Als mein Freund Bill Joy seinen Artikel in "Wired" veröffentlichte, war ich froh, dass jemand mit untadeliger Reputation als innovativer Technologe darlegte, weshalb viele nachdenklichere Technologen stark beunruhigt sind. Ich erschrak allerdings, als ein scheinbar gut informierter Journalist einer führenden Zeitung der Ostküste, der mich wegen jenes Artikels interviewte, offenbar der Ansicht war, dass sich nur verblendete Maschinenstürmer derartige Sorgen einfallen lassen würden. Mir wurde klar, dass die Menschheit, die Francis Bacons enthusiastischer, aber undifferenzierter Zielsetzung für die Wissenschaft - "die Erweiterung der Grenzen menschlicher Herrschaft, dass alle möglichen Dinge auch ins Werk gesetzt werden" - immer noch anhängt, ein kleines Kolleg zum Thema der unbeabsichtigten Folgen gut gebrauchen könnte.
In kaum mehr als einem halben Jahrhundert hat unsere Gattung mindestens vier Technologien entwickelt, die eigentlich nur geeignet sind "für ein weises, weitsichtiges und unbestechliches Volk." Die erste, die Atomspaltung, barg und birgt die Möglichkeit der vollständigen Zerstörung der Menschheit. 55 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki erinnern sich nicht mehr viele Menschen, was es heißt, über einer Stadt einen neuen kleinen Stern aufgehen zu lassen. Die Wachsamkeit lässt nach, aber die Technik der Bombenproduktion ist in stark vereinfachter Form allgemein leicht zugänglich. Das einzige dabei schwierig zu beschaffende Element - das spaltbare Material - gerät in die Hände immer zahlreicherer Leute mit immer geringerer Verantwortlichkeit. Auch scheinen einige von den Zehntausenden nuklearer Sprengköpfe spurlos verschwunden zu sein. Nachdem ich jahrzehntelang für die Beschränkung der Weitergabe atomarer Technologie gearbeitet habe, würde es mich nicht überraschen, morgen früh zu erwachen und zu entdecken, dass der atomare Terrorismus oder sogar der Atomkrieg begonnen hat.
Ferner sind wir bei der Manipulation der Gene angelangt. Ich gebrauche hier nicht den Euphemismus von der Gentechnik, denn während es zwar darum geht, Gene hin und her zu bewegen, hat das mit Genetik nichts zu tun. Der Ausdruck "Technik", suggeriert ein präzises Wissen von den kausalen Mechanismen, die hier Eingriff und Wirkung verbinden. Wir sind aber weit davon entfernt zu verstehen, auf welche Weise genetische Muster zu Organismen werden. Unglücklicherweise sind wir auch auf dem besten Wege, diese Muster trotzdem aufs Geratewohl zu verändern - und damit die Wissenschaft selbst zu verwandeln: von einer Methode, das Funktionieren von Natur zu begreifen, zu einem Werkzeug, mit dem man das ändert, was Natur ist.
Die Biotechnologie will sowohl die Geschwindigkeit wie das Ziel der Evolution verändern. Sie beschleunigt die Evolution, grob geschätzt, milliardenfach - von einem gemessenen Voranschreiten, bei dem Innovationen äonenlang streng getestet werden (was nicht funktioniert, wird vom Hersteller zurückgerufen), hin zum hektischen Tempo der nächsten Vierteljahresbilanz. Bei einer solchen Geschwindigkeit lassen sich Fehler nicht im Voraus absehen, schon gar nicht von einem kompromittierten und biologisch schlecht informierten Aufsichtssystem. Und dann - denn die Produkte haben ein eigenes Leben und werden gezielt auf die gesamte Umwelt verteilt - können solche Fehler sich rasch der Kontrolle entziehen und sich vermehren.
