"Wir kommen in Frieden !"

Kaum war der Bündnisfall erklärt, schon stand die nationale Einheitsfront für die militärische Stärkung des deutschen Staats nach innen und außen einerseits, für den Dialog der Kulturen andererseits. Ein Paradox, mit dem die Deutschen bestens leben können.
Denn wer anders als Deutschland wäre als Spezialist für Volksgruppen- und Religionsfragen prädestiniert, in der Figur des 'Schläfers' den allseits geforderten 'integrierten Ausländer' zum geschickt getarnten Terroristen zu machen und gleichzeitig Harmonie zwischen den Kulturen zu stiften. Das Ressentiment gegen die 'durchrasste Gesellschaft' ist die Kehrseite der Begeisterung für völkische und religiöse Gemeinschaften.

1999 wäre niemand auf die Idee gekommen, den Angriff auf Jugoslawien zum Anlaß zu nehmen, einen serbisch-deutschen Dialog zu fordern. Schließlich kämpfte Deutschland auf dem Balkan gegen die "Fratze der eigenen Geschichte" (Scharping) und für das Recht der Albaner auf die 'Befreiung' des Kosovo von Serben, Roma und Juden. Der antiserbischen Feinderklärung folgte kein Appell zum gegenseitigen Verständnis. Vielleicht verbirgt sich also hinter der jetzigen demonstrativen Bündnistreue gegenüber den USA nur allzugroße Empathie für die Motive der islamistischen Attentäter.

Die staatsnahen Interpreten der Terroranschläge erkennen in der Ideologie des politischen Islam den Schrei nach sozialer Gerechtigkeit und kultureller Anerkennung. Und genau diese beiden Komponenten sind es offensichtlich, die den Islamismus nicht nur für Deutschland zum Faszinosum machen: Eine konformistische Revolte für ein 'gerechtes' Leben in Bescheidenheit und Armut mit dem Segen nationaler und religiöser Führer - welches antikommunistische Metropolenhirn sehnte sich nicht mehr oder weniger klammheimlich nach solchem authentischem Staatsbürgertum? Daß auch die politischen Führer der USA meinten, sich einer solchen Bewegung gegen die realsozialistischen und andere Konkurrenten bedienen zu können, versteht sich fast von selbst.

Die Mitverantwortung des Westens für die Renaissance des religiösen und ethnischen Obskurantismus steht außer Frage. Es war die sogenannte freie Welt, die keine Mittel scheute, alle Alternativen zu den regressiven Ideologien des Elends zu zerschlagen - unter Zuhilfenahme jener Bewegungen, die heute als Feinde der Zivilisation gebrandmarkt werden. Wer aber meint, die Anschläge in irgendeiner Form als Reaktion auf die Verbrechen des US-Imperialismus darstellen zu müssen, beleidigt die ehemaligen Revolutionäre des Trikonts und verkehrt gleichzeitig die Rolle, die die Islamisten im kalten Krieg als antiaufklärerische Hilfstruppen und Schergen der Konterrevolution - nicht zuletzt in Afghanistan selbst - einnahmen und weiterhin einnehmen.

Die infinite Justiz ethnisch-religiöser Clans unter dem Monitoring des Westens steht in vielen Regionen des Trikonts gut zehn Jahre nach dem Sieg über das realsozialistische 'Reich des Bösen' auf der Tagesordnung. Weniger denn je besteht die Notwendigkeit, die autoritäre Verwaltung der in der Weltmarktkonkurrenz unterlegenen Ökonomien mit freiheitlich-demokratischen Weihen zu versehen. Es ist eine Ironie der Geschichte, daß die USA als Bezeichnung ihrer Militäraktion gegen Afghanistan erst im zweiten Anlauf den Kalte-Kriegs-Ladenhüter "Enduring Freedom" aus dem Hut zauberten - nachdem sie von ihren nahöstlichen Koalitionären darauf hingewiesen worden waren, daß bereits Allah das Copyright auf "Infinite Justice" besitzt.
Entscheidend ist aber, was der bauernschlaue amerikanische Pragmatismus der Macht 'übersah', als er islamistische Bewegungen und ihre Förderer in Saudi-Arabien, Pakistan und anderswo zu strategischen Bündnispartnern machte: Der Islamismus ist zwar objektiv die Ideologie der Elendsverwaltung; seinen ideellen Mehrwert zieht er aber aus dem Kampf gegen die als Zersetzer der arabisch-islamischen Einheit ausgemachten jüdischen und amerikanischen Feinde.

In der Fixierung des Blicks auf den Weltpolizisten USA erscheint dessen Schwanken zwischen Unterstützung und Bekämpfung autoritärer und islamistischer Regimes als singuläre Gewaltpolitik, nicht aber die Avantgarderolle Deutschlands bei der Unterstützung völkischer Terrororganisationen und beim Salonfähigmachen antisemitischer Diktaturen.
Deutschland fährt bereits jetzt den 'Essential Harvest' des 'Kriegs gegen den Terror' ein: im Windschatten der Anschläge hat die Bundeswehr die Führung des NATO-Einsatzes zur ethnischen Kantonisierung Mazedoniens übernommen. Und immer da, wo die große Anti-Terrorkoalition mit den nahöstlichen Diktaturen bröckelt, werden deutsche Politiker 'Reformkräfte' entdecken, mit denen auf jeden Fall ein 'kritischer Dialog' geführt werden muß.
Schon im ersten Golfkrieg übertraf die alte BRD den Zynismus, Saddam Hussein als Licht der Aufklärung gegen den Iran zu unterstützen, indem sie Waffen an beide Seiten lieferte.
1991 mutierte Hussein mit dem irakischen Überfall auf Kuweit in westlichen Augen plötzlich zum "Irren von Bagdad". Der Stoff, mit dem er als potentieller antisemitischer Giftgasmörder zum Helden des arabischen Nationalismus wurde, kam aus Deutschland. Die Bedrohung Israels durch deutsches Giftgas konnte deutschen Pazifisten kaum auffallen, die sich bei der Bombardierung Bagdads an jene von Dresden erinnert fühlten.

