Rede der Gruppe dissident auf der Demonstration "Schluss mit den Reformen gegen uns" in Berlin, 03.06.2006

In Bonn, Wuppertal, München und Essen sind Senatssitzungen gesprengt und das Rektorat besetzt worden. Frankfurt besetzt das Autobahnkreuz, Gießen wird lahmgelegt und in Hamburg der Hauptbahnhof blockiert. Marburg besetzt die Universitätsverwaltung. Seit Wochen gibt es Spontandemonstrationen mit mehreren tausend Studierenden. Aktionen in Düsseldorf, Kassel, Berlin, Darmstadt und Köln.

In Deutschland und auch international, wie zur Zeit in Athen, regt sich Widerstand an den Universitäten. Und wogegen?

In mehreren Bundesländern sind Studiengebühren bereits eingeführt worden, in so gut wie allen anderen gibt es entsprechende Pläne und in Hessen steht ein Gesetzesentwurf mit nie da gewesener Härte ins Haus. 500 Euro für alle Studierende, 1.500 Euro für Studierende ohne europäischen Pass, das ist unsozial und rassistisch und bildet ein doch recht bezeichnendes Pendant zum überall geposteten WM Slogan: die Welt zu Gast bei Freunden.

Bildung ist ein Privileg weniger finanziell Bessergestellter und geht als Grundrecht verloren. Bildung ist eine Ware, die man sich kaufen kann oder eben auch nicht. Studiengebühren sind in diesem Zusammenhang allerdings nur ein Instrument, um den Prozess der allgemeinen Durchökonomisierung der Universitäten umzusetzen.

Der hessische CDU-Generalsekretär sagt selbst "das Studium in Deutschland dauert zu lange, es muss schneller und effizienter werden" und genau das wird zum Programm gemacht. Forschung und Lehre werden zunehmend abhängiger von ökonomischen Interessen. Nicht-profitable Studiengänge, wie Geistes- und Sozialwissenschaften werden gestrichen. Im Zuge der Bachelor- und Master-Studiengänge werden Studierende zu einem schnellen, stromlinienförmigen Studium gezwungen. Politisch, kulturelles und soziales Engagement wird dadurch erschwert und fällt im Zweifel sogar ganz hinten runter. Von Inhalten oder Bildung als Persönlichkeitsentwicklung ganz zu schweigen.

Parallel dazu wird studentische Selbstorganisation und demokratisch Mitbestimmung abgebaut und Entscheidungen über Leitbilder und Inhalte der Universitäten demokratisch legitimierten Gremien entzogen und stattdessen von Beiräten getroffen, die hauptsächlich aus Vertretern der Wirtschaft bestehen.

Die Bildungsaufgabe der Universitäten hat sich damit zu der eines Ausbildungsbetriebes gewandelt, in dem systematisch, effektiv standardisiertes "Humankapital" produziert wird, das möglichst schnell in Wirtschaftenskreisläufe eingegliedert werden kann.

Studiengebühren sind damit ein Puzzelteil in einer Gesellschaft, die zunehmend auf wirtschaftliche Verwertbarkeit ausgerichtet ist und dieses Prinzip in alle Lebensbereich hineinträgt. Es handelt sich um eine Logik in der Menschen lediglich nach ihrem Leistungsvermögen und ihrer Nützlichkeit bemessen werden. In der eine Hierarchie zwischen denen die leisten und an Gesellschaft teil haben dürfen und können und denen die von fundamentalen Grundrechten systematisch ausgeschlossen bleiben Realität wird. Die Ungleichwertigkeit von Menschen wird damit zum gesellschaftlichen Leitbild erklärt.

Diese Sparpolitik, legitimiert durch sogenannten Sachzwänge, folgt allerdings keinem Naturgesetz, sondern ist ein Produkt politischer Interessen und Entscheidungen. Gesellschaft wird von Menschen, von uns, gemacht und ist deshalb auch veränderbar.

Wir wollen keine Befriedung des Konflikts und keine Kompromisse. Der derzeitige Abbau sozialer Sicherungsmechanismen und die Ausgrenzung nach Leistungs- und Effizienzkriterien ist eine Kriegserklärung an all Diejenigen, die diesen Ansprüchen nicht entsprechen wollen oder können. Wir wollen nicht nur nicht ein bisschen ausgebeutet werden, sondern gar nicht. Es gibt keine sozial verträglichen Studiengebühren, keinen sozial verträglichen Sozialabbau, Abbau des Kündigungsschutzes oder humane Abschiebung von Flüchtlingen und Asylsuchenden.

Es kann deshalb nicht darum gehen, sich zu versöhnen sondern dem System, das sich die Ungleichwertigkeit von Menschen zum Programm erklärt hat, entschieden entgegen zu treten. Protest und Widerstand kann und muss dabei viele Formen haben.

In der Vergangenheit ist seitens der PolitikerInnen, Medien und Polizei immer wieder versucht worden, Proteste zu kriminalisieren und damit zu spalten. Als wäre es keine Gewalt, immer mehr Menschen aus der Gesellschaft auszuschließen. Die Studierenden in Hessen haben deshalb beschlossen, sich nicht spalten zu lassen. Nicht in Deutsche und MigrantInnen, nicht in Arme und Reiche und nicht in Militante und Friedliche Studierende. Wir lassen uns unser Recht, uns gegen diese Zustände zur Wehr zu setzten, nicht nehmen.

Denn die aktuelle Politik ist noch steigerungsfähig. Es bleibt abzuwarten, wie lange es noch dauert, bis nicht nur SozialhilfeempfängerInnen und Studierende sondern auch Kindergartenkinder und Behinderte als Sozialschmarotzer diffamiert werden.

In einer solchen Gesellschaft können und wollen wir nicht leben.Deshalb gegen Studiengebühren, gegen Arbeitszwang und Leistungsterror, gegen kapitalistische Verwertungslogik. Für gesellschaftliche Umverteilung! Beginnen wir mit einem anständigen Aufstand!

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