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Dieser Text wurde entommen  dem Vorwort zum  Buch “Foto-Aktiv 2, Experimentelle Fotografie” aus dem Verlag Laterna Magica

Experimentelle Fotografie

Dieses Buch ist den experimentellen Belangen der Fotografie gewidmet. Und da bedarf es um Missdeutungen von allem Anfang an auszuschließen wohl einer kurzen Definition: Experimentelle Fotografie ist das Ausloten gestalterischer Möglichkeiten auf der Grundlage von Techniken und Verfahren, die zwar auf die eine oder andere Weise vom Üblichen abweichen können, jedoch keinesfalls einen Selbstzweck darstellen. Deshalb steht hier auch nicht die experimentelle Suche nach neuen technischen Mitteln im Vordergrund, sondern das, worauf es für die Aussage eines Bildes ankommt seine Gestaltung. Und das ist vor allem anderen eine schöpferische Arbeit von Intellekt und Emotion.

Skeptikern gegenüber sei gleich zugegeben, dass auf dem Gebiet der experimentellen Fotografie so mancher Unfug getrieben worden ist und auch noch getrieben wird. Ursache für solche Erscheinungen, die zunächst durchaus verblüffende Wirkung haben können, ist stets, dass der Experimentierende nicht mit der Bildaussage. sondern mit der Technik experimentiert, die er nicht beherrscht. Das zeigt sich am auffälligsten bei der Farbe, die mancher eben nimmt, wie sie sich aus der ihm ein wenig rätselvollen Mischung von Filtern und Farbkupplern ergibt. Das ist gewiss eine Unzulänglichkeit, doch sie haftet nicht der Sache, sie haftet dem Menschen an:

Man muss eben seine Mittel beherrschen, bevor man daran geht, sie für eine Arbeit einzusetzen. Auch in der experimentellen Fotografie beginnt die Entstehung eines Bildes mit seiner Visualisierung. Erst wenn es in der Vorstellung des Fotografen Gestalt angenommen hat, wenn es aus dem Gefühl heraus schöpferische Impulse freizusetzen beginnt, wird eine Auswahl der Mittel sinnvoll, die dazu dienen können, dieses Bild zu schaffen. Dass man in diesem Stadium die Möglichkeiten genau kennen muss, die diese Mittel beinhalten, versteht sich von selbst. Trotzdem können Anregungen von dritter Seite durchaus willkommen sein. Wer also in diesem Buch Hinweise für besondere Bildgestaltung und technische Mittel zu ihrer Verwirklichung sucht, der soll sie finden. Zugleich aber muss er sich im klaren darüber sein, welchen Stellenwert diese Anregungen und Mittel wirklich haben:

Seit ihren Anfängen hat es in der Fotografie viele Stilrichtungen gegeben. Es haben sich «Schulen» gebildet, deren Anhänger im Rahmen selbstgewählter Grenzen die vollkommene Fotografie zu praktizieren suchten und dadurch zweifellos Wesentliches zur Entwicklung des Mediums beigetragen haben. Ein wenig aber gilt für sie alle auch Edward Steichens Wort, dass Fotografen ihre schöpferische Freiheit am stärksten durch selbstauferlegte Beschränkungen gefährden. Ob es sich also um die frühen, den etablierten Künsten nachempfundenen Arbeiten der Piktorialisten. die Strenge puristischer Schwarzweiß-Darstellungen der Neuen Sachlichkeit oder den Farbenrausch der Dynamisten handelt, ob Symbolismus, Romantik oder Surrealismus das Stichwort ist das universell gültige Rezept für kreative Bildgestaltung hat keiner gefunden. Und es besteht nicht die geringste Gefahr, dass es je einer finden könnte: Auch in der Fotografie sind Schulen zeitgebunden. Sie geben dem Denken und Fühlen einer Epoche Ausdruck.

Was bleibt, sind dennoch Fundamente, auf die man bauen darf bestimmte Darstellweisen und Techniken, die in der einen oder anderen Stilrichtung zu hoher Vollendung entwickelt wurden und auf die man - mit oder ohne Adaption zurückgreifen kann. Dazu genügt oft schon generelle Kenntnis der Verfahrensweise. Das Wissen um die kleinen Tricks des einzelnen Fotografen hingegen, das oftmals geräte- und materialabhängig ist, kann eher hinderlich, unter Umständen so gar gefährlich sein: Zum einen erzielen wir heute mit neuen Materialien manches beinahe mühelos, was noch vor wenigen Jahren wahrer Klimmzüge bedurfte. Zum anderen aber sind es häufig gerade die kleinen Tricks, die innerhalb einer Technik als «Schrift» die Akzente einer unverwechselbar persönlichen «Handschrift» setzen. Das zu übernehmen, käme einem Kopieren gleich. Jedoch Eigenes auf gleicher Basis zu entwickeln, ist legitim: Techniken, Verfahrensweisen darf man sich zu eigen machen, denn sie sind ja immer nur Mittel zum Zweck. Nutzen freilich kann man sie erst, wenn sie einem wirklich zu eigen geworden sind, wenn man sie beherrscht. Dann dienen sie wirklich der Gestaltung, durch die ja nicht nur ein Bild geschaffen. sondern stets auch Geisteshaltung und Emotion des Fotografen zum Ausdruck gebracht werden.

