Nur im Traum
"Tschuldigung, habt ihr dieses
Shirt auch in gründa?"
"Warte, ich guck mal... ja hier bitte."
"Danke... aber das is nur s, ich brauch es in xs. Gibts das?"
"Nee in xs gibts das leider nur noch in rot. Sorry."
"Och nö, da hab ich schon mal was gefunden und dann gibts das nicht.
Kann man da nix machen?"
"Nee höchstens zu heiß waschen, vielleicht läufts dann ein."
"Und das habt ihr auch nicht noch mal im Lager oder so?"
"Nee tut mir leid, nur noch das was hier ist."
"Und wenn du vielleicht doch noch mal nachguckst...?"
"Davon taucht es auch nicht im Lager auf. Aber wie findest du denn das hier?"
"Nein ich will dieses in xs und nichts anderes."
Dann näh dir dein scheiß Shirt selber, hätte
Janina dem Mädchenjetzt am liebsten geantwortet, aber der Kunde
war schließlich König.Also blieb sie ruhig und versuchte der offensichtlich
begriffsstutzigen pubertierendenGöre zu erklären, dass sie leide
nicht zaubern konnte. Und schongar nicht heute. Sie hatte gestern mit den
Magick Heads einen Auftritt gehabt,obwohl sie sich eigentlich fest vorgenommen
hatten, nie wieder sonntags aufzutreten,dann hatte sie auch noch schlecht
geschlafen und dummes Zeug geträumtund jetzt hoffte sie nur noch, dass
sie nicht so aussah wie sie sich fühlteund den Tag so schnell wie möglich
hinter sich bringen konnte.
Zum Glück gab das Mädel irgendwann auf, verzichtete auf ihr Shirt
und sah sich nach etwas anderem um. Aber der Feierabend war noch einige Stunden
entfernt, der
Laden voll und der Kaffee alle. Typisch Montag eben. Vielleichtsollte
sie Klaus fragen, ob sie nicht eher Schluss machen
konnte, aber eigentlichhasste sie sowas und sie war es ja auch, die sich
immer am meisten darüberaufregte, wenn andere eher gingen. Mühsam
unterdrückte sie einGähnen,zwang sich, ein Gesicht zu machen, das
nicht auf ihre Launeschließenließ und machte sich dann daran,
die Schaufensterpuppenneu einzukleiden.
"Du Janina-Mausi", rief Klaus zu ihr herüber, "wir hatten doch letzte
Woche noch nen ganzen Stapel Southpole-Hosen, wo hast du die denn hingetan?"
"Wie wo hab ich die hingetan? Immer wenn hier was wegkommt bin ich Schuld
oder was?"
"Sind wir heute vielleicht ein bisschen gereizt weil wir gestern zu viele
Zugaben spielen mussten?"
"Nein, Klausi-Mausi, mir gehts prima! Ich weiß nur nicht wo deine blöden
Hosen sind, weil ich die nämlich nicht gehabt habe!", gab sie gereizt
zurück, doch sobald sie es gesagt hatte, tat ihr ihr giftiger Ton auch
schon leid.
Doch Klaus nahm ihr das nicht krumm, sondern kam stattdessen zu ihr, legte
ihr den Arm um die Schultern und fragte geradezu mütterlich besorgt:
"Also besonders tolle Laune scheinst du aber nicht zu haben, Süße,
willste heut früher Schluss machen?"
Janina schüttelte den Kopf.
"Ach nee lass mal, es war nur halt spät gestern und ich hab beschissen
geschlafen und was blödes geträumt."
"Na gut wie du meinst, aber dann lass ich dich jetzt besser in Ruhe und halte
mich in der gegenüberliegenden Ecke des Raumes auf, damit ich es nicht
bin, der deine geballte schlechte Laune abbekommt."
Mit einem Lächeln verdrückte er sich an die Kasse, und sie hörte
noch, wie er auch Martin warnte, er solle ihr heute bloß nicht zu nahe
kommen. Fast hätte sie sich auch darüber wieder aufgeregt, aber
Klaus meinte es ja nicht böse, er meinte nie 'was böse, er warhalt
nur ein echter Freund, der sie verstand, in Schutz nahm und ihr auchihreLaunen
nicht übel nahm.
