WOLFGANG
BORCHERT
Die Woche
hat einen Dienstag.
Das Jahr
hat ein halbes Hundert.
Der Krieg
hat viele Dienstage.
An diesem
Dienstag übten sie in der Schule die großen Buchstaben. Die Lehrerin hatte eine
Brille mit dicken Gläsern. Die hatten keinen Rand. Sie waren so dick, daß die
Augen ganz leise aussahen.
Zweiundvierzig
Mädchen saßen vor der schwarzen Tafel und schrieben mit großen Buchstaben:
DER ALTE
FRITZ HATTE EINEN TRINKBECHER AUS BLECH. DIE DICKE BERTA SCHOSS BIS PARIS. IM
KRIEGE SIND ALLE VÄTER SOLDAT.
Ulla kam
mit der Zungenspitze bis an die Nase. Da stieß die Lehrerin sie an. Du hast
Krieg mit ch geschrieben, Ulla. Krieg wird mit g geschrieben. G wie Grube. Wie
oft habe ich das schon gesagt. Die Lehrerin nahm ein Buch und machte einen
Haken hinter Ullas Namen. Zu morgen schreibst du den Satz zehnmal ab, schön
sauber, verstehst du? Ja, sagte Ulla und dachte: Die mit ihrer Brille.
Auf dem
Schulhof fraßen die Nebelkrähen das weggeworfene Brot.
An diesem
Dienstag
wurde
Leutnant Ehlers zum Bataillonskommandeur befohlen. Sie müssen den roten Schal
abnehmen, Herr Ehlers.
Herr
Major?
Doch,
Ehlers. In der Zweiten ist so was nicht beliebt.
Ich komme
in die zweite Kompanie?
Ja, die
lieben so was nicht. Da kommen Sie nicht mit durch. Die Zweite ist an das
Korrekte gewöhnt. Mit dem roten Schal läßt die Kompanie sie glatt stehen.
Hauptmann Hesse trug sowas nicht.
Ist Hesse
verwundet?
Nee, er
hat sich krank gemeldet. Fühlte sich nicht gut, sagte er. Seit er Hauptmann
ist, ist er ein bißchen faul geworden, der Hesse. Versteh ich nicht. War sonst
immer so korrekt. Na ja, Ehlers, sehen sie zu, daß sie mit der Kompanie fertig
werden. Hesse hat die Leute gut erzogen. Und den Schal nehmen Sie ab, klar?
Türlich,
Her Major.
Auf dem
Wege zur zweiten Kompanie nahm Leutnant Ehlers den Schal ab. Er steckte eine
Zigarette an. Kompanieführer Ehlers, sagte er laut.
Da schoß
es.
An diesem
Dienstag
sagte Herr
Hansen zu Fräulein Severin:
Wir müssen
dem Hesse mal wieder was schicken, Severinchen. Was zu rauchen, was zu
knabbern. Ein bißchen Literartur. Ein Paar Handschuhe oder sowas. Die Jungens
haben einen verdammt schlechten Winter draußen. Ich kenne das. Vielen Dank.
Hölderlin
vielleicht, Herr Hansen?
Unsinn,
Severinchen, Unsinn. Nein, ruhig ein bißchen freundlicher. Wilhelm Busch oder
sowas. Hesse war doch mehr für das Leichte. Lacht doch gern, das wissen Sie
doch. Mein Gott, Severinchen, was kann dieser Hesse lachen!
Ja, das
kann er, sagte Fräulein Severin.
An diesem
Dienstag
trugen sie
Hauptmann Hesse auf einer Bahre in die Entlausungsanstalt. An der Tür war ein
Schild:
OB
GENERAL, OB GRENADIER:
DIE HAARE
BLEIBEN HIER.
Er wurde
geschoren. Der Sanitäter hatte lange dünne Finger. Wie Spinnenbeine. An den
Knöcheln waren sie etwas gerötet. Sie rieben ihn mit etwas ab, das roch nach
Apotheke. Dann fühlten die Spinnenbeine nach seinem Puls und schrieben in ein
dickes Buch: Temperatur 41,6. Puls 116. Ohne Besinnung. Fleckfieberverdacht.
Der Sanitäter machte das dicke Buch zu. Seuchenlazarett Smolensk stand da
drauf. Und darunter: Vierzehnhundert Betten.
Die Träger nahmen die Bahre hoch. Auf der Treppe pendelte sein Kopf aus
den Decken heraus und immer hin und her bei jeder Stufe. Und kurzgeschoren. Und
dabei hatte er immer über die Russen gelacht. Der eine Träger hatte Schnupfen.
An diesem
Dienstag
klingelte
Frau Hesse bei ihrer Nachbarin. Als die Tür aufging, wedelte sie mit dem Brief.
Er ist Hauptmann geworden. Hauptmann und Kompaniechef, schreibt er. Und sie
haben über 40 Grad Kälte. Neun Tage hat der Brief gedauert. An Frau Hauptmann
Hesse hat er oben drauf geschrieben.
Sie hielt
den Brief hoch. Aber die Nachbarin sah nicht hin. 40 Grad Kälte, sagte sie, die
armen Jungs. 40 Grad Kälte.
An diesem
Dienstag
fragte der
Oberfeldarzt den Chefarzt des Seuchenlazaretts Smolensk: Wieviel sind es jeden
Tag?
Ein halbes
Dutzend.
Scheußlich,
sagte der Oberfeldarzt.
Ja,
scheußlich, sagte der Chefarzt.
Dabei
sahen sie sich nicht an.
An diesem
Dienstag
spielten
sie die Zauberflöte. Frau Hesse hatte sich die Lippen rot gemacht.
An diesem
Dienstag
schrieb
Schwester Elisabeth an ihre Eltern: Ohne Gott hält man das gar nicht durch.
Aber als der Unterarzt kam, stand sie auf. Er ging so krumm, als trüge er ganz
Rußland durch den Saal.
Soll ich
ihm noch was geben? fragte die Schwester.
Nein, sagte
der Unterarzt. Er sagte das so leise, als ob er sich schämte.
Dann
trugen sie Hauptmann Hesse hinaus. Draußen polterte es. Die bumsen immer so.
Warum können sie die Toten nicht langsam hinlegen. Jedesmal lassen sie sie so
auf die Erde bumsen. Das sagte einer. Und sein Nachbar sagte leise:
Zicke zacke juppheidi
Schneidig ist die Infanterie.
Der
Unterarzt ging von Bett zu Bett. Jeden Tag. Tag und Nacht. Tagelang. Nächte
durch. Krumm ging er. Er trug ganz Ruáland durch den Saal. Draußen stolperten
zwei Krankenträger mit einer leeren Bahre davon. Nummer 4, sagte der eine. Er
hatte Schnupfen.
An diesem
Dienstag
saß Ulla
abends und malte in ihr Schreibheft mit großen Buchstaben:
IM KRIEG SIND ALLE VÄTER SOLDAT.
IM KRIEG SIND ALLE VÄTER SOLDAT.
Zehnmal
schrieb sie das. Mit großen Buchstaben. Und Krieg mit G. Wie Grube.