Nr. 22/2000
Roter Wüstensand - soll das etwa ein nachwachsender Rohstoff sein, Herr Scheich? Wir stellen uns vor, wie der Gefragte sich räuspert und windet: »Genau, und leicht zu entsorgen. Einfach vor die Tür fegen!« Dann nennen Sie es wohl auch ökologisch verträglich, 600 Sack roten Wüstensand plus 60 arme Palmen von Abu Dhabi nach Hannover zur Expo zu fliegen? Für ein so genanntes »original Wüstenfort« aus Rigipsplatten?? »Tja«, grummelt Herr Scheich und flattert mit wehenden Gewändern davon zum Empfang der Vereinigten Emirate, »aber dafür haben wir die schönsten arabischen Tanzmädels!«
So reden Leute, bei denen das Flugbenzin aus der Erde kommt. Die anderen reden von »Agenda 21« und »Nachhaltigkeit«. Sie erfinden für ihre Expo das Motto »Mensch - Natur - Technik«
und erwarten selbst von so winzigen Ländern wie Bhutan, dass sie sich Gedanken darüber machen, wie man einen Länderpavillon nachhaltig baut.
Nachhaltigkeit heißt das Zauberwort der Expo. Aber wie nachhaltig sind Holz, Granitoidpflaster und Planen aus PVC?
Holz! »Holz ist wunderbar«, so der beliebte Sticker der Tischlerinnung. Holz wächst nach. Holz lebt, atmet, knarzt. Wenn Holz alt ist, ist es eine Antiquität. Nicht nur in Bhutan, auch in Schweden, Thailand und am Heiligen Stuhl müssen bei den jeweiligen Expo-Beauftragten die Köpfe geraucht haben, als sie erfuhren, dass ihr Länderpavillon öko sein muss. Und immer wieder fiel irgendwann das erlösende Wort ... Holz ist der Stoff, aus dem die Expo ist. Flächendeckend, allgegenwärtig, multifunktional. Der Expo-Baustoff. Quasi offiziell.
Wenn es Holz nicht gäbe, würden manche Expo-Aussteller in Sachen Nachhaltigkeit schön dumm dastehen. Die Türkei zum Beispiel. Hat eine Art Turnhalle aus Stahl und Glas gebaut, aber ein paar Bretter Holz vor die Fassade gehängt: Zack, öko! Oder die Ungarntulpe. Eine riesige Holztulpe, die rechts und links (Zaunpfahl: östlich und westlich!) eine Öffnung sowie einen Fußboden aus 1a-Stirnholz hat. Nach der Expo kann man aus dem Holz immer noch einen Abenteuerspielplatz machen, frei nach dem Recycling-Spruch: Ich war eine Tulpe. Und wenn der Spielplatz nicht mehr gebraucht wird, weil sich die Kinder lieber mit dem Gameboy amüsieren, wird das Holz klein geschnipselt und zu Pressspanplatten verarbeitet.
Der heimliche Hauptstoff heißt Polyvinylchlorid
Aus Pressspan kann man zum Beispiel einen Oktoberfestpavillon bauen. Bayern war traditionell schon immer sehr nachhaltig: Der »Biertempel« ist über die Platten hinaus aus Dachlatten, Kanthölzern 4 x 6 oder 10 x 10 und Multiplexplatten gebaut.
Übrigens ist das Gebäude schon zu trauriger Berühmtheit gelangt. Es steht direkt neben dem Meditationstempel aus Nepal, an dem 800 Nepalesinnen und Nepalesen in jahrzehntelanger Heimarbeit geschnitzt haben. Und weil man außerhalb Bayerns nichts von Biermeditation versteht, erwog Nepal rechtliche Schritte gegen den Standort des Biertempels. Der kriegt jetzt eine Lärmschutzwand - natürlich, unter anderem, aus Holz.
An dieser Stelle muss Herr Zumthor zu Wort kommen. Er ist Schweizer Nationalarchitekt, Erbauer des eidgenössischen Expo-Pavillons und hat zum Baustoff Holz eine deutlich abweichende Meinung. Zumthor findet, dass keineswegs alles Holz wunderbar ist. Zum Beispiel das Modeholz Multiplex, aus dem man heute ganze Küchen baut. Das sind vielfach aufgetrennte und wieder verleimte Sperrholzplatten, tüchtig versiegelt und oberflächenoptimiert. Ein reines Industrieprodukt, von homogener Struktur und wunschgemäß mausetot. Richtiges Holz aber lebt, trocknet, verbiegt sich, schrumpft. Sagt Herr Zumthor, der für die Expo eine lustige Idee hatte: Ich schneide im Wald ein paar frische Lärchen und Föhren ab, säge Kantholz daraus und staple das Holz so, dass ein paar Gänge und Kammern begehbar bleiben. Dieser Pavillon sieht zwar blöd aus, wie ein Trocknungsplatz für Bauholz. Dafür wird der Schweizer Holzhaufen nach der Expo tatsächlich wieder normales Bauholz sein. Kein Leim, keine Schraube, kein Nagel stören den Zweitnutzer. »Früher nannte man das wirtschaftlich«, sagt Herr Zumthor, »heute nachhaltig.«
Ökopavillons sind gut und schön; naja, schön vielleicht nicht immer. Aber sind sie auch dicht? Widerstehen sie dem gefürchteten niedersächsischen Landregen?
