Ethnologen kennen es gut, das weltweite Phänomen der Schlangenverehrung. Bekanntestes Beispiel ist die Regenbogenschlange bei den Aborigines in Australien. Diese unberechenbare und gefürchtete Schlange offenbart sich als Pars pro Toto eines ganzen Glaubensystems, nämlich der Traumzeit. Die Schlange verkörpert nicht nur Schöpferwesen und Kulturbringer, sondern auch Kriegsgott, Richter und Ahne und ist somit für den Kreislauf des Lebens verantwortlich. Im Vorderen Orient verkannten Archäologen bislang die überragende Bedeutung der Schlange in den Reihen ihrer Götter. | ![]() |
Die Konsequenz: Ein Sammelsurium an Puzzleteilen, das sich nicht so recht zu einem komplexen Weltbild zusammenfügen lässt. Aber muss das so sein? Warum nicht ethnologisches Material mit archäologischen Funden vergleichen, wenn Keilschrift-Texte auf Ähnlichkeiten schließen lassen? Warum nicht Texte aus dem 2. und 1. Jahrtausend v. Chr. mit prähistorischen Funden in Beziehung setzen, wo doch gerade in der Religion die Tradition eine so überragende Bedeutung hat? Nicht der Blickwinkel eines Maulwurfs, sondern der eines Vogels machten letztendlich die Suche nach der Bedeutung der Schlange im Vorderen Orient zu einem spannenden Erlebnis und schufen ein erstaunliches Bild der religiösen Vorstellungen der Menschen im Vorderen Orient, das mindestens 11.000 Jahre zurückreicht.
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Der bislang früheste Hinweis auf eine rituelle Verehrung der Schlange wurde auf dem Göbekli Tepe ausgegraben, dem Grabungsort in Anatolien, der derzeit als neue Wiege der Kultur Schlagzeilen macht. Der mit Schlangenreliefen verzierte Steinpfeiler datiert ins 9. Jahrtausend vor Christus und gehört zu einer Reihe weiterer, mit verschiedenen Tieren verzierten Pfeilern. Der Ausgräber Klaus Schmidt geht davon aus, dass es sich bei Göbekli um einen zentralen Kultplatz der ganzen Region handelt, an dem den Göttern zu bestimmten Zeiten Opfer dargebracht wurden. Der Platz mitsamt seiner zahlreichen Kultbauten liegt auf einer Anhöhe, so als wollte man den Göttern besonders nahe sein. Aber welche Rolle spielte unter den verehrten Tiergöttern die Schlange? Und wie kann man sich die Riten vorstellen, die an diesem einsamen Ort vor 11.000 Jahren von unseren Vorfahren vollzogen wurden? |
Sicher ist, dass auch in der Zeit der Sesshaftwerdung, als die Menschen anfingen Keramiken herzustellen, die Schlange eine religiöse Bedeutung hatte. Anders als man es vielleicht erwarten würde, sind gerade die frühesten Keramiken sehr sorgfältig gearbeitet und reich verziert. Es ist deshalb mehr als unwahrscheinlich, dass es sich hier um alltägliche Gebrauchskeramik gehandelt hat. Vielmehr deuten die mit Schlangen bemalten und applizierten Keramiken daraufhin, dass diese in rituellen Festen als Opfergefäße dienten.
Um zu verstehen, wem und was geopfert wurde, muss man die kosmologischen Vorstellungen der damaligen Menschen kennen. Keilschrifttexte berichten von zwei Kosmologien, einmal von der des Berglandes und zum anderen von der des Marschlandes. Die Vorstellungen über die Herkunft des Wassers macht den Hauptunterschied der beiden Kosmologien aus. Im Bergland fällt das Wasser vom Himmel, weshalb der Himmelsgott An verehrt wird, im Marschland dagegen liegt das Wasser unter der Erde behütet vom Gott des Süßwassers Enki. (Enki heißt übersetzt die wahre Ziege des Apzu.)
Funde belegen, dass die Menschen im 6. Jt.v.Chr. vermehrt aus dem sicheren Regenfeldbaugebiet Nordmesopotamiens und Irans, dem sogenannten Fruchtbaren Halbmond, aufbrachen, um das südlich davon gelegene trockene Land durch Bewässerungswirtschaft urbar zu machen. Der Grund mag ein steigender Populationsdruck gewesen sein. Natürlich brachten die Leute aus dem Norden ihre religiösen Vorstellungen über den Kosmos und die Götter mit in den Süden, doch trafen sie im Süden auf völlig andere Lebensbedingungen. Der Jahresrhythmus war von zwei Extremen beherrscht. Der Trockenzeit und der Regenzeit. Um überleben zu können, musste man ständig dafür sorgen, dass die Götter rechtzeitig den Wechsel der beiden Jahreszeiten einleiteten. Anderenfalls ertrank man entweder in den Fluten oder verdurstete in der Trockenperiode. Handelstätigkeiten zwischen Marschen- und Bergbewohnern gewährleisteten über Jahrtausende einen regen Güter- und Ideenaustausch.