 

Von einem schöpferisch arbeitenden Fotografen wird ganz generell, also nicht nur auf das vorliegende Thema bezogen, eine gewisse Experimentierfreudigkeit erwartet. Er soll seiner Zeit voraus sein, soll avantgardistisch arbeiten. Das Risiko freilich trägt er allein, denn gemessen werden seine Arbeiten ganz unbewusst an Standardvorstellungen, was selbst bei großartigen Leistungen  oft die schnelle Anerkennung verhindert. So ist es zumindest für den Profi nur ein schwacher Trost, dass Werke von Bedeutung noch immer ihre Anerkennung gefunden haben es fragt sich nur, wann.

Dennoch sind die Freiheiten, die gerade die experimentelle Fotografie gewährt von besonderer Art und dadurch immer wieder verlockend: Während bei den üblichen fotografischen Verfahren ein Zwischenprodukt, meist ein Negativ, die Möglichkeit gibt, Kopien gleicher Qualität in beliebiger Anzahl herzustellen, führen die meisten Verfahren der experimentellen Fotografie zu einem Unikat, das man gleich jedem anderen Bild zwar reproduzieren, in seinen Qualitäts-Feinheiten jedoch nicht duplizieren kann. So erzielt der experimentell arbeitende Fotograf ein Ergebnis, das ihn von dem Vorwurf der beliebigen Vervielfältigbarkeit und - darin versteckt, doch ebenso sinnlos -   der künstlerischen Wertlosigkeit seines Tuns befreit.

Im Rahmen seiner Mittel und innerhalb der Einsatzgrenzen seines Materials wird der experimentell arbeitende Fotograf zum frei schaffenden Künstler, der seinen Vorstellungen und Eingebungen folgend Inhalte mitzuteilen sucht, die über das Geschaute, das in einem einfachen, geradlinig aufgebauten fotografischen Prozess Realisierbare hinausgehen. Seine Motive sind Ideen, ins Bildhafte übertragene Empfindungen oder Erkenntnisse, Freuden, Ängste oder Visionen. Zu ihrer Darstellung setzt er mittels spezieller Techniken, manueller Eingriffe die ihrerseits immer wieder zum Prüfstein seines Könnens, seiner Meisterschaft über das Medium werden manche der gemeinhin akzeptierten Zwangsläufigkeiten fotografischer Prozesse außer Kraft. Er folgt einem Konzept, das sich nicht auf die wie auch immer geartete Selektion des Sichtbaren beschränkt, sondern Sichtbares transformiert, um Imaginäres sichtbar werden zu lassen.

Was für jeden Künstler als erstrebenswert gilt, die geniale Einfachheit der Mittel, ist auch auf die Fotografie anzuwenden. Nicht das Brillantfeuerwerk kompliziert miteinander kombinierter Techniken bestimmt den Wert eines Werkes, sondern seine Ausdruckskraft, seine Aussage. So genügt oft ein Prismenvorsatz, in genau der rechten Stellung vors Objektiv gebracht, um ein für jedermann sichtbares Motiv zur Vision werden zu lassen, ein Farbfilter, um durch monochrome Darstellung einen eng gefassten Ausschnitt zum Symbolbild zu machen. Dass sich nicht alle Aufgaben durch Einsatz derart einfacher, direkt wirkender Mittel lösen lassen, dafür sind hervorragende Werke der experimentellen Fotografie, wie sie allein schon die folgenden Seiten vor Augen führen, Beweis genug.

Vor allem aber zeigen sie eines:

In der experimentellen Fotografie ist jeder auf sich gestellt. Der gesamte Entstehungsprozess eines Bildes liegt in einer Hand, getragen von dem Emotionspotential, gesteuert von dem Intellekt eines Menschen. Selbst Nebensächliches lässt sich nicht delegieren. Das ist so selbstverständlich, dass man eigentlich gar nicht darüber sprechen sollte. Und doch: Arbeitsteilung ist in der Fotografie eine weit verbreitete Tatsache. Der Fotograf fotografiert, der Laborant arbeitet die Ergebnisse aus. Beim Dia mag das angehen, denn die Steuermöglichkeiten bei der Entwicklung sind beschränkt und ausschließlich genereller Art, so dass das Ergebnis weitestgehend durch die Aufnahme vorbestimmt ist. Bei jeder Form der Umsetzung aber, bei sämtlichen Kopier- und Vergrößerungsverfahren die Vorstufe der Negativentwicklung eingeschlossen gehen sie ins Detail. So kommt zum Tragen, was den fotografischen Prozess schmiegsam macht das gezielte Spielen mit den variablen Größen, das sich auf jeder Stufe im Entstehungsprozess eines Bildes anbietet und das wesentlich zu dessen endgültiger Gestaltung beiträgt. Daraus ergeben sich Möglichkeiten, die nur der Fotograf selbst sinnvoll zu nutzen vermag seine Bild-Vorstellung ist in ihren Feinheiten ja nicht kommunizierbar. Gleichzeitig zwingt dieses Spielen zu kluger Beschränkung, denn natürlich kann jeder nur die Mittel und Möglichkeiten einsetzen, die er gestalterisch wie apparativ wirklich unter seiner Kontrolle hat.

Statt aus dem Vollen vielfältiger, faszinierender Effekte zu schöpfen, ist es deshalb oft sinnvoller, sich zunächst die Frage zu stellen, ob nicht einfachere Mittel die am Ende wirkungsvollere Lösung ermöglichen.

 

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Stand: 11.10.2003