Kaum war die Besatzung von Apollo 11 mit ihrem gesammelten Mondgestein zur Erde zurückgekehrt, da wurde sie mitsamt ihrem Fund in Quarantäne gesteckt. Anno 1969 fürchtete man noch, die Astronauten könnten sich irgendwelche gefährlichen lunaren Keime eingefangen haben. Schon bald stellte sich allerdings heraus, dass der Mond vermutlich der sterilste Ort ist, den Menschen je betreten haben. Einige Jahre später landeten die Vikingsonden auf dem Mars, um festzustellen, dass es sich mit unserem Nachbarplaneten kaum anders verhält, zumindest an seiner Oberfläche.
Seuchen aus dem All waren seither allenfalls ein Thema für Science-Fiction-Autoren. Doch neuerdings nehmen Wissenschaftler der Nasa das Thema wieder ernster. Leben auf dem Mars und
im äußeren Sonnensystem wird nun doch für möglich gehalten, seit man weiß, dass es sogar in den garstigsten Gegenden der Erde von Leben nur so wimmelt - bis tief ins Gestein der Erdkruste. Manche Mikroorganismen halten extreme Temperaturen aus, einige widerstehen sogar der Kälte des Weltraums. Selbst die gefährliche Strahlung dort stecken manche dieser Superbazillen mühelos weg. Etwa Deinococcus radiodurans, seiner Widerstandskraft wegen auch Conan the Bacterium genannt.
Wenn es solche Ökosysteme gibt, wäre ihr Nachweis sicher die größte Entdeckung seit Kolumbus. Allerdings würde sie sehr erschwert oder sogar vereitelt, wenn Raumsonden solch potenziell lebensträchtige Orte des Sonnensystems mit irdischen Mikroben kontaminierten. Einen solchen Ort vermuten die Forscher beispielsweise unter dem Eispanzer des Jupitermondes Europa. Dort soll es einen Ozean aus flüssigem Wasser geben, möglicherweise erwärmt von vulkanischer Energie aus dem Mondinneren. Hinweise darauf verdanken wir vor allem der amerikanischen Raumsonde Galileo, die das Jupitersystem seit mehr als vier Jahren durchstreift.
"Galileo" bedroht Europa. Die Sonde wurde vor dem Start nicht sterilisiert
Doch von just dieser Sonde droht Europa nun biologische Gefahr. "Sie wurde vor dem Start im Jahr 1989 nicht sterilisiert", erklärt John Rummel, Biologe und Kontaminationsexperte der Nasa. Mittlerweile hat Galileo seine veranschlagte Lebensdauer überschritten. Die Bordelektronik leidet unter der intensiven Strahlung, deren Stärke in bestimmten Zonen um den Jupiter ausreichen würde, einen Menschen binnen Minuten zu töten. Wird die alte Sonde unkontrollierbar, dann stürzt sie wahrscheinlich irgendwann auf einen der vier großen Jupitermonde. "Das wird zwar erst nach mehr als 50 Jahren passieren", meint Rummel. Gleichwohl möchte er das zweieinhalb Tonnen schwere Gerät gezielt entsorgen, und das gelingt nur so lange, wie es noch Funkbefehle von der Erde befolgen kann.
Rummel hält die Besorgnis nicht für übertrieben. Freilich, eine 4,3 Milliarden Kilometer weite Reise von der Erde zum Jupiter und der anschließende jahrelange Streifendienst durch die Strahlungsgürtel des Riesenplaneten - das ist auch für Mikroben vom Schlage eines Deinococcus radiodurans zu viel. "Mikroorganismen auf der Außenhaut der Sonde dürften das nicht überlebt haben" sagt Rummel. "Aber solche im Inneren könnten länger durchhalten als die Siliziumchips des Bordcomputers."
Zwar vermehren sich die Mikroben an Bord nicht. Damit könnten sie aber beginnen, wenn sie nach einem Sturz auf Europa in flüssiges Wasser gelangen. Daher wird nun daran gedacht, Galileo im Jahr 2002 auf dem Vulkanmond Io zerschellen zu lassen. Dort sind die Temperaturen garantiert so infernalisch, dass keiner von Galileos einzelligen blinden Passagieren überleben würde. Nur so ließe sich ausschließen, dass spätere Forschergenerationen bei ihrer Suche nach Leben im Jupitersystem von den Nachfahren gestrandeter Nasa-Bazillen genarrt werden.
Bei solchen Missionen, die es frühestens in 10 bis 20 Jahren geben wird, sollen Robotersonden auf Europa landen und sich anschließend durch die Eisschicht zum Wasser bohren. Wie man dabei eine Kontamination verhindert, darüber wird momentan angestrengt bei der Nasa nachgedacht, und damit befasst sich auch eine Studie des US National Research Council, die im April erscheinen soll. Denn eine tonnenschwere Raumsonde samt ihrer elektronischen Eingeweide mit vertretbarem Aufwand zu sterilisieren ist alles andere als einfach.