Dies führte letztendlich dazu, dass die Menschen glaubten, die Erde sei kreisförmig von Wasser umgürtet, wodurch die beiden Wassergötter An und Enki eine Einheit bilden. So berichtet es uns jedenfalls der Etana-Mythos, in dem der legendäre König Etana auf einem Adler in den Himmel fliegt und aus der Vogelperspektive die Welt unter sich betrachtet. Je höher er aufsteigt desto ganzheitlicher wird seine Weltsicht, bis er schließlich die ganze Erde von Wasser, einem Tierkreis gleich, umgeben sieht. Sah er eine Schlange?
In der Götterliste An-Anum finden wir eine Aufzählung von Unterweltsgottheiten, für die alle ein Bezug zu Schlangen nachgewiesen ist. Ereschkigal, die Königin der Unterwelt führt die Liste an, gefolgt von ihrem Sohn Ninazu, dessen Sohn Ningizzida, Tischpak, dem Nachfolger Ninazus als Stadtgott von Eschnunna, Inschuschinak, dem Stadtgott von Susa und schließlich Ischtaran, dem Stadtgott von Der. Interessant ist, dass all diese Schlangengötter, mit Ausnahme von Ereschkigal, die in anderen Texten immer als Söhne oder Brüder Ans oder Enkis beschrieben sind, was wiederum auf den Schlangencharakter Ans und Enkis schließen lässt. Sowohl An als auch Enki haben auch einen weiblichen Gegenpart. Inanna ist die Gemahlin von An und die Ehefrau von Enki ist Nintu, die spätere Ereschkigal. Zu Zeiten, als sich die Menschen ihre Götter noch in Tiergestalt vorstellten, stand die Schlange stellvertretend für den Wassergott und die Ziege symbolisierte die Erdgöttinnen.
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Beginnen wir unsere Suche in vorgeschichtlicher Zeit im Iran. Auf Stempelsiegeln aus der Obeid-Zeit steht offensichtlich die Kombination aus Schlange und Ziege im Vordergrund des Interesses. Jede Ware wird mit den Symbolen des Götterpaares aus Wasser- und Erdgottheit gestempelt und somit unter den Schutz der Götter gestellt. Aber gab es wirklich nur Tiergötter zu dieser Zeit? |
Zahlreiche Stempelsiegel stellen auch einen Ziegendämon dar, der Schlangen in Händen hält. Die durchaus menschenähnliche Gestalt trägt einen gehörnten Ziegenkopf, der restliche Körper ist in eine Schlangenhaut gehüllt. Die Geister scheiden sich bei der Frage, ob diese Gestalt nun einen verkleideten Priester oder vielleicht doch einen Gott darstellt. Parallelen zu den Regentanzzeremonien der Hopi Indianer Neu-Mexikos kommen einem in den Sinn. | ![]() |
Eine ähnliche Szenerie ist auch im Iran vorstellbar. Um die Regenzeit einzuleiten, schlüpft ein Priester in die Rolle des Götterpaares aus Schlangen- und Ziegengottheit, bedeckt seinen Körper mit Schlangenhaut, setzt eine Ziegenmaske auf und schleudert Schlangen. Die oft in Zickzack und mit dreieckigem Kopf abgebildeten Schlangen ähneln zudem Blitzen.
Der Kultplatz in Kurangun, der ins 17. Jh. v.Chr. datiert wird, lässt kaum Zweifel daran, dass tatsächlich Regenzeremonien stattfanden, in denen der Schlangengott, in seiner Funktion als Wettergott, um Wasser gebeten wurde. In 200 Metern Höhe an exponierter Stelle befindet sich ein Felsrelief. Umringt von Adoranten thront in der Mitte das Götterpaar. Die männliche Gottheit sitzt auf einer zusammengerollten Schlange und hält die Insignien Ring und Stab in Händen aus denen Wasser hervorsprudelt, das das Götterpaar kreisförmig umschließt. Die Plattform zu Füßen des Reliefs ist mit Fischen und Wellenlinien verziert, so dass es nicht schwerfällt sich vorzustellen, dass die Plattform ein Wasserbecken symbolisierte, das der Gott im Verlauf der Regenzeremonie mit Wasser füllte.
