Die Atomisierung der Information

Die multimediale Ursuppe als Mutter aller Inhalte

ras. Einige Zeitgenossen ahnen bereits die Herankunft einer neuen Revolution, welche die durch den PC bewirkten Umwälzungen in den Schatten stellen werde. Sie denken dabei an die Bestrebungen, mobile Kleinstrechner Internet- tauglich zu machen. Von «exciting industries» spricht das englische Magazin «The Economist» angesichts der Verbandelungen zwischen Mobiltelefon- und Computerunternehmen.

Dank den neuen Mobiltelefonen oder ähnlichen drahtlosen Kleinstrechnern sollen die Benutzer künftig in der Lage sein, Börsendaten, News oder Wetter- und Reiseinformationen abzufragen, E-Mails auszutauschen oder gar elektronischen Handel zu betreiben. Damit liesse sich die Reichweite des Internets massiv ausbauen, denn auch in den USA, wo das World Wide Web am intensivsten genutzt wird, verfügt nur etwa die Hälfte der Haushalte über einen Computer.

Es kann durchaus sein, dass diese flexible, handliche, überall und jederzeit einsetzbare Technik einem gewichtigen Personenkreis genügen könnte, um das Internet für seine Bedürfnisse zu erschliessen. Ausführliche Berichte und Analysen oder durchdacht arrangierte Websites sind allerdings auf dem Bildschirmchen eines Mobiltelefons nicht mehr entzifferbar. Hier finden nur noch «reine Facts» und Ziffern Platz.

Diese Entwicklung entspricht einem bereits seit langem anhaltenden Trend hin zur Atomisierung der Information. Wer heute Diskussionen über die Zukunft unserer Medienwelt verfolgt, vernimmt immer seltener das Wörtchen Information. Zeitgemässe Medienmanager sprechen heute von Daten und vor allem: von Content, was schlicht und einfach Inhalt bedeutet. Die Presse heisst auch nicht mehr Presse, sondern Printmedien, obwohl der intellektuelle Mehrwert dieser dürren Wortkreation unergründlich bleibt.

Dieser Jargon spiegelt den technischen und ökonomischen Sachzwang. Denn die Digitalisierung macht alle gleich. Ob Bilder, Schriften oder Klänge - in technischer Hinsicht sind es nur Daten, die sich beliebig vermengen und über beliebige Kanäle verbreiten lassen. Und weil in allen Medienhäusern die Kosten explodieren, gilt es, die digitale Technik möglichst effizient zu nutzen. In diesem Milieu wurde denn auch die «Datenbank-Theorie» geboren: Im Mittelpunkt verlegerischen Tuns steht danach nicht mehr der Kommentar oder der analysierende Bericht, sondern ein grosser Topf, in den Daten und Informationsfragmente jeglicher Art geworfen werden. Bild-, Text- und Tonspezialisten greifen danach wieder hinein, um aus der multimedialen Ursuppe je nach Gusto Artikel, Filmberichte oder Websites zu fabrizieren oder die Datenarrangements in Form von Zeitungen, Fax-News, E-Mails, Broschüren oder Fernsehprogrammeen in die Welt zu streuen. Noch mögen die Tücken des technischen Details den Hoffnungen auf lückenlos verwertbare Datenbanken einen Strich durch die saubere Rechnung machen. Ultramoderne Telefonapparate sind jedenfalls derart komplex geworden, dass die Unternehmen ihre Mitarbeiter in Schulungskurse schicken müssen. Wer einen Blick in solche Kurse wirft, wird erschüttert sein, welche Verwirrungen da entstehen ob eines Geräts, das einst auf einfachste Weise den telefonischen Kontakt zur Aussenwelt gewährleistete.

Doch diese Probleme sind früher oder später lösbar. Noch kaum bedacht sind hingegen die Auswirkungen der Datenbank-Theorie auf unser Denken und Wissen über die Welt. Unter den Bedingungen der Digitalisierung dürften die Medienkonzerne ganz anders funktionieren. Die Gefahr besteht, dass die künftigen «Endprodukte» bedeutend stromlinienförmiger aussehen werden, weil eine effiziente Datenbankbewirtschaftung keine fruchtbare Basis für eigensinnige Schöpfungen darstellen dürfte. Hinzu kommt - angesichts des Vormarsches der serviceorientierten Medienstrategen - die bereits jetzt intensiv praktizierte Zerstückelung von Sachverhalten zugunsten von verbraucherfreundlichen Schnipseln. Der Weitblick schrumpft zunehmend zur Nabelschau zusammen.

Neue Zürcher Zeitung, 19. Februar 1999

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