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Der letzte Akt in der großen Familientragödie
Beier hat sich heute morgen abgespielt. Das Haupt der Grete Beier ist unter
dem Messer der Guillotine gefallen.
Der Vater im Tode mit dem Verdacht des Meineids belastet, die Mutter im Zuchthaus, die Tochter auf dem Schafott. |
In dem Hofe des Landgerichtsgebäudes hatten sich
gegen 200 Herren, darunter zahlreiche Offiziere des hiesigen Jäger-Bataillons,
Justizbeamte, verschiedene Geschworene, Mitglieder der Städtischen
Kollegien, Ärzte usw. eingefunden.
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In der Ecke am Mittelflügel war die Guillotine errichtet
worden, um die im weiten Umkreis die Teilnehmer der ernsten Handlung sich
gruppierten.
Fünf Minuten vor 1/2 7 Uhr öffnete sich die seitliche Tür im Flügel der Staatsanwaltschaft, und heraus traten, geführt von Herrn Staatsanwalt Dr. Mannl, der im Mordprozeß gegen Grete Beier die öffentliche Anklage führte, das Richterkollegium dieses Prozesses mit seinem Vorsitzenden Dr. Rudert, sowie die zwölf Zeugen (zum größten Teil Herren der Städtischen Kollegien), Herr Oberstaatsanwalt Bernhard, Herr Bürgermeister Blüher und einige weitere Herren. Der Staatsanwalt sowie die Richter trugen Talar |
Es schlug 1/2 7 Uhr. Da schrillte eine Glocke, die scharf und schneidend nach dem hinter dem Landgericht gelegenen Gefängnisgebäude das Zeichen gab zum Antritt des letzten Ganges. Alle Blicke richteten sich nach rückwärts, von wo durch blühende Gärten die Verurteilte kommen mußte. Langsamen Schrittes kam sie daher, zu ihrer Rechten ihr Verteidiger im Talar, Herr Rechtsanwalt Dr. Knoll, Dresden, zur Linken der Gefängnisgeistliche im Ornat, Herr Pastor Schmidt, welcher der Verurteilten mit leiser Stimme Mut und Trost zusprach.
Grete Beier hielt die Hände gefaltet und den Blick gesenkt; aber ihr Gang war aufrecht, nur den Kopf hielt sie ein wenig nach vorn geneigt.
Sie war sehr bleich, aber nichts in dem Gesicht, das noch unverändert dieselben Züge zeigte, wie während der zweitägigen Schwurgerichtsverhandlung, verriet, was wohl in dem Herzen der Mörderin vorging; sie war ruhig und völlig gefaßt - und diese steinerne Ruhe wirkte fast schreckhaft.
Langsam, fast zögernd schritt sie vorwärts.
An dem schwarzen Kleid, das sie trug, war Hals und Nacken entblößt und der Ausschnitt mit einer Falbel eingefaßt.
So ging sie ihrem Ankläger und den Richtern entgegen.
Herr Staatsanwalt Dr. Mannl trat vor, mit gehobener Stimme sprach er folgendes: "Maria Margarete Beier aus Erbisdorf ist vom Landgericht Freiberg wegen Mordes zum Tode verurteilt worden. Das Urteil ist rechtskräftig geworden. Seine Majestät der König hat sich nicht veranlaßt gefühlt, von seinem Begnadigungsrecht Gebrauch zu machen. Das Urteil ist daher zu vollziehen. Herr Landesscharfrichter Brandt, ich übergebe Ihnen die Delinquentin.
" Der Geistliche und der Verteidiger waren inzwischen zurückgetreten. Der Scharfrichter und ein Gehilfe geleiteten die Verurteilte langsam zum Schafott und die fünf Stufen hinauf.
Grete Beier trat an das Richtbrett, dessen Fußtritt mit einer Erhöhung versehen worden war, um es der kleinen Statur der Verurteilten anzupassen.
Was nun folgte, spielte sich blitzschnell ab. Die Schnallen schlossen sich hinter dem Rücken der Verurteilten. Das Brett wurde in horizontale Lage gekippt. Da rief die Mörderin! Es klang angstvoll, flehentlich, wie lang aufgespeichterte Verzweiflung rang es sich aus den wenigen Worten los; "Vater, in Deine Hände befehle ich meinen Geist --- Vater --!!" Dann schloß sich der Ring um den Hals und das Messer sauste hernieder.
Der Scharfrichter entblößte das Haupt und meldete dem Staatsanwalt: "Herr Staatsanwalt, das Urteil ist vollstreckt."
Der ernste Akt nahm von dem Augenblick, da die Delinquentin das Gefängnisgebäude verließ bis zur Vollziehung des Urteils, nur 3 Minuten in Anspruch.
Der Staatsanwalt forderte darauf die Anwesenden auf, sich ruhig zu entfernen. Als die Zeugen der Hinrichtung durch einen Seitenweg, in dem bereits der blumengeschmückte Leichenwagen hielt, welcher den Leichnam der Grete Beier nach Dresden bringen wird, die Straße betraten, harrte dort eine tausendköpfige Menschenmenge. -
Die Leiche wird neben dem Grabe des Vaters beigesetzt werden.
Grete Beier ist bis zum Tode das ungelöste Rätsel geblieben. Sie hat bis zuletzt eine Selbstbeherrschung an den Tag gelegt, die in gleicher Lage wohl kaum ein Mann bewiesen haben würde. Die Ruhe, die sie in den letzten Tagen sowohl als auch noch auf dem letzten Gange bewahrte, ist ihrem Seelsorger, der sie in den letzten Tagen sehr oft besuchte, auch nicht etwa als eine stumpfe, eiserne, sondern als eine gefestigt, fast freudige Ruhe erschienen.
