Ewige Liebe
"Sag mal, glaubst du an sowas wie ewige
Liebe?"
"Ewige Liebe?", Mona sah
sie fragend an, "Wie kommstdu jetzt darauf?"
Katie zuckte mit den Schultern.
"Ich weißnicht, ist mir gerade sodurch den Kopf gegangen. Vielleicht
weil ich heutemorgen zufällig malwieder einen Streit zwischen
Thomas Eltern mitbekommen habe."
Katie und Mona hatten gerade den Tisch abgeräumt,
die Arbeit war fürheute erledigt, und wie so oft hatten sie sich danach
noch eine Tasse Kaffeegemacht und quatschten über Gott und die Welt.
Wieso Katie gerade jetztder Streit zwischen Thomas Eltern wieder in den Sinn
kam, wusste sie auchnicht, aber sie wusste ja auch von Thomas, dass die Ehe
seiner Eltern imMomentmal wieder nicht gerade glücklich war.
"Also ich denke schon, dass es sowas gibt", nahm
Mona jetzt das Gesprächwieder auf, "Ich glaube schon, dass es Menschen
gibt, die ein Leben langzusammenund glücklich sind und sich nicht nach
einigen Jahren die Köpfeeinschlagen."
Katie nickte stumm. Ja, bei ihren Eltern war es ja
auch so, die sahen sichauch täglich und hatten sich trotzdem noch immer
etwas zu sagen. Abersie kannte halt zu viele Leute, bei denen es anders war.
Allein in ihremFreundeskreiswaren die Leute, deren Eltern noch zusammen waren
in der Minderheit.Und diemeisten Bekannten, die seit Jahren in einer Ehe
oder zumindest festenBeziehunglebten, blieben eigentlich doch nur aus purer
Gewohnheit oder derAngst vordem Alleinsein zusammen.
"Wie ist es denn bei dir und deinem Erich?", fragte
sie jetzt Mona ganz direkt,weil sie wusste, dass gerade Mona ihr diese Offenheit
nicht übel nehmenwürde.
"Na immerhin sind wir auch nach einunddreißig
Jahren Ehe noch zusammen."
"Ja, aber soweit ich weiß habt ihr getrennte
Schlafzimmer oder etwanicht?"
Mona musste jetzt grinsen, nickte dann aber und meinte
entschuldigend: "Abernur weil Erich schnarcht wie ein gestrandetes Walross
und ich dabei sonstnicht schlafen könnte..."
"Na toll, aber wenn ich, nur mal angenommen, mit
Thomas zusammenbleiben sollte,dann möchte ich bestimmt keine getrennten
Schlafzimmer haben!"
"Och nee, du willst wirklich allen Ernstes mit dem
zusammenbleiben?" Monarunzelte im Scherz die Stirn, erklärte dann aber
wieder ernst: "Alsoich hab mir das auch mal anders vorgestellt, aber nach
über dreißigJahren sind eben manche Dinge anders. Und das heißt
ja noch nicht unbedingt,dass ich unglücklicher bin. Immerhin weiß
ich, dass Erich immerfür mich da ist, dass wir uns gegenseitig brauchen,
und außerdemist es doch schön, wenn man einen Menschen hat, mit
dem man viele gemeinsameErinnerungen hat und bei dem man ganz genau weiß,
woran man ist, oder?"
So ganz überzeugte Katie das zwar noch nicht,
da sie auch wusste, dassMona mehr vom Leben und ihrer Ehe erwartete als nur
gemeinsame Erinnerungen,aber das behielt sie lieber für sich. Doch als
hätte Mona ihrenGedanken lesen können, sah sie sie ernst an und
sagte dann mit einemmelancholischen Lächeln: "Ja, ich weiß, das
klingt jetzt nichtnach totaler Romantik, und ich geb ja auch zu, dass ich
mir manchmal auch'was anderes wünsche, aber nach so langer Zeit holt
einen eben dochder Alltag ein und man turtelt nicht mehr wie frisch Verliebte."