In Mesopotamien bietet sich uns ein vielschichtigeres Bild. Rollsiegel lösen ab Ende des 4. Jt.v.Chr. die Stempelsiegeldarstellungen ab. Die endlos abrollbare Siegelfläche eröffnet ganz neue Möglichkeiten der Darstellung. Die Symbole der Vorzeit werden jetzt von Bildergeschichten ersetzt. Parallel zur Hierarchisierung der Gesellschaft im 3. Jt.v.Chr. wird auch die Entwicklung von tiergestaltigen zu menschengestaltigen Göttern bildlich dokumentiert. Seinen Endpunkt erreicht der Umwandlungsprozess mit der Ausrufung des Akkad-Reiches. Unter der Herrschaft eines Gottkönigs, werden die Götter nunmehr ausschließlich in menschlicher Gestalt dargestellt. Die Hörnerkrone als Weiterentwicklung der Ziegenhörner, bislang ausschließlich Symbol für einen Gott, wird unter König Naramsin von Akkad erstmals auch von Königen getragen und stellt diese damit auf eine Stufe mit der höchsten Gottheit. Als Stellvertreter des Schlangengottes herrscht ab jetzt der König über das Weltreich.
Doch die neue Komplexität des Reiches hatte auch weitere Folgen: Zwar herrschte parallel zum König und seiner Gemahlin nach wie vor das Götterpaar aus Wasser- und Erdgottheit über das Götterpantheon, doch mussten eine Reihe neuer Aufgaben verteilt werden. In kürzester Zeit entstand dadurch ein auf den ersten Blick unüberschaubares Heer an Göttern, das proportional zu den neugeschaffenen Arbeitsfeldern am Hofe des Königs wuchs. Um diese stetig wachsende Zahl an Göttern auseinanderhalten zu können, stellte man ihnen sogenannte Attributtiere zur Seite. Die Nachkommen Enkis, die Schlangenstadtgottheiten, werden vom Schlangendrachen muschhusch begleitet.
Diese neuen Erkenntnisse erlauben es, am Beispiel des Schlangengottes Enki den angesprochenen Prozess der Anthropomorphisierung eines Gottes nachzuvollziehen.
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Die Entwicklung beginnt gegen Ende der Frühdynastischen Zeit. Ein Gott in Gestalt eines Bootes, was ihm unter Archäologen den bildhaften Namen Bootgott eingebracht hat, da bislang eine Identifikation mit einer Gottheit nicht gelang, hat große Ähnlichkeiten mit einer Schlange. Nur sein Kopf hat zunächst menschliche Züge, sein Schlangenkörper bildet das Boot. |
Bis in die Akkadzeit hinein wird dieser Bootgott immer menschlicher. Zum Kopf gesellt sich der Oberkörper, bis letztendlich nur noch eines seiner Beine das Boot formt, das andere betritt bereits das Festland. | ![]() |
Die Bootgottdarstellungen hören in der Akkadzeit plötzlich auf und es folgt eine weitere, zeitlich sehr begrenzte Gottesdarstellung mit Schlangencharakter.
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Ein Gott mit Schlangenunterkörper, auch hier gelang bislang noch keine Identifikation mit einem bekannten Gott, faltet seinen Schlangenunterkörper zu einer Art Thron, während sein Oberkörper menschlich ist. |
Aus verwaltungstechnischen Gründen setzt Enki an den wichtigsten Städten des Akkad-Reiches seine Söhne, die Schlangenstadtgottheiten, ein.
Darüberhinaus verteilt er weitere Gottheiten im ganzen Land, denen er jeweils eine seiner eigenen Fähigkeiten anvertraut. Auch dies wird auf Rollsiegeln dargestellt. Der Schöpfer- und Kulturbringer Enki hatte seine Aufgabe damit erfüllt. Die Größe und Vielschichtigkeit des neuen Machtapparates waren von ihm allein nicht zu meistern, weshalb er geschickt alle seine Fähigkeiten und Zuständigkeiten an seine Nachkommen weitergab. | ![]() |
Der Gott, dessen Geschichte wir gerade verfolgt haben, ist also tatsächlich der schlangengestaltige Enki, der Gott des Süßwassers und der Weisheit, von dem bislang keine Abbildung bekannt war.
Damit ist es erstmals gelungen Bildmaterial aus dem 3. Jt.v.Chr. mit Hilfe von deutlich jüngeren Textquellen zu interpretieren. Es scheint fast so, als habe man in den Keilschrifttexten nur ausformuliert, was auf Rollsiegelbildern zu einer Zeit in symbolhafter Weise dargestellt wurde, als die Keilschrift lediglich für Wirtschaftstexte benutzt wurde.
