Kunstraub bei Hesses
Als der Anruf kam, hatte er gerade an seinem
Schreibtischgesessen und einigenPapierkram erledigt, aber das konnte, musste
jetzt warten.Die gesamte letzteWoche über war mal wieder nichts los
gewesen, nureinpaar Ruhestörungen,Autoaufbrüche, eine Fahrerflucht
und andererKleinkram. Doch jetzt hatteer gerade den Anruf bekommen, dass
bei den Hesseseingebrochen worden warund sie den Fall von ihm persönlich
bearbeitethaben wollten. Und da Silvia Hesse nicht
irgendwerwar, sondern eine sehr angesehene und nicht geradearme Psychologin
und nochdazu eine alte Schulfreundin, machte sich Hauptkommissar
Herbert Voß mit seinem Kollegen Klein sofort auf denWeg.
Nur wenige Minuten später stoppte sein Wagen
vor der Villa der Hesses,und die Dame des Hauses öffnete auch sofort
die Tür und schilderteihm, was passiert war. Silvia war mit ihrem Mann
und ihrer Schwester fürzwei Wochen auf Ibiza gewesen, und als sie vor
einer Stunde zurückkamen,stellten sie fest, dass die Bilder im Wohnzimmer,
immerhin vier echte undziemlich wertvolle Originale, fehlten. Spuren eines
Einbruchs waren nichtzu entdecken, verrieten ihm die Kollegen, es sah nach
einem gut geplantenund überlegten Einbruch aus. Herbert und sein Kollege
folgten Silviaerstmal ins Wohnzimmer, begrüßten den Hausherren
Conrad Hesseundbesahen sich den Schaden. Ja, die Bilder waren einfach aus
den Rahmenentferntworden, auf den ersten Blick konnte man wirklich keine
Spuren entdecken,undaußer den Bildern fehlte angeblich auch nichts,
aber die warenja auchwertvoll genug. Allerdings zeugte das gesamte Zimmer
sowohl von gutemGeschmackals auch von einem üppigen Bankkonto, so dass
Herbert sichwunderte,dasswirklich nur die Bilder fehlten. Offenbar waren
also keineStümperamWerkgewesen, sondern jemand, der genau wusste, was
er wollte. Doch das brachtesie bisher noch nicht viel weiter, da wirklich
allgemeinbekannt war,dassbeiden Hesses genug zu holen war, denn immerhin
war siePsychologinund erProfessoran einer Uni, auch wenn Herbert im Moment
nichtwusste, anwelcher.Und außerdemwaren die Hesses auch nicht geradefür
ihrenbescheidenenLebensstil bekannt.Aber das alles brachte ihnnoch keinen
Schrittweiter.
"Wer alles wusste von dem Urlaub?", fragte Herbert
deshalb, und umging diedirekte Anrede bewusste, da er nicht sicher war, ob
er Silvia aufgrund seinesoffiziellen Besuches siezen sollte oder ob er, weil
sie ja schließlichmal zusammen zur Schule gegangen waren, hätte
du sagen dürfen.
"Na außer uns, also Conrad, Renate und mir,
nur die Kinder, die Nachbarnund Frau Meinhardt, unsere Haushaltshilfe. Ach
und einige von Conrads Kollegen..."
"Hm... aber die alle kommen wohl nicht für einen
Einbruch infrage oder?"
Silvia schüttelte mit dem Kopf.
"Ich glaube, dann müssen wir wohl erstmal abwarten,
was die Kollegenvon der Spurensicherung herausfinden, denn ich wüsste
schon ganz gernwie der oder die Einbrecher ins Haus gekomen sind. Und in
der Zwischenzeitwerden wir mal die Nachbarn und alle weiteren Personen befragen,
die etwasgesehen haben könnten."
Herbert und Stefan Klein machten sich kurz darauf
auf den Weg, aber von denNachbarn hatte natürlich niemand etwas bemerkt,
das hätte ihn aberauch verwundert. Conrad Hesses Kollegen zu befragen,
konnte er sich wohlauchsparen, Silvias Sohn Patrick
studierte in Osnabrückund war inden letztenWochen auch nicht zuhause
gewesen, bliebe also nur nochdie Haushaltshilfe,aber die war natürlich
nicht zuhause. So blieb ihnennichts anderesübrigals unverrichteter Dinge
wieder aufs Revier zu fahrenund abzuwarten,wasdieKollegen herausfinden würden.
Doch gerade als Klein den Wagen vor dem Polizeigebäude
stoppte, kameineMedung über Funk.
"Herbert, Stefan, bei den Hesses ist eingebrochen
worden, könntet ihrhinfahren?"
