Nr. 16/2000

Wie es bleibt, so ist es nicht

Frankreich feiert den vergessenen Philosophen Jean-Paul Sartre und zweifelt, ob der postmoderne Zeitgeist der Weisheit letzter Schluss ist. Doch was bleibt vom Erbe des Existentialismus? Und was vom politischen Intellektuellen Jean-Paul Sar
 Von Thomas Assheuer

Nun gilt es zu beginnen. Aber wie? Und wo? Das ist nebensächlich: in einen Toten tritt man ein wie in eine offene Stadt." So beginnt der unsterbliche Idiot der Familie, Sartres grandiose Verewigung des Gustave Flaubert. Bis vor kurzem war Sartres Werk selbst eine tote und verfallene Stadt, und kein Lebender wollte sie mehr betreten, denn sie lag weitab von allen gängigen Wegen. Wer heute, zwanzig Jahre nach Sartres Tod, allen Warnungen zum Trotz, in diese labyrinthische Stadt eintritt, begegnet in ihren Schluchten zuerst Antoine Roquentin, dem Wahrheitssucher in Sartres 1938 erschienenem Roman Der Ekel. Ekel ist ein Gefühl, das übrig bleibt, wenn nichts mehr bleibt. Wenn bei "geschlossenen Fensterläden" ein Schleier zerreißt und das Bewusstsein in die Obszönität der Welt "zerbirst". Wenn in der Schlaflosigkeit die Abstraktionsidyllen von Philosophie und Religion zu Staub zerfallen. Wenn nichts mehr bleibt als das Nichts des absurden, bodenlosen und zufälligen Subjekts. Ekel ist Erkenntnis. Antoine Roquentin: "Ich existiere - die Welt existiert. Das ist alles."

Das ist alles, aber ein Anfang, der bis zum Ende reicht. Sartre, Gymnasiallehrer in Paris, will das Denken noch einmal "hinauswerfen in den trockenen Staub der Welt" und dem Begriff die existenzielle Anschauung lehren. Kurz darauf wird er als Wetterdienstsoldat zum Militär eingezogen, liest Heidegger und verwandelt dessen Fundamentalontologie in eine Philosophie der Résistance. Antoine Roquentin begegnet seiner eigenen Frage. Was bleibt in diesem terroristischen Jahrhundert übrig? Was ist "wirklich"? Nur das "Ich bin", das Nichts der einsamen und absurden Subjektivität. Sie ist das einzig wirkliche Prinzip, das am Ort seiner Existenz aufzusuchen und zu analysieren ist. "Wir sind allein", schreibt Sartre später, "ohne Entschuldigung. Nichts kann die Menschen vor sich selbst retten, und auch nicht ein Beweis Gottes." Das ist der Refrain der Freiheit und die Urszene der französischen Nachkriegsphilosophie. "Der Mensch ist nichts anderes als das, wozu er sich macht." Existenz geht der Essenz voraus. Man kann wählen. "Der Existentialismus sagt dem Menschen, dass es Hoffnung nur im Handeln gibt und die Tat das einzige ist, was dem Menschen zu leben erlaubt."

Mit falschen Papieren flüchtet Sartre aus der Kriegsgefangenschaft und veröffentlicht 1943 sein erstes Hauptwerk. Das Sein und das Nichts entwirft eine wuchernde, kühne Ontologie der Freiheit, die von faszinierenden Beschreibungen überbordet und doch mit zwei kargen, von Hegel geborgten und existenzialistisch verflüssigten Bestimmungen auskommt: dem Für-sich-Sein und dem An-sich-Sein. Dem ruhelosen, ständig von sich losgerissenen, nie mit sich identischen Subjekt steht die kalte Faktizität der Wirklichkeit gegenüber, jenes zeitlose An-Sich, das unablässig "genichtet" und von einem Entwurf erhellt werden muss.

Reflexion ist Verneinung; nur durch Negation des uns umgebenden An-Sich verstehen wir uns darauf, was und wer wir sind. "Der Mensch ist von dem, was er ist, immer getrennt durch die ganze Weite des Seins, das er nicht ist." Deshalb ist das Leben außer Atem, je schon zu spät und sich stets voraus, zwischen Ohnmacht und Allmacht, Angst und Hoffnung. Und dann der entscheidende, der dunkelste und hellste Satz: "Das Für-sich-Sein ist ein Sein, das nicht das ist, was es ist, und das ist, was es nicht ist."

