Nr. 23/2000

Die Taube auf dem Dach

Gott ist nicht der Veranstalter des Bösen. Ein Einspruch gegen Schnädelbachs Ökumene der Absurditäten
 Von Robert Spaemann

Husserls Assistentin ließ sich taufen und wurde Nonne, ehe sie den Weg nach Auschwitz ging. "Wir gehen für unser Volk", waren die letzten Worte, die man von ihr hörte, Worte zu ihrer Schwester, die den gleichen Weg hinter sich und den gleichen vor sich hatte. Edith Stein hatte, wie sie sagte, erst als Christin die einzigartige Bedeutung ihres Judentums entdeckt. Nach Herbert Schnädelbach muss ihrem Scharfsinn der antijudaistische Charakter der Religion entgangen sein, der sie zum Opfer gefallen war. Mutter Teresa hat mit ihren Schwestern in Kalkutta jahrzehntelang Tausende von Sterbenden - Christen waren kaum darunter - von der Straße aufgelesen und ihnen zu einem menschenwürdigen Sterben verholfen. Ihre Motivation empfing sie, Schnädelbach zufolge, von einer "menschenverachtenden Lehre". Maximilian Kolbe starb im freiwilligen Austausch gegen einen polnischen Familienvater im Hungerbunker, während er, Jesus nachahmend, für seine Mörder betete. Das Buch, das ihn inspirierte und das er, als katholischer Priester, täglich nach der liturgischen Lektüre küsste, ist nach Schnädelbach in dem, was es über "aufgeklärtes Judentum" hinaus enthält, eine Sammlung perverser Ideen und "dreister Lügen". Der gegenwärtige Präsident unserer Republik aber, ein bekennender Christ, kennt entweder seine eigene Religion oder aber die Verfassung nicht, denn wenn man Schnädelbach glauben darf, sind für ihn "Heiden bis zu ihrer Taufe keine Menschen und auch so zu behandeln".

Schnädelbachs Aufsatz Der Fluch des Christentums gehört zu den Äußerungen, die nach Aristoteles zunächst einmal nicht Argumente, sondern Zurechtweisung verdienen. In diesem
Robert Spaemann ist als Philosoph berühmt für seine Einsprüche gegen Atomkraft, Euthanasie und Abtreibung und verteidigt, ganz allgemein, ein christliches Menschenbild gegen die Zumutungen einer technokratischen Moderne
Ton spricht man nicht über das, was einem großen und respektablen Teil der eigenen Mitbürger und einem sehr großen Teil der Menschheit das Heiligste ist. Außerdem gehört zu den ersten Regeln der Interpretation das principle of benevolence, das heißt der Versuch mit der Annahme, die Verfasser eines von größeren Geistern, als man selbst einer ist, hoch geschätzten Buches hätten keinen Unsinn geschrieben. Schnädelbach ist dem entgegengesetzten principle of malevolence gefolgt und hat ein Pamphlet geschrieben. Die neuerliche Gewissenserforschung insbesondere der katholischen Kirche am Maßstab des Evangeliums beunruhigt ihn. Er verabscheut diesen Maßstab, also das Christentum als solches, und sucht Belege, die seine Abneigung rechtfertigen. Wenn er einem christlichen Text Unsinn abgewinnen kann, tut er es. Da das mit jedem Text fast immer möglich ist, ist das Ergebnis solcher Bemühungen eher uninteressant, außer für die, die auf der gleichen Suche sind. Weil aber das Pamphlet einige der heute gängigen christentumskritischen Topoi enthält, bietet es Gelegenheit, auf deren Schwächen aufmerksam zu machen.

1. Juden und Christen

Das Christentum beruht auf einem Glauben mit kognitivem Anspruch. "Zeuge der Wahrheit" zu sein, dadurch definiert Jesus im Johannesevangelium vor Pilatus seinen Königstitel. Es gibt eine Tendenz in den Kirchen, den Wahrheitsanspruch des Christentums auf Trivialitäten zu reduzieren, denen jeder halbwegs Gutwillige zustimmen muss und die Schnädelbach aufgeklärtes Judentum nennt. Er begrüßt diese Trivialisierung, hält sie allerdings für das Ende des Chris-tentums. Und das ist auch so. Jude ist man nämlich durch Abstammung, welche Überzeugung auch immer man haben mag. Christ kann man als Erwachsener nur sein aufgrund bestimmter Überzeugungen. Bezeichnenderweise wird von dem, der Jude werden will, auch, außer der Beschneidung, ein bestimmtes Bekenntnis verlangt. Aufgeklärter Jude im Sinne Schnädelbachs kann man gar nicht werden. Aufgeklärte Juden sind nur im ethnischen Sinne Juden.

