Straßburg soll jetzt helfen

Über den Stand der Entschädigung griechischer NS-Opfer

Eingeladen hatte die „Initiative Kritische Geschichtspolitik“ zu einer Diskussion in der Humboldt-Universität. Tatsächlich wurde daraus eine Informationsveranstaltung zum Stand der Entschädigung der Opfer deutscher Massaker in Griechenland. Ioannis Stamoulis, der Anwalt der Opfer und Hinterbliebenen von Distomo, Argyris Sfountouris, ein Überlebender aus Distomo, der Wiener Politikwissenschaftler Walter Manoschek sowie der Hamburger Jurist Martin Klingner stimmten überein, daß die Massaker von Wehrmacht und SS nicht ab Teil „normaler Kriegsführung“ gewertet werden können.

Unter der deutschen Besatzung sind zwischen 1941 und 1945 etwa 125 000 Zivilisten umgebracht worden, darunter 50 000 Juden. Vielfach wurden ganze Dörfer unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung ausgelöscht. In Distomo ermordete eine SS-Einheit 218 Einwohner jeden Alters und Geschlechts. Im Mai 2000 entschied der Areopag, das höchste griechische Gericht, daß die Bundesrepublik den Opfern des Massakers von Distomo und deren Hinterbliebenen eine Entschädigung von ungerechnet etwa 28 Millionen Euro zu zahlen habe. Damit hat der Areopag den Grundsatz der Staatenimmunität, nach dem kein Staat über einen anderen zu Gericht sitzen darf, verletzt. Dieser komme nicht zum Tragen, wenn es sich um Verbrechen gegen die Menschheit handele, so die Begründung. Die deutsche Öffentlichkeit nahm das Urteil erst wahr, als Stamoulis das Athener Goethe-Institut im Juli 2000 pfänden ließ, nachdem die Bundesregierung eine Zahlung verweigert hatte.

„Man kann den Wert der Entschädigung erst einmal beiseite lassen“, betonte Argyris Sfountouris, „es ist vor allem wichtig, daß sich die Regierung für Kriegsverbrechen entschädigungspflichtig erklärt.“ Auch loannis Stamoulis hält die Höhe der Zahlungen für zweitrangig. „Man könnte eine politische Lösung finden, in der die zu zahlende Summe durch Verhandlungen zwischen den Regierungen neu beziffert wird.“

Die Bundesregierung lehnt eine Entschädigung aus mehreren Gründen ab. Einerseits beruft sie sich auf die Staatenimmunität. Die angetasteten Kriegsverbrechen werden als zulässige, völkerrechtsmäßige Mittel gedeutet. Andererseits hätte Griechenland seine Forderungen bereits 1990 beim Zwei-plus-vier-Vertrag zwischen Deutschland und den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs geltend machen müssen. Zudem beruft man sich auf eine Zahlung von 115 Millionen Mark, die Deutschland 1960 geleistet hat. Dem hält Stamoulis entgegen, daß diese Zahlung lediglich eine Wiedergutmachung für nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen aufgrund von Rasse, Religion oder Weltanschauung gewesen sei. Auf den 1995 schriftlich angemeldeten Gesprächswunsch Griechenlands habe die deutsche Regierung nicht reagiert. Stamoulis verwies zudem auf geschätzte Kriegsschäden von rund 150 Millionen Euro, die zu drei Viertel zerstörte griechische Infrastruktur und eine deutsche Anleihe aus dem griechischen Staatsschatz über damals umgerechnet 136 Millionen Dollar, die trotz schriftlicher Zusicherung niemals zurückgezahlt worden sei. Am 15. Mai wird sich der Areopag erneut mit der Rechtmäßigkeit der Pfändung des Goethe-Instituts befassen. Außerdem hat Stamoulis Klage beim Europäischen Gerichtshof in Straßburg eingereicht. gräff

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. Mai 2002, Berliner Seiten

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