Verwaltungsgerichtshof
Judenplatz 11
1010 W I E N

Beschwerdeangelegenheit:

Beschwerdeführer:

  1. Wahlwerbende Gruppe Wahlvorschlag "Liste Gemeinsam Zajedno / Birlikte Alternative und Grüne Gewerkschafterinnen / UG", vertreten durch den Zu stellbevollmächtigten Mario Lechner, Wellenau 7, 6900 Bregenz und

  2. Aydemir Haydar, türkischer Staatsbürger, Webergasse 28, 6973 Höchst,

  3. Aydemir Hüsniye, türkischer Staatsbürger, Webergasse 28, 6973 Höchst,

  4. Demir Sadettin, türkischer Staatsbürger, Unterdorf 361, 6870 Bezau,

  5. Yilmaz Firat, türkischer Staatsbürger, Gmeind 56, 6934 Sulzberg

  6. Özmen Rifat , türkischer Staatsbürger, Bahngasse 27, 6858 Schwarzach

alle vertreten durch

Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt, Wolfeggstraße 1, 6900 Bregenz

Gemäß § 8 Abs. 1 RAO erfolgt Berufung auf die erteilte Vollmacht

Belangte Behörde: Hauptwahlkommission der Arbeiterkammer Vorarlberg

wegen: passives Wahlrecht assoziationsintegrierter türkischer Arbeitnehmer zur Arbeiterkammerwahl

B E S C H W E R D E

Bregenz, am 18.02.1999-Lä/lechma\vwghb1 3-fach

angef. B.i.F.

7 Beilagen, dreifach

In umseits bezeichneter Beschwerdesache erheben die oben genannten Beschwerdeführer gegen den Bescheid der Hauptwahlkommission der Arbeiterkammer Vorarlberg vom 09.02.1999, WB/Ke-ma, zugestellt am 12.02.1999, sohin innert offener Frist, nachstehende

B E S C H W E R D E

an den Verwaltungsgerichtshof.

1 Anfechtungsumfang

Der angefochtene Bescheid wird insoweit angefochten, als die oben genannten Zweit- bis Sechstbeschwerdeführer wegen fehlenden passiven Wahlrechts aus dem Wahlvorschlag der Erstbeschwerdeführerin gestrichen worden sind.

2 Beschwerdepunkte

Der angefochtene Bescheid verletzt

wobei der angefochtene Bescheid sowohl an Rechtswidrigkeit seines Inhalts als auch an Rechtswidrigkeit in Folge Verletzung von Verfahrensvorschriften leidet.

3 Sachverhalt

In der 15. Kalenderwoche 1999 (2. Aprilwoche) soll die Wahl zur Arbeiterkammer Vorarlberg stattfinden.

Zu dieser Wahl hat ihre Kandidatur angemeldet u.a. eine wahlwerbende Gruppe "Liste Gemeinsam". Zustellbevollmächtigter dieser Liste ist Mario Lechner. Die eingereichte Liste umfaßte insgesamt 26 Kandidaten und Kandidatinnen (im folgenden wird nur eine gemeinsame Pluralform verwendet). Sie besteht aus Österreichern mit österreichischen Vorfahren, Österreichern mit Vorfahren ausländischer Staatsbürgerschaft, eingebürgerten Österreichern und fünf türkischen Arbeitnehmern, nämlich den Zweit- bis Sechstbeschwerdeführern, die allein die türkische Staatsbürgerschaft besitzen, wobei alle fünf im Besitz eines Befreiungsscheines nach § 4 c AuslBG, also assoziationsintegriert im Sinne des Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 sind.

Schon im Vorfeld der angegriffenen Entscheidung ist es zu Diskussionen über das passive Wahlrecht der Beschwerdeführer gekommen. Die Tagespresse hat eingehend darüber berichtet, daß Kenner des Gemeinschaftsrechts vom passiven Wahlrecht assoziationsintegrierter türkischer Arbeitnehmer zur Arbeiterkammerwahl ausgingen. Aktenkundig ist eine Stellungnahme des Bundeskanzleramts-Verfassungsdienst vom 19. November 1998, GZ 600.058/3-V/4/98, an den Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales (im folgenden nur: "Stellungnahme"), nach der EG-Bürger zweifellos passives Wahlrecht genießen, wenn sie im Kammersprengel als Arbeitnehmer erwerbstätig sind, und in der der Verfassungsdienst auch kaum ernsthafte Zweifel daran äußert, daß diese Rechtsstellung der EG-Bürger auch auf assoziationsintegrierte türkische Arbeitnhmer übertragbar sein dürfte.

Am 08.02.1999 hat die Hauptwahlkommission der Arbeiterkammer Vorarlberg gegen die einzige Stimme ihres Vorsitzenden entschieden, daß die Zweit- bis Sechstbeschwerdeführer vom passiven Wahlrecht zur Arbeiterkammer ausgeschlossen seien, und hat sie vom Wahlvorschlag der Erstbeschwerdeführerin gestrichen.

Der Vorsitzende der belangten Behörde, Bezirkshauptmann Dr. Bernhard Wiederin, hat das passive Wahlrecht der Beschwerdeführer aus dem EG- und Assoziationsrecht abgeleitet, während der Arbeiterkammerpräsident den gegenteiligen Standpunkt der politischen Mitglieder der Hauptwahlkommission mit folgender richtungweisender Begründung zusammenfaßt (Vorarlberger Nachrichten vom 9.2.1999):

AK-Präsident Josef Fink warnte vor "einer unnötigen Auseinandersetzung, die den Ausländern schadet". Das "vorgeschobene Argument" der Grünen, daß mit der Kandidatur die Integration der Ausländer beschleunigt werde, bewirke das Gegenteil. Damit würden die Gründen "Ausländerfindlichkeit provozieren", und Polarisierung schade allen. "Wenn Gefühle und Haltungen der Einheimischen nicht berücksichtigt wwerden, wird die Ausländerfeindlichkeit massiv verstärkt".

