Hannah-Arendt-Gymnasium

Leistungskurs Deutsch 12//II

Klausur Nr. 2                                                                                                 Lengerich, den 2.3.2000

 

Thema 1:          Erörterung im Anschluss an einen fachspezifischen Text

Aufgabe:           Arbeiten Sie die Kritik Handkes an Brecht heraus und erläutern Sie sie kurz.
Erörtern Sie diese Aussagen auf der Grundlage Ihrer Einschätzung der Wirkungen von brechtschen Parabelstücken (Der gute Mensch von Sezuan)

 

Peter Handke, Brecht, Spiel, Theater, Agitation

[...]


Wie man im Fußball Torchancen „herausspielt“, so hat Brecht mit seinen Parabeln Widersprüche herausgespielt, freilich sicher an dem falschen soziologischen Ort, mit den falschen soziologischen Mitteln: von der Wirklichkeit, die er ändern wollte, unendlich entfernt, die hierarchische Ordnung des Theaters benutzend, um andere hierarchische Ordnungen hierarchisch zu stören: keinen Ruhigen hat er beunruhigt, Unzähligen freilich ein paar schöne Stunden geschenkt. Zwar hat er die Haltungen von Schauspielern geändert, nicht aber unmittelbar die Haltungen von Zuschauern: und daß durch die Haltung der Schauspieler sich wenigstens mittelbar die Haltung der Zuschauer geändert hat, ist geschichtlich falsch. Brecht war trotz seines revolutionären Willens so sehr von gegebenen Spielkanones des Theaters benommen und befangen, daß sein revolutionärer Wille doch immer in den Grenzen des Geschmacks blieb, indem er es für geschmackvoll hielt, daß die Zuschauer, indem sie Zuschauer blieben, sich unbehelligt unterhalten (lassen) sollten: gerade besorgt war sein jeweilig letzter Wille zu einem Stück, es sollte „unterhaltsam“ sein. Andere würden diese Haltung vielleicht als „List der Vernunft“ bezeichnen: das schiene mir aber doch die List einer recht eigennützigen Vernunft zu sein.

 

Dazu kommt noch, daß Brecht sich nicht mit dem Arrangement von Widersprüchen begnügt, sondern daß schließlich als Vorschlag zur Lösung, zur Auflösung das marxistische Zukunftsmodell ins Spiel kommt: ich sage, ins Spiel kommt: der Zuschauer, der durch Spiel unsicher gemacht worden ist, soll nun versichert werden: es wird ihm im Spiel das marxistische Modell einer möglichen Lösung genannt oder zumindest vorgeschlagen. Was mich beunruhigt, ist nicht, daß das marxistische Modell, als Lösung genannt wird, sondern, daß es im Spiel als Lösung genannt wird (ich selber würde jederzeit den Marxismus als einzige Lösungsmöglichkeit der herrschenden ‑ in jeder Hinsicht „herrschenden“ Widersprüche unterstützen: nur nicht seine Verkündung im Spiel, im Theater: das ist so ähnlich falsch und unwahr wie Sprechchöre für die Freiheit Vietnams oder gegen die Anwesenheit der Amerikaner in Vietnam, wenn diese Sprechchöre auf dem Theater vor sich gehen; oder wenn, wie kürzlich in Oberhausen, im Theater „echte“ Kumpels auftreten und dort ein Protestlied anstimmen: das Theater als Bedeutungsraum ist dermaßen bestimmt, daß alles, was außerhalb des Theaters Ernsthaftigkeit, Anliegen, Eindeutigkeit, Finalität ist, Spiel wird ‑daß also Eindeutigkeit, Engagement etc. auf dem Theater eben durch den fatalen Spiel‑ und Bedeutungsraum rettungslos verspielt werden ‑ wann wird man das endlich merken? Wann wird man die Verlogenheit, die ekelhafte Unwahrheit von Ernsthaftigkeiten in Spielräumen endlich erkennen?? Das ist nicht eine ästhetische Frage, sondern eine Wahrheitsfrage, also doch eine ästhetische Frage). Das ist es also, was mich doch aufregt an den Brechtschen Spielen: die Eindeutigkeit und Widerspruchslosigkeit, in die am Ende doch alles aufgeht (auch wenn Brecht so tut, als seien alle Widersprüche offen), erscheint, da sie auf dem Theater in einem Spiel‑ und Bedeutungsraum vor sich geht, als reine Formsache, als Spiel. Jede Art von Botschaft oder sagen wir einfacher, jeder Lösungsvorschlag für vorher aufgezeigte Widersprüche, wird im Spielraum der Bühne formalisiert. Ein Sprechchor, der nicht auf der Straße, sondern auf dem Theater wirken will, ist Kitsch und Manier. Das Theater als gesellschaftliche Einrichtung scheint mir unbrauchbar für eine Änderung gesellschaftlicher Einrichtungen. Das Theater formalisiert jede Bewegung, jede Bedeutungslosigkeit, jedes Wort, jedes Schweigen: es taugt nicht zu Lösungsvorschlägen, höchstens für Spiele mit Widersprüchen.



Thema 2:          Analyse eines fiktionalen Textes (Drama)

 

Text:                 Bertolt Brecht, Der gute Mensch von Sezuan, S. 113 – Ende des 8. Bildes)

 

Aufgabe:           Analysieren Sie die vorgelegte Textstelle.