Gläubige Juden und Christen sind durch eine grundlegende nichttriviale Überzeugung miteinander verbunden, nämlich die Überzeugung, dass das Vollkommene dem Unvollkommenen ontologisch vorausliegt, dass der Grund der Wirklichkeit also nicht etwas, sondern jemand ist und dass die Welt aus dem freien Willen dieses Grundes hervorgeht. Der eine und einzige Gott, der Unbedingte und Heilige, hat alles erschaffen, was nicht Gott ist. Alles ist zugleich in ihm und er in allem. Gottesfurcht ist deshalb "der Anfang der Weisheit" (Psalm 111), Gottesliebe ihre Vollendung und Nächstenliebe der Probierstein der Gottesliebe, denn jeder Mensch ist ein Ebenbild Gottes und, so fügten die Christen hinzu: "Wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht" (1. Joh. 4,20). Die Christen der ersten Jahrhunderte ließen sich scharenweise töten, weil sie aufgrund dieser Überzeugung trotz ihrer Staatsloyalität sich weigerten, vor der Kaiserstatue als Zeichen göttlicher Verehrung ein Weihrauchkorn abzubrennen. Wenn Gott nämlich jemand ist, dann kann man an ihm auch Verrat begehen. Die Juden brannten das Körnchen auch nicht ab, aber wegen ihrer ethnischen Selbstdefinition verschonte man sie in der Regel mit dieser Zumutung. Die Kirche als Israel für Juden und Heiden galt dagegen als subversiv. "In dieser Nacht", so betet noch heute die katholische Kirche in der österlichen Taufnacht, "machst du, Gott, wie du verheißen hast, den Abraham zum Vater vieler Völker. Lass die Fülle der Menschheit eingehen zur Kindschaft Abrahams und zur Würde Israels."

Mit diesem Gebet wuchsen katholische Kinder auch im "Dritten Reich" auf, sodass Pius XI. zwar bei den Nazis Empörung, bei den deutschen Rompilgern aber kein Erstaunen auslöste, als er sagte: "Spirituell sind wir alle Semiten." Dass "viele Christen" sich an der Ermordung der Juden während des Krieges "beteiligt" hätten, dieses böse Wort sollte Schnädelbach entweder belegen oder zurücknehmen. Es ist ebenso vergiftend wie die Leugnung dieser Ermordung. Schlimm genug, dass die meisten Christen sich terrorisieren ließen und geschwiegen haben. Ebenso wahr aber ist, dass nicht unter den Mördern, sondern unter den allzu wenigen mutigen Rettern vor allem Christen waren und dass der Papst bei dieser Rettung die Aktivitäten aller anderen Instanzen der Welt in den Schatten stellte. Die auf Deutsch geschriebene Enzyklika gegen den Nationalsozialismus, Mit brennender Sorge, von 1937 wurde weitgehend vom späteren Papst Pius XII. verfasst. Dass er zu dem - von der ganzen Welt verschwiegenen - Holocaust während des Krieges schwieg, war der Preis, zu dem er sich durchrang, um mehr als 700 000 Juden das Leben zu retten. Vor Augen hatte er das Beispiel der Bischöfe Hollands, die sich zum offenen Protest durchgerungen hatten um den Preis der unverzüglichen Ausdehnung der Mordaktion auch auf die getauften Juden. Wer will hier richten?

Übrigens war Schutz der Juden gegen religiös verbrämten Minderheitenhass die traditionelle Rolle bischöflicher und päpstlicher Autoritäten. Im Judendekret von 1199 verbietet Innozenz III., unter Berufung auf eine große Zahl seiner Vorgänger, aufs strengste Zwangstaufen und bedroht jeden mit dem Kirchenausschluss, der Juden schlägt, ihrer Habe beraubt, ihre religiösen Feste und Feiern stört, ihre Friedhöfe schändet oder "die guten Bräuche verändert, die sie bisher hatten in den Gegenden, in denen sie wohnen". Diese Bestimmungen wurden bis ins 18. Jahrhundert wiederholt. Bezüglich der ungehinderten Religionsausübung stimmen sie teilweise wörtlich überein mit Anordnungen Gregors I. aus dem Anfang des 7. Jahrhunderts und, was die Zwangsbekehrung betrifft, mit dem Brief, den Alexander II. im Jahr 1073 an den Fürsten Landulf von Behavent schrieb: "Unser Herr Jesus Christus hat niemanden gewaltsam zu seinem Dienst gezwungen, sondern durch demütige Ermahnung - wobei einem jeden die Freiheit der Entscheidung vorbehalten blieb - alle, die er zum ewigen Leben bestimmt hatte nicht durch Richten, sondern durch Vergießen des eigenen Blutes vom Irrtum zurückgerufen." Der Glaube, das Ergriffenwerden eines Menschen durch eine Evidenz oder eine große Liebe, kann nicht von außen erzwungen werden. "Niemand kommt zu mir, den der Vater nicht zieht", heißt ein Wort Jesu (Joh. 6,44).