Die Entscheidung der Hauptwahlkommission vom 08.02.1999 wurde mit Bescheid vom 09.02.1999 ausgefertigt und dem Zustellbevollmächtigten der Erstbeschwerdeführerin am 12.02.1999 persönlich zugestellt. Diese Entscheidung enthält zwei Teile, nämlich die Streichung zweier Kanditaten wegen fehlender Erklärung als Wahlwerber, die unbestritten ist und im Folgenden unbekämpft bleibt.

Dagegen richtet sich die folgende Beschwerde gegen die Streichung der Zweit- bis Sechstbeschwerdeführer wegen fehlenden passiven Wahlrechts.

4 Beschwerdegründe

4.1 Bescheidqualität der Verfügung vom 09.02.1999

Diese Beschwerde richtet sich gegen die Verfügung der belangten Behörde vom 09.02.1999, die nicht ausdrücklich als Bescheid bezeichnet ist.

Andererseits ist offenkundig, daß die bekämpfte Entscheidung normative Wirkung hat. Die Erstbeschwerdeführerin verliert durch diese Verfügung ihr Recht, die gestrichenen Zweit- bis Sechstbeschwerdeführer als Kandidaten zu nominieren und damit bestimmte Wählergruppen anzusprechen - und damit letztlich ihr Wahlergebnis zu optimieren. Die Zweit- bis Sechstbeschwerdeführer werden aus dem Wahlvorschlag gestrichen und verlieren durch diese Verfügung ihr passives Wahlrecht, "endgültig", wie der angefochtene Bescheid klar ausspricht.

Die Verfügung ist vom Vorsitzenden der Hauptwahlkommission ausdrücklich in deren Namen unterzeichnet. Es wird mit dieser Verfügung eine Entscheidung der Wahlkommission schriftlich ausgefertigt, und nennt die Verfügung auch einen klaren Grund für die Streichung, nämlich "fehlendes passives Wahlrecht" der Zweit- bis Sechstbeschwerdeführer.

Die bekämpfte Verfügung enthält auch die Erklärung, daß diese Entscheidung "endgültig", also im Instanzenweg unanfechtbar sei.

Es kann also kein Zweifel daran bestehen, daß es sich bei der Verfügung vom 09.02.1999 um einen Bescheid im Sinne des AVG handelt, mit Entscheidungswillen, mit gewollter normativer Wirkung, allerdings ohne die geforderte Begründung..

4.2 Gesonderte Anfechtbarkeit des Bescheids vom 09.02.1999

Schon seit der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 06.06.2951, Zahl 874/50, steht fest, daß gegen die Entscheidung des Bundesministeriums für (damals) soziale Verwaltung über den Einspruch gegen die Feststellung der Ergebnisse der Wahl zur Arbeiterkammer der Rechtsweg zum Verwaltungsgerichtshof offen steht. Diese Recht steht jedem zu, der das aktive Wahlrecht im Kammersprengel besitzt. Daneben steht auch jeder wahlwerbenden Gruppe dieses Recht zu.

Schon nach gesatztem österreichischem Recht kann also an der Beschwerdelegitimation der Beschwerdeführer kein Zweifel bestehen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist auch aus Art. 177 EG-V ein gleichartiger Rechtsanspruch ableitbar. Die Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet jedermann, der die Verletzung von Gemeinschaftsrecht geltend macht, einen Rechtsweg zu einem Gericht, weil nur in diesem Fall sichergestellt ist, daß ein Rechtsträger seine aus dem Gemeinschaftsrecht abgeleiteten Rechte auch tatsächlich wirksam geltend machen kann.

Auch das umfassende Recht auf Gerichtszugang nach Gemeinschaftsrecht begründet also die - im übrigen ohnehin unstrittige - Beschwerdelegitimation der Beschwerdeführer.

Fraglich sein kann nur, ob der Bescheid vom 09.02.1999 gesondert anfechtbar ist oder ob damit so lange zugewartet werden muß, bis das geschehen ist, das mit dieser Beschwerde vermieden werden soll, nämlich eine Durchführung einer Arbeiterkammerwahl mit einem gesetzwidrig zusammengesetzten, weil gemeinschaftsrechtswidrig zusammengestrichenen Wahlvorschlag.

§ 42 AKG 1992 sieht vor, daß die Gültigkeit einer Arbeiterkammerwahl innerhalb von 14 Tagen nach Kundmachung des Wahlergebnisses von jeder wahlwerbenden Gruppe beim Bundesminister für Arbeit und Soziales angefochten werden kann. Der Anfechtung ist jedenfalls stattzugeben, wenn Bestimmungen des Wahlverfahrens verletzt wurden und hiedurch das Wahlergebnis beeinflußt werden konnte. Im Falle der Stattgebung der Anfechtung ist die Wahl zur Arbeiterkammer innerhalb von drei Monaten neu auszuschreiben. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales hat dabei keinerlei Entscheidungs- oder Ermessensspielraum.

Es ist selbstverständlich, daß die Streichung von fünf Kandidaten, die auf einer Wahlliste kandidieren wollen, in jedem Fall geeignet ist, das Wahlergebnis zu beinflussen.

Keine Regelung des § 42 AKG schließt ausdrücklich aus, daß Entscheidungen der Hauptwahlkommission auch vor der Wahl separat angefochten werden können.

