Elisabeth
Langgässer
Die
Arbeiter kamen mit ihrem Schild und einem hölzernen Pfosten, auf den es
genagelt werden sollte, zu dem Eingang der Ortschaft, die hoch in den Bergen an
der letzten Paßkehre lag. Es war ein heißer Spätfrühlingstag, die Schneegrenze
hatte sich schon hinauf zu den Gletscherwänden gezogen. Überall standen die
Wiesen wieder in Saft und Kraft; die Wucherblume verschwendete sich, der
Löwenzahn strotzte und blühte sein Haupt über den milchigen Stengeln;
Trollblumen, welche wie eingefettet mit gelber Sahne waren, platzten vor Glück,
und in strahlenden Tümpeln kleinblütiger Enziane spiegelte sich ein Himmel von
unwahrscheinlichem Blau. Auch die Häuser und Gasthöfe waren wie neu: ihre
Fensterläden frisch angestrichen, die Schindeldächer gut ausgebessert, die
Scherenzäune ergänzt. Ein Atemzug noch: dann würden die Fremden, die
Sommergäste kommen - die Lehrerinnen, die mutigen Sachsen, die Kinderreichen,
die Alpinisten, aber vor allem die Autobesitzer in ihren großen Wagen ... Röhr
und Mercedes, Fiat und Opel, blitzend von Chrom und Glas. Das Geld würde
anrollen. Alles war darauf vorbereitet. Ein Schild kam zum andern, die
Haarnadelkurve zu dem Totenkopf, Kilometerschilder und Schilder für Fußgänger:
Zwei Minuten zum Café Alpenrose. An der Stelle, wo die Männer den Pfosten in
die Erde einrammen wollten, stand ein Holzkreuz, Über dem Kopf des Christus war
auch ein Schild angebracht. Seine Inschrift war bis heute die gleiche, wie sie
Pilatus entworfen hatte: J.N.R.J. - die Enttäuschung darüber, daß es im Grunde
hätte heißen sollen: er behauptet nur,
dieser König zu sein, hatte im Lauf der Jahrhunderte an Heftigkeit eingebüßt.
Die beiden Männer, welche den Pfosten, das Schild und die große Schaufel, um
den Pfosten in die Erde zu graben, auf ihren Schultern trugen, setzten alles
unter dem Wegekreuz ab; der dritte stellte den Werkzeugkasten, Hammer, Zange
und Nägel daneben und spuckte ermunternd aus.
Nun
beratschlagten die drei Männer, an welcher Stelle die Inschrift des Schildes am
besten zur Geltung käme; sie sollte für alle, welche das Dorf auf dem breiten
Paßweg betraten, besser: befuhren, als Blickfang dienen und nicht zu verfehlen
sein. Man kam also überein, das Schild kurz vor dem Wegekreuz anzubringen,
gewissermaßen als Gruß, den die Ortschaft jedem Fremden entgegenschickte.
Leider stellte sich aber heraus, daß der Pfosten dann in den Pflasterbelag
einer Tankstelle hätte gesetzt werden müssen - eine Sache, die sich von selbst
verbot, da die Wagen, besonders die größeren, dann am Wenden behindert waren.
Die Männer schleppten also den Pfosten noch ein Stück weiter hinaus bis zu der
Gemeindewiese und wollten schon mit der Arbeit beginnen, als ihnen auffiel, daß
diese Stelle bereits zu weit von dem Ortsschild entfernt war, das den Namen angab
und die Gemeinde, zu welcher der Flecken gehörte. Wenn also das Dorf den Vorzug
dieses Schildes und seiner Inschrift für sich beanspruchen wollte, mußte das
Schild wieder näherrücken - am besten gerade dem Kreuz gegenüber, so daß Wagen
und Fußgänger zwischen beiden hätten passieren müssen.
Dieser
Vorschlag, von dem Mann mit den Nägeln und dem Hammer gemacht, fand Beifall.
Die beiden anderen luden von neuem den Pfosten auf ihre Schultern und
schleppten ihn vor das Kreuz. Nun sollte also das Schild mit der Inschrift zu
dem Wegekreuz senkrecht stehen; doch zeigte es sich, daß die uralte Buche,
welche gerade hier ihre Äste mit riesiger Spanne nach beiden Seiten wie eine
Mantelmadonna ihren Umhang entfaltete, die Inschrift im Sommer verdeckt und ihr
Schattenspiel deren Bedeutung verwischt, aber mindestens abgeschwächt hätte.
Es blieb
daher nur noch die andere Seite neben dem Herrenkreuz, und da die erste, die in
das Pflaster der Tankstelle überging, gewissermaßen den Platz des Schächers zur
Linken bezeichnet hätte, wurde jetzt der Platz zur Rechten gewählt und
endgültig beibehalten. Zwei Männer hoben die Erde aus, der dritte nagelte rasch
das Schild mit wuchtigen Schlägen auf; dann stellten sie den Pfosten gemeinsam
in die Grube und rammten ihn rings von allen Seiten mit größeren Feldsteinen
an.
Ihre
Tätigkeit blieb nicht unbeachtet. Schulkinder machten sich gegenseitig die Ehre
streitig, dabei zu helfen, den Hammer, die Nägel hinzureichen und passende
Steine zu suchen; auch einige Frauen blieben stehen, um die Inschrift genau zu
studieren. Zwei Nonnen, welche die Blumenvase zu Füßen des Kreuzes aufs neue
füllten, blickten einander unsicher an, bevor sie weitergingen. Bei den
Männern, die von der Holzarbeit oder vom Acker kamen, war die Wirkung
verschieden: einige lachten, andere schüttelten nur den Kopf, ohne etwas zu
sagen; die Mehrzahl blieb davon unberührt und gab weder Beifall, noch Ablehnung
kund, sondern war gleichgültig, wie sich die Sache auch immer entwickeln würde.
Im ganzen genommen konnten die Männer mit der Wirkung zufrieden sein. Der
Pfosten, kerzengerade, trug das Schild mit der weithin sichtbaren Inschrift,
die Nachmittagssonne glitt wie ein Finger über die zollgroßen Buchstaben hin
und fuhr jeden einzelnen langsam nach wie den Richtspruch auf einer Tafel...
Auch der
sterbende Christus, dessen blasses, blutüberronnenes Haupt im Tod nach der
rechten Seite geneigt war, schien sich mit letzter Kraft zu bemühen, die
Inschrift aufzunehmen: man merkte, sie ging ihn gleichfalls an, welcher bisher
von den Leuten als einer der ihren betrachtet und wohl gelitten war.
Unerbittlich und dauerhaft wie sein Leiden, würde sie ihm nun für lange Zeit
schwarz auf weiß gegenüberstehen.
Als die
Männer den Kreuzigungsort verließen und ihr Handwerkszeug wieder zusammenpackten,
blickten alle drei noch einmal befriedigt zu dem Schild mit der Inschrift auf:
"In diesem Kurort sind Juden unerwünscht."