Auf die Ergebnisse der Studie warten nicht nur Planetenforscher. In der Antarktis wurde 1995 nahe der russischen Forschungsstation Vostok ein riesiger See aus flüssigem Süßwasser entdeckt - 4000 Meter unter dem Eis. Radarmessungen haben ergeben, dass Lake Vostok 18mal so groß ist wie der Bodensee und damit die weitaus größte von über 70 Wasserkammern unter dem Eis des sechsten Kontinents. Seit mindesten 400 000 Jahren dürfte Lake Vostok von äußeren Einflüssen abgeschirmt sein. Vor allem dieser Befund beflügelt nun die Fantasie von Biologen. "Hier könnte es bisher völlig unbekannte Mikroorganismen geben, die sich an die lichtlose und nährstoffarme Umgebung angepasst haben", meint David Karl von der University of Hawaii.
60 Tonnen Flugbenzin und Frostschutz sollen die russische Bohrung offen halten
Dass es auch unter Südpoleis alles andere als steril zugeht, schloss Karl aus Proben einer Eisschicht über dem Wasser des Lake Vostok. Darin fanden er und seine Mitarbeiter im vergangenen Jahr lebende Einzeller. Karls Eisproben stammen vom Grunde eines Bohrlochs, mit dem sich seine russischen Kollegen bis auf 120 Meter an das versiegelte Wasser herangedrillt hatten. Dann wurde die Bohrung gestoppt, um den See nicht zu verunreinigen. Wie es jetzt weitergeht, ist noch unklar. Neben der Gefahr biologischer Kontamination gibt es nämlich noch ein handfestes Umweltproblem: Die russischen Bohrtechniker hatten 60 Tonnen Flugbenzin und Frostschutzmittel in ihr Loch gekippt, damit es nicht gleich wieder zufriert. Vermutlich wird man ein neues Loch bohren. David Karl hofft, dass die hierbei gesammelten Erfahrungen in keimfreiem Eisbohren künftigen Nasa-Missionen nützen werden. "Dieser See zählt vermutlich zu den isoliertesten Ökosystemen der Erde und könnte dazu dienen, Methoden für die Suche nach Leben im eisbedeckten Ozean des Jupitermondes Europa zu entwickeln."
Trotz ihrer Isolation dürfte es sich bei den Mikroben im Lake Vostok um nahe Verwandte wohl bekannter irdischer Organismen handeln. Was die Nasa dereinst auf Europa zu finden hofft, hätte sich dagegen nach Meinung der meisten Experten völlig unabhängig von der irdischen Evolution entwickelt. Allerdings lassen neuere Berechnungen zum Energiehaushalt des Jupitermondes höchstens sehr einfache Lebensformen erwarten. "Die Angelruten können wir wohl zu Hause lassen", spottet ein Nasa-Forscher. Aber ist Kontamination des Europaozeans mit irdischen Keimen dann überhaupt ein Problem? Wäre es nicht einfach, Abkömmlinge irdischer Einzeller von den primitiven Mikro-Aliens zu unterscheiden? Der Nasa-Biologe John Rummel schließt selbst Abwegiges nicht von vornherein aus. "Wer weiß", sinniert er, "alles Leben in diesem Sonnensystem könnte ja von gemeinsamen Vorläufern abstammen."Nicht nur dann wäre es möglich, dass außerirdische Mikroben sich auch auf der Erde wohl fühlen. Die alte Angst vor kosmischer Ansteckungsgefahr könnte wiederkehren - etwa im Vorfeld einer geplanten Marsmission, mit der man um das Jahr 2005 Gesteinsproben vom Roten Planeten zur Erde bringen will. Schon gibt es bei der Nasa einen planetary protection officer. Der Planetenschutzbeauftragte soll dafür sorgen, dass das eingesammelte Marsgestein biologisch peinlich genau untersucht wird und unter Verschluss bleibt - anders als die Mitbringsel der Apollo-Astronauten. Allerdings gibt man bei der Nasa zu, dass es sich dabei bisher eher um PR-Maßnahmen handelt.
"Ich mache mir eigentlich keine Sorgen, dass es auf dem Mars irgendwelche Erreger gibt, die Menschen infizieren", gesteht John Rummel. "Wovor mir wirklich graut, ist eine Horde Rechtsanwälte, die eine Mission stoppen, weil es ein mögliches Risiko gibt, an das keiner gedacht hat."
© beim Autor/DIE ZEIT 2000 Nr. 12
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