Diese Verbindung aus Transzendentalphilosophie und Daseinsontologie macht den Autor nach 1945 auf einen Schlag weltberühmt. Das Sein und das Nichts ist ein geistiger Meteorit, der das totalitäre Zeitalter zertrümmern soll. Mit seinem untrüglichen Gespür für gefährliches Denken setzt der Vatikan Sartres Bücher auf den Index, während rechtgläubige Kommunisten Sturm laufen gegen einen Mann, der "unsere Jugend in Verzweiflung treibt". Es beginnen die années Sartre, aus dem Existenzialismus wird ein Lebensstil, ein Missverständnis, das zu verhindern Sartre wenig Neigung zeigt. Doch so großartig die Beobachtungen und Analysen in Das Sein und das Nichts waren, auf den Abschnitten über den Blick oder das Begehren lagen eine düstere Aussichtslosigkeit, ein unstillbarer Zweifel an Verständigung, Kommunikation und Liebe. Ich gegen ich, Für-Sich gegen Für-Sich, Entwurf gegen Entwurf. Ein Blick ist eine Drohung und das Leben ein Sein zum Krieg. "Ich sehe mich immer in den Augen anderer, ihr Blick enthüllt meine Subjektivität, indem sie sie zum Objekt macht." Die Liebenden quälen sich in Herrschaft und Knechtschaft, Masochismus und Sadismus. Die Hölle, das sind die anderen.

Liebe ist das Wechselspiel von Herrschaft und Knechtschaft

Dann Einspruch. Wie lässt sich unter diesen Bedingungen eine Gesellschaft denken? Wie gelangt man von einer Theorie radikaler Wahl zu Gemeinschaft und Intersubjektivität? Ist Sartres freies Subjekt ein körperloses Ego und seine Vorstellung vom Handeln blindwütiger Aktivismus? Wenn jeder in Freiheit wählen kann - ist dann auch der Sklave frei? Wie kann man wählen, ohne die Kriterien der Wahl nicht immer schon gewählt zu haben?

Sartre hatte sich im Dickicht seiner Dichotomien verstrickt; die Schwäche seines methodischen Individualismus liegt offen zutage. In Wahrheit und Existenz klagt er zunächst über Heidegger, weil dieser "Geworfenheit" zum "Geschick" mystifiziere; dann erweitert Sartre seinen Freiheitsbegriff und will ihn als zwischenmenschliche Gabe verstehen, die dem Anderen zur Prüfung angetragen wird. Doch entscheidend bleibt, bis zu seinem zweiten Hauptwerk, Kritik der dialektischen Vernunft, etwas anderes, und vielleicht bildet es das Motiv des ganzen Werks: Weil sich für Sartre im Moment der Reflexion nicht die Autorität des Seins zeigt, sondern, ganz schlicht, nur die Grenze unseres Bewusstseins, ist es ihm möglich, zwei scheinbar unvereinbare, konträre Philosophen zusammenzulesen: Marx und Kierkegaard. Von Kierkegaard übernimmt Sartre die Hoffnung, schon die aussichtslose Reflexion auf die Bedingungen unserer Endlichkeit verändere das Bewusstsein. Wie es bleibt, so ist es nicht. Marx hingegen färbt Sartres Forderung nach einer gerechten Gesellschaft, die den Daseinskampf beendet.

Mit diesem gemischten Doppel gewinnt er freie Hand. Sartre kann gegen die orthodoxen Marxisten ebenso zu Felde ziehen wie gegen den Existenzialismus der Anti-Modernen. Die linken Dogmatiker beschuldigt er, sie verachteten die "Einzelheit und Einzigkeit eines Menschen"; das "einzelne All", die singuläre Unmittelbarkeit des Lebens könne aus keiner Klassenzugehörigkeit abgeleitet werden. Den tragischen Konservativen aber macht Sartre klar, dass erst eine radikale und gerechte Demokratie die Voraussetzung dafür bildet, dass sich die Menschen zu ihrer Existenz verhalten und mit Bewußtsein ihre absurden Komödien leben können. Indem er strikt zwischen politischem System und individuellem Dasein unterscheidet, zieht Sartre die Lehre aus Heideggers politischem Fiasko. Denn dass der Staat befugt sei, den Einzelnen in sein "eigentliches" Dasein zu kommandieren - darin lag für Sartre der deutsche Sündenfall, die Existentialisierung von Politik.