Im Übrigen bedeutete die paulinische Prophezeiung, dass "wenn die Vollzahl der Heiden eingetreten ist, ganz Israel gerettet wird" (Röm. 11,26), in den Augen der Christenheit immer eine göttliche Bestandsgarantie für das jüdische im Unterschied zu allen übrigen Völkern. Die Rivalität zwischen Juden und Christen war in den ersten Jahrhunderten für die Christen oft tödlich. Weil ihre Mission weder Beschneidung noch mosaisches Gesetz zur Bedingung der Bekehrung für die Heiden machte, grub sie der jüdischen das Wasser ab und brachte sie weitgehend zum Erliegen. Das erklärt, warum die Juden sich auch mithilfe der römischen Staatsmacht der ungeliebten Konkurrenz zu entledigen suchten. Im christlichen Zeitalter ging die gegenseitige Abneigung natur-, wenn auch nicht evangeliumsgemäß zulasten der Juden und wich erst in unserem Jahrhundert einem um Verstehen und Lernen bemühten Dialog und brüderlichen Streit. Juden entdeckten Jesus als einen der Ihren und versuchten, das Christentum als Judentum für die Heiden zu respektieren oder gar zu legitimieren. Christen besannen sich auf die Mahnung des Paulus, sich nicht über die Juden zu erheben: "Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich" (Röm. 11,18). Sie sind nach wie vor der ältere Bruder, der im Vaterhaus geblieben ist und sich nun weigert, an dem Festmahl des Vaters für den verlorenen Sohn teilzunehmen. Ja, Christen entdeckten sogar entgegen dem Antijudaismus Voltaires und vieler Aufklärer den positiven Sinn eines messianischen Stachels in der Fortdauer des jüdischen Partikularismus, der sich hartnäckig dem triumphalen christlichen Universalismus verweigert.

Das alles ist an Schnädelbach offenbar spurlos vorübergegangen. Christentum scheint eine geschichtslose Größe zu sein, ganz im Unterschied zum Judentum, dessen aufgeklärte Version offenbar nichts zu tun hat mit den blutigen Ausrottungsaktionen, die in der Bibel verherrlicht werden, und mit den blutigen Tieropfern, die es vorschreibt. Aber irgendeine Art geistiger Kontinuität ist ebendort nicht nötig, wo die Identität ethnisch und durch die pure Faktizität eines historischen Kontinuums gesichert ist. Insofern hat Schnädelbach schon Recht: Das Christentum lebt von der Erinnerung an den Ursprung. Aber es erneuert sich eben auch immer wieder durch diese Erinnerung.

2. Universalismus und Toleranz

Was Schnädelbach am Christentum missfällt, ist in erster Linie der Universalismus, der sich aus seinem Wahrheitsanspruch ergibt. Das Christentum steht damit in der Linie des prophetischen Messianismus Israels, für den der jüdische Partikularismus nur vorbereitenden, provisorischen Charakter hatte. Das Christentum trat auf mit dem Glauben, dass mit Tod und Auferstehung Jesu die Zeit der universellen Anbetung des wahren Gottes, die Zeit der Aufhebung der Scheidewand zwischen Juden und Griechen gekommen ist. Die Juden sahen dies nicht so, und die Ablehnung dieses Anspruchs wurde seit dem 2. Jahrhundert konstitutiv für die jüdische Identität. Bis heute hat jeder, der von einer jüdischen Mutter abstammt, automatisch Bürgerrecht im Staat Israel, was immer er glauben mag und auch wenn er Atheist ist. Der einzige Ausschließungsgrund ist: die Taufe. Schnädelbach schätzt den jüdischen Ethnozentrismus und den Verzicht der nachchristlichen Juden auf Mission. Der religiöse Universalismus ist für ihn ein Argument gegen das Christentum. Er hängt mit dessen Wahrheitsanspruch zusammen und ist daher eo ipso unvereinbar mit Toleranz. Nicht die zur Toleranz mahnenden kirchlichen Lehrer sind deshalb für ihn die wahren Christen, sondern die Totschläger, Zwangstäufer, Pogromhetzer und die, die die spanischen Juden vor die Alternative stellten, sich taufen zu lassen oder auszuwandern. Mit anderen Worten: Gute Menschen sind schlechte Christen. Einen Zusammenhang zu sehen zwischen Wahrheitsüberzeugung und Intoleranz, Skeptizismus und Toleranz ist ein Klischee, das ebenso verbreitet wie unbegründet ist. Wenn jemand glaubt, die Therapie für ein Leiden gefunden zu haben, und wenn er jedermann, der an derselben Krankheit leidet, von dieser Therapie zu überzeugen sucht, ist er deshalb ein potenzieller Gewalttäter? Schnädelbach scheut sich nicht, den Doppelsinn des Wortes Intoleranz rhetorisch auszubeuten.

