USA

Sexschnüffler in Uniform

Nach einem archaischen Moralkodex bestraft das Militär immer noch Ehebruch - manchmal mit tödlichen Folgen.

Es war ein letzter Akt der Rücksichtnahme: An einem Sonntag im März wartete Karen Tew, bis ihre Eltern zum Gottesdienst gegangen waren. Dann setzte sie eine Schrotflinte zwischen ihre Augen und drückte ab.

Fünf Tage zuvor hatte ein Militärgericht Tew, 41, Oberstleutnant und Mutter zweier Teenager, "unehrenhaft" aus der Luftwaffe verstoßen. Sie hatte alles verloren - ihren Beruf, ihre Pension und das einzige Leben, das sie kannte.

Und dabei schien sie noch Glück zu haben. Ihr drohten bis zu zehn Jahre Gefängnis - für ein "Verbrechen", das die amerikanischen Streitkräfte so unnachsichtig verfolgen, als sei ihr Oberbefehlshaber Queen Victoria.

Tew hatte Ehebruch gestanden und zugleich strafwürdige "Verbrüderung", weil sie sich mit einem rangniederen Soldaten eingelassen hatte. "Einsam und verletzlich" sei sie gewesen, bekannte sie vor dem Tribunal und flehte vergebens, daß ihr wenigstens der Schutz der militärischen Krankenversorgung erhalten bliebe: Ein gerade entdeckter Knoten in ihrer Brust legte den Verdacht auf Krebs nahe, eine Tochter wurde wegen eines Gehirntumors behandelt.

Sie sah nur einen Ausweg: Der Selbstmord, rechtzeitig vor dem formellen Termin der Entlassung, bewahrte ihrer Familie Rente und Krankenschutz.

Jetzt, zwei Monate später, bereitet sich eine andere Frau auf den unfreiwilligen Abschied aus dem Militärdienst vor: Kelly Flinn, 26, die erste Pilotin, die interkontinentale Atombomber vom Typ B-52 fliegen durfte, soll wegen Ehebruchs aus dem Cockpit geworfen werden.

Doch der Knall, mit dem sie geht, verletzt diesmal die Air Force mehr als die Fliegerin. In einem geschickten PR-Feldzug haben der flugnärrische Oberleutnant und ihr Anwalt die Öffentlichkeit gegen die Moralwächter in Uniform aufgebracht. Und seit Mitte voriger Woche sogar der republikanische Mehrheitsführer im Washingtoner Senat, Trent Lott, dem Pentagon vorhielt, die junge Frau werde "übel mißbraucht", scheint möglich, daß Flinn ehrenhaft aus dem Dienst scheiden darf.

Die Pilotin, die nicht nur des Ehebruchs, sondern auch des Meineids und Ungehorsams beschuldigt wird, entginge damit einem Militärstrafrecht, dessen archaischen Vorschriften immer mehr Angehörige der Streitkräfte zum Opfer fallen. "Wir sind die letzte Bastion viktorianischer Redlichkeit", lobte Oberst a. D. Harry Summers die Schnüffelpolitik.

Zwar wird Ehebruch noch in vielen US-Staaten mit Strafe bedroht. In Arizona begehen beide Seitenspringer einen Gesetzesverstoß, wenn einer der beiden verheiratet ist. In der Bundeshauptstadt Washington würden nur dann beide straffällig, wenn die Frau verheiratet, der Mann aber ledig ist. Maryland beläßt es bei einer Buße von zehn Dollar, Minnesota stellt jede Beziehung zu einer verheirateten Frau unter Strafe. Aber die Delikte werden kaum noch geahndet.

Anders bei den Streitkräften: Voriges Jahr leitete allein die Air Force 67 Militärgerichtsverfahren wegen Ehebruchs ein. Hunderte Fälle wurden in Disziplinarverfahren beigelegt. Der Seitensprung in Uniform ist strafbar, seit der Continental Congress 1775 das Kriegsgesetz verabschiedete und damit die Militärgerichtsbarkeit ins Leben rief, noch ehe die junge Nation über ein ziviles Justizsystem verfügte.

In den reinen Männerarmeen vergangener Jahrzehnte diente der Schutz der Ehe als Versicherungspolice für Soldaten, die fern der Heimat im Einsatz waren. Niemand sollte ungestraft in den ehelichen Gefilden eines Kameraden wildern dürfen, während der Leib und Leben fürs Vaterland riskierte. Zugleich sollte vermieden werden, daß der überlebenswichtige Zusammenhalt von Truppenteilen durch Eifersüchteleien gefährdet würde.

Nie aber erwarteten die Kommandeure, daß der Soldat seiner Libido Einhalt gebot, solange er nicht die Ehe eines Kameraden gefährdete. Gehörten früher Prostituierte zu den ständigen Begleitern marschierender Heere, geriet der Seitensprung später gar zum Massensport: Auf Kriegsschiffen wurden beim Hafenbesuch Kondome ausgeteilt - für Verheiratete wie Unverheiratete. Und in Korea fand Anfang der siebziger Jahre der ehemalige Militärrichter Kerry Buckey "unter 500 bis 600 Männern meines Geschwaders allenfalls zwei, die kein sexuelles Verhältnis mit einheimischen Frauen begonnen hatten". Buckey, versteht sich, war einer der beiden.

Aus dem texanischen Fort Bliss ziehen noch heute Hunderte GIs in die Bordelle der mexikanischen Grenzstadt Juarez.

Seit 192 000 Frauen - von insgesamt 1,5 Millionen Soldaten - in Amerikas Berufsarmee dienen, sind die Sitten strenger. Denn nun gilt es auch noch, Abhängige vor unerwünschtem Sex zu schützen, etwa Rekrutinnen vor den Nachstellungen ihrer Ausbilder. Die Army verbietet deswegen jeden Intimverkehr zwischen Vorgesetzten und Untergebenen.

Die Air Force geht noch weiter. Flinn geriet in die Mühlen der Militärjustiz, obwohl sie ihre Liebesbeziehung zum Zivilangestellten Marc Zigo in der Annahme aufgenommen hatte, der habe bereits seine Scheidung eingereicht. Wegen des Scheidungsverfahrens und ihrer Heiratspläne leugnete sie in Absprache mit ihrem Geliebten zunächst die Verbindung. Auch die penetranten Fragen der Sexdetektive, die alle Details von Vorspiel bis Verhütung, von Stellung bis Orgasmus ausforschten, ließen die junge Frau Ausflüchte suchen.

Luftwaffenministerin Sheila Widnall ist durch die Affäre in einen kaum lösbaren Konflikt geraten: Bewilligt sie Kelly Flinns Gesuch auf ehrenhaften Abschied, läßt sie nach Meinung vieler Militärs aus politischen Motiven einen Verstoß gegen die Disziplin durchgehen. Stellt sie die Pilotin dagegen vor das Militärgericht, wird sie die Öffentlichkeit der Hexenjagd beschuldigen.

Nur eines hat die Air Force gezeigt - sie ist nicht nachtragend. Nachdem Karen Tew ihrer Entlassung durch Selbstmord zuvorgekommen war, gewährte die Luftwaffe eine Beisetzung mit allen Ehren, inklusive Mahnwache und 21 Schuß Salut.

DER SPIEGEL 22/1997 - Vervielfältigung nur mit Genehmigung des SPIEGEL-Verlags