Georg Trakl
Trakls Gedichte folgen keinem Gedanken- oder Handlungsgang, keiner Gefühlsentwicklung eines einheitlichen Ich. Sie bestehen vielmehr aus aneinandergereihten Assoziationen, die immer wieder den Bereich der Schuld, der Schwermut, des Untergangs und der Sehnsucht nach Erlösung verweisen.
In einem langwierigen Arbeitsprozeß streicht Trakl alles Persönliche und Eindeutige und reduziert die Aussagen auf wenige Vorstellungen, Gestalten, Landschaften; im Grunde arbeitet er mit einer Zahl von Schlüsselwörtern. Diese Grundelemente, einfache Aussagen oder auch nur Benennungen, werden immer wieder neu kombiniert, bis die aneinandergereihten Elemente schließlich abstrakte Entsprechungen und Gegensätze bilden, die außerdem durch musikalischen Rhythmus miteinander verbunden sind.
Der Leser gewinnt dadurch den Eindruck einer chaotischen und grauenvollen Welt.
(aus:Geschichte der Lyrik-Von den Anfängen bis zur Gegenwart)
Georg Trakl wird am 3. Februar 1887 als fünftes von sechs Kindern, in Salzburg geboren. Seine Eltern, Tobias und Maria Trakl, führen dort einen Eisenwarenhandel. Sein Vater ist bedächtig, lebensfroh, ausgeglichen jedoch jeglichem Genus nicht abgeneigt, seine Mutter wird als kühle, reservierte Frau beschrieben. Man geht davon aus, das Trakl der für die expressionistische Zeit typische Vater-Sohn-Konflikt fehlt. Das Verhältnis zwischen den beiden ist liebevoll, jedoch von Autorität geprägt. Die Beziehung zur Mutter ist nicht eindeutig. Sie zieht sich oft tagelang von ihrer Familie zurück, um sich ihrer großen Leidenschaft, dem Sammeln von barocken Möbeln, Gläsern und Porzellan, zu widmen.
Als fünfjähriger läuft Trakl in einem Traumzustand in einen Teich und ertrinkt beinahe. Auch als Jugendlicher wird er als Außenseiter und Träumer betrachtet. Sein älterer Bruder Fritz Trakl schreibt über ihn:
"Er war immer gern allein gewesen; schon als Kind bestand er darauf, sein eigenes Arbeitszimmer zu haben; dort schrieb er seine ersten Verse, mit fünfzehn Jahren. Er war manchmal scheu und still, er las auch sehr viel... ."
Ebenfalls mit fünfzehn fängt Trakl an, Rauschgiften zu verfallen. Es wird berichtet, dass er sich mit einer mitgeführten Chloroformflasche selbst narkotisiert, und eifrig mit Opium getränkte Zigaretten geraucht haben soll.
Im traditionellen Schulwesen scheitert Trakl. Die "Übungsschule" und die frühen Gymnasialjahre zeigen noch Noten zwischen befriedigend und hinreichend. Der Bruch zeigt sich 1901, als der Schüler Trakl die vierte Klasse wiederholen muß. Latein, Griechisch und Mathematik waren ihm zum Verhängnis geworden. Daß die Leistungen in Deutsch hervorragend sind kann ihn nicht retten; Im Sommer 1905 nach der siebten Klasse muß er die Schule aufgeben. Der Achtzehnjährige entscheidet sich für einen Beruf, der ihn den faszinierenden Giften näherbringt. Am 18.September wird er Praktikant in Carl Hinterhubers alter Apotheke "Zum weißen Engel" in der Linzer Gasse. Diese Ausbildung eröffnet die Möglichkeit eines (kurzen) Universitätsstudiums ohne Reifeprüfung. Zudem entspricht dieser Berufsstand den Erwartungen seiner Familie und beinhaltet das Privileg eines einjährigen Wehrdienstes.
Gleichzeitig tritt Trakl dem esoterischen Dichterzirkel "Apollo" bei, der sich einmal monatlich versammelt. Trakls Jugendfreund Franz Bruckbauer schreibt über ihn:
"Unter den sieben Teilnehmern war Trakl der fruchtbarste und sonderlichste. Zu der Zeit schrieb er hauptsächlich Prosa; Sehr gewählte allerdings. Aus den Erzählungen, eigentlich waren es Kurzgeschichten, sprach schon ein eigener Stil."
Ein weiterer Schulfreund Trakls Adolf Schmidt erinnert sich an die Zeit:
"Trakl schrieb und dichtete zu dieser Zeit impressionistisch."
Trakls Bühnenerstling "Totentag", dramatisches Stimmungsbild in einem Akt, wird am 31.März 1906 im Salzburger Stadttheater vorgestellt. Den Zugang zur Bühne verdankt der junge Autor wahrscheinlich der Fürsprache des Schriftstellers Gustav Streicher (1873-1915), mit dem er seit 1905 befreundet ist. Aus einer betont unfreundlichen Kritik der "Salzburger Chronik" vom 2.April 1906 geht hervor, daß im Gegensatz zu den Theaterbesuchern im Parkett, in den Logen und fast auf der ganzen Galerie einige junge Zuschauer Beifall spendeten- sehr zur Entrüstung des Rezensenten. Das "Salzburger Volksblatt" vom 2.April stellt zwar Mängel und fremde Einflüsse fest, von denen sich der talentierte Autor frei machen müsse, sieht aber den Vorzug in der Sprache.
Das Jahr1908 brachte das Ende der Lehrjahre. Am 26.Februar stellt das Apothekergremium des Herzogtums Salzburg ein Interimszeugnis über die bestandene Prüfung aus, am 20.September folgt das abschließende Zeugnis. Im Herbst beginnt Trakl sein Studium in Wien.