Die Biotechnologie verändert auch das Ziel der Evolution: von evolutionärem Erfolg zu finanziellem Profit. Es setzen sich nicht mehr die optimal angepassten Organismen durch, es werden die optimal profitablen durchgesetzt. Diese Industrialisierung des Lebens, bei der die Natur des 3,8 Milliarden Jahre alten Lebensprozesses verändert wird, wird vollzogen von Leuten, die sich auskennen mit der Technik des Zerlegens von Genen und mit Biochemie, aber in der Regel unwissend sind, was gewisse zentrale Bereiche der biologischen Wissenschaft betrifft. Sehr clevere Kids mit Doktorgraden in "Molekularbiologie" spielen mit gefährlichem Material herum, das sie nicht begreifen.
Es gibt bereits Anzeichen dafür, dass uns üble Überraschungen ins Haus stehen: Transgene verbreiten sich weit über die vorgesehenen Rezipienten hinaus und mit viel größeren Geschwindigkeiten als erwartet, herbizidresistentes Superunkraut zeigt sich, durch Gen-Splicing erzeugte Insektizide töten mehr als ihren Zielfeind, Schutzstrategien versagen, Ernteerträge bleiben hinter den Erwartungen zurück, die Verstöße gegen das geistige Urheberrecht führen zu empörten Gegenreaktionen - und manches mehr. Die klare Herausbildung von Spezies könnte im Übrigen so etwas wie die Methode der Natur sein, Pathogene in einem fest umrissenen Feld einzusperren, wo sie korrektes Verhalten erlernen (sie lernen so beispielsweise, dass es eine törichte Strategie ist, den Wirtsorganismus umzubringen). Doch indem man Gene anderer Organismen an zufälligen Punkten ins Genom einsetzt, könnte man es den Pathogenen ermöglichen, die Barriere der Speziesbegrenzung zu überspringen und in neue Bereiche vorzudringen, wo sie keine Ahnung haben, wie sie sich aufführen sollen.
Manche Theologen haben in tiefer biologischer Weisheit darauf hingewiesen, dass der Schöpfer es vielleicht nicht nur aus bloßer Achtlosigkeit unterlassen hat, Fischgene in die Erdbeere einzusetzen. Die Biodiversität, die Fülle der Lebensformen, ist bereits vollkommen ausreichend.
Und natürlich fordert diese Technologie den Missbrauch heraus. Jeder High-School-Jugendliche kann sich mittlerweile die Grundausrüstung zulegen, die es ihm erlaubt, in der Garage an einer DNA herumzuexperimentieren. Es ist nicht allzu schwierig, tödliche Toxine in gewöhnliche Bakterien einzubauen; man hat bereits einige Amateure bei dem Versuch erwischt. Und einige Nationen (wenn nicht gar einige nicht national gebundene Terroristengruppen) haben amoralische, aber findige Wissenschaftler in ihren Diensten, die entsetzliche neue Seuchen entwickeln könnten. Das ist ein nicht ungefährliches Vorhaben, aber noch weitaus gefährlicher ist der Einsatz. Doch ist ein solches Projekt bei weitem billiger, einfacher und leichter zu verbergen als die Entwicklung einer Atombombe. Sollten keinerlei Designer-Epidemien auf die Welt losgelassen werden (absichtlich oder zufällig), dann wäre das mittlerweile eine große angenehme Überraschung.
Die Genmanipulation ist keineswegs der Gipfelpunkt der industriellen Moderne - sie ist vielmehr der letzte Seufzer des industriellen Primitivismus. Sie geht mit reduktivem und mechanistischem Bewusstsein an Lebenssysteme heran, die auf diese vorausgesetzte Weise nun einmal nicht funktionieren. Es ist der massivste intellektuelle Zusammenstoß seit der Reformation: Descartes trifft auf Darwin. Erstaunlich ist dabei jedoch, dass dieser Entwicklung jeder zwingende gesellschaftliche oder ökonomische Grund fehlt. Das Faszinierendste an diesem Phänomen ist vielleicht, wie chimärisch der eigentliche Nutzen bleibt. Man redet uns ein, die Biotechnologie sei die einzige Möglichkeit, die Welt zu ernähren. In Wirklichkeit sieht es genau umgekehrt aus. Die Biotechnologie kostet mehr und arbeitet mit schlechteren Ergebnissen als erprobte Alternativen, die jedoch von der herrschenden kommerziellen Orthodoxie verworfen werden.