Rumänien hat einen Pavillon aus rankendem Efeu gebaut, gewiss den nachhaltigsten überhaupt, und das Niederschlagsproblem mit einem Blechdach gelöst. Doch meist greifen die Expo-Architekten in ihrer Not zu einem Werkstoff, der als pfui gilt und hier das Prädikat »heimlicher Hauptstoff« der Expo erhalten soll: Polyvinylchlorid. Der Bundesjugendring hat ein riesiges Bundesjugendzelt errichten lassen. Aus Riesenbaumstämmen. Gegen den Regen: PVC-beschichtetes Polyestergewebe. Haltbarkeit: über 15 Jahre. Preis: 8 bis 12 Mark der Quadratmeter, unverarbeitet. Solche PVC-Folien sind der Renner im so genannten textilen Bauen. Denken wir nur an Tennishallen. Oder an den japanischen Pavillon, der wie eine Tennishalle aussieht. Der japanische Pavillon besteht, das weiß bereits jedes Kind, zu hundert Prozent aus Pappe und Papier, Altpapier sogar, und wird später zu Klopapier recycelt.
Ein heißes Pflaster. Und garantiert wurfuntauglichBravo! Nur kollidierte die Idee des japanischen Papierbau-Architekten Shigeru Ban mit dem deutschen Bauvorschriftenwesen. Er musste Holzstreben einfügen, auf eine Treppe und eine Galerie verzichten - und eine PVC-Außenhaut einkaufen und montieren. Dabei haben die Japaner wasserdichtes Papier auf dem Dach! Thailand hat seinen Pavillon gleich komplett mit grüner PVC-Folie versiegelt. Nebenan präsentiert sich Australien mit einer lärmend roten Riesenkiste aus PVC. Nur die eigenwilligen Kolumbianer, die Häuser aus Bambusrohr bauen können, rollten auf ihrem Dach Dachpappe aus. Davon kann man später auch Straßen bauen.
Wo Millionen Leute (die Expo hofft sogar auf mehrere Millionen!) herumtrampeln wollen, wo niedersächsischer Landregen droht und somit ausgedehnte Sumpfgebiete, da muss der Boden versiegelt werden. Holz? Wäre eine Idee gewesen, ist aber nichts für Lkw, die auf dem Expo-Gelände anliefern. Asphalt? Ist dicht und billig, wirkt aber auch billig und irgendwie zu dicht. Also: Pflastersteine. Tatsächlich: Sie halten die Expo eigentlich zusammen. Im Wesentlichen in drei Formaten: Auf der so genannten Plaza, von der die Expo sagt, sie sei größer als der Platz vor dem Petersdom, sind Pflasterplatten des Formats 25 x 25 x 10 und des Sonderformats 75 x 75 x 14 verbaut; im Bereich der Pavillons so genanntes Granitoid-Pflaster 20 x 20 x 8 und 20 x 20 x 6.
Ungefähr eine Million Pflasterplatten und -steine (hier wollen wir kurz der Männer mit Knieschutz und Gummihammer gedenken!) sind auf dem Expo-Gelände verlegt worden. Dem aufmerksamen Auge wird nicht entgehen, dass keineswegs das Billigste genommen wurde. Und zwar enthält die oberste, die sichtbare, Schicht der Pflastersteine nicht den Sand der durch Hannover fließenden Leine; er gilt in Fachkreisen als unansehnlich. Die Auflageschicht besteht aus Edelspliten mit integrierten Glimmerstückchen und Edelstahl-Stanzabfällen. Damit das Gefunkel und Geglitzere frei liegt und der Stein sogar ein wenig feierlich aussieht - so nach ca. 40 Mark pro Quadratmeter (wenn unsereiner im Baumarkt einkauft) - wird die Oberfläche während der Produktion wassergestrahlt.
Sind Pflastersteine nachhaltig? Auf jeden Fall sind sie langhaltig. Fettige Wurstzipfel, Kippen, internationaler Auswurf und der Reifenabrieb von Luxuslimousinen bereiten keine Probleme, weil dieses Pflaster schmutzabweisend und gut zu reinigen ist. Die extreme Biegefestigkeit erlaubt sogar Schwerlastverkehr. Klug ausgewählt sind die stattlichen Formate der Steine: absolut wurfuntauglich.
Und unter dem Pflaster liegt der Strand. Nein, kein roter Wüstensand. Höchstens der vom Steinhuder Meer.
© beim Autor/DIE ZEIT 2000 Nr. 22
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