Die Geschichte des
legendären KGB-Spions Karl Koch kommt jetzt ins Kino Von Julia Förster
Geheimbünde beherrschen
die Welt und versuchen, das Denken der Menschen zu kontrollieren. "Du
fühlst Paranoia aufkommen? Ausgezeichnet. Illumination steht auf der anderen
Seite des absoluten Schreckens. Du mußt voll und ganz realisieren, daß du ein
Fremder bist und ängstlich in einer Welt, die du nicht gemacht hast",
fordern die Diskordier. Vielleicht auch die Illuminaten. Weltverschwörer in
jedem Fall, gute oder böse.
Natürlich ist das alles
nur verrückte Fiktion, zusammengesponnen von Robert Anton Wilson und Robert
Shea in ihrem dreibändigen Werk Illuminatus!. Andererseits: Sie füttern
ihre phantastischen Geschichten um Computer, Verschwörer und Drogenexzesse so
geschickt mit historischen Tatsachen - auch die Illuminaten sind als geheime
Gesellschaft des 18. Jahrhunderts echt -, daß Realität und Fiktion manchmal
nicht zu trennen sind.
Karl Koch, der legendäre
Hacker, dessen Lebensgeschichte dieser Tage in die Kinos kommt, las die
Kultbücher zum erstenmal, als er 14 war. Drei Jahre zuvor war seine Mutter an
Krebs gestorben. Seine Schwester war selbstmordgefährdet, sein Vater,
Ressortleiter bei einer Tageszeitung, starb wenige Jahre später. In dieser Zeit
taucht Karl ein in die Welt der großen Verschwörer. Die Illuminaten-Geschichten
zu lesen ist ein anarchisches Erlebnis: Hier löst sich ein Ich im Drogenrausch
auf, dort ändert eins sein Geschlecht. Es geht um alles. Alles ist möglich. Und
was ist schon Zeit?
"Seit mehreren Jahren
war ich in eine Hauptfigur der Romantrilogie Illuminatus vernarrt",
schreibt Karl Koch einige Monate vor seinem Tod in einer Bewerbung für einen
Therapieplatz zum Drogenentzug. Diese Hauptfigur heißt Hagbard und kämpft gegen
die Verschwörung, gegen Dummheit und für Informationsfreiheit. Karl nennt sich
Hagbard, wenn er als Hacker von Hannover aus weltweit in Computersystemen
unterwegs ist.
"Es gibt Rollen, die
Schizophrene anscheinend besonders gern annehmen. Jesus ist eine, Hagbard ist
auch eine", sagt der Regisseur Hans-Christian Schmid, der in seinem
jüngsten Film 23 Karl Kochs Leben nachzeichnet. Schmid erzählt von einem
"sehr guten Freund, der, ähnlich wie Karl Koch, Illuminaten- und
Paranoiaprobleme" bekommen hat. Diese Erfahrung war für ihn der Anstoß,
Karl Koch zu seiner Filmfigur zu machen, sein Leben dramaturgisch zuzuspitzen,
aber letztlich doch ganz nah an den Menschen heranzukommen.
"Er hat das ja alles
tausendmal gelesen", sagt Jojo, einer von Karls Computerfreunden, der
heute einen Rechnernotdienst betreibt. - "Er konnte es ja nicht
trennen", sagt Urmel, ein KGB-Mithacker, mittlerweile legal in einer
Softwarefirma mit Computern befaßt. Gemeint ist, daß Karl gelegentlich die
Realität entglitt.
Seit 1986 - da ist er 20 -
spioniert Karl mit vier anderen Hackern Daten aus amerikanischen
Militärrechnern für den KGB aus; anfangs, um dem "Kräfteausgleich" zu
dienen. Später, weil er Schulden hat. Richtig klassisch, Übergang Bahnhof
Friedrichstraße, bringen sie die kodierten Daten in den Osten. Clifford Stoll,
ein Astrophysiker in den USA, verfolgt die Hacker über ein Jahr lang
unerbittlich und mit Hilfe sämtlicher Geheimdienste durch die Netze. Zeitweise
wird Karl vom BND observiert, der sogar einen Schlüssel zu seiner Wohnung
besitzt. In dieser Zeit verabschiedet er sich oft tage- und nächtelang zu
Hacksessions von der realen Welt, um mit seinem Atari ST in virtuelle Welten
einzutauchen. Ein paar Befehle, und ein Großrechner irgendwo auf dem Erdball
beginnt zu arbeiten. Selbst Planspiele amerikanischer Militärs für einen
Atomkrieg in Westeuropa fallen den Hackern in die Hände.
Hasch, später Koks,
gelegentlich auch Speed und LSD-Trips waren Karls Begleiter. "Nach so
einer richtigen Blubber sind die Gedanken natürlich viel klarer", sagt
Jojo, der Computerfreund, heute. - "Natürlich haben wir viel gekifft
damals, aber Drogen spielten in Karls Leben keine so große Rolle, wie es
vielleicht den Anschein hat", sagt Freke, ein enger Schulfreund, der mit
Computern nichts am Hut hatte und heute PDS-Abgeordneter in Berlin ist.