Wie wichtig die Schlangengötter und ihrer Nachfolger für das Wohlergehen und Funktionieren eines Reiches bis ins 1. Jt.v.Chr. bleiben, verdeutlichen sowohl das babylonische als auch das assyrische Reich. Die Namen der Götter mögen sich geändert haben, doch am Grundkonzept, der Tradition der Schlangengötter, hielt man bis zum Schluss fest. Nicht nur, dass die Städte und Zikkurate den alten Vorbildern der von den Schlangengöttern einst gegründeten heiligen Städten Eridu und Nippur nachempfunden waren und somit das Abbild des Kosmos darstellten. Babylon selbst wurde im Schöpfungsepos Enuma Elisch als erste Stadt nach Eridu genannt, ebenso wie der babylonische Gott Marduk den Schlangendrachen, das Symboltier der Schlangengötter als sein Attributtier von Tischpak übernommen hat. Auch als die Assyrer im 1. Jt.v.Chr. an die Macht gelangten, ersetzen sie lediglich den Gott Marduk durch Assur. Wiedereinmal hat sich nur der Name geändert.
Kehren wir noch einmal nach Göbekli zurück. Auch dort, vor 11.000 Jahren, mag es bereits kultische Feste zum Wechsel der Jahreszeiten gegeben haben, in denen einem Schlangengott und möglicherweise auch einer Ziegengöttin Opfer gebracht wurden. Die Namen der Götter kennen wir nicht, doch die Namen sind nicht ausschlaggebend. Wichtig ist ihre Funktion und diese scheint über die 9.000 jährige Geschichte des Vorderen Orients im Kerngedanken gleich geblieben zu sein. Ein Götterpaar, Schlangengott und Ziegengöttin, mitsamt Nachkommenschaft kümmern sich um Recht und Ordnung auf Erden. Wie ein roter Faden durchziehen die Schlangengötter Tausende von Jahren menschlicher Geschichte. Wir stehen gerade noch am Anfang, die einzelnen Verästelungen im Gewirr aus symbolischen Bildern und Texten zu verstehen, doch schon bald könnten die vielen Puzzleteile zu einem komplexen Bild der Vorstellungswelt vergangener Zivilisationen im Vorderen Orient zusammenpassen.
© Birgit Kahler
(Zusammenfassung der Ergebnisse der Magisterarbeit "Schlangendarstellungen in Mesopotamien und Iran vom 8. bis 2. Jahrtausend vor Christus - Quellen, Deutung und kulturübergreifende Vergleich", Birgit Stöcklhuber, LMU München, 1999)
Es ist ein herrlicher Tag. Die Sonne lacht vom strahlend blauen Himmel, die Vögel zwitschern und auch die Bergwanderer auf ihrem Weg zur Hohen Asten strahlen und rufen einander ein gut gelauntes "Grüß Euch" zu. Entlang am leise vor sich hinplätschernden Flintsbach lassen wir die Burgruine der Falkensteiner hinter uns und erreichen nach einer guten halben Stunde Aufstieg mit klopfendem Herzen den 400 Meter hohen Gipfel. Imposant ragt die weißgetünchte Kirche des Heiligen St. Peter dort vor uns in den Himmel auf. Der Blick auf das sich weithin erstreckende Inntal ist fantastisch und lässt keinen Zweifel aufkommen, weshalb hier oben vor vielen Jahrhunderten eine Kirche errichtet wurde.
Südlich der Kirche treffen wir auf eine Gruppe von Archäologen. Es ist dies bereits die vierte Kampagne der Forschungsgrabung unter Leitung von Dr. Thomas Meier vom Instituts für Vor- und Frühgeschichte und Provinzialrömischer Archäologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die mittelalterliche Besiedlung des Petersberges und die Frage, in welcher Wechselbeziehung die Höhensiedlung mit den umliegenden Bauerngehöften stand. Meier ist zuversichtlich, anhand der Funde ein neues Modell für die mittelalterliche Kulturlandschaft im Voralpenraum aufstellen zu können.
Weit über das Mittelalter hinaus reichen menschliche Spuren auf dem Petersberg. Schon für die Steinzeit (12.000 - 2.200 v.Chr.) belegen Abschläge von Feuerstein, dass sich Menschen hier oben aufgehalten haben. Es gibt auch Hinweise auf frühe Handelsbeziehungen. Der Petersberg hatte zwar eines der wenigen Flintvorkommen am Nordalpenrand, doch hochwertiges Material musste importiert werden. Einige Splitter aus Niederbayern belegen dies und lassen erahnen, welches Netzwerk es bereits in diesen frühen Epochen gegeben hat. Auch aus der Urnenfelderzeit (1.200 - 750 v.Chr.) sind Streufunde vom Petersberg bekannt. Zusammen mit weiteren Funden aus dem Raum Flintsbach entwickelt sich auf diese Weise eine komplexe Siedlungslandschaft.