Herbert schnappte sich das Funkgerät und erklärte
mit einem Blickan die Decke des Wagens: "Beate, wir waren gerade bei den
Hesses, aber leiderkonnten wir da nicht viel ausrichten."
Er wollte schon aussteigen als ihn Beates Stimme
zurückhielt: "Nein,Herbert, ich meine nicht Silvia Hesse, sondern
RenateHesse... fahrt ihr?"
Herbert nickte statt einer Anwort nur, auch wenn
Beate das wohl nicht sehenkonnte, dann machten sie sich auf den Weg.
Bei Renate Hesse angekommen, wurden sie sofort ins
Wohnzimmer gebeten, undhier bot sich ihnen das gleiche Bild wie bei ihrer
Schwester. Auch hier warenwertvolle Bilder einfach aus dem Rahmen entfernt
worden, und Spuren einesEinbruchs gab es nicht. Und Herbert glaubte auch
nicht daran, dass die Kollegennoch ein aufgebrochenes Schloss oder sonstwas
finden würden. Fürihn sah es so aus als habe der Dieb ganz genau
gewusst, dass beide Familienim Urlaub waren, vor allem, weil es sich nicht
um eine Einbruchserie handelte,also außer bei den Hesses keine weiteren
Fälle aufgetaucht waren.Und sein Instinkt sagte ihm auch, dass es jemand
sein musste, der einen Schlüsselzu beiden Häusern, oder besser
Villen, hatte.
"Sagen sie, wer hatte zu der Zeit ihres Urlaubs Zugang
zu ihrem Haus?"
"Niemand. Also niemand außer meinem Sohn und
unserer Haushaltshilfe,aber Simon war gestern nicht
zuhause und ist auchheute erst nach mir nachHause gekommen."
"Und vorgestern waren die Bilder noch da?"
Da Renate Hesse dies bejahte, mussten die Bilder
also irgendwann zwischenvorgestern und heute Nachmittag gestolen worden sein.
Na das war doch schonmal nicht so schlecht.
Als Stefan schon loszog, um vielleicht Beobachtungen
von den Nachbarn einzuholen,hatte Herbert plötzlich einen Geistesblitz.
"Sagen sie, ihre Haushaltshilfe ist nicht zufällig
eine Frau Meinhardt,oder?"
"Doch, wieso fragen sie?"
"Und die hat sicher einen Schlüssel oder?"
Diese Frau Meinhardt hatte also einen Schlüssel
zu beiden Häusern,wusste, dass die Hesses im Urlaub waren, und wusste
wahrscheinlich auch noch,wann Renate Hesses Sohn Simon zuhause war. So langsam
nahm der Fall Gestaltan.
"Sie verdächtigen doch wohl nicht unsere Frau
Meinhardt?", fragte FrauHesse ungläubig, "Das ist unmöglich. Sie
arbeitet seit Jahren fürmich und meine Schwester und ist sehr zuverlässig!"
"Entschuldigen sie, aber wir müssen nun mal
jeder Spur nachgehen. Ichsage ja auch nicht, dass die Dame etwas mit der
Sache zu tun hat, aber siekönnte vielleicht etwas beobachtet haben..."
Renate Hesse gab sich damit zufrieden, Herbert Voß
allerdings nicht.Sobald Stefan mit der Befragung der Nachbarn fertig
und natürlichzu keinem Ergebnis gekommen war, stiegen sie ins Auto und
fuhren nochmalszur Wohnung von Frau Meinhardt. Hoffentlich brachte sie das
weiter.
"Sag mal", unterbrach Stefan Herberts Gedankengänge,
"der Name Meinhardt,der sagt mir irgendwas..."
Und nach einer Weile erinnerte er sich, dass er Frau
Meinhardts Tochter Biancakannte, weil die nämlich Sängerin der
'Magick Heads' war.
"Ja und, hilft uns das weiter?"
"Nein, aber wenn ich mich nicht täusche hat
die Frau auch vor ein paarJahren bei uns auf dem Revier geputzt. Klingelt's?"
Ja, es klingelte. Frau Meinhardt war eine sympathische
Mittfünfzigerin,drei Kinder und der Mann war Alkoholiker. Da Herbert
nun allerdings wusste,um wen es sich handelte, fiel es ihm schwerer, die
Frau in Gedanken als Hauptverdächtigezu bezeichnen und hoffte jetzt
darauf, dass sie sich als unschuldig herausstellenwürde.
Kurz darauf hielten sie vor einem Wohnblock am Rande
des Industrieviertels,klingelten und wurden von einer hektischen Frau Meinhardt
empfangen, so dassHerbert gleich den Eindruck hatte, sie habe sie erwartet.