Im konkreten Fall gibt es auch keinerlei sachlichen Grund, mit der Anfechtung der Entscheidung vom 09.02.1999 bis nach der Wahl zuzuwarten, weil die Streichung der Zweit- bis Sechstbeschwerdeführer von der Liste nach den Bekundungen des angefochtenen Bescheids "endgültig" und der Einfluß dieser rechtswidrigen Streichung auf das Wahlergebnis selbstverständlich und offensichtlich gegeben ist.

Die gestrichenen Kandidaten können eine Wählergruppe repräsentieren, die sich von den anderen Wählergruppen grundsätzlich unterscheidet, nämlich die Gruppe der vom Assoziationsrecht begünstigten oder die in die Integration hineinwachsenden türkischen Arbeitnehmer, die etwa 10 % der aktiv Wahlberechtigten (konkrete Zahlen hat die Arbeitsmarktverwaltung bisher nie publiziert) zur Arbeiterkammer ausmachen wird. Das aktive Wahlrecht der türkischen Arbeitnehmer ist ja seit Jahrzehnten unbestritten, was die Haltung der Hauptwahlkommission - außer ihres offenbar dem Recht verpflichteten Vorsitzenden - umso unverständlicher macht.

Es ist offenkundig, daß eine wahlwerbende Liste daran interessiert sein muß, möglichst viele unterschiedlich interessierte Personengruppen anzusprechen, um ein möglichst großes Wählerpotential ansprechen zu können. Der Einfluß auf das Wahlergebnis ist sohin offenkundig.

Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist das Recht der Europäischen Gemeinschaft wirksam durchzusetzen. Wirksamkeit bedeutet nach dieser Rechtsprechung sofortige, jedenfalls frühestmögliche Reaktion, schadensvermeidende Reaktion, wenn eine solche noch möglich ist, und nicht erst eine Anfechtungsmöglichkeit nach geschehenem Rechtsbruch - hier einer rechtswidrigen Wahl.

Es ist offenkundig, daß auch öffentliche Interessen des sparsamen Umgangs mit öffentlichen Mitteln dagegen sprechen, zunächst eine Wahl durchzuführen, wenn für jedermann offenkundig ist, daß die Wahl wegen flagranten Rechtsbruchs der Hauptwahlkommission zu wiederholen sein wird.

Im Einzelnen wird dazu weiter auf die Ausführungen zur beantragten aufschiebenden Wirkung dieser Beschwerde verwiesen.

Wo die Anrufungsmöglichkeit eines Gerichts besteht, hat dieses Gericht vor Schadenseintritt zu reagieren.

Da die Hauptwahlkommission selbst ihre Entscheidung als endgültig erklärt, kommt dagegen offenkundig nur die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofs in Betracht.

Im Gegensatz zur Möglichkeit der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofs, die nach Art. 130 Abs. 1 lit. a B-VG gegen jeden letztinstanzlichen Bescheid gewährleistet ist und die daher auch im jetzigen Verfahrensabschnitt besteht, müßte für die Anrufung des Bundesministers für Arbeit und Soziales im Wege eines Einspruchs jedenfalls eine rechtliche Grundlage bestehen, die die Beschwerdeführer in der bisherigen Rechtsprechung zum Arbeiterkammerwahlrecht und im gesatzten Arbeiterkammerwahlrecht nicht ausmachen können.

(Dieser Beurteilung steht auch nicht entgegen, daß die Beschwerdeführer aus Gründen advokatorischer Vorsicht diese Eingabe mutatis mutandis auch beim Bundesminister für Arbeit und Soziales als Einspruch eingereicht haben.)

Zusammenfassend, die Beschwerdeführer kommen zum Ergebnis, daß der Bescheid der Hauptwahlkommission vom 09.02.1999 gesondert und bereits zum jetzigen Zeitpunkt beim Verwaltungsgerichtshof anfechtbar ist, weil nach der eigenen Rechtsmittelbelehrung dieses Bescheids ein Instanzenweg nicht besteht.

4.3 Rechtswidrigkeit der Streichung nach EG- und Assoziationsrecht

Unstreitig ist, daß die Zweit- bis Sechsbeschwerdeführer die Voraussetzungen des gesatzten österreichischen Rechts für das passive Wahlrecht zur Arbeiterkammer nicht erfüllen, weil dieses ausdrücklich auf die Wählbarkeit zum Nationalrat abstellt, die allein österreichischen Staatsbürgern gewährleistet sein kann.

Zu prüfen ist im folgenden daher allein, ob Normen des Gemeinschaftsrechts oder des Assoziationsrechts eine eigenständige Grundlage für das passive Wahlrecht der Zweit- bis Sechstbeschwerdeführer bilden können.

In diesem Zusammenhang stellt sich damit das Problem der unmittelbaren Anwendbarkeit von EG- und Assoziationsrecht, also die Frage, ob dieses neben österreichisches Recht hinzutritt. Ein Problem der Verdrängungswirkung stellt sich aus der Sicht der Zweit- bis Sechstbeschwerdeführer schon deshalb nicht, weil das gesatzte österreichische Wahlrecht zur Arbeiterkammer assoziationintegrierte türkische Arbeitnehmer nicht ausdrücklich ausschließt.