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Nachweislich bebaut wurde der Petersberg erst im Mittelalter. Die Archäologen hatten Glück, denn obwohl der Klosterbereich im Barock stark verändert wurde, blieb dank des unregelmäßigen Felsreliefs genügend mittelalterliche Bausubstanz im Boden erhalten, um Aussehen, Funktionsweise und Geschichte des einstigen Klosters zu rekonstruieren. So stieß man im Süden der Peterskirche, dem einstigen Zentrum der Klosteranlage, auf die Reste der Klausur, eine Zisterne und einen Wohnturm. Im Osten hingegen fand man einen gemischten Friedhof mit insgesamt 40 Bestattungen. War man bislang unschlüssig, wann das Kloster auf dem Petersberg gegründet wurde - erst war von einer Gründung durch die Falkensteiner 1232 die Rede, dann schienen Funde gar auf ein Alter von bis zu 1.200 Jahren hinzuweisen - so weiß man jetzt mit Sicherheit, dass der Siedlungsbeginn frühestens um die Jahrtausendwende anzusetzen ist. |
Nicht nur die schmale hohe Tür mit dem schmucklosen Gewände aus großen Steinquadern datiert in die vor- oder frühromanische Zeit. Auch das Relief des Heiligen Petrus, in der Spitze des Westgibels, ist wohl nicht, wie lange behauptet, eine rückständige Arbeit aus der Zeit um 1200. Vergleiche mit ähnlichen Reliefs aus den Pyrenäen zeigen, dass es sich vielmehr um ein hochwertiges frühromanisches Bildwerk handelt, das in die Zeit um 1000 bis 1040 zu setzen ist. Zur allgemeinen Überraschung stellte sich bei den Grabungen heraus, dass die früheste Anlage eine Burg und nicht wie vermutet ein Kloster war. Von einem frühen Burgwall in Holz-Erde-Konstruktion ist die Rede, das einzige steinerne Gebäude war die Burgkapelle. Erst für das Jahr 1163 wird das Kloster des Heiligen Sankt Petrus in Schriftquellen erwähnt, die Kapelle möglicherweise in die Klosterkirche umgestiftet. |
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Die Blütezeit des Klosters sehen die Archäologen im 12.-14. Jahrhundert, als das Bistum Freising viel Geld investierte. So ist beispielsweise das ganze Spektrum an mittelalterlichen Gläsern im Fundschatz vertreten, was für einen exquisiten Lebensstil der Mönchsgemeinschaft auf dem Petersberg spricht. Gläser sind zu dieser Zeit sonst nur aus Burgen und Stadthäusern des Hochadels bekannt und deshalb ein Zeichen von Wohlstand und gehobenem sozialen Milieu. Darüber hinaus geben die in einer Grube entdeckten Küchenabfälle Aufschluss über die Ernährung der Klostergemeinde. Neben pflanzlichen Abfällen befanden sich zahlreiche Tierknochen von Schweinen, Rindern und Ziegen darunter. Diese Tiere mussten von den Bauern aus dem Umland als Abgabe an die Klostergemeinschaft entrichtet werden. Um ihr Soll zu erfüllen nutzten die Bauern, begünstigt durch eine Klimaverbesserung, immer höhere Hanglagen für die Weidewirtschaft aus. Der ökologische Schaden, den der Raubbau an den Wäldern verursachte war beträchtlich.
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Als im 14. Jahrhundert das Bistum Freising seine Zuschüsse einstellte, ergab sich ein Problem. Ohne Geld konnte das Kloster St. Peter die Bauern unmöglich weiter an sich binden und die Konkurrenz in Gestalt des Salzburger Erzbischofs oder den Falkensteinern schlief nicht. Man entschied sich deshalb für eine reduzierte Anlage, mit lediglich einem Priester und einem Verwalter. Die romanische Kirche blieb erhalten, wie auch der Wohnturm. Die Zisterne wurde zu dieser Zeit verkleinert. Dieser, jetzt weltliche, erheblich geschrumpfte Verwaltungssitz von Freising blieb in seiner Form bis zur Säkularisation 1803 bestehen. "Dann", so schmunzelt Thomas Meier, "drehte sich der Spieß plötzlich um und die Bauern von der Hohen Asten kauften den Petersberg. Ein Treppenwitz der Geschichte." |
Die diesjährigen Grabungen haben gezeigt, dass der Friedhof in der Zeit der weltlichen Herrschaft, also im 15.-16. Jahrhundert, angelegt wurde. Vor zwei Jahren glaubte man noch, es handle sich um Mönchsgräber, doch die ausgewogene Verteilung von Männer und Frauengräbern widerlegten dies. Babies und Frühgeburten fanden die Archäologie-Studenten vor allem nahe der Kirchenmauer. "Nichts Ungewöhnliches für diese Zeit", beruhigt Thomas Meier. Man hoffte, dass heiliges Regenwasser vom Kirchendach die bösen Geister von den Kindern fernhalten würde.