Die Wohnung warnicht gerade nobel, aber aufgeräumt und sauber und eigentlich
machteRuth Meinhardt einen sehr seriösen Eindruck. Also wie eine Bilderdiebin
oder auch Kunstkennerin wirklte sie jedenfalls nicht. Im Gespräch fanden
die beiden Polizisten dann heraus, dass die Frau zuletzt vor vier Tagen bei
den Hesses zum Saubermachen gewesen war, etwas Ungewöhnliches hattesie
nicht bemerkt, und an den vergangenen zwei Tagen hatte sie gearbeitet oder
war hier zuhause bei ihrem Mann gewesen, er könne das bestätigen.
Trotzdem hatte Herbert ein komisches Gefühl im Magen, vielleicht, weil
Frau Meinhardt all ihre Fragen wie aus der Pistole geschossen beantwortete,
so als hätte sie sich die Antworten zurechtgelegt. Aber das war eben
nur so ein Gefühl.
Somit fuhren Stefan und Herbert erstmal wieder aufs
Revier, vielleicht fandendie Kollegen ja doch noch Spuren eines Einbruchs.
Allerdings glaubte Herbertnicht wirklich daran, er vermutete vielmehr, dass
Frau Meinhardt doch mehrwusste als sie zugab, nur was das sein sollte, konnte
er sich nicht denken.Dass sie selbst etwas mit dem Diebstahl zu tun hatte,
glaubte er einfachnicht,dass sie einem Fremden Einlass in die Häuser
der Hesses verschaffthatteeigentlich auch nicht, und mehr fiel ihm dann auch
schon nicht ein.Na, vielleichtfiel bis morgen ja doch noch einem der Nachbarn
etwas, undsonst musste erhalt doch noch mal mit Renates Sohn sprechen. Aber
fürheute hatte ererstmal Feierabend, und da interessierte er sich eher
fürdas Fußballspielals für Hesses verschollene Bilder.
Als er am nächsten Morgen in seinem
Büro auftauchte, lagenmehrere Nachrichten auf dem Tisch. Zum einen hatte
die Spurensicherung nichtsergeben und man musste also davon ausgehen, dass
sich der Dieb ohne GewaltZugang zu dem Haus verschafft hatte, zum anderen
sollte er unbedingt seinenKollegen Stefan Klein anrufen, was er auch sofort
tat.
"Morgen, Stefan, was gibt es so dringendes?"
Es gab zwei Dinge. Als erstes hatte sich
einer der Nachbarn Conrad und SilviaHesses daran erinnert, am Samstag einen
dunkelblauen Golf in der Garageneinfahrtder Hesses gesehen zu haben, und
dann hatte Stefan sich mit Frau Meinhardtnäher beschäftigt und
dabei herausgefunden, dass der Sohn der Frau,der eigentlich Fernfahrer war,
in Bremen mit einer Frau zusammenlebte, dereine kleine Galerie gehörte.
"Volltreffer!", rief Herbert laut aus,
"Also wenn das ein Zufall sein soll,dann glaub ich auch wieder an den Storch.
Aber wie hast du das 'rausgefunden?"
"Tja... ein guter Polizist gibt niemals
seine Quellen bekannt..."
Wie auch immer, der Fall entwickelte
sich langsam und jetzt galt es nur noch,die Beweise zu sammeln und den Mann
zu überführen.
Einige Stunden später seufzte Herbert
niedergeschlagen auf. So einfachwie er sich das vorgestellt hatte war das
alles leider doch nicht. FrankMeinhardthatte für beide Abende natürlich
ein Alibi und Zeugen,die behaupteten,er sei die ganze Woche über in
Bremen gewesen, derblaue Golf gehörteeinem Freund von Patrick Hesse,
der seinen Kumpeleinfach nur mal besuchenwollte, und in der Galerie hatte
man sofort eineDurchsuchung durchgeführt,aber leider ohne Erfolg. Dafür
wusstensie nun aber, dass die Frau, derdie Galerie gehörte, hoch verschuldetwar,
womit dann auch das Motivklarwar. Aber das alles nützte wenig,wenn man
dem Mann nichts beweisenkonnte.Und dabei hätte Herbert Silviawirklich
gern ihre Bilder zurück-und den Dieb hinter Gitter gebracht,nicht nur,
weil sie eine alte Schulfreundinwar, sondern auch, weil er einenberuflichen
Erfolg schon seit längeremvermisste. Die einzige, die jetztnoch helfen
könnte, wäre FrauMeinhardt,aber die musste und würdenichts
sagen, da es sich bei demTäterjaschließlich um ihrenSohn handelte.
Da er nicht wusste, was er sonst hätte
tun sollen, machte er sich nocheinmal auf den Weg zu Silvia Hesse, um sie
auf dem Laufenden zu halten, umvielleicht doch noch etwas Hilfreiches zu
erfahren oder warum auch immer.Als Silvia die Tür öffnete, sah
sie ihn erstaunt an.