Völlig klar ist, daß EG-Wanderarbeitnehmer bei Arbeiterkammerwahlen passiv wahlberechtigt sind. Dies ergibt sich aus der Stellungnahme des Verfassungsdiensts ebenso zweifelsfrei wie aus der dort erwähnten Korrespondenz zwischen der Republik Österreich und der Europäischen Kommission und aus der für alle Mitgliedstaaten verbindlichen Auslegung des Art. 8 der Verordnung 1612/68 (EWG) des Rates in den beiden Urteilen des Europäischen Gerichtshofs vom 04. Juli 1991, Rs C-213/90, ASTI und vom 18. Mai 1994, Rs C-118/92, Kommission / Luxemburg ("ASTI II") zweifelsfrei.

Wie offensichtlich das passive Arbeiterkammerwahlrecht für EG-Wanderarbeitnehmer garantiert ist, ergibt sich aus dem Verfahren Kommission / Luxemburg, ASTI II, in dem Luxemburg nicht einmal den Versuch einer Rechtfertigung für seinen Gemeinschaftsrechtsverstoß gemacht, sondern vor dem Europäischen Gerichtshof uneingeschränkt submittiert hat.

Fraglich ist allein, ob die Urteile ASTI I und ASTI II uneingeschränkt auf assoziationsintegrierte türkische Arbeitnehmer übertragbar sind. (Die Frage, ob sie allenfalls auch auf noch nicht assoziationsintegrierte, aber dem regulären Arbeitsmarkt angehörige türkische Arbeitnehmer anwendbar sind, wie dies Feik annimmt, stellt sich angesichts des bei allen Beschwerdeführern vorliegenden Befreiungsscheines nach § 4 c AuslBG von vornherein nicht).

Die Stellungnahme des Verfassungsdiensts läßt zwar eine weitgehende Bejahung des passiven Arbeiterkammerwahlrechts türkischer Arbeitnehmer erkennen, läßt aber einen Restzweifel offen und stellt eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Diskussion.

Nicht behandelt wird in der Stellungnahme des Verfassungsdiensts das Urteil Gaygusuz des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 6. September 1996, 36/1995/545/631, das massiv für das passive Arbeiterkammerwahlrecht aller beitragspflichtigen Arbeitnehmer spricht.

Nicht erwähnt wird darin auch Art. 28 der European Convention on the legal status of migrant workers vom 24.11.1977, der das Recht der Wanderarbeitnehmer garantiert, sich gleich wie Staatsbürger des Arbeitgeberstaats zu organisieren und insofern diskriminierungsfrei behandelt zu werden.

Nicht berücksichtigen konnte der Verfassungsdienst spätere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs andererseits, die wohl auch die Restzweifel des Verfassungsdiensts am passiven Wahlrecht der Beschwerdeführer (die diese nicht haben) beseitigt hätte.

Vorerst erscheint es hilfreich, auf die Grundlagen zurückzuführen.

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist in Art. 48 ff EG-V grundgelegt. Von der Arbeitnehmerfreizügigkeit ausgenommen sind allein Personen, die im Kernbereich der öffentlichen Verwaltung tätig sind.

Bei Heranziehung der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kann nicht der geringste Zweifel daran bestehen, daß Kammerräte keine hoheitliche Aufgaben im Kernbereich der Verwaltung haben und vor allem nicht nach Art. 48 Abs. 4 EG-V als Beschäftigte der öffentlichen Verwaltung anzusehen sind. Daran läßt auch die Stellungnahme des Bundeskanzleramts keinen Zweifel.

Die Durchführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist vorerst einmal in der Verordnung 1612/68 (EWG) des Rates erfolgt. Deren Art. 8 gewährleistet einem EG-Wanderarbeitnehmer Anspruch auf gleiche Behandlung hinsichtlich der Zugehörigkeit zu Gewerkschaften und der Ausübung gewerkschaftlicher Rechte, einschließlich des Wahlrechts.

In den bereits erwähnten Urteilen ASTI I und ASTI II hat der EuGH daraus unmißverständlich das passive Wahlrecht von EG-Wanderarbeitnehmern zu Privatbeamtenkammern abgeleitet. Dabei spielt auch deren Organisationsform keine bestimmende Rolle.

Bis hierher besteht zwischen den Beschwerdeführern und dem Verfassungsdienst weitgehender Konsens. Allerdings hat die jüngere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs mehrere vom Verfassungsdienst noch als nicht restlos klar angesehene Fragen im Sinne des Rechtsstandpunkts der Beschwerdeführer geklärt.

So hat der Europäische Gerichtshof im Urteilen Birden vom 26.11.1998, Rs. C-1/97, RZ 65 und Akman vom 19.11.1998, Rs. C-210/97 ausdrücklich ausgesprochen, daß die Vorschriften des Kapitels II Abschnitt 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 einen weiteren, durch die Art. 48, 49 und 50 EG-V geleiteten Schritt zur Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer türkischer Staatsbürgerschaft darstellten, denn:

Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung aus dem Wortlaut des Artikels 12 des Assoziierungsabkommens EWG-Türkei und des Artikels 36 des Zusatzabkommens, das am 23. November 1970 unterzeichnet, dem Abkommen als Anlage beigefügt und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 (ABl. L 293, S.1) abgeschlossen wurde, sowie aus dem Zweck des Beschlusses Nr. 1/80 hergeleitet, daß die im Rahmen der Artikel 48, 49 und 50 EG-Vertrag geltenden Gerundsätze soweit wie möglich auf die türkischen Arbeitnehmer, die die im Beschluß Nr. 1/80 eingeräumten Rechte besitzen, übertragen werden sollen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 06. Juni 1995 in der Rechtssache C-434/93, Bozkurt, Slg. 1995, I-1475, Randnrn. 14, 19 und 20, vom 23. Janurar 1997 in der Rechtssache C-171/95, Tetik, Slg. 1997, I-329, Randnrn. 20 und 28, sowie die Urteile Günaydin, Randnr. 21, und Ertanir, Randnr. 21).