Die Ausgrabung am Petersberg begann 1997 mit einer 14-tägigen Testkampagne und hat sich inzwischen auf acht Wochen pro Jahr ausgeweitet. Jede Kampagne schlägt mit rund 80.000 DM zu Buche und das obwohl die Grabungsmannschaft in Zelten hinter dem alten Probsteigebäude übernachtet und nur ein Zimmer als Büroraum angemietet ist. "Wir werden bereits von zahlreichen Sponsoren wie Dr. Hipp, Firma Henkel, Universitätsgesellschaft München, Erzbischof von Freising ... unterstützt", bemerkt Thomas Meier. "Doch wir planen noch mindestens zwei weitere Kampagnen, deshalb ist uns jede weitere Hilfe herzlich willkommen." Dass die Spenden die Wissenschaft tatsächlich vorwärts bringen, haben einmal mehr die diesjährigen Grabungsergebnisse bewiesen.
© Birgit Stöcklhuber
Birgit Stöcklhuber (zur Veröffentlichung in Die RosenheimerIn September 2000)
Schon seit langem rätseln Assyriologen und Vorderasiatische Archäologen welcher Gott sich hinter dem seltsamen Geschöpf, mit dem rein deskriptiven Namen "Bootgott", verbergen könnte. In der 1999 in München erschienenen Magisterarbeit [1] "Schlangendarstellungen in Mesopotamien und Iran vom 8. - 2. Jt. v. Chr. - Quellen, Deutungen und kulturübergreifender Vergleich" wird dieser Gott nun mit Enki, dem Schöpfergott und Weltordner, identifiziert. Machen wir uns kurz mit dem Bootgott vertraut, der in Mesopotamien in der späten Frühdynastischen Zeit (ca. 2500 v.Chr.) erstmals auf Rollsiegeln belegt ist und mit dem Ende der Akkad-Zeit (ca. 2100 v.Chr.) wieder von der Bildfläche verschwindet.
1. Der "Bootgott": Entwicklung vom schlangen- zum menschengestaltigen Gott (nach Bildquellen)
Betrachten wir die Bootgott-Darstellungen in ihrer chronologischen Abfolge so fällt sofort auf, dass sich die Gestalt des Bootgottes während der ca. 400 jährigen Entwicklungsphase stark verändert. Stehen wir zu Beginn einem nahezu völlig schlangenhaften Wesen gegenüber, so erleben wir im Laufe der Akkad-Zeit eine Verwandlung hin zu einer beinahe ausschließlich anthropomorph dargestellten Gottheit.
Frühdynastische Zeit
Erstmals belegt ist der Bootgott in der späten Frühdynastischen Zeit (Abb. 1). Noch ist er ganz in seinem schlangenhaften Wesen verhaftet und lediglich Kopf und Arme verleihen ihm menschliche Züge. Die zwei Hörner am Kopf weisen ihn als Gottheit aus.
Abb. 2: Rollsiegel aus Tell Asmar, Oriental Institute Publications (OIP) Chicago (nach H. Frankfort, Stratified Cylinder Seals from the Dijala Region, Orient Institute Publications 72, 1955, Abb. 499)
Der Oberkörper auf Abb. 2 ist schon deutlicher ausgeprägt. In beiden Fällen schiebt der Gott sich aus eigener Kraft mit einem Stab vorwärts.
Akkad-Zeit
Abb. 4: Rollsiegel aus Tell Asmar, Oriental Institute Publications (OIP) Chicago(R. M. Boehmer, Die Entwicklung der Glyptik während der Akkad-Zeit [1965] Taf. 40 Abb. 476)
Der in der frühdynastischen Zeit angeklungene Anthropomorphisierungsprozess setzt sich in der Akkad-Zeit beständig fort. Der menschliche Oberkörper der Gottheit gewinnt realistische Züge. Die einfache Hörnerkrone entwickelt sich ebenfalls weiter und lässt keinen Zweifel mehr daran aufkommen, dass es sich bei dem Wesen um eine Gottheit handelt (Abb. 3). War es in Frühdynastischer Zeit der Bootgott selbst, der das Boot mit einem Stab vorwärts bewegte, so übernimmt diese Aufgabe ab jetzt eine im Boot sitzende Gottheit. Der Bootgott hält stattdessen eine Art Szepter in der rechten Hand (Abb. 4).
Späte Akkad-Zeit
Gegen Ende der Akkad-Zeit ist die Verwandlung vom tierleibigen Gott in einen menschengestaltigen Gott nahezu abgeschlossen. Das Schlangenboot wird nur noch aus einem Bein des Gottes geformt, während das zweite Bein menschlich gebildet ist und aus dem Wasser auf das Festland tritt (Abb. 5).
