Titel

Eine Gummithese

Gummi - elastisch.
Gummi - wasserdicht.

Das sind Attribute, die man im allgemeinen diesem Material zuschreibt. Wer kommt da auf die Idee, im Gummi eine Sache zu sehen, die einer Weltanschauung gleichkommt.
Gummikleidungen sind für bzw. gegen Regen und schlechtes Wetter. Aber diese Kleidung in Gesellschaft zu tragen, im Schlafzimmer, im Bett? Das ist doch eine etwas verstiegene Art! Dem Eros dienen?

Dann wäre das ja Fetischismus!
Wir wollen uns darüber nicht groß auslassen. Wir wissen, daß ein Freund des Gummis sexuell sehr stimuliert wird. Lassen wir einmal die Beiträge des Magazins die bisher erschienen sind, Revue passieren, - alle Gummifreunde zielen in ihren Erlebnissen auf den Mittelpunkt der menschlichen Existenz hin, auf das Geschlecht. Von den obenerwähnten Attributen, die doch etwas Praktisches ausdrucken, keine Spur.

Ich beschäftige mich schon lange mit der Frage, warum mir Gummi über die Maßen zusagt, mich erregt, mich beruhigt, mir in meinen Träumen so angenehm begegnet, meine Phantasie wie in einem Rausche entzündet. Meine Überlegungen und Untersuchungen haben gezeigt, daß meine Vorliebe für dieses Material nicht aus der Kindheitserinnerung herrührt (Berührung im Säuglingsalter, also unbewußt).  Ich meine damit die Bekanntschaft mit Gummiwaren wie Höschen, Unterlagen, Schnuller etc. Diese Erklärungen, von denen man allerorts liest, halte ich für zu einfach gegeben.

Wie bereits schon erwähnt, gab es in meinem Kleinkindesalter in unserem Hause keinerlei derartige Utensilien aus Gummi.  Das Bedürfnis aber, sich in Gummi zu kleiden, ist doch da!

Die Phantasievorstellungen, die ich als Junge hatte, gleichen aufs Haar den Darstellungen, von denen ich jetzt lese: beispielsweise im Fornicon oder bei Allen Jenes oder in
einschlägiger Literatur, in der Ärzte über Geständnisse ihrer Patienten berichten. Es sind die gleichen Wunsche und Praktiken wie meine eigenen, wie die, die ich hatte, als ich dachte, so etwas gäbe es nur bei mir in meiner Phantasie.

Untersucht man einmal diesen Wunschbereich, so entdeckt man bei allen Schilderungen und Berichten, Darstellungen und Variationen der Phantasie in Gummi zwei Hauptthemen.
Einmal ist es das Eingekleidetwerden von zarter und verständiger Hand, und in Steigerung zum anderen das völlige Umhülltsein bis zur Bewegungslosigkeit.

Das erste in tausend Spielarten, ein Drapieren in fließenden Gewändern männlicher und weiblicher Provenienz mit allen Typen von Stiefeln, Mützen, Hosen, Kleidern, Handschuhen, Schürzen, Mänteln, Capes, Unterwäsche, Korsagen etc.

Das andere so, daß alle Sinne bis auf das Fühlen ausgeschaltet werden. Umhüllt also von Kopf bis Fuß und quasi bis zu den Fingerspitzen - nur fürs Atmen muß gesorgt sein, und dann in dieser Gummiumhüllung so gebunden, daß nichts mehr am Körper bewegt werden kann.

In diesem Zustand belassen, merkt man außer dem Rauschen des Blutes, wie sich alles Sinnen und Denken auf den Mittelpunkt konzentriert.

Dieser Zustand des Passivseins gibt einem eine wohlige Ruhe. (Mitunter lasse ich mich nach Streß und nervlicher Belastung des Tages von meiner Frau so einpacken.)

In diesem Zustand, in dem man Wärme verspürt und in dem man das Material fühlt überall am Körper, gelangt man zu einem ungeahnten Grad von Wollust.

Wärme, Abgeschiedenheit, Bewegungslosigkeit, Passivität, - das sind die Formen des embryonalen Zustande.

Dostojewski schildert ein Erlebnis des lwan Matwejewitsch. Dieser lwan Matwejewitsch
wurde in einem Moskauer Zirkus von einem Krokodil verschlungen.  Er lebte jedoch in dessen Bauch weiter und verständigte sich mit der Außenwelt durch Zurufen: "Ich finde es hier herrlich! Zwar ist es dunkel aber wunderbar warm.  Die Wände sind aus Kautschuk - es ist hier wie im Innern einer Gummiwärmflasche."

lwan Matwejewitsch wurde dann auf Betreiben seiner Frau und seiner Freunde durch einen Tierarzt aus dem Bauch des Krokodils herausoperiert.  Er war furchtbar böse darüber, denn es hatte ihm zu gut dort gefallen.  Er beschwerte sich zornig, er wolle wieder in dieser Abgeschiedenheit leben.

In diesem literarischen Vorwurf wird nichts anderes geschildert als der Zustand vor und der Vorgang während der Geburt.

Denn wenn der neue Erdenbürger den Schoß verläßt, so kommt er aus dem Warmen,
Dunklen, Geborgenen des Mutterleibes.  Er war eine Zeit dort mit der gummiartigen Haut des Fruchtsackes in ständiger und engster Berührung. (Bekanntlich sind beim Embryo alle Sinne noch nicht in Funktion - mit Ausnahme des Fühlens.) Nun kommt er ans Licht und in feindliche Umgebung. Das sagt ihm gar nicht zu und er ist zornig, er schreit!  Er möchte wieder zurück.

Dies scheint mir der Grund zu sein, warum wir Gummi lieben.  Dies scheint mir eine
Erklärung zu geben, warum wir uns in Gummi kuscheln, uns damit bekleiden, uns damit umhüllen und die zarte Haut in einer wonniglichen Wärme spüren wollen.

M.S.