Aus der Bezugnahme auf diese Artikel ergibt sich, daß die Assoziationsfreizügigkeit aus der gleichen Quelle schöpft wie die Freizügigkeit von EG-Wanderarbeitnehmern.

Der Verfassungsdienst stellt zudem auf Art. 10 ARB 1/80 ab und trägt dazu vor, daß diese Bestimmung ein arbeitsrechtliches Gleichbehandlungsgebot und Diskriminierungsverbot enthalte. Der Wortlaut der Bestimmung sei eindeutig, nicht an Bedingungen geknüpft und werde auch nicht von der Erlassung weiterer Akte abhängen. Vor diesem Hintergrund scheine dem Verfassungsdienst Art. 10 ARB 1/80 unmittelbar anwendbar zu sein.

Tatsächlich vertreten das nicht nur Feik, Betriebsrat ist keine Vereinigung iSd Art. 11 EMRK, DRdA 1996, 415 und Egger, Zur Arbeits- und sozialrechtlichen Stellung türkischer Arbeitnehmer, DRdA 1997, 412, sondern ebenso etwa auch Gutmann im Zusammenhang mit Art. 10 ARB 1/80 im großen Kommentar zum deutschen Ausländerrecht, mit vielen weiteren Hinweisen.

Tatsächlich enthält Art. 10 ARB Nr. 1/80 ein Verbot der Diskriminierung hinsichtlich des Arbeitsentgeltes und der sonstigen Arbeitsbedingungen.

Das Bundeskanzleramt verweist in seiner Stellungnahme darauf, daß der Europäische Gerichtshof in mehreren Urteilen zu den Kooperationsabkommen mit Algerien und Marokko die unmittelbare Anwendbarkeit ihrer Bestimmungen anerkannt habe, und verweist konkret auf die Urteile Krid vom 05.04.1995, Rs C-103/94, und Babahenini vom 15.01.1998, C-113/97, zu algerien, und Kziber vom 31.01.1991, Rs C-18/90, Yousfi vom 20.04.1994, Rs C-58/93, und Hallouzi vom 03.10.1996, Rs C-126/95 zu Mraokko.

Daraus schließt der Verfassungsdienst im Größenschluß auf das Assoziationabkommen EWG-Türkei, weil Assoziierungsabkommen einen höheren Integrationsgrad als Kooperationsabkommen bezweckten (sh. dazu auch den unten besprochenen Schlußantrag von La Pergola im Verfahren Sürül).

Tatsächlich hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte niemals einen Zweifel daran gelassen, daß zahlreiche Bestimmungen des Assoziationsratsbeschlusses 1/80 unmittelbar anwendbar sind, etwa in den Urteilen Sevince, 20.9.1990, Rs. C-192/89, Slg. 1990, I-3461, Kus, 16.12.1992, Rs. C-237/91, Slg. 1992, I-6781, Eroglu, 5.10.1994, Rs. C-355/93, Slg. 1994, I-5113, Bozkurt, 6.6.1995, Rs. C-434/93, Slg. 1995, I-1475, Tetik, 23.1.1997, Rs. C-171/95, Slg. 0000, Ertanir, 30.09.1997, Rs. C 98/96, Günaydin vom 30.9.1997, Rs. C-36/96, Birden vom 26.11.1998, Rs. C-1/97, RZ 65 und Akman vom 19.11.1998, Rs. C-210/97.

In gleicher Weise ist es ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, daß Grundfreiheiten und Grundrechte insbesondere das Diskriminierungsverbot unmittelbar anwendbar sind (vlg. etwa Schuster, EG-Recht und Normenlehre, RZ 100, oder Weh, Vom Stufenbau zur Relativität, Das Europarecht in der nationalen Rechtsordnung, Abschnitt 4.1)

Im Fall Sema Sürül, Rs. C-262/96, hat sich der Europäische Gerichtshof zunächst mit der Frage befaßt, ob der Art. 3 Abs. 1 des ARB Nr. 3/80 unmittelbar anwendbar sei und diesbezüglich Diskriminierungsschutz gewährleiste. Nach Schluß der mündlichen Verhandlung hat der Europäische Gerichtshof das Verfahren wieder eröffnet und eine zweite mündliche Verhandlung zur Frage abgeführt, ob nicht auch Art. 9 des am 12. September 1963 von der Republik Türkei und den Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft abgeschlossenen Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Witschaftsgemeinschaft und der Türkei (im folgenden: "Ankara-Abkommen") ein allgemeines, unmittelbar anwendbares Diskriminierungsverbot garantiere.

In seinem insgesamt beachtenwerten und grundsätzlichen Schlußantrag vom 17.12.1998 kommt Generalanwalt La Pergola zum Ergebnis, daß Art. 9 das Ankara-Abkommens ein unmittelbar anwendbares Diskriminierungsverbot vorsehe. Art. 9 weise

alle Merkmale einer Gemeinschaftsvorschrift auf, die vor dem nationalen Gericht geltend gemacht werden kann, und unterscheidet sich insoweit nicht von den entsprechenden Verboten, die in Art. 6 des Vertrages (auf den Art. 9 ausdrücklich verweist) oder in anderen speziellen Bestimmungen zur Durchführung des allgemeinen Grundsatzes (wie den Art. 48 Abs. 2, 52, 59 und 95) verankert sind.