Die Atomkraft etwa ist an einer Attacke der Marktkräfte zu Grunde gegangen, von der sie nicht mehr genesen ist - der größte Kollaps einer Industrie in der Weltgeschichte. In den USA sind in dieses Projekt über eine Trillion Dollar investiert worden, doch liefert die Atomindustrie weniger Energie, als bei der Verwendung von Biomasse erzeugt wird, und hat nur ein Zwanzigstel von deren Energieeffizienz. Sie ist heute der am langsamsten wachsende Energiefaktor des Planeten, während Einsparungstechniken und die Verwendung erneuerbarer Brennstoffe die schnellsten sind. In ähnlicher Weise hat die genetische Manipulation nach 20 Jahren kommerzieller Verwertung kein einziges vorzeigbares Beispiel, dass sie den Ertrag, die Flexibilität und die Wirtschaftlichkeit einer traditionell arbeitenden Landwirtschaft übertreffen könnte.
Der dritte von Bill Joys Apokalyptischen Reitern ist die Nanotechnologie - die sich gerade herausbildende Technik, sich selbst reproduzierende Maschinen molekularer Größe herzustellen. Das verspricht die Entwicklung eines "desktop manufacturing", bei dem wir alles Mögliche Atom um Atom herstellen könnten, sehr billig, ohne Entsorgungsprobleme. Andererseits stehen mehr oder weniger vergleichbare Materialien und eine vergleichbar effektive Energieausnutzung bereits bei anderen Techniken zur Verfügung. Diesen Techniken fehlt allerdings das furchterregende Potenzial der Nanotechnologie, mikrobengroße, sich selbst reproduzierende Waffensysteme zu erschaffen.
Ich bin in viel geringerem Maße als Bill Joy dazu qualifiziert, etwas über seine vierte Besorgnis zu sagen - die Frage, wohin uns die künstliche Intelligenz führen mag. Doch als einer der fähigsten Computerwissenschaftler der Welt verdient er ernst genommen zu werden, wenn er fragt, ob auch diese Kunstfertigkeit nicht nur das zum Schlimmeren verändern könnte, was wir tun, sondern auch das, was wir sind.
Die Absicht, die ich mit der kurzen Auflistung dieser Befürchtungen hier verfolge, ist nicht, meine Kollegen auf dem Feld der technologischen Innovation anzuschwärzen oder an der Idee des Fortschritts allgemein herumzunörgeln. Als Technologe, dessen Lebensaufgabe darin besteht, durch Innovationen eine sicherere, dem Leben günstigere Welt zu schaffen, beziehen sich meine Fragen auf die Mittel und nicht auf den Zweck. Ich will uns alle dazu auffordern, unsere kritische Intelligenz zu benutzen und unsere wirtschaftlichen und politischen Verantwortlichkeiten wahrzunehmen, um so die Welt zu schaffen, die wir haben wollen.
In den nächsten Jahrzehnten wird die Reifeprüfung unserer Spezies stattfinden - es wird sich zeigen, ob diese ganze Geschichte mit dem gegen die Finger beweglichen Daumen und dem größeren Gehirnvolumen eine gute Idee war. Die Suche nach intelligentem Leben auf unserem Planeten lässt sich zwar nicht schlecht an, aber sie tritt jetzt in ein kritisches Stadium ein. Verspielen wir nicht alles, indem wir naiverweise davon ausgehen, dass alles, was möglich ist, auch gut wäre.
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A. d. Engl. v. Joachim Kalka