Intoleranz meint einmal jede dezidierte Wahrheitsüberzeugung, die natürlich impliziert, dass die gegenteilige falsch ist.
Das Christentum steht zur Debatte. War es ein Fluch für die Menschheit, wie Herbert Schnädelbach in der ZEIT vom 11. Mai polemisierte? Letzte Woche widersprach ihm aus protestantischer Sicht Richard Schröder. Jetzt antwortet auf Schnädelbach der Philosoph Robert Spaemann
In diesem Sinne wird man umso intoleranter, je mehr man weiß, sei es als Historiker oder als Naturwissenschaftler. Die andere Bedeutung des Wortes meint die Unterdrückung aller Ansichten, die man für falsch hält. Schnädelbach suggeriert, die eine Intoleranz habe die andere zur notwendigen Folge, und das ist vollkommen unbegründet. Es gibt zurzeit in unserem Staat nur eine Meinung, die nach Überzeugung aller Kompetenten irrig und die zu äußern nicht erlaubt ist, bei der also theoretische Intoleranz die bürgerliche zur Folge hat: die Leugnung der Ermordung und versuchten Ausrottung der Juden. Aber dieses Gesetz ist in unserem Rechtssystem eigentlich ein Fremdkörper. Nach Schnädelbach müsste man, wenn man die bürgerliche Intoleranz nicht will, auch die zugrunde liegende Wahrheitsüberzeugung aufgeben oder wenigstens den Versuch, für sie zu werben. Dieser Logik folgend läge es allerdings auch nahe anzunehmen, dass Schnädelbach, der uns ja von der Schädlichkeit des Christentums überzeugen will, den Weg vorbereiten möchte für ein Verbot der christlichen Kirchen als verfassungsfeindliche Organisationen.

Ich bitte aber in diesem Zusammenhang folgende Schnädelbach widerlegende Beobachtung ernst zu nehmen: Wo immer heute christliche Gruppierungen ihre Sache offensiv oder defensiv mit Gewalt vertreten oder Kirchen sich der Staatsmacht bedienen, um Andersdenkende fern zu halten, da geht es nicht um absolute Wahrheitsansprüche und Mission, sondern um konkurrierende Partikularismen, Exklusivitätsansprüche auf bestimmte Territorien - cuius regio, eius religio -, verletzte Proporzregelungen und so weiter, die mit dem spezifischen Wahrheitsanspruch der Religion gar nichts zu tun haben. Es geht um den von Schnädelbach so hoch geschätzten Partikularismus. Und überall in solchen Konfliktgebieten sind es gerade fromme, gläubige Christen, die sich über die Grenzen hinweg zu verständigen suchen. Nach Schnädelbach sind solche guten Menschen schlechte Christen.

Außer den genannten sind es fünf weitere Vorwürfe, die Schnädelbach gegen das Christentum erhebt: mangelnde Wahrheitsliebe der Evangelisten, leibfeindlicher Platonismus, eine menschenverachtende Erbsündenlehre, eine blutrünstige Opfertheologie und eine terroris-tische Lehre von den letzten Dingen.

3. Der Zirkelbeweis

Auf das Feld neutestamentlicher Exegese mich einzulassen fehlt mir die Kompetenz fast ebenso wie Schnädelbach. Als Philosophieprofessoren sind wir es gewohnt, Argumentationsfiguren zu studieren. Bei Schnädelbach entdecke ich dabei immer den gleichen Fehler: Petitio principii, dogmatische Voraussetzung dessen, was er beweisen will, Zirkelschlüsse. Was er voraussetzt, ist im Wesentlichen dies: 1. Eine Menschwerdung Gottes, wie sie christliche Trinitätslehre denkbar macht, hat nicht stattgefunden. 2. Unwahrscheinliche, einmalige und vom normalen Gang der Dinge abweichende Ereignisse, wie sie im Zusammenhang mit der Inkarnation berichtet werden, sind von vornherein auszuschließen. 3. Voraussagen künftiger Ereignisse und das Verhältnis "symbolische Verheißung - Erfüllung" kann es nicht geben. 4. Wo ein alttestamentliches Zitat zur Erläuterung eines neutestamentlichen Ereignisses herangezogen wird, da hat der Autor nicht das Zitat zum Ereignis gesucht, sondern das Ereignis zum Zitat gefunden. 5. Ereignisse, deren schriftliche Überlieferung in späteren Zeiten unfreundliche Reaktionen, vor allem gegenüber Juden, ausgelöst haben, müssen frei erfunden sein.

Alle Argumente Schnädelbachs gegen die Glaubwürdigkeit der neutestamentlichen Autoren beruhen auf einer dieser Voraussetzungen. Da keine von ihnen begründet wird, kann keine zur Begründung denen gegenüber dienen, die diese Voraussetzungen nicht teilen. Dass das Christentum mit gewissen historischen Tatsachenbehauptungen steht und fällt, sieht er, im Unterschied zu einigen Theologen, ganz richtig. Der Oxforder Logiker und analytische Philosoph Michael Dummett schrieb einmal, dass er an die Auferstehung Jesu nicht glauben könne, wenn er dem Bericht vom leeren Grab nicht glauben dürfe, denn dieser Bericht ist nicht eine fromme Ausschmückung der Auferstehungsbotschaft, sondern ein Argument für deren Wahrheit. Deshalb glaubt Schnädelbach beides nicht, und Dummet glaubt beides. Der Unglaube ist aber nicht eine Folge der Überlegungen, sondern deren Voraussetzung. Und das gilt auch für die weiteren Einwände.

