Das Problem der Epocheneinteilung
Über den Status von Epochenbegriffen herrscht seit langer Zeit Uneinigkeit. Den ontologischen Status derartiger Begriffe betreffend sind zwei Ansätze zu unterscheiden:
Der durch die idealistische Geschichtsphilosophie beeinflußte Begriffsrealismus sieht, Hegel folgend, die Epoche als Entwicklungsstufe des, sich in der Geschichte manifestierenden, absoluten Geistes. Die Geschichte vollzieht sich demnach tatsächlich in Form von Epochenabfolgen.
Demgegenüber sieht der nominalsitische Ansatz die Epocheneinteilung als eine konstruktive Maßnahme zur Gliederung und zum Verständnis historischer Abläufe. Die Epochenbegriffe haben hier ausschließlich hypothetischen und regulativen Charakter.
Auch die Systemtheorie sieht die Epoche nicht mehr als Vollzugsform des historischen Prozesses,
gleichwohl wird die Formentwichlung innerhalb dieses Prozesses nicht als kontinuierlich angesehen, es werden "Klumpenbildungen" ( Luhmann) festgestellt, die die Epochen für den Beobachter sichtbar werden lassen.
Im engeren Bereich der literaturhistorischen Epocheneinteilung wurden , die Gesichtspunkte der historiographischen Praxis betreffend, in der Vergangenheit verschiedene Ansätze diskutiert. Dem Ansatz zu einer autonomen, stil-, struktur- oder diskursgeschichtliche Aspekte in den Vordergrund stellenden Periodisierung stand eine, die Daten der Sozialgeschichte beziehungsweise der politischen
Geschichte nutzende, Epocheneinteilung gegenüber. Auch ein rein annalistisches, ausschließlich nach Jahreszahlen vorgehendes Verfahren war zunächst gebräuchlich.
Generell wird der Historiker nach – selbstverständlich veränderbaren und für jeden Beobachter unterschiedlichen- Relevanzkriterien bestimmte Ereignisse auswählen und diese, Zusammenhangs-
Annahmen folgend, ordnen und interpretieren. Das Problem der Objektivierbarkeit tritt auf. Zwar scheint beispielsweise die Unterscheidung Barock/Renaissance auf objektiv feststellbaren historischen Ereignissen und in der Analyse zu erkennenden Unterschiede in Technik, Methode und Stil zu beruhen, jedoch herrscht auch über diese Kriterien nur ein ungefährer Konsens. Die Epocheneinteilung kann keine Artunterschiede festlegen, sie kann lediglich bestimmte (hier literarische) Innovationen markieren und Dominanzen in Technik, Methode, Stil, Botschaft usw. bestimmen.
Die Unzulänglichkeit der Kennzeichnung eines einzigen Ausschnittes aus der Gesamtheit der Literaturproduktion wird zum Beispiel dadurch deutlich, daß als romantisch bestimmte Werke der Literatur nicht zu Beginn der mit dem Begriff Romantik bezeichneten Epoche die Literaturproduktion bestimmten, sondern dies erst später und noch in die mit dem Begriff Realismus bezeichnete Epoche hinein der Fall war. Die Epocheneinteilung kann also lediglich versuchen, anzugeben, von welchem Datum an eine bestimmte Strömung dominant zu werden beginnt oder eine andere Strömung beendet ist. Interessant sind hier Selbstbeschreibungen bestimmter Epochen, in denen die Begriffe, die später durch die Geschichtsschreibung verwendet werden, bereits vorweggenommen sind, wie beispielsweise im Expressionismus oder Futurismus.
Gebräuchlich war die Einteilung der Geschichte in Epochen bereits in der Antike, die Regierungszeit eines Monarchen beziehungsweise Aufstieg oder Fall innerhalb des Geschichtsverlaufes (Goldenes Zeitalter, Silbernes Zeitalter) dienten hier als Kriterien.
In der Neuzeit wurde das monarchische Prinzip der Epocheneinteilung auf die literarische Periodisierung in Gestalt der Biographik übertragen. Statt der Regierungszeit eines bedeutenden Monarchen diente nun die Wirkungsperiode eines bedeutenden Dichters als Kriterium. Dies führte zu noch heute gebräuchlichen Begriffen wie Goethezeit. Bis in die zweite Hälfte des 18.Jahrhunderts diente die Epocheneinteilung lediglich dazu, verschiedene Dichter und Werke unter einem Begriff zu subsumieren. Mit dem Beginn des idealistischen Geschichtsverständnisses wurde jede Epoche Teil eines übergeordneten historischen Gesamtgefüges, eine abstrakte Einteilung ausschließlich nach Daten war nicht mehr möglich. Nach dem Abklingen der idealistischen Geschichtsphilosphie stellte sich die Frage nach einem neuen System der Einteilung. Die Kontinuitätsvorstellung als Kernelement der vorangegangenen Einteilungsform war nicht mehr präsent, Ranke schrieb 1854 jeder Epoche einen "Wert an sich" zu. Der Grundstein für eine empirische, die Eigenschaften der einzelnen Zeiträume registrierenden Methode schien gelegt. Reaktion hierauf war ein, auf dem Prinzip der künstlerischen
Schöpfung in der Dichtung aufbauendes Einteilungssystem. Die ästhetische, im Werk einer bestimmten Periode offenbar werdende Idee sollte wieder in den Vordergrund treten. Die Anknüpfung an die Geschichtsauffasssung des Idealismus war jedoch nicht mehr möglich. Eine Einheit der Epocheneinteilung war angesichts Differenzen innerhalb des 19. Jahrhunderts nicht möglich, erst in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts entsteht das uns heute bekannte Schema der Epocheneinteilungen.
Doch bleiben die Einteilungen stets nur Deutung des historischen Prozessses, sie basieren auf einer Theorie. Somit bleiben sie umstritten. Doch auch wenn sie nicht allgemein akzeptiert sind, so dienen sie als Hilfsmittel innerhalb des literarturwissenschaftlichen Diskurses, der durch ihre Verwendung einen strukturellen Rahmen erhält.