Also ging sie weider zum Schaufenster und verpasste den Puppen dort ein neues
Outfit. Draußen stand Flo, eigentlich,
um dort aufzupassen, dass dortnichts geklaut wurde, denn sie hatten festgestellt,
dass draußen ammeisten geklaut wurde, aber er wurde natürlich
wie immer von seinenFans,pubertären Mädels, für die Flo sowas
wie ein Star war,umringtund flirtete, statt zu arbeiten. Wenn Janina nicht
so schlaff gewesenwäre,hätte sie sich diesen arroganten, eingebildeten
Schönlingerstmalzur Brust genommen und zur Schnecke gemacht, aber das
brachte erfahrungsgemäßja eh nichts, denn Flo wurde nun mal umschwärmt,
genoss es und sah inihr inzwischen eh nur noch die Zicke, die es nicht ertragen
konnte, dasssoviele kleine Mädchen eigentlich nur wegen ihm hier vorbeikamen.
Eigentlichhatte sie Flo vom ersten Tag an nicht gemocht, weil ihr nämlich
schondamals aufgefallen war, wie selbstverliebt und scheinbar perfekt der
Jungewar, und solche Typen mochte sie nun mal nicht. Flo war nett, sah gut
aus,wurde von Mädchen umschwärmt, hatte keine Probleme in der Schule,
war der Star im Basketballteam, rauchte nicht, kiffte nicht, nahm keine sonstigen
Drogen, war bei all und jedem beliebt und und und. Menschen, die so perfekt,
so ohne Fehler, so glatt zu sein schienen, waren Janina schon immer suspekt
gewesen, mit solchen Leuten war sie noch nie klargekommen. Sie wusste auch
nicht, woran das lag, aber mit Typen wie Klaus, die ein wenig zu sensibel,
ein wenig schwer einzuschätzen, ein wenig unbeholfen, Menschen mit Ecken
und Kanten eben, kam sie einfach besser zurecht. Wahrscheinlich konnte Flo
gar nichts dafür und sie maulte ihn die meiste Zeit grundlos an, aber
sie mochte ihn halt nicht und damit basta. Für sie war er halt ein oberflächlicher,
eingebildeter kleiner Idiot und das war alles. Zumindest war das bis heute
immer so gewesen.
Jetzt musste sie wieder an ihren Traum von heute Nacht denken, und ein merkwürdig
unangenehmes Gefühl beschlich sie. Sie hatte doch tatsächlich von
Flo geträumt. In ihrem Traum waren sie zusammen mit Klaus im
Kellergewesen,ob einfach nur um etwas zu trinken oder bei einer Kellerparty
oderwarum auchimmer, das wusste sie nicht mehr, sie hatten an dem Tisch nebender
Thekegesessen,Klaus hatte irgendwie die ganze Zeit gegessen, Flo warnatürlichumringt
von lauter Mädels, die ihn alle anhimmelten undsie selbst warmüde
gewesen, konnte oder wollte aber nicht schlafen.Auf jeden Fallwar Flos
Harem irgendwann verschwunden, Klaus auch plötzlichnichtmehr daund
auch sonst außer Flo und ihr niemand mehr da, nurbranntenüberall
Kerzen und von irgendwoher kamen lauter Schmusesongs.Sie hattesich langemit
Flo unterhalten, hatte ihm irgendwie ihre gesamteLebensgeschichteerzählt,
er hatte ihr zugehört und sie hatte dasganze unheimlichgenossen. Allein
das war ja schon absurd genug, aber daswas dann noch kam,war echt verrückt,
ging ihr schon den ganzen Tagnicht mehr aus dem Kopf,und dadurch, dass sie
eh so erschöpft war,warf der Traum sie irgendwievöllig aus derBahn.