4. Christentum als Antidualismus

Dass das Christentum "Platonismus fürs Volk" sei, steht bei Nietzsche. Platonismus aber, das setzt Schnädelbach voraus, ist schlecht. Für dessen Import macht er die Kirchenväter verantwortlich. Und was ist mit Aristoteles, der seit dem 13. Jahrhundert anstelle Platons "der Philosoph" wurde? Gewiss, Aristoteles war Schüler Platons, und es ist etwas Wahres an Whiteheads Diktum, die ganze europäische Philosophie bestehe aus Marginalien zu Platon. Warum demgegenüber die "wirkliche Wirklichkeit rehabilitiert" werden muss, bloß weil platonische Mathematiker wie Frege es für unmöglich halten, aus dieser wirklichen, das heißt sinnlich erfahrbaren Wirklichkeit Zahlen und Gesetze der Logik abzuleiten, bleibt mir unverständlich. Ebenso, wieso es "leibfeindlich" ist, festzustellen, dass das Sehen unsichtbar ist, dass es also offenbar das Unsichtbare gibt. Und wieso "entwirklicht" es den Leib, wenn man eine geistige "Seele" annimmt, deren Funktion sich nicht darin erschöpft, Lebensprinzip eines Organismus zu sein? (Dass sie das auch ist, diese Lehre des Aristoteles hat sich die Kirche seit dem 13. Jahrhundert zu Eigen gemacht.) Natürlich hat sie sich für das Judentum und für Jesus auch nicht darin erschöpft. Was sollte sonst das Wort bedeuten: "Fürchtet nicht die, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können" (Mt. 10,28). Wir sollten das Wort Dualismus nicht als Einschüchterungsvokabel akzeptieren. Gewiss, das spezifisch Christliche ist der Glaube an die "Auferstehung des Fleisches", deretwegen man Paulus auf dem athenischen Areopag höflich hinauskomplimentierte. Aber wie die kontinuierliche Identität eines Menschen zwischen Tod und Auferstehung gedacht werden soll, ohne - wie der offenbar ebenfalls leibfeindliche Goethe - eine den Tod überdauernde Entelechie anzunehmen, das müsste erst einmal jemand erklären. Da Schnädelbach beides nicht glaubt, scheidet er als Schiedsrichter zwischen "christlichem Platonismus" und Zeugen Jehovas aus.

Das Wort von der Leibfeindlichkeit des Christentums höre ich seit meiner Kindheit. Die Hitler-Ideologen wiederholten es unermüdlich, und Lehrer des Christentums versuchten ebenso unermüdlich, den Vorwurf zu entkräften und einander in "Leibfreundlichkeit" zu überbieten. Dabei sollten wir doch auf dem Teppich bleiben. Zwar zeichnete sich nach dem "Leibfeind" Thomas von Aquin der vollkommene, der paradiesische Mensch durch intensivere Fähigkeit zu sexueller Lust aus, als wir sie heute besitzen. Aber die Sexualität, wie es zum Beispiel die Kirchenvolksbegehrer möchten, als eine heile Paradies-Enklave zu betrachten ist doch wohl etwas weltfremd. Diese Sphäre selbstvergessenen Glücks erinnert zwar an das Paradies, aber sie ist bekanntlich zugleich ein Feld von Egoismus, Sucht, Quälerei, Wortbruch, Verrat und Lüge, das heißt von der "Erbsünde" so wenig verschont wie alle anderen menschlichen Lebensbereiche. Die christliche Idee der Heilung mag man utopisch nennen, weil sie der reflexiven Gespaltenheit des Menschen nicht Rechnung trägt und die Leiblichkeit allzu sehr mit personaler Bedeutung auflädt. Sie betrachtet, darin gut platonisch, die Lust als die subjektive Erlebnisweise eines objektiven Guten, die von diesem Guten nicht abgelöst intendiert werden sollte. Und sie betrachtet es als Ziel, Sexualität definitiv in personale Liebe zu integrieren. Wenn das Utopie ist, dann doch wohl eine antidualistische.