Vor eigenen Irrtümern und ständigen Widersprüchen hat ihn dies nicht bewahrt. Sartres politische Fehlversuche sind schwer begreiflich - oder auch nicht. Ohne Echo blieben Albert Camus' Warnungen vor dem leeren Dezisionismus einer kontext- und geschichtslosen Emanzipation. Sartre verwechselte nicht nur Freiheit mit Befreiung, er war auch seltsam blind für die Institutionen des Rechts. 1946 rechnet er in Materialismus und Revolution mit der kommunistischen Orthodoxie ab - dann rühmt er Stalins "Volksdemokratie", die sich "durch Liquidierung der Opposition erneuert". 1954 bescheinigt er der Sowjetunion, in ihr herrsche eine "totale Freiheit der Kritik"; Chruschtschows Bericht über Stalins Verbrechen nennt er einen kapitalen Fehler. Erst in letzter Minute rang sich Sartre dazu durch, den Einmarsch in Budapest 1956 zu verurteilen, während sieben Jahre später die Sowjetunion wieder "das einzige Land ist, wo das Wort Fortschritt noch einen Sinn hat". Nachdem er mit der Kommunistischen Partei Frankreichs abgerechnet hat, wechselt er die Fahne und feiert China, wo angeblich die "Mauern der Einsamkeit gebrochen" seien. Und Hand in Hand mit Che Guevara unterbreitet er den dämlichen Satz, es sei schließlich nicht seine "Schuld, wenn die Wahrheit marxistisch ist". Es wird immer leichter, gegen Jean-Paul Sartre Recht zu bekommen.

Im Mai 68 glaubte Sartre an einen neuen Anfang, aber es war der Anfang vom Ende des totalen Intellektuellen. Längst lag der Schatten des Neostrukturalismus über dem Pariser Milieu, das Sartre den Rücken kehrte und anderen Botschaften folgte, vor allem der faszinierenden Hegel-Lektüre von Alexandre Kojève, der funkelnden Suggestion vom "Ende der Geschichte" und des politischen Engagements. Der Wind hatte sich gedreht. Bald ist Sartre der belächelte Alte, der einsam seine maoistischen Blätter unters Volk bringt, ein mit Amphetaminen aufgeputschter, langsam erblindender Hofnarr, an dem die Staatsräson sich ihrer repressiven Toleranz versichert. Voltaire verhaftet man nicht, sagte de Gaulle und ließ Sartre laufen, während die anderen Herausgeber von La cause du peuple hinter Gitter wanderten.

Sartre war ein erledigter Fall, ein klassisches Monument, von den compagnons de route nur noch aus der Ferne gegrüßt. Raymond Aron, der Sartre für Husserl begeistert hatte, nannte seinen alten Schulfreund einen in die Politik verirrten Moralisten. Claude Lévi-Strauss behandelte den Existenzialismus antiquarisch als ein "sich selbst bewunderndes Unternehmen, in dem der zeitgenössische Mensch vor sich selbst in Ekstase fällt" und "in einem ideologischen Café du Commerce... unentwegt lokale Probleme wiederkäut, über die hinauszusehen die verräucherte Atmosphäre ihres dialektischen Tabakkollegiums sie hindert". Und mit sanfter Unerbittlichkeit wirft ihm der wunderbare Merleau-Ponty "Ultra-Bolschewismus" vor; für Sartre seien Politik und Aktion nur "Zubehör oder Erweiterung des personalen Lebens ... Die Wahl hat nur stattgefunden, um das Vorhandensein der Wahlfreiheit zu beweisen." Allein Roland Barthes zeigte sich souverän, während Michel Foucault unter fremdem Namen einen Artikel veröffentlichte, in dem er Sartre den Totenschein ausstellt und einen gewissen Foucault als den Mann der Zukunft annonciert. Genüsslich rechnete er Sartres freiem Subjekt die humanistischen Prätentionen vor. Das Subjekt? Ein Wortspiel, eine Falte im Gewand des Abendlandes, Denkstaub im Schein der Nachmittagssonne. Wir "sitzen auf dem Rücken eines Tigers"; es sei absurd zu glauben, wir könnten "unsere Endlichkeit durch Erkenntnis öffnen". Sartre war ein toter Hund.