"Herr Voß?", begrüßte
sie ihn mit einem fragenden Blick,"War das jetzt Gedankenübertragung?
Ich wollte sie gerade anrufen..."
"Wieso? Gibt es etwa etwas Neues?"
"Und ob, das kann man wohl sagen.", sie
machte eine bedeutungsschwangerePause,"Die Bilder sind nämlich wieder
da."
Mehr sagte sie nicht, bat ihn aber herein.
Und tatsächlich, da im Wohnzimmerhingen die gestolenen Bilder wieder
in ihren Rahmen. So als wäre nichtsgewesen. Herbert starrte mit offenem
Mund zuerst die Bilder und dann Silviaan und war fassungslos. Sagen konnte
er erstmal gar nichts.
"Renates Bilder sind auch wieder da,
also alles wieder in bester Ordnung.Und die Anzeige gegen Unbekannt können
wir dann ja auch zurückziehenoder?"
Herbert Voß konnte immer noch nichts
sagen. Er verstand das alles nicht,wusste nur, dass irgendetwas passiert
sein musste, aber was, das erzählteSilvia ihn natürlich nicht.
Aber so schnell gab er nicht auf.
"Nun sag schon, Silvia, was ist passiert?
Sieh mich jetzt nicht als Beamten,sondern als alten Freund, ja?"
Nach nochmaligem Bitten und seinem Versprechen,
die Sache für sich zubehalten, erzählte Silvia endlich.
Am Morgen war nämlich Frau Meinhardt
zu ihr gekommen, war ganz aufgelöstgewesen und hatte ihr erzählt,
dass die Polizei gestern bei ihr gewesenwar. Und wie Herbert schon richtig
vermutet hatte, wusste sie mehr als sieihm gegenüber zugegeben hatte.
Sie hatte Silvia von ihrem Sohn, dessenLebensgefährtin und der schuldenbeladenen
Galerie erzählt. Unddannhatte sie noch zugegeben, dass ihr Sohn Frank
natürlich wusste,dassseineMutter bei Hesses zum Putzen ging, dass er
von den wertvollenBilderngehörthatte und dass er auch wusste, wo sie
die Schlüsselzu denbeiden Häusernaufbewahrte. So weit war das ja
alles noch nichttragisch,aber in der Nachtvon Samstag auf Sonntag hatte Ruth
MeinhardtplötzlichGeräuscheaus der Küche und kurz darauf ihren
Sohndas Haus verlassengehört.Als sie ihn am nächsten Morgen gefragthatte,
wo er gewesensei, habeihr keine Auskunft gegeben und sie nur angeschnautzt,sie
sollesich um ihreneigenen Scheiß kümmern, aber als sie dannvon
demDiebstahl derBilder erfahren hatte, habe sie eins und eins zusammengezähltund
einschlechtes Gewissen bekommen. Und gestern als Frank kurz nicht dawar,
wäresie in den Keller gegangen, wo sie nach einigem Suchen auchdie geklauten
Kunstwerke entdeckt habe. Na ja, die hat sie dann dem Diebeinfachwieder gestolen,
da sie nicht wollte, dass Frank Ärger mit derPolizeibekommt und da sie
nicht zulassen wollte, dass er Silvia und RenateHessebeklaute.
"... und heute morgen hat sie mich angerufen,
ob sie vorbeikommen dürfeund hat uns dann die Bilder zurückgegeben
und darum gebeten, die Anzeigezurückzuziehen und geradezu um Entschuldigung
gefleht", schloss Silviaihren Bericht ab.
Herbert schüttelte nur den Kopf
und konnte immer noch nicht viel dazusagen. Aber da ja die Bilder wieder
an ihrem Platz und die Hesses offensichtlicheinverstanden waren, konnte er
den Fall wohl als abgeschlossen betrachten.
Nach etwa einer halben Stunde saß
Herbert Voß wieder an seinemSchreibtisch, konnte sich irgendwie nicht
so richtig über den Ausgangder Sache freuen und machte sich mürrisch
wieder an die BearbeitungvonRuhestörungen, Fahrraddiebstählen und
anderem Kleinkram. Amallermeistenaber störte ihn, dass Silvia Hesse
ihn die ganze Zeit wieeine fremdeAmtsperson behandelt und ihn sogar gesiezt
hatte, und das, obwohles gerademal dreißig Jahre her war, dass er sie,
er konnte sich nochganz genaudaran erinnern, auf dem Schulhof hinter der
alten Eiche in denArmen gehaltenund geküsst hatte.
Christian Dolle, 02/200