Alles aber hört sich auf, wenn Schnädelbach behauptet, weibliche Sexualität sei für das Christentum etwas "Schmutziges". Mit was für seltsamen Christen verkehrt er eigentlich? Wegen solcher Ansichten und weil sie die Zeugung für eine "Befleckung" hielten, hat die Kirche die Katharer leider grausam verfolgt. Aber welchen Kenntnisstand darf man erwarten, wenn Schnädelbach den Glauben an die jungfräuliche Empfängnis Jesu verwechselt mit der katholischen Sonderlehre von der "unbefleckten Empfängnis" Marias durch ihre Eltern. Diese Lehre besagt, dass Maria vom ersten Augenblick ihrer Existenz an im Blick auf den Tod Jesu außerhalb der Verstrickung stand, die man Erbsünde nennt. Mit Sexualität hat das gar nichts zu tun, und keinem Christen würde es in den Sinn kommen, die Empfängnis Jesu wegen ihrer Jungfräulichkeit "unbefleckt" zu nennen. Es ist Schnädelbach unbenommen, an sie nicht zu glauben. Aber ihre Pointe ist nicht, wie er glauben machen will, dass sexuelle Zeugung etwas Schlechtes wäre, sondern dass Jesus in einem anderen Sinn Gott seinen Vater nannte, als alle anderen Menschen dies tun können. In diesem Glauben eine "Verachtung der Weiblichkeit" zu sehen, darauf muss man erst einmal kommen. Eher könnte man sagen, hier werde der Feminismus denn doch zu weit getrieben. Parthenogenese ist ja, wenn irgendwo, dann in diesen Kreisen eine beliebte Utopie.

Mit Platonismus hat das alles natürlich gar nichts zu tun. Nietzsches gemeinsame Absage an Platonismus und Christentum hat allerdings eine andere, sehr ernste Seite, die Schnädelbach uns verschweigt. Er zitiert zum Schluss seines Aufsatzes Nietzsches Bemerkung, dass die "christliche Zucht zur Wahrheit sich am Schluss die Lüge im Glauben an Gott verbietet". Schnädelbach spricht vom Christentum, aber was er meint, ist offenbar der Glaube an Gott. Nietzsche allerdings war sich dessen bewusst, dass mit dem Glauben an Gott noch etwas anderes abhanden kommt: der Gedanke der Wahrheit. "Dass Gott die Wahrheit, dass die Wahrheit göttlich ist" ist für ihn "der Glaube der Christen, der auch der Glaube Platons war". Mit Gott stirbt auch dieser Glaube, und Wahrheit ist nichts mehr als der für jeweils jemanden nützliche Irrtum. Mit dem Ende der platonisch-christlichen Kultur wird Platz geschaffen für neue Mythen, die an keinem universalistischen Maßstab mehr zu messen sind und keiner intersubjektiven Rechtfertigung mehr bedürfen, sondern sich naturwüchsig durchsetzen. Wenn von Alternativen zum Christentum die Rede ist, sollten wir lieber Nietzsche lesen als vergeblich versuchen, "aufgeklärte Juden" zu werden.

5. Was heißt "Erbsünde"?

Was Schnädelbach weiterhin missfällt, ist die Lehre von der so genannten Erbsünde. Sie ist eine Erfindung von Paulus, sagen die einen, von Augustinus, die anderen. Juden kennen laut Schnädelbach nur eine gewisse "menschliche Schwäche". Wer am Ende dieses grausamen Jahrhunderts immer noch kein "Mysterium der Bosheit" (2. Thess. 2,7) hat entdecken können, wird es wohl nie entdecken. Schnädelbachs aufgeklärte Juden lesen offenbar die Bibel nicht, sonst würden sie im 51. Psalm wohl gelesen haben: "Siehe, ich bin in Schlechtigkeit empfangen, in Sünden empfing mich meine Mutter." Und schon das Buch Genesis lässt Gott nach der Sintflut resigniert sagen, er werde die Menschheit künftig nicht mehr durch Katastrophen wie diese zu erneuern suchen, "denn das Dichten und Trachten des Menschen ist böse von Jugend auf" (Gen. 8,21).

Peccatum originale, Ursünde, das heißt: Menschen werden nicht hineingeboren in eine unter Gott vereinte Menschheitsfamilie, und dass die Menschheit eine solche Familie nicht ist, ist die Folge der Verweigerung einer Chance am Anfang der Geschichte. Dieser Mangel aber betrifft das Gottesverhältnis jedes Einzelnen, denn nach jüdischem ebenso wie nach christlichem Verständnis gibt es ein Gottesverhältnis, das es erlaubt, zu Gott "Vater" zu sagen, nur in einem Volk von Brüdern und Schwestern, die das ebenfalls sagen. "Unus Christianus nullus Christianus", heißt es bei Tertullian. Nach christlichem Glauben ist Jesus der "neue Adam", der jene Familie aus Juden und Heiden stiftet, auf die hin Israel angelegt war, und der so "die Sünde der Welt wegnimmt". Er ist der, der "mein Vater" sagte und seine Jünger das Unser Vater lehrte. Wer nicht "in ihm" ist, kann vielerlei Gutes tun, aber nichts, was für sein Gottesverhältnis konstitutiv wäre. Denn wenn Gott "jemand" ist, dann kann die Wiederherstellung dieses Verhältnisses nur von ihm ausgehen. Die katholische Kirche schließt aber - und das verschweigt wiederum Schnädelbach - jeden als Ketzer aus, der lehrt, dass nur die das Heil erlangen, die sich als Christen bekennen und der Kirche angehören. Der göttliche Logos "erleuchtet jeden Menschen, der in diese Welt kommt" (Joh. 1,9 ). Was zählt, ist die Liebe. Sie ist die Gegenwart Gottes, und durch die gehört man zu der Familie, "außerhalb derer kein Heil ist".