Ihm ist auch bei seinem Zusammensein mit der Beier durchaus nicht das Gefühl der Angst oder der Furcht vor dem zu erwartenden Entsetzlichen aufgekommen, vielmehr ein Gefühl der Erhebung, als er gesehen habe, mit welch tiefer Innerlichkeit die Beier auf alles einging, was er ihr zu ihrer Aufrichtung sagte.
Vor einigen Tagen noch hat sie ihrem Seelsorger auf die Frage, ob sie Reue über ihre Tat empfinde, geantwortet: "Ich bereue alles, was ich je unrechtes getan habe, aber ich müßte lügen, wenn ich sagen sollte, daß ich über die Mordtat Reue empfände.
Ich hatte immer das Gefühl, als ob ich das hätte tun müssen."
Der Seelsorger hat es darauf mit Absicht unterlassen, auf Reue zu drängen, aber als der Mörderin gestern abend das Abendmahl gereicht wurde, bekannte sie von selber, daß sie ihre entsetzliche Tat von Herzen bereue.
Das Abendmahl hat sie zusammen mit ihrer Mutter genommen, die gestern nachmittag von Waldheim nach hier beurlaubt worden war.
Als die Mörderin gefragt wurde, ob sie ihre Mutter noch einmal sprechen wolle, hat sie dies erst gewünscht, dann aber erwogen, ob sie ihrer Mutter die Aufregung nicht lieber ersparen sollte. Sie hat dann der Mutter geschrieben, daß sie es ihr überlasse, ob sie kommen wolle oder nicht.
Als dann die Mutter, die anfangs ganz fassungslos war, kam, raffte die Grete Beier noch einmal alle Energie zusammen, und blieb gefaßt, bis sich die Mutter gesammelt hatte, dann aber brach sie fast zusammen. Später beruhigten sich beide und nahmen, wie schon gesagt, das Abendmahl.
Kurz vor dem Abschied, der sich erschütternd gestaltete, machte sich die Mutter selbst Vorwürfe und brachte zum Ausdruck, daß sie schuld daran sei, wenn die Grete auf schlimme Wege geraten sei. Dem widersprach die Tochter aufs entschiedenste und sie nahm der scheidenden Mutter erst noch das Versprechen ab, daß sie sich nicht mitschuldig fühlen dürfe.
Die letzte Nacht, während der sie auch eine Stunde schlief, hat die Beier ziemlich ruhig verbracht, im Gegensatz zu der vorhergegangenen. Nachdem sie in den letzten Stunden noch längere Zeit in Liebe ihrer Mutter gedacht und an diese einen längeren Brief geschrieben, nahm sie früh den Beistand des Seelsorgers sehr getrost entgegen.
Bevor sie ihren letzten Gang antrat, verabschiedete sie sich in herzlicher Weise von ihrem Verteidiger und vom Gefängnisinspektor, dann ging sie so gefaßt, wie sie es immer gezeigt, zum Richtplatz.
Wenn sie hier mit den Worten: "Vater, in Deine Hände befehle ich meinen Geist! - - Vater - -!" [diese Worte zwischen "Vater, [...] Vater" wurden von anderen - dicht dabei Stehenden - nicht gehört.] ihr Leben aushauchte, so war ihr das, wie uns besonders mitgeteilt wird, keineswegs vom Geistlichen vorbereitet worden, sondern sie folgte ihrer eigenen Eingebung.
Aus den letzten Tagen der dem Tode Geweihten sind noch folgende Einzelheiten bekannt geworden: Die Bestätigung des Todesurteils ist ihr am Dienstag vormittag durch Herrn Staatsanwalt Dr. Mannl mitgeteilt worden. Auch hierbei zeigte sie sich nur für einen kurzen Moment verwirrt.
Während sie dann alles mit unbeweglicher Miene hinnahm, bemächtigte sich ihrer tiefe Bewegung, als sie einen in den rührendsten Ausdrücken gehaltenen Brief von der Mutter erhielt. Seit der Mitteilung von der bevorstehenden Hinrichtung wurde sie ständig bewacht.
Bereits in den frühen Morgenstunden hatte sich vor dem Landgerichtsgebäude eine hundertköpfige Menge eingefunden, die ihre Zeit meist damit vertrieb, die unglaublichsten Geschichten über die Grete Beier, ihre letzten Stunden usw. aufzutischen. Eine mächtige Bewegung ging durch das Publikum, als kurz vor 1/2 7 Uhr ein Leichenwagen geschmückt mit einer Blumenspende die Gartenstraße herauffuhr und in den Gerichtshof einbog.
Der Wagen verließ mit der Hingerichteten in einem Sarge gegen 1/2 10 Uhr wieder den Gerichtshof, um den Leichnam nach Dresden zu bringen. Dieser wird heute Donnerstag abend 1/2 7 Uhr in der Erbbegräbnisstelle der Familie Beier auf dem Johannisfriedhofe zu Tolkewitz beigesetzt werden.
Die Nachfrage nach den Einlaßkarten zur Hinrichtung war eine ganz unerwartete. Gegen 1400 Personen hatten sich gemeldet, von denen nur etwa 200 Berücksichtigung fanden. Gestern in den Mittagstunden war bekannt geworden, daß die Mutter der Grete Beier anwesend war. Daraufhin belagerte sofort eine große Menschenmenge den Platz vor dem Gefängnisgebäude. Als Frau Beier, deren Urlaub noch bis zu den Abendstunden verlängert worden war, nun abends gegen 3/4 10 Uhr wieder auf dem Bahnhofe zur Rückfahrt nach Waldheim eingeliefert wurde, begleitete sie das Publikum, das sich auf dem Bahnhofe angesammelt hatte, mit Johlen und Pfeifen.
Sie war 22 Jahre alt ....