Heute feiert Frankreich seinen Sartre, wie Frankreich so feiert, und doch ist das Ausmaß der postumen Entzückung erstaunlich. Der ehemalige Anti-Sartreaner Bernard-Henri Lévy unterscheidet in seiner 600-seitigen Wiedergutmachung einen guten von einem bösen Sartre und vergleicht ihn mit Heidegger: Als Pessimisten, die in den Abgrund des Nichts und des Ekels gestarrt hätten, seien beide bedeutende Denker gewesen, doch wo "sie begannen, Wege zur Erlösung zu weisen, begann auch ihr Absturz". Wenn nicht alles täuscht, markiert die Sartre-Renaissance tatsächlich den Abschied von einer bestimmten Lesart der Postmoderne, jedenfalls von dem Ammenmärchen, die Realität gleiche einem Kunstwerk, einem Netz unentscheidbarer Varianten, in dem sich alles Handeln verfängt, weshalb es zum Konformismus und zum relativistischen Zeitgeist keine Alternative gebe. So wäre das Engagement für Sartre ein überfälliger Protest gegen die Denunziation des Intellektuellen, gegen die Verunglimpfung von Kritik und politischer Öffentlichkeit durch jene, die von nichts anderem träumen als von ihrer Geistesruhe unter der Kuppel einer handvergoldeten Staatsschutzkultur.

Frankreich mag mit Sartre eine überragende Gestalt feiern, einen unheilbar produktiven, dem "Fleisch der Wörter" glücklich verfallenen Intellektuellen. Doch so verständlich, zum Beispiel bei Karl Heinz Bohrer, der Wunsch nach der Wiederkehr des politischen Engagements ist, erst recht angesichts grassierender Zynismen, so bleibt vom alten Ethos wohl nur, was Sartre in den bescheidenen Augenblicken seiner Selbsteinschätzung zu Protokoll gegeben hat: dass der Intellektuelle "sich in Dinge einmischt, die ihn nichts angehen", dass er in einer Welt, in der niemand "unschuldig" ist, seine "Berühmtheit mißbraucht und ohne "letzte Wahrheiten operiert", um "Vorschläge" zu unterbreiten, die an nichts anderes appellieren als an die "Freiheit des Lesers". Der Intellektuelle hat "kein Mandat, keine Autorität, keinen Status", sondern nur das Recht, Unrecht zu haben. "Ich habe mein Werk getan. Ich habe gelebt. Die Kultur vermag nichts und niemanden zu erretten, sie rechtfertigt auch nicht. Aber sie ist ein Erzeugnis des Menschen, worin er sich wiedererkennt, allein dieser kritische Spiegel gibt ihm sein eigenes Bild."

Am 15. April 1980 ist Jean-Paul Sartre im Alter von 74 Jahren in einem Pariser Krankenhaus gestorben; vier Tage später folgen 50 000 Menschen seinem Sarg zum Friedhof Montparnasse. Die überwältigende Anteilnahme, die ungeheure Menschenmenge waren den Zeitgenossen ein Rätsel, und sie sind es heute noch. Um wen trauerte man? Um den "Luftzug" namens Sartre (Deleuze)? Um das agnostische Genie, das Pascals Wette auf Gott zu einer Wette auf die Freiheit säkularisiert hatte? Um den Atheisten der Freiheit, der von der Religion der Wörter verhext war? Trauerte die endlose Gemeinde um den grandiosen Schriftsteller, den furchtlosen Alarmisten, den schwierigen Dramatiker, der den Literaturnobelpreis abgelehnt hatte und über Genet, Baudelaire, Flaubert (und sich selbst) so inständig schreiben konnte wie kein Zweiter?