Zwar habe die Französische Regierung in der mündlichen Verhandlung die gegenteilige Auffassung vertreten, daß eine lockere Assoziationsregelung nicht mit Art. 6 des EG-V verglichen werden könne, La Pergola tritt diesem Argument allerdings entgegen mit dem Hinweis auf das Urteil Pabst und Richarz vom 29.04.1982 in der Rechtssache 17/91, in der der Gerichtshof die Anwendbarkeit des allgemeinen Diskrimineriungsverbotes aus Art. 53 Abs. 1 des Assoziierungsvertrages EWG-Griechenland vom 09. Juli 1961 abgeleitet habe.

Wie schon der Verfassungsdienst verweist auch der Schlußantrag von La Pergola auf den Größenschluß zwischen Assoziierungs- und Kooperationsabkommen und die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu den Kooperationsabkommen mit Marokko und Algerien, denn:

Assoziierungsabkommen ... schaffen nämlich engere Bindungen zwischen der Gemeinschaft und dem betroffenen Drittstaat als diejenigen, die sich aus einem Kooperationsabkommen ergeben. ...

Verboten der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit in den Kooperationsabkommen EWG-Marokko (vgl. Art. 41 Absatz 1) und EWG-Algerien (Art. 39 Absatz 1) habe der Europäische Gerichtshof bereits mehrfach mittelbare Anwendbarkeit zuerkannt (siehe oben).

Im Verhältnis zwischen dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 9 des Ankara-Aabkommens 1963 und spezielleren Diskriminierungsverboten sieht La Pergola den Vorrang der unmittelbaren Anwendbarkeit der letzteren.

Andererseits sind natürlich Diskriminierungsverbote, die nur Teilaspekte allgemeinerer Diskriminierungsverbote darstellen, jedenfalls nicht einschränkend auszulegen, wie dies der Verfassungsdienst in seiner Stellungnahme zwar nicht ausdrücklich vorschlägt, aber auch nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit zurückweist. Mit anderen Worten, schon Art. 10 ARB Nr. 1/80 ist nicht einschränkend auszulegen, und selbst wenn Art. 10 ARB 1/80 unanwendbar sein sollte, käme Art. 9 des Ankaraabkommens selbst zum Tragen.

Mit anderen Worten, es besteht jedenfalls ein unmittelbar anwendbares konkretes Diskriminierungsverbot türkischer Arbeitnhmer gegenüber EG-Wanderarbeitnehmern.

Damit steht aber fest, daß die Streichung der Zweit- bis Sechstbeschwerdeführer aus dem Wahlvorschlag "Liste Gemeinsam" unmittelbar anwendbares konkretes Recht der Europäischen Gemeinschaft verletzt, nämlich das Diskriminierungsverbot des Art. 10 ARB Nr. 1/80 und des Art. 9 des Ankara-Abkommens iVm Art. 48 - 50 EG-V, Art. 8 der Verordnung 1612/68 (EWG) des Rates, Art. 11 EMRK und Art. 28 der European Convention on the legal status of migrant and workers.

Der angefochtene Bescheid wird daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben sein.

4.4 Verfahrensmängel

Vertreter der belangten Behörde haben auch über mehrfache Urgenz eines begründeten bescheids mehrfach erklärt, die belangte Behörde müsse ihren Bescheid vom 09.02.1999 nicht begründen.

Es kann in einem Rechtsstaat keine unanfechtbare, nicht begründungspflichtige Entscheidung einer Letztbehörde geben. Insofern verkennt der Bescheid vom 09.02.1999 seine Begründungspflicht und das Prinzip der Anfechtbarkeit jedes Bescheids bei einem Gericht (siehe oben).

Wenn eine Behörde einen Bescheid überhaupt nicht begründet, ist natürlich nicht nachvollziehbar, welche der oben dargestellten Rechtsgrundlagen sie übersehen hat.

Der Mangel der Bescheidbegründung muß daher zur Aufhebung dieses Bescheids führen. Anhand der Darstellung der Rechtslage in dieser Eingabe ergibt sich unmittelbar, daß eine Entscheidung unter Berücksichtigung aller Rechtsgrundlagen nur zum gegenteiligen Ergebnis, nämlich zur Bejahung des passiven Wahlrechts assoziationsintegrierte türkischer Arbeitnehmer, führen kann. Der angefochtene Bescheid wird daher auch wegen Rechtswidrigkeit in Folge Verletzung der Begründungspflicht aufzuheben sein.

5 Vorlageanregung

Die Beschwerdeführer vertreten zwar die Auffassung, daß die maßgeblichen Rechtsfragen klar sind, regen aber vorsichtshalber folgende Vorabanfrage beim Europäischen Gerichtshof an:

  1. Haben assoziationsintegrierte türkische Arbeitnehmer passives Wahlrecht zur Arbeiterkammer?
  2. Haben türkische Arbeitnehmer das passive Wahlrecht zur Arbeiterkammer, wenn sie dem regeulären Arbeitsmarkt angehören, aber noch nicht assoziationsintegriert nach Art. 6 Abs. 1 ARG Nr. 1/80 sind?
  3. Bedarf es zur Durchsetzung dieses passiven Wahlrechts gesonderter nationaler Durchführungsnormen oder besteht ein Diskriminierungsverbot, das unmittelbar anwendbar ist?

6 Anträge

Die Beschwerdeführer stellen sohin die

A N T R Ä G E,

der Verwaltungsgerichtshof möge

  1. eine mündliche Verhandlung durchführen;
  2. den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts und wegen Rechtswidrigkeit in Folge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufheben;
  3. dem Bund als Rechtsträger der belangten Behörde den Ersatz der Kosten des Verfahrens binnen zwei Wochen z.H. des Beschwerdevertreters bei sonstiger Exekution auferlegen. Für diese Beschwerde werden die tarifmäßigen Kosten in Höhe von ATS 12.500,-- angesprochen zuzüglich einer allenfalls zu entrichtenden Gebühr gemäß § 24 Abs. 3 VwGG.