Während sie alsoFlo zugetextet hatte, warensie sich immer näher
gekommen, und dannhatte sie ihn plötzlichaus einem Impuls heraus geküsst.
Sie hatteihm einfach so ihre Lippenauf den Mund gepresset, nur kurz, aber
eben dochsehr bewusst. danach hattesie für einen Moment geglaubt, er
würdesauer werden, aber Flo hattesie nur durchdringend angesehen, sie
dann wiederzu sich herangezogen undihr diesmal einen langen, zärtlichen
Kuss gegeben,der ihr schier endlosvorgekommen war. Sie hatte seine Lippen,
seine Zungeund seine Nähe sointensiv gespürt als wäre es real,
und siewollte ihn auch gar nichtwieder loslassen. Danach hatte sie ihm tief
inseine eisblauen Augen gesehen,war beinahe darin versunken, doch kurz vormUntergehen
hatte sie ihn nochgefragt, ob er mit zu ihr kommen wolle. Siewusste nicht
mehr, wie sie danndorthin gekommen waren, sie waren halt nurirgendwann bei
ihr, küsstensich immer wilder und leidenschaftlicher,fingen irgendwann
an, sich die Klamottenvom Leib zu reißen und siewusste nur noch, dass
unter Flos weiten Skaterklamottenein verdammt knackigerKörper zum Vorschein
gekommen war. Irgendwannwaren sie dann fast nackt,neben ihrem Schlafzimmer
war plötlich einRaum mit einem Swimmigpoolund lauter Palmen gewesen,
und kurz darauf warensie im Wasser gewesen, habenrumgeturtelt wie die Blöden
und es war klar,worauf das alles hinauslief.Jetzt im Nachhinein war Janina
froh, dass sieden Höhepunkt des Traumesnicht mehr mitbekommen hatte,
da ihr Weckerdieser Kitschromanze zum Glückein schnelles Ende bereitet
hatte, aberdie Intensität und die Verwirrtheitnach dem Aufwachen steckten
ihr nochjetzt in den Knochen.
Wieso träumte man eigentlich immer solchen Scheiß? Als ob siejemals...
puh, allein die Vorstellung an das, was passiert wäre, wennder Wecker
nicht geklingelt hätte ließ es ihr kalt den Rückenherunterlaufen.
Und selbst wenn, dann wäre sie bestimmt die letzte,die auf solchen Kitsch
stehen würde. Nur den Swimmingpool, den hättesie schon gerne, dachte
sie sich und wurde zum ersten Mal heute wieder etwasoptimistischer. Eigentlich
war das Thema träumen richtig interessant.Sie hätte zu gerne wissen
wollen, wie solche oder überhaupt Träumeeigentlich entstanden und
was sie zu bedeuten hatten. Ihre Freundin Paulasagte immer jeder Traum hat
eine nicht zu unterschätzende Aussage, undmeist seien es unterdrückte
Ängste oder Wünsche. Na ja soganz konnte das nicht stimmen, denn
sie hatte ganz bestimmt nicht den Wunsch,mit Mr. Superstar zu poppen. Erstens
mochte sie ihn nicht, zweitens standsie nicht auf blond und drittens warer
achtzehn und sie achtundzwanzig.Was sollte sie wohl mit einem solchenMilchbubi?
Trotzdem brachte das ganzesie durcheinander und sie musste jetztdauernd zu
Flo rübersehen, dernatürlich wie immer am Flirten war,sein Herzensbrecherlächelnaufgesetzt
hatte und es sichtlich genoss,so umschwärmt zu sein. Nichtmal als sie
so fünfzehn oder sechzehnwar, hatte Janina auf solche DonJuansgestanden.
Na ja, bis auf Karsten vielleicht,den ersten Bassisten der Heads,aber das
hatte sich nach zwei Wochen dannauch erledigt, als sie nämlicherkannt
hatte, was der für ein Schürzenjägerwar.
"Was ist? Hast du gerade deine Liebe zu Flo entdeckt?"
Klaus Stimme und sein plötliches Auftauchen hinter ihr, ließ
Janina erschrocken zusammenzucken.