Vielleicht war es ganz einfach, und die Trauer galt einem Anthropologen der Freiheit, der etwas vom zerrissenen Leben, vom Reflexionsschicksal des modernen Bewusstseins verstanden hatte, das übrig bleibt, wenn nichts mehr bleibt: von der Mühsal, zugleich den Schrecken der Autonomie standzuhalten und dem Ekel des "Nicht-Seins" zu entkommen, der Ignoranz, der Selbsttäuschung, der mauvaise foi. Nur "der Ignorant lebt seinen Tod, und indem er seine Freiheit verweigert, projiziert er sie auf die Welt, die sie ihm in Gestalt des Schicksals zurückwirft". Es war der Traum vom Ineineinder aus egalitärer Gesellschaft und singulärer Existenz, von einem Leben, das sich nicht aufgeben und verfestigen darf, weil ohne die grammatischen Funken der Subjektivität die Welt zu einer "monströsen Masse" erstarrt, zum "Experimentallabyrinth", in dem die "Eingesperrten" wie "verrückte Nagetiere" vorwärts irren, Beute der "Vampire", Idioten der Familie, Objekte der Abrichtungen.

Sartres Subjektphilosophie ist auch heute noch aktuell

Auf diesem Terrain hat Sartre keinen Nachfolger gefunden. Unter dem Häckselmesser der Systemtheorie bleibt vom Subjekt nur eine ausdifferenzierte Illusion, ein "Formular". Die Hermeneutik stellt es unter Kuratel, und die Kritische Theorie ist subjektphilosophisch unmusikalisch. Sie versteht sich zwar blendend auf Intersubjektivität, aber der Einzelne, der dabei mitmachen darf, ist ihr ein dunkler Kontinent, der bei Störzeichen mit Hilfe psychoanalytischer Stoßtrupps durchleuchtet, therapiert und in die Weltkarte der Kommunikationsverhältnisse eingetragen wird. Seit Adorno hat sie ihm die Kontaktschuld zu Heidegger angekreidet, obwohl die Kritische Theorie von Jean-Paul Sartre die Solidarität mit dem Subjekt im Augenblick seines Sturzes hätte lernen können.

Hier, aber nur hier gibt es noch Anschluss. Obwohl Sartres Denken radikal nachmetaphysisch war, hat es sich nicht damit abfinden wollen, dass die Philosophie nur deshalb vor den Fragen der Ersten Person schweigen muss, weil sie den Trost der Religion nicht ersetzen kann. So hat Sartre der Philosophie völlig zu Recht die Anstrengung abverlangt, diese faktische Trost-Losigkeit noch einmal in die Reflexion aufzunehmen, um danach zu fragen, unter welchen politischen Bedingungen wir uns zu jener Absurditätserfahrung verhalten, die Antoine Roquentin stellvertretend für seinen Autor und dessen Leser durchlitten hatte.

Angesichts der heiklen, von keiner Theorie sprachlicher Intersubjektivität plausibel gemachten Verbindung aus Marx und Kierkegaard war es leicht, über Sartre zu triumphieren. Liest man sein Urteil über Genet, dann war es das größte Kompliment, das man ihm, dem "Reisenden ohne Fahrkarte", der von nichts und niemandem erwartet werden sollte, machen konnte. "Er treibt diese latente, verhüllte Einsamkeit, die die unsere ist, bis zum Äußersten, er bläht unsere Sophismen bis zum Zerplatzen auf, er läßt unser Scheitern bis zur Katastrophe anwachsen, er überbietet unsere Unaufrichtigkeit bis zur Unerträglichkeit ... Es stimmt: welche Gesellschaft auch immer auf unsere folgt, seine Leser werden nicht aufhören, ihm Unrecht zu geben, da er gegen jede opponiert; aber gerade deswegen sind wir seine Brüder."

Die Übersetzung der Werke Sartres wird vom Rowohlt Verlag betreut; Bernard-Henri Lévys Monografie trägt den Titel "Le Siècle de Sartre" (Verlag Grasset). Im Steidl Verlag liegt eine Einführung von Arthur C. Danto vor

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