7 Aufschiebende Wirkung

Weiters stellen die Beschwerdeführer den

A N T R A G,

der Beschwerde gemäß § 30 Abs. 2 VwGG aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Der angefochtene Bescheid ist einem Vollzug und damit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zugänglich.

Der Verwaltungsgerichtshof hat einer Beschwerde auf Antrag die aufschiebende Wirkung mit Beschluß zuzuerkennen, insoweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührter Interessen mit dem Vollzug oder mit der Ausübung der mit Bescheid eingeräumten Berechtigung durch einen Dritten für die Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung dieser Beschwerde sind hier gegeben, aus folgenden Gründen:

Zunächst ist noch einmal näher auf die oben nicht abschließend behandelte Frage einzugehen, woraus sich ein Rechtsanspruch auf Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof bereits zum jetzigen Zeitpunkt ergibt, nachdem das Arbeiterkammerwahlrecht eine Anrufung des Verwaltungsgerichtshofs vor dem Abschuß des Wahlvorganges weder ausdrücklich zuläßt noch ausdrücklich ausschließt.

Diese Frage wird hier und nicht im Zusammenhang mit der Hauptsachenfrage behandelt, weil sich die Frage der Dringlichkeit und der Schadensvermeidung vornehmlich im Zusammenhang mit der aufschiebenden Wirkung dieser Beschwerde stellt.

Geht man davon aus, daß Art. 130 Abs. 1 lit. a B-VG die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofs gegen jeden Letztbescheid ermöglicht, besteht ein verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechtsweg zum Verwaltungsgerichtshof.

Sollte § 42 AKWG der rechtzeitigen Anrufung des Verwaltungsgerichtshofs als Sondergesetz entgegenstehen, dann wäre diese Bestimmung unangewendet zu lassen, denn der Europäische Gerichtshof hat bereits im Urteil Factortame I vom 19.6.1990, Rs. C-213/89, Slg. 1990, I-2433, ausgesprochen, daß jede der rechtzeitigen und wirksamen Durchsetzung von Gemeinschaftsrecht entgegenstehende nationale Vorschrift unangewendet bleiben muß. Der Europäische Gerichtshof hat dies wie folgt begründet:

  1. Wie sich aus den Akten, insbesondere aus dem Vorlageurteil und dem vorstehend wiedergegebenen Ablauf des Verfahrens vor den mit dem Rechtsstreit zuvor befaßten nationalen Gerichten, ergibt, geht die Frage des vorlegenden Gerichts im Kern dahin, ob ein nationales Gericht, das in einem bei ihm anhängigen, das Gemeinschaftsrecht betreffenden Rechtsstreit zu der Auffassung gelangt, dem Erlaß einstweiliger Anordnungen stehe nur eine Vorschrift des nationalen Rechts entgegen, diese Vorschrift nicht anwenden darf.
  2. Der Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 9. März 1978 in der Rechtssache 106/77 (Simmenthal, Slg. 1978, 629) entschieden, daß die unmittelbar geltenden Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts "ihre volle Wirkung einheitlich in sämtlichen Mitgliedstaaten vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an und während der gesamten Dauer ihrer Gültigkeit entfalten müssen" (Randnrn. 14 bis 16) und daß "nach dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts die Vertragsbestimmungen und die unmittelbar geltenden Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane in ihrem Verhältnis zum internen Recht der Mitgliedstaaten... zur Folge ((haben)), daß allein durch ihr Inkrafttreten jede entgegenstehende Bestimmung des geltenden staatlichen Rechts ohne weiteres unanwendbar wird" (Randnrn. 17 bis 18).
  3. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes haben die innerstaatlichen Gerichte entsprechend dem in Artikel 5 EWG-Vertrag ausgesprochenen Grundsatz der Mitwirkungspflicht den Rechtsschutz zu gewährleisten, der sich für die einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts ergibt (so zuletzt die Urteile vom 10. Juli 1980 in der Rechtssache 811/79, Ariete, und in der Rechtssache 826/79, Mireco, Slg. 1980, 2545 bzw. 2559).
  4. Der Gerichtshof hat weiter entschieden, daß jede Bestimmung einer nationalen Rechtsordnung oder jede Gesetzgebungs-, Verwaltungs- oder Gerichtspraxis mit den in der Natur des Gemeinschaftsrechts liegenden Erfordernissen unvereinbar wäre, die dadurch zu einer Abschwächung der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts führen würde, daß dem für die Anwendung dieses Rechts zuständigen Gericht die Befugnis abgesprochen wird, bereits zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles Erforderliche zu tun, um diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften auszuschalten, die unter Umständen ein wenn auch nur vorübergehendes Hindernis für die volle Wirksamkeit der Gemeinschaftsnormen bilden (Urteil vom 9. März 1978, Simmenthal, a. a. O., Randnrn. 21 bis 23).
  5. Die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts würde auch dann abgeschwächt, wenn ein mit einem nach Gemeinschaftsrecht zu beurteilenden Rechtsstreit befaßtes Gericht durch eine Vorschrift des nationalen Rechts daran gehindert werden könnte, einstweilige Anordnungen zu erlassen, um die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Gemeinschaftsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen. Ein Gericht, das unter diesen Umständen einstweilige Anordnungen erlassen würde, wenn dem nicht eine Vorschrift des nationalen Rechts entgegenstünde, darf diese Vorschrift somit nicht anwenden.
  6. Für diese Auslegung spricht auch das durch Artikel 177 EWG-Vertrag geschaffene System, dessen praktische Wirksamkeit beeinträchtigt würde, wenn ein nationales Gericht, das das Verfahren bis zur Beantwortung seiner Vorlagefrage durch den Gerichtshof aussetzt, nicht so lange einstweiligen Rechtsschutz gewähren könnte, bis es auf der Grundlage der Antwort des Gerichtshofes seine eigene Entscheidung erläßt.
  7. Auf die Vorlagefrage ist somit zu antworten, daß das Gemeinschaftsrecht dahin auszulegen ist, daß ein nationales Gericht, das in einem bei ihm anhängigen, das Gemeinschaftsrecht betreffenden Rechtsstreit zu der Auffassung gelangt, dem Erlaß einstweiliger Anordnungen stehe nur eine Vorschrift des nationalen Rechts entgegen, diese Vorschrift nicht anwenden darf.