Das alles mag man glauben oder für ein spekulatives Konstrukt halten. Aber was ist daran eigentlich "menschenverachtend"? Die calvinistische Prädestinationslehre verteidige ich nicht. Für Schnädelbach ist sie offenbar die einzig christliche, weil sie ihm als die abstoßendste erscheint. Er liebt die Ökumene der Absurditäten. Aber auch bei Zugrundlegung des principle of benevolence ergibt sich nicht, dass das Christentum von Anfang an so etwas wie Menschenrechte proklamiert hätte. Was es lehrte, war die Würde jedes Menschen, ob Christ oder Nichtchrist, und die Christenpflicht, jedem Menschen entsprechend zu begegnen. Die Operationalisierung des Gedankens der Menschenwürde zu Menschenrechten geschah erstmals zu Beginn der Neuzeit durch Francisco Vitoria und andere spanische Jesuiten, die gegenüber den Konquistadoren darauf bestanden, dass ungetaufte Indianer als Ebenbilder Gottes zu behandeln sind, nicht zwangsweise christianisiert werden und nicht versklavt werden dürfen. Gott gegenüber allerdings Rechte geltend zu machen, das kindisch zu finden, hat Paulus sich nicht ausgedacht, sondern in den Psalmen und im Buch Hiob zur Genüge lesen können.

6. Macht Erinnerung blutrünstig?

Anstoß nimmt Schnädelbach des Weiteren daran, dass der christliche Glaube die Kreuzigung Jesu mithilfe der Gottesknechtslieder des Propheten Jesaia als "Opfer" deutete. Gott habe, so meint er, nach dieser Lehre eine Blutorgie veranstaltet, weil er, rachsüchtig wie er ist, anders nicht bereit gewesen wäre zu verzeihen. Das ist ein verbreitetes Missverständnis. Wenn Mephisto sich "einen Teil von jener Kraft" nennt, "die stets das Böse will und stets das Gute schafft", kommt er der Sache schon näher. Gott veranstaltet nicht das Böse, aber er vereitelt dessen Intention und stellt es, wenn es denn geschieht, in den Dienst der Seinen, sodass es im Rückblick so aussieht, als sei alles notwendig gewesen: "Musste nicht Christus leiden?" (Luk. 24, 26). Das Christentum hat sich doch nicht den Tod Jesu ausgedacht, sondern glaubt an eine universale Sinngebung dieses von Menschen verursachten Todes. Auch das muss niemand glauben. Aber was ist daran schlimm, sodass Schnädelbach sich so echauffieren muss? Das Christentum lehrt nicht, was Gott könnte, sondern was er tut. Und was er nach christlicher Lehre tut, ist, dass er den Tod seines Sohnes annimmt als "Sühne" für die selbst verschuldete Gottferne der Menschheit und für die erdrückende Last des Unrechts. Es steht damit in der Kontinuität der unvordenklichen Opfertradition der gesamten jüdischen und nichtjüdischen Menschheit. Es hört nicht einfach, wie das Judentum, nach der Zerstörung des Tempels mit dem Opfern auf, weil "es auch so geht", sondern es hebt diese Tradition ein für alle Mal von innen her auf durch die Erinnerung an ein letztes, endgültiges Opfer. Es glaubt nicht an einen "jüdischen Gott", der an Jom Kippur anders verzeiht, sondern dass er auch an diesem Tag verzeiht im Blick auf das Opfer dessen, der alle im jüdischen Tempel geopferten Schafe und Rinder ein für alle Mal abgelöst hat.

Das Christentum löst die Mythen nicht ab, indem es sie für Unsinn erklärt, sondern indem es einen letzten Mythos erzählt, in den alle münden und den Christen für wahr halten.

Der Gedanke einer sühnelosen Verzeihung wäre schwer vereinbar mit dem Grund, warum Menschen überhaupt an Gott glauben. Ein wesentliches Element dieses Glaubens ist der Gedanke der Gerechtigkeit, die Weigerung, hinzunehmen, dass es auf die Hekatomben von Ermordeten in Ewigkeit keine andere Antwort geben wird als "Schwamm drüber". Nietzsche hat leicht reden von "jüdischer Rachsucht". Für den unrecht Leidenden ist der Gedanke empörend, dass die einzige Antwort wohlwollendes Vergessen sein wird. "Verzeiht ihnen nicht!", war das Gebet Elie Wiesels mit Bezug auf die Täter von Auschwitz. Wenn die Karmeliterinnen in Auschwitz auch für die Täter beteten, dann, weil sie glaubten, dass es eine Sühne für deren Taten bereits gab. Kant meinte, wenn ein Staat sich auflöse, müsse er zuvor alle einsitzenden Mörder hinrichten, "damit die Blutschuld nicht an dem Volk haften bleibe". Dies war der mythische Gedanke eines Aufklärers, der nicht mehr an die stellvertretende Sühne durch den Tod eines Mensch gewordenen Gottes glaubte. Thomas von Aquin, der daran glaubte, konnte das Strafrecht auf die weniger metaphysische Bedeutung einer Sicherung des Gemeinwohls reduzieren. Wenn der Erlösungsmythos nicht die Wahrheit ist, so hat bisher doch niemand einen schöneren erzählt, einen, der es erlaubt, Gott zugleich als gerecht und Allerbarmer zu denken.