"Boah, musst du dich so anschleichen?", stieß sie aus und würgte
ihn scherzhaft, "Nein, hab ich bestimmt nicht..."
Auch wenn er ziemlich nah dran war mit seiner Vermutung, würde sie ihm
bestimmt nicht verraten, was ihr gerade durch den Kopf gegangen war.
"Könntest du trotzdem mit Flo eben die Jacken draußen vom
Ständer reinholen und dafür die neuen T-Shirts oben aus dem Lager
rausbringen?"
"Ja klar mach ich"
Sie ging also nach draußen und freute sich, weil sie Flo so doch noch
zum Arbeiten bringen konnte und ihm die Tour bei den Mädels vermasseln
konnte.
Als seine Fans sich davongemacht hatten, machte Flo sich wortlos an
die Arbeit und schenkte ihr keinen überflüssigen Blick. Zumindest
hatte Janina den Eindruck, dass ihre Antipathie auf Gegenseitigkeit beruhte
und das war auch gut so. Noch lieber wäre es ihr gewesen, wenn sie ihn
auch noch hätte anmaulen können, weil er sich vor der Arbeit drückte,
aber dazu gab er ihr leider keinen Grund. Stattdessen hängte er sich
die meisten Jacken über den Arm und schleppte sie die Treppe hoch, sie
mit den restlichen hinter ihm her. Also einen knackigen Hintern hatter er
wirklich, dachte sie, verwarf den Gedanken aber sofort wieder und schämte
sich dafür.
"Diese T-Shirts hier oder welche?", fragte er.
"Ja natürlich diese hier oder siehst du hier noch welche?"
"Oh entschuldige, aber da ich weiß wie oft Klaus was anderes sagt als
er meint..."
Dann verdrehte er die die Augen und Janina war fast soweit, dass ihr ihrunfreundlicher
Ton leidtat. Recht hatte er ja, denn Klaus drückte sich oft echt nicht
besonders klar aus. Also ging sie noch mal nachfragen und tatsächlich
hatte er etwas anderes gemeint als er gesagt hatte. Aber musste sie sichnun
bei Flo dafür entschuldigen, nein ganz bestimmt nicht. Schweigendtrugen
sie also nun die richtigen Sachen nach unten und hängten siedort auf
die Kleiderständer.
"So, war das alles?", fragte Janina als Flo die letzten Sachen nach unten
geholt hatte.
"Ja, oben ist nichts mehr, du bist erlöst und brauchst dich nicht mehr
mit mir abgeben."
Darauf wusste sie nun auch nichts zu erwidern. Dass Flo so genau wusste,was
sie von ihm hielt, hätte sie nicht gedacht. Nur gut, dass er nichtnoch
wusste, was sie im Unterbewusstsein scheinbar über ihn dachte.Aber konnte
es denn wirklich sein, dass der Traum ein unterdrückterWunsch war? Aber
das würde doch bedeuten, ihre negativen Gefühlefür Flo waren
nur vorgeschoben und in Wahrheit sah sie ihn ganz anders.Na gut, eigentlich
konnte er wirklich ganz nett sein, war oft sogar ziemlichwitzig und sie musste
auch zugeben, nicht nur sein Po war ziemlich knackig,sondern auch diese eisblauen
Augen hatten etwas wirklich fesselndes. Abernein, das konnte nicht sein,
Flo war eingebildet, selbstverliebt, ein Milchbubiund einfach ein oberflächlicher
Teenie, während sie nun wirklichaus dem Alter raus sein sollte, in dem
sich kleine Mädchen in solcheBlender vergucken. Sie war nur immer noch
durcheinander weil es gestern spätgeworden war und sie schlecht geschlafen
hatte, und das war alles. Morgenwürde ihr der Traum einfach nur noch
lächerlich vorkommen und siewürde auch sonst niemals so etwas wie
eine freundschaftliche Beziehungzu Flo anfangen. Fertig und aus.
Christian Dolle, 03/2001