Auch im Urteil Brasserie du Pêcheur SA., 5.3.1996, Rs. C-46/93 u. C-48/93, Slg. 1996, I-1029, hat der Europäische Gerichtshof ausgesprochen, daß jedes Rechtsmittel, das die nationale Rechtsordnung für innerstaatliche Rechtsansprüche vorsieht, auch zur Durchsetzung gemeinschaftsrechtlicher Ansprüche zur Verfügung stehen muß.

Zusammenfassend, entweder ist diese Beschwerde und damit der vorliegende Antrag auf Zuerkennung ihrer aufschiebenden Wirkung schon kraft Bundesverfassung zulässig, oder, falls § 42 AKG dieser Beschwerde - zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt - entgegenstehen sollte, ist § 42 AKG jedenfalls außer Betracht zu lassen. Damit ist diese Beschwerde jedenfalls bereits zum jetzigen Zeiptunkt zulässig.

Mit dem angefochtenen Bescheid werden die Zweit- bis Sechstbeschwerdeführer aus dem Wahlvorschlag der Erstbeschwerdeführerin gestrichen. Der angefochtene Bescheid greift sohin in Rechte der Beschwerdeführer so ein, daß einstweiliger Rechtsschutz in Form einer klassischen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gewährt werden kann.

Für einstweilige Anordnungen verlangt der Europäische Gerichtshof den fumus boni juris, also den plausiblen Rechtsanspruch. Diese Beschwerde hat nicht nur den fumus boni juris, sondern den fumus optimi juris, den fumus juris perfecti.

Darüber hinaus ist Voraussetzung, daß ein unwiederbringlicher Schaden vorliegen muß. Unwiederbringlich ist ein Schaden dann, wenn die Durchsetzung von Gemeinschaftsrecht grundlos verzögert oder erschwert wird.

Es ist offensichtlich, daß ein zweiter Wahlgang zur Arbeiterkammer für alle Beteiligten eine Zumutung und für den Beitragszahler eine gezielte Verschwendung von Steuermitteln darstellen würde, wenn bereits vor dem ersten Wahlgang erkennbar ist, daß ein rechtswidriger Akt der Hauptwahlkommission eine rechtmäßige erste Wahl ausschließt.

Mit anderen Worten, vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs enstünde vor dem Hintergrund verspäteter Schaffung gemeinschaftskonformer Rechtszustände ein gravierender und in diesem Sinne unwiderbringlicher Schaden.

Nach § 30 Abs. 2 VwGG ist die Rechtslage noch klarer. Diese Bestimmung verlangt keinen unwiederbringlichen Schaden, sondern "nur" das Fehlen zwingender öffentlicher Interessen am sofortigen Vollzug.

Daß im vorliegenden Fall keinerlei zwingende Interessen die sofortige Wirksamkeit der Streichung erforderlich machen, ist offenkundig.

Auch die letzte - wiederum österreichische - Anforderung für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, nämlich das Überwiegen persönlicher Interessen der Beschwerdeführer, ist gegeben.

Das Interesse der Beschwerdeführer, ihre Kandidaten auf ihrer Liste zu haben bzw. gewählt zu werden, zumal die Voraussetzungen dafür offenkundig erscheinen, überwiegt das gegenläufige Interesse anderer Listen, deren Gegenargumente gegen die Kandidatur der Beschwerdeführer mit der Rechtsordnung auch nichts zu tun haben, wie sich besonders schlüssig aus der oben wiedergegebenen Stellungnahme des Arbeiterkammerpräsidenten ergibt.

Die "Gefühle" der einheimischen Bevölkerung stellen keinen tauglichen Grund dar, überwiegende Interessen gegen die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zu begründen.

Hinzu kommt, daß selbst der Verfassungsdienst in seiner Stellungnahme zum Ergebnis kommt, daß die aufgeworfene Frage "mindestens" beim Europäischen Gerichtshof vorlagepflichtig sein könnte. Auch wenn die Beschwerdeführer den Standpunkt vertreten, daß die Rechtslage in ihrem Sinne klar ist, würde auch bei Annahme der Rechtsansicht des Verfassungsdienstes dieser Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen sein, denn nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist während eines anhängigen Vorabentscheidungsersuchen alles zu unternehmen, um vorläufig das Gemeinschaftsrecht bestmöglich durchzusetzen.

Die Beschwerdeführer stellen daher den

A N T R A G,

dieser Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, in dem die Streichung der Zweit- bis Sechstbeschwerdeführer vom Wahlvorschlag der Erstbeschwerdeführerin vorläufig - bis zur Endentscheidung des Verwaltungsgerichtshofs - für unwirksam erklärt wird.

Bregenz, am 18.02.1999 Die Beschwerdeführer