Katie nickte. Vielleicht hatte Mona ja recht und
das war halt der Lauf desLebens oder sowas in der Art, aber so schnell wollte
Katie ihr Idealbildder ewigen Liebe eigentlich nicht verwerfen. Es gab doch
auch Paare, dienach so langer Zeit noch glücklich waren wie am ersten
Tag, oder? Allerdingsfiel ihr so spontan auch niemand ein. Selbst bei ihren
Eltern merkte sieoft genug deutlich, dass vieles dem Alltagstrott zum Opfer
fiel und vieleWünsche unerfüllt blieben.
"Sag mal", wechselte sie nun das Thema, "wenn du
mal annimmst, Thomas undich würden wirklich zusammenbleiben, wie stellst
du dir das vor?"
Mona überlegte einen Augenblick, lächelte
dann und erwiderte: "Alsoich schätze mal, ihr werdet niemals heiraten,
da Thomas keinen Sinndarin sieht, aber dafür irgendwann in die USA auswandern
und dort einerichtige Western-Ranch gründen, einen Haufen Kinder in
die Welt setzen,und irgendwann so enden wie Katherine Hepburn und Henry Fonda
in 'Am goldenenSee'."
Jetzt konnte sich auch Katie ein Lächeln nicht
verkneifen, da der Vergleichwirklich irgendwie passte, aber dann fragte sie
erst noch mal nach: "Aberdu könntest dir echt vorstellen, dass wir zusammen
bleiben?"
"Ja, soweit ich euch beide kenne, glaub ich das und
denke auch, dass ihrecht glücklich werden könnt."
Ach ja, das tat echt gut, besonders weil viele Freunde
ihrer Beziehung janoch nie eine wirkliche Chance gegeben haben. Allerdings
war das alles irgendwieimmer noch keine zufriedenstellende Antwort auf die
Frage nach der ewigenLiebe. Also griff sie das Thema nochmals auf und fragte
Mona, ob ihr dennzwei Leute einfallen würden, die sie als echtes Traumpaar
bezeichnenwürde, aber außer einigen Traumpaaren aus 'Casablanca'
oder 'Titanic'fiel ihr da auch niemand ein. Eigentlich eine deprimierende
Erkenntnis, dachtesich Katie, aber leider war im Leben halt alles anders
als im Kino, und eswar wohl wirklich so, dass man zwar den Menschen finden
konnte, mit dem manein ganzes Leben verbringen wollte, man sich aber doch
irgendwann der Nüchternheitdes Alltags geschlagen geben musste.
In dem Moment ging die Tür auf und Thomas stand
in der Küche, drückteKatie einen Kuss auf die Wange und fragte
dann: "Du, Mona, hast du was dagegen,wenn ich dir die schöne Blonde
da entführe? Dennis hat nämlichgerade angerufen und fragt, ob wir
Lust haben, mit zur Single-Party im
2001 zu kommen."
Mona fragte scherzhaft, ob er sie nicht an Katies
Stelle mitnehmen könne,wünschte den beiden dann aber viel Spaß.
"Okay, Katie, dann mach dich fertig und beeil dich,
Dennis ist in 'ner halbenStunde hier..."
"Ach, in 'ner halben Stunde. Es steht also schon
fest, dass ich mitkomme,ob ich nun will oder nicht, oder wie?"
Und dann fügte sie an Mona gewandt hinzu: "Also
vergiss Katherine Hepburnund Henri Fonda, ich glaube nicht, dass ich unter
diesen Umständen scharfdarauf bin."
Während Mona nur leise lachte, guckte Thomas
sie nur entschuldigendan und bat dann: "Also wenn ich gesteigerten Wert auf
deine Anwesenheit legenwürde, könntest du mir dann den Gefallen
tun und mitkommen?"
"Na gut, du Schleimer, aber nur wenn du mir verrätst,
ob du an sowaswie ewige Liebe glaubst..."
"Klar glaub ich an sowas. Guck dir doch nur mal Oma
und Opa an, die sindseit fünfzig Jahren verheiratet und trotzdem schläft
Oma beim Fernsehenimmer an seiner Schulter ein, und er kann nur einschlafen,
wenn sie auchim Bett ist. Wenn das keine ewige Liebe ist, dann weiß
ich auch nicht..."
Christian Dolle, 01/2001