Bevor wir uns weitere Gedanken darüber machen können, wie und ob sich die Entwicklung des Bootgottes in Rollsiegelbildern fortsetzt, müssen wir uns den Schriftquellen zuwenden. Mythen enthalten Hinweise, die uns bei der Namensfindung der Gottheit mit dem Schlangenbootskörper weiterhelfen.
2. Vom Chaos zur Zivilisation: Dilmun-Mythos und Enki und die Weltordnung
Dilmun-Mythos
Der Dilmun-Mythos gilt als einer der wenigen ursprünglichen Schöpfungsberichte, in denen Enki als Schöpfergott genannt ist. Es wird erzählt, dass Enki zu einer Zeit als Himmel und Erde erst kurze Zeit getrennt waren, mit seiner jungfräulichen Gattin Ninsikila im paradiesähnlichen Dilmun schläft.
Ninsikila gibt mit ihrer Bitte an Enki, das für die Schöpfung notwendige Wasser zu schaffen, den Anstoß für die Verwandlung der Welt, weg vom Chaos hin zu einer göttlichen Ordnung, der Zivilisation. Enki gewährt die Bitte und macht aus dem Salzwasserbrunnen einen Süßwasserbrunnen, der die Stadt Dilmun in einen Getreidespeicher verwandelt. In einem nächsten Schritt kann in der Vermählung Enkis mit der Muttererde Nintu, aus Wasser und Erde das Leben gezeugt werden [2]. An der Stelle, an der die von Enki geschaffene Quelle an die Oberfläche tritt, wird eine Tempelanlage errichtet, die noch heute mit einem Frischwasserkult in Verbindung steht und Tempelanlagen in Mesopotamien sehr ähnlich ist. Mit seinen vielen Grabhügeln scheint die Insel Dilmun eine ideale Entsprechung des Kosmos in Kleinformat abzugeben. Die Insel (=Erde) wird vom Meer umgeben (=Urozean) und Enki tritt als Süßwasserquelle aus dem Urozean hervor. In "Enki und die Weltordnung'' wird Dilmun selbst als KUR (heiliger Berg) bezeichnet. "He (Enki) cleansed and purified the KUR Dilmun, set Ninsikilla in charge of it." [3] Die vielen Grabhügelanlagen lassen darauf schließen, dass jedes Jahr im Zuge ritueller Feste die Schöpfung nachgespielt wurde.
Enki und die Weltordnung
Nachdem Enki das Leben geschaffen hatte, musste er in einem nächsten Schritt die Welt ordnen. "Enki und die Weltordnung" handelt davon, wie Enki als aktiver, produktiver Organisator und Verwalter, die für die Kultur wichtigen Prozesse lenkt, indem er die verschiedenen Gottheiten in ihre irdischen Verantwortungsbereiche einweist. Enki begibt sich zunächst auf eine Schiffsreise, um dem Lande Sumer und Ur, genauso wie dem Fremdland Melucha ein günstiges Schicksal zu entscheiden. Den Feindländern Elam und Marhaschi kündigt er die Zerstörung ihrer Wohnsitze und die Plünderung ihrer Güter durch den König des Landes Sumer an. Zum Abschluss schenkt er den Mardubeduinen das Getier der Steppe. Zurück in Sumer füllt Enki Euphrat und Tigris mit Wasser [4].
Anschließend ordnet Enki die verschiedenen Bereiche des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens und setzt verschiedene Gottheiten als verantwortliche Leiter ein [5]. Bei diesen Stadtgottheiten handelt es sich um Schlangengötter, die in direkter Abstammung zu Enki stehen.
3. Übereinstimmungen von Bild und Text?
Mit diesen beiden Geschichten im Hinterkopf können wir wieder zu den Bildern zurückkehren und uns fragen, ob hier nicht Enkis Bootsfahrt von Dilmun nach Sumer dargestellt worden ist?!
Rekonstruieren wir wie sich der Mythos "Enki und die Weltordnung" abgespielt haben könnte: Nehmen wir an, Enkis Fahrt von Dilmun nach Sumer wird in Form eines Schlangenbootes dargestellt. Das würde bedeuten, dass Enki vorher als Schlange auf Dilmun mit der Muttergöttin das Leben gezeugt hat, bevor er nach dem Schöpfungsakt aufbrach, um die Welt zu ordnen. Dabei kam ihm sein Schlangenleib gelegen, denn so konnte er ohne Probleme auf das Festland übersetzen und den Menschen mit einem Regelkatalog aus dem Chaos helfen.