In vielen Gedichten ist die Schwester des Helden stets die, die am Ende die Erlösung bringt, wie z.B. in "Offenbarung und Untergang". Auch im realen Leben spielt Trakls Schwester eine bedeutende Rolle. Die viereinhalb Jahre jüngere Margarethe ist für ihn innerhalb eines nicht genau bestimmbaren Zeitraum die Frau im vollen Sinne des Wortes. Die Dichtung ist seit den Texten "Blutschuld" und "Ballade" eindeutig; Ohne die inzestuöse Beziehung würde diesen Werken Trakls ein entscheidendes Motiv fehlen. Ludwig von Ficker erfährt den Tatbestand dieser Beziehung, was den Bruch eines biologisch, nicht nur gesellschaftlich begründeten Tabus bedeutet.
Der Briefwechsel zwischen Trakl und seiner Schwester ist verschollen.
Gretl, so nennt man die jüngste, ist ihrem Bruder äußerlich sehr ähnlich. sie wirkt energisch, männlich. Die beiden Geschwister verbinden außerdem künstlerische Gaben und extreme Verhaltensweisen. Gretl ist hochmusikalisch und läßt sich in Berlin zur Pianistin ausbilden. Die beiden teilen allerdings auch negative Eigenschaften, wie z.B. die Rauschgiftsucht.
Den Vorprüfungen 1909 folgen zwischen dem 28.Juni und dem 21.Juli 1910 die Hauptprüfungen, dazu das Diplom des Magisters der pharmazeutischen Kunst.
Am 18.Juni stirbt Tobias Trakl im Alter von 73 Jahren. Das Geschäft übernimmt der ältere Halbbruder Wilhelm Trakl. Der Tod des Vaters hat für Georg Trakl auch ökonomische Folgen, nicht selten muß er Freunde um finanzielle Hilfe bitten.
Die Wiener Jahre bringen die entscheidende dichterische Bewußtwerdung und Reifung. Wie jeder junge Künstler huldigt Trakl den Zeitgeist. Die "Decadence" wird modellhaft deutlich: Rausch und Ekel, Langeweile, Krankheit, Schönheitskult. Der Dichter kann die Daseinslast nicht im dionysischen Gesang überwinden, zu groß sind Einsamkeit und Schwermut.
Am 1.Oktober 1910 tritt Trakl seinen Einjährig-Freiwilligen -Dienst an. Als Pharmaziestudent wird er selbstverständlich einer Sanitätsabteilung zugeteilt. Am 30. September 1911 endet seine Militärzeit und er kehrt nach Hause zurück. Dort bewirbt er sich mehrmals bei verschiedenen Ministerien. Eine Praktikantenstelle in der Sanitäts-Fachrechnungsabteilung für öffentliche Arbeiten wird ihm zwar nach einiger Bearbeitungszeit zugesichert, allerdings liegt ein Jahr Wartezeit dazwischen. Deshalb arbeitet er, nicht zuletzt aus finanziellen Gründen, ab Mitte Oktober in der Apotheke "Zum weißen Engel", seinem alten Arbeitsplatz. Das Warten erträgt er nur schwer, wieder einmal müssen ihm Drogen aller Art die Situation erträglicher gestalten. Zu allem Überfluß kommen private Probleme dazu: Gretl hatte 1910/1911 an der Hochschule für Musik in Berlin-Charlottenburg studiert und sich in den Neffen ihrer Pensionsmutter verliebt. An Ostern 1911 verloben sich die beiden. Da er, Arthur Langen, 34 Jahre älter als Gretl ist und noch dazu mit einer anderen Frau verheiratet ist, und andererseits Gretl noch unmündig ist, tun sich ihre Vormünder, die Mutter und Georg Trakls Halbbruder Wilhelm schwer, der Ehe zuzustimmen. Wilhelm zerstreitet sich so sehr mit seiner Schwester, daß er die Vormundschaft an Georg abgibt. Die Mutter und Georg Trakl lehnen die Heirat zunächst ab, stimmen jedoch zwei Monate später zu, so daß am 17.Juli 1912 die Heirat stattfindet.
Am 1. April 1912 beginnt Trakl seinen Probedienst als Militär-Medikamentenbeamter in Innsbruck. Er wohnt im Haus von Ludwig von Ficker. Dieser Freund und Förderer ist Herausgeber der Halbmonatsschrift "Der Brenner". In dieser veröffentlicht Trakl die meisten seiner Werke.
Im März 1914 fährt Trakl nach Berlin zurück, um die nach einer Fehlgeburt erkrankte Schwester zu besuchen.
Vom 8.-11.September wird die Sanitätseinheit, der Trakl angehört, erstmals eingesetzt. Die "Schlacht bei Grodek" bietet ihm Eindrücke, die sich verhängnisvoll auswirken sollen. Im Angesicht der vielen Verletzten und anderen Grausamkeiten unternimmt er während des Rückzugs einen Selbstmordversuch. Er überlebt diesen und wird in die Psychiatrische Abteilung des Garnisionsspitals Nr.15 gebracht.
Am Abend des 2.Novembers bestellt Trakl bei seinem Burschen den Kaffee für den Morgen; am 3.November aber findet man ihn bewußt- und reaktionslos: Er hatte eine Überdosis Kokain genommen. Um 21 Uhr trat der Tod ein.
Margarethe Trakl findet sich nicht mehr die Kraft, ihr Leben sinnvoll weiterzuführen. Am 21.November 1917 stirbt sie in Berlin von eigener Hand.