Die Reaktionen der Friedensbewegung und der Mehrheit der Linken auf die Anschläge der Islamisten erinnern fatal an die Golfkriegskonstellation von 1991. Mit einem entscheidenden Unterschied: Während der von Saddam Hussein angedrohte antisemitische Vernichtungsangriff auf Israel abgewendet wurde, ist er in New York - am verschobenen Objekt - ausgeführt worden. Die Abstraktheit des Kapitalverhältnisses wurde konkretisiert in den 'Kapitalisten' - allen, die sich zum Zeitpunkt des Anschlags im World Trade Center befanden.
Ein solcher Angriff könnte in Tel Aviv oder Jerusalem jederzeit wiederholt werden, gilt doch Israel neben den USA den Islamisten nicht als politischer Gegner, sondern als das metaphysische Böse schlechthin. Todesdrohungen gegenüber allen Juden und Amerikanern sind das Standardrepertoire islamistischer Propaganda.

Die wortreiche linke Beschäftigung mit dem Antisemitismus an und für sich hat für die Beurteilung des Charakters des Anschlags von New York offensichtlich nichts genützt. Dabei könnte man schon an der Begeisterung von Deutschnationalen und Nazis einiges über die Affinitäten von deutscher und islamistischer Ideologie lernen. Während der Schriftsteller Botho Strauß seine Genugtuung darüber, daß "die Türme von Manhattan, die beiden Schwurfinger des Geldes, mit einem fürchterlichen Schlag abgehackt wurden", sogar in den Termini der Sharia zu formulieren weiß, beschreibt der NPD-Anwalt Horst Mahler exakt den Projektionsmechanismus, der in den Symbolen der Zirkulationssphäre die amerikanisch-jüdische Geldmacht halluziniert: "Der Luftschlag vom 11. September 2001 ist die Markierung der Globalisten als Aggressoren durch die geschundenen und abgeweideten Völker."
Von der mörderischen Ideologie der Attentäter herrscht bei den Friedensfreunden bestenfalls Schweigen, wenn nicht gleich - wie in Hamburg - in den Chor "USA - internationale Völkermordzentrale" eingestimmt wird.

Mit der unverbrüchlichen Einheit des israelisch-amerikanischen "Mammonismus" (Mahler) ist es dagegen in der Realität nicht weit her. Die Sowjetunion konnte "à la longue nicht absehen von dem offenbaren Faktum, daß es mehr Araber gibt als Juden, mehr arabisches Öl als jüdisches, daß militärische Stützpunkte in den arabischen Staaten einen höheren strategischen Wert haben als in Israel", schrieb 1969 Jean Amery in einem Essay über den Antizionismus als "ehrbaren Antisemitismus". Dieses Kalkül könnten sich nach dem Ende der Systemauseinandersetzung "à la longue" auch die USA zu eigen machen. So würde gerade der sogenannte Kampf gegen den Terrorismus zur Bedrohung für dessen Hauptziel, sollten die USA die Sicherheit Israels zur Disposition stellen, um das Bündnis mit den arabischen Staaten nicht zu gefährden.

Wo immer in Zukunft Europa unter deutscher Führung dem Ruf nach Konfliktvermittlung nachkommt, wird sicherlich das ganze Potential humanitärer Maßnahmen zum Einsatz kommen: "Wenn man sich entscheidet, Waffen einzusetzen, muß man dann nicht auch bereit sein, gegebenenfalls noch entschiedener und mit einer stärker geballten Faust zuzuschlagen, um ein rasches Ende des Krieges zu erreichen?" So lautete die Manöverkritik des früheren Bundeswehr-Generalinspekteurs Klaus Naumann gegenüber den USA im Volksbefreiungskrieg gegen Jugoslawien. Damit ist das Alternativprogramm der zur Macht gekommenen ehemaligen deutschen Friedensbewegung zu den 'US-Völkermördern' auf den Punkt gebracht.

Aufgabe einer Antikriegsbewegung in Deutschland, die den Namen verdient, wäre es, sowohl die deutsche Friedenspolitik - also die aktive Toleranz gegenüber Volk, Religion und Antisemitismus - als auch die militaristische Mobilmachung nach innen und außen ins Visier zu nehmen, anstatt sich antiamerikanisch und antizionistisch als ideologische Reserve für den kalten Krieg zwischen Deutsch-Europa und den USA zu positionieren.
Die Einsicht in die Notwendigkeit der Verteidigung Israels, der einzigen Konsequenz aus Auschwitz in einer Welt, die keine anderen Konsequenzen zu ziehen bereit war, ist dabei die unabdingbare Voraussetzung für emanzipatorisches Handeln.


gruppe no birds, hamburg

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