Dass das Kreuz als Zeichen der Erlösung deshalb verwerflich sei, weil "Passionsgeschichten und Martyrerlegenden die beste Einübung in die christliche Behandlung der Heiden und Ketzer waren", darauf ist allerdings bisher noch niemand gekommen (die Martyrerakten der ersten Jahrhunderte kennt Schnädelbach anscheinend nicht). Den kleinen Unterschied zwischen Tätern und Opfern kann man anscheinend vernachlässigen, und den Holocaust sollte man tunlichst leugnen, weil die Erinnerung an die Opfer ebenso wie der Gesang O Haupt voll Blut und Wunden Nachahmungstäter zu Untaten animiert! Vor dieser Logik kann man nur noch verstummen.

7. Die Letzten Dinge

Einer ähnlichen Logik folgt das Argument gegen die Lehre von den Letzten Dingen. Dass Schnädelbach etwas gegen die Idee eines Bereiches hat, in dem Recht und Unrecht als das erscheinen, was sie sind, haben wir schon erfahren. Die empirische Welt, meint er, werde herabgewürdigt durch den Gedanken, es könnte eine bessere geben. Aber nun lernen wir, dass der Gedanke eines endgültigen Reiches Gottes deshalb verwerflich ist, weil man dabei nur Gott durch einen Götzen ersetzen brauche, und schon sei man bei Blochs Ubi Leni ibi Jerusalem und beim Archipel Gulag. Ja, so ist es. Aber ein Gedanke wird nun ein anderer Gedanke, wenn man seinen wesentlichen Inhalt durch einen anderen ersetzt. Judentum und Christentum verlangen, Gott eben nicht auszutauschen und es dabei zu lassen: "Mein ist die Rache. Ich will vergelten, spricht der Herr" (5. Mos. 32, 35), auch wenn dagegen nun wieder die Lenins protestieren, weil man sie durch Vertröstung davon abhält, endlich hier das Gelobte Land zu verwirklichen.

Und hat nicht Schnädelbach auch etwas gegen Vertröstung? Und da ist schließlich noch die Offenbarung des Johannes, mit der man uns angeblich seit Jahrtausenden terrorisiert. Sie war ein Trostbuch für Christen unter der Neronischen Verfolgung. Später hat es die Kirche gern unter Verschluss gehalten, weil seine verschlüsselten Botschaften vor allem chiliastischen Sektierern willkommmen waren. Die Lehre vom Jüngsten Gericht allerdings, in dem die Barmherzigen Barmherzigkeit erlangen und die Unbarmherzigen zu vergeblichen Existenzen werden, also die Lehre von Himmel und Hölle ist unbezweifelbar jesuanisch. Theologen, die davon den Katechismus reinigen wollen, müssen erst einmal Jesus selbst auf pedagocical correctness hin zensieren. Und wenn Schnädelbach es "christlich" findet, das zu tun, so staunt man, dass das Christliche nun auf einmal doch etwas Gutes sein soll. Nur, vor diesem Maßstab des Christlichen kann Jesus kaum bestehen. Er hat nun einmal die "Königherrschaft Gottes" gelehrt.

Das Dies Irae hat er nicht geschrieben, und Schnädelbach kann zufrieden sein: Die katholische Kirche hat es seit 30 Jahren aus dem Requiem entfernt, leider Gottes. Denn nun muss man in den Konzertsaal gehen, wo es passend ist, den Tränen freien Lauf zu lassen bei dem von Mozart vertonten Flehruf: "Quaerens me sedisti lassus / redemisti crucem passus / tantus labor non sit cassus." (Mich suchend sankst Du, erschöpft, am Kreuz Erlöser, nicht umsonst sei solche Mühe). Das ganze Christentum ist in diesem Vers. Denn "das Christentum lehrt nicht, dass die menschlichen Probleme lösbar sind, sondern dass das Flehen erhört wird" (N. G. Davila).


 Artikel zu diesem Thema:

DIE ZEIT 22/2000: Das Christentum und die Geschichte seiner permanenten Selbstkritik von Richard Schröder
200022.replik_schnaedel.html

DIE ZEIT 20/2000: Der Fluch des Christentums. Von Herbert Schnädelbach
200020.christentum_.html

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