute allein in unseren Gummiverschlag zurückzie hen, zu dem nur wir einen Schlüssel besitzen? Ist es schlimm, wenn wir mit aufregenden Fingern diese glatte, anregende und welch uns umfließende Material zärtlich, vielleicht manchmal ehrfürchtig befühlen; oder wenn wir uns durch Gummikleidung sexuell stimulieren, schneller dadurch zum Höhepunkt gelangen?

Nichts von alledem, liebe Freunde, der Grund für unser abartiges Verhalten ist in unserer heutigen Zeit, in der Gegenwart, in unserer Erziehung zu suchen:

Wir sind Sklaven dieser Gesellschaft, dieser öffentlichen Meinung Untertan ! Wir ducken uns, verkriechen uns Ins Dunkel der persönlichen Nicht-Identität, weil wir Angst haben, die Leute" könnten mit Fingern auf uns zeigen, uns für verrückt erklären, uns aus Ihrem Kreis ausstoßen, wenn unsere Frauen zum Bäcker gegenüber in einer leuchtend roten Latexbluse und einem samtigen, türkisfarbenen Maxirock aus Caprice gehen würden.

Wir halten uns in unseren hermetisch abgeschirmten Gummikammern still, weil wir keine Zivilcourage besitzen, weil wir es tagtäglich versäumen, die anderen daran zu erinnern, daß der Persönlichkeitsanspruch eines jeden bezüglich Kleidung nicht nur jenen gegeben ist und nur bei ihnen respektiert werden muß.

Weil wir Gummikleidung tragen, waschen wir uns nicht weniger als alle anderen, und wir sind geistig nicht weniger begabt als alle anderen !

Wir dürfen nicht länger zögern, die Andersdenkenden darauf hinzuweisen, daß auf sie mit Fingern gezeigt würde, wenn man heute unsere Kleidung als normal ansähe, was selbstredend ebenso zurückzuweisen - wäre, als das Verhalten derjenigen heute und jetzt.

Ich habe in meinem ersten Artikel unserer Magazinausgabe darauf hingewiesen, daß es ein Ziel unserer Arbeit sein soll, den Kreis von Gummilliebhabern zu vergrößern, um in der Öffentlichkeit nicht mehr isoliert zu sein. Hof fentlich konnte ich Euch, liebe Freunde, mit meinen Worten einige Anregungen zur praktischen Durchführung dieser Zielsetzung vermitteln und viele von Euch dazu zu veranlassen, wenigstens über die eigene Position einmal nachzudenken. Sicher kann sich manchem von Euch die Frage stellen, weshalb will er uns aus unserer intimen Exklusivität herausführen ? Bis heute ging doch alles gut, und wir
waren glücklich?! Ich will das, damit dieses widerliche, zumindest mir zuwider gewordene Versteckspiel aufhört, und damit wir - wenn wir wollen - an jedem Ort und zu jeder Zeit Gummi tragen können, auch beim Zusammensein mit Nicht-Anhängern !

Und jetzt bitte ich Euch alle, mit mir zusammen den ersten Schritt dahingehend zu tun, daß wir unsere Gummikämmerchen transparent werden lassen. Wenn Ihr Euch als
Einzel-person nicht den ersten Schritt zu tun getraut, dann schließt Euch zu Gruppen
zusammen.  Erfahrungsgemäß ist Spott kollektiv leichter zu ertragen als Individuell. Oder
erschließt Euch für den ersten Schritt einen neuen Bekanntenkreis von "Normal-Bürgern".

Gleichgültig, was Ihr zuerst unternehmt, von diesem Moment an können wir stolz auf uns und auf unsere normale Eigenart sein.

Bitte denkt daran, daß nicht irgendein Außenstehender und nicht mit der Materie Vertrauter diesen Artikel verfaßt hat, sondern einer von Euch, der mit diesen Zeilen mit sich selbst rechtet und seine Fehler vor Euch ausbrei tetlich seine Gummigewandung auch nur im stillen Kämmerlein unter Ausschluß jeglicher Öffentlichkeit trug.

Dieser Artikel erhebt keinen Anspruch auf dogmatische oder wissenschaftliche Richtigkeit, er ist lediglich als Beitrag gedacht, der Gummiöffentlichkeit - und nicht nur dieser zur Diskussion und zum Nachdenken gestellt.

Ich wäre nur wider Willen ein Rufer in der Wüste.

In diesem Sinne mit herzlichen Grüßen

Euer Jean-Werner Rosenfeld