Jetzt sind wir an dem Punkt angelangt, an dem wir die am Ende von Kapitel 1 gestellte Frage wieder aufgreifen müssen: Was geschieht mit dem nahezu anthropomorphen Bootgott weiter?
Ausschließlich aus der Akkad-Zeit sind Darstellungen eines Gottes bekannt, der auf seinem gefalteten Schlangenunterkörper sitzt und verschiedene Utensilien an andere Gottheiten verteilt (Abb. 6). Es stellt sich bei der Analyse der Götterliste An-Anum heraus, dass es sich bei diesen Göttern um Enkis Kinder handelt. Enki selbst zieht sich somit nach der Schöpfung und Weltordnung aus der aktiven Politik zurück und setzt seine Nachkommen (laut Abstammungslinie ebenfalls Schlangengötter) gut verteilt im ganzen Reich als Stadtgötter ein. Wichtig ist die Erkenntnis, dass Enki jedem seiner Söhne einen anderen Schwerpunkt zuweist, der sich in ihren Namen ausdrückt und deren Bedeutung eng mit ihrer jeweiligen Aufgabe als Stadtgottheit verbunden ist. So wird Ninazu als Heiler angesehen, während Tischpak schon eher zu einem Kriegsgott avanciert. Ischtaran ist für Gerechtigkeit zuständig [6]. All die verschiedenen Aspekte der von Enki eingesetzten Stadtgötter waren vorher in Enki selbst vereint, was seine vielen verschiedenen Namen, in denen das ganze Spektrum seiner Zuständigkeitsbereiche auf Erden genannt wird, zeigen: Herr des Apzu, König des Flusses, Steinbock des Apzu, Richter des Weltalls, Herr des Lebens, Herr der Schöpfung, aber auch Herr der Töpfer, Schmiede, Sänger, Schiffer, kalû-Priester [7], Ackerbauern, Bewässerer usw. [8].
4. Schlussbetrachtung
Versetzen wir uns in das 3. Jt. v.Chr. als in Mesopotamien durch die zunehmende Hierarchisierung der Gesellschaftsstrukturen (angefangen mit der ersten sumerischen Hochkultur am Ende des 4. Jts. v.Chr. über die frühdynastischen Stadtstaaten von 2900-2350 v.Chr.) ein Entwicklungsprozess seinen Höhepunkt erreichte, als Sargon von Akkad über Lugalzagesi von Umma siegt und den ersten Staat von Akkad ausruft.
Geht man davon aus, dass Götter immer ein Spiegelbild der menschlichen Gesellschaft abgeben, so geht mit der verstärkten sozialen Differenzierung auch zwangsläufig eine Auffächerung im Götterpantheon einher.
Die Entwicklung von tiergestaltigen zu menschengestaltigen Göttern kann demnach exemplarisch am Bootgott Enki und den Göttern mit Schlangenunterkörper (seinen Söhnen) nachvollzogen werden.
[2] P. Garelli - M. Leibovici, Akkadische Schöpfungsmythen, Die Schöpfungsmythen (1993) 121-151; bes. 111-117.
[3] B. Alster, Dilmun, Bahrain and the Alleged Paradise in Sumerian Myth and Literature, in: D. Potts (Hrsg.), Dilmun, New Studies in the Archaeology and Early History of Bahrain (1983) 39-74; bes. 61.
[4] W. H. Ph. Römer - D. O. Edzard, Weisheitstexte, Mythen und Epen, in: Texte aus der Umwelt des alten Testaments, Mythen und Epen I und II (1993); bes. 402.
[5] ebenda.
[6] F. A. M. Wiggermann, Transtigridian Snake Gods, in: I. C. Fikel - M. J. Geller (Hrsg.), Sumerian Gods and their Representaion (1997) 33-55; bes. 35 ff.
[7] kalû-Priester: Priester, die unter Paukenbegleitung Reinigungsriten ausführen; Römer - Edzard a. O. 604.
[8] D.O. Edzard (Hrsg.), Reallexikon der Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie (1928-1998) s. v. Enki, 377.
[1] B. Stöcklhuber, Schlangendarstellungen in Mesopotamien und Iran vom 8. bis 2. Jt. v. Chr. - Quellen, Deutungen und kulturübergreifender Vergleich. (LMU München 1999; Institut für Vorderasiatische Archäologie); im Internet veröffentlicht unter http://www.stoecklhuber.de.
© Birgit Stöcklhuber
e-mail: Birgit Kahler
This article will be quoted by B. Stöcklhuber, Mesopotamien: Neue Erkenntnisse zum sogenannten Bootgott. Enkis Verwandlung: Vom Paradies zur Zivilisation, Forum Archaeologiae 15/VI/2000 (http://farch.n3.net).