"Seit Mai 86 führte
der Drogenkonsum zu stetig zunehmenden parapsychologischen Wahrnehmungen (u. a.
Jungsche Synchronizitäten)", schreibt Karl in seinem Therapiegesuch, und
seine Freunde erinnern sich: "Da war diese Nummer, da wollte er wohl bei
180 Sachen aus dem Auto aussteigen, weil er glaubte, gerade jetzt wären sie ihm
auf die Spur gekommen - die Illuminaten." Oder die Geschichte von der
endlosen Computersitzung, nach der er sicher gewesen sein soll, was Großes sei
in die Luft geflogen, "ein Atomkraftwerk oder so". Das war am Tag des
Super-GAUs in Tschernobyl - bevor die Nachricht an die Öffentlichkeit drang.
Er konnte es ja nicht
trennen, sagt Urmel.
"Lloigor und Dols?
Die gibt's. Sie sind es, die schlechte Acid-Trips und Schizophrenie
hervorrufen. Psychokontakte mit ihnen, und die Ego-Mauern brechen
zusammen",
behaupten die Diskordier (oder ihre Gegenspieler).
Verfassungsschützer
rieten ihm, seine Freunde zu meiden
Hausdurchsuchungen bei
befreundeten Hakkern, Angstpsychosen, Aponal statt Drogen, Angst vor der
Verschwörung, Flucht nach Spanien. Karl schreibt: "Die abermalige Einnahme
von Kokain, verbunden mit den durch Haschisch verdrängten langjährigen Depressionen,
führte zu einer paranoiden halluzinativen Psychose, die mehr als 14 Tage
anhielt. Mit einer höllischen Angst kehrte ich nach Deutschland zurück."
Er läßt sich ins Landeskrankenhaus Düren einliefern. Haldol. Unterkunft bei
Freunden, dann wieder Landeskrankenhäuser. Im Sommer 87 zieht er in ein
Wohnheim für psychisch Kranke ein, wieder in Hannover.
"Ich seh ihn immer
noch am Fenster sitzen. Er konnte verträumt sein", sagt Josef Wojtasik,
sein EDV-Lehrer. Im August 1988 hat Karl eine Ausbildung zum Wirtschaftsassistenten
Informatik begonnen, nachdem er sich - völlig am Ende - dem Verfassungsschutz
offenbart hatte, der ihm nahelegte, sich von seinen Freunden fernzuhalten. Sein
Lehrer erinnert sich noch an den Einstellungstest. "Daß er besser war als
wir, wußte ich ja damals noch nicht." Er habe Karl sehr gern gemocht.
"Man hatte bei ihm immer das Gefühl, man müßte ihm helfen, man wußte aber
nicht, wie. Er scheint mir sehr allein gewesen zu sein." Karl schreibt:
"Aufgrund schulischer Schwierigkeiten (durch Medikamente und Depressionen)
hörte ich schon Ende September 88 mit dieser Ausbildung wieder auf."
Das war nicht das erste
Mal. Schon in der 10. Klasse der Gesamtschule, bevor die Computerleidenschaft
ihn packte, hatte er begonnen, "unregelmäßig Haschisch und
Beruhigungstabletten (Valium und Tavor)" einzunehmen, gegen
Schlafstörungen. Seine Leistungen wurden schlechter. Er ließ sich vom
Unterricht der 11. Klasse befreien und kümmerte sich nur noch um seine
zahlreichen Aufgaben als Mitherausgeber mehrerer Schülerzeitungen, als
Schülersprecher, als Mitglied im Landesschülerrat und anderen Gremien. Als
"eher konservativ gekleidet" und "sehr engagiert" bleibt er
den Lehrern in Erinnerung.
In den letzten Monaten
seines Lebens arbeitet Karl als Fahrer bei der Landesgeschäftsstelle der CDU in
Hannover. Seine Drogenvergangenheit ist dort bekannt, der Job quasi eine Art
"Arbeitstherapie". Sein Chef, Hartwig Fischer, erinnert sich an Karl
als "ganz soliden Mitarbeiter. Man merkte nicht, daß er Probleme hatte. Er
ist pünktlich gekommen und hat alle Aufgaben zur Zufriedenheit geregelt."
In dieser Zeit haben BKA und Verfassungsschutz ihn tagelang in der Mangel, um
für den bevorstehenden Prozeß im "größten Spionagefall seit
Guillaume", wie man im ersten Übereifer formulierte, Belastendes gegen die
einstigen Hackerkollegen zu sammeln. Die kamen nach Karls Tod alle mit
Bewährungsstrafen davon - Karls Aussagen wurden auf Antrag der Verteidiger
nicht zugelassen. Er war in jener Zeit gar nicht vernehmungsfähig gewesen.
Der als Gegenleistung für
die Aussagen versprochene Therapieplatz erweist sich als ungeeignet. Die Presse
macht jetzt richtig Jagd auf den Superhacker und Spion. Schon bevor der Fall
publik wurde, hatten zwei NDR-Journalisten Karl zum Hacken animiert, angeblich
mit Geldversprechungen, die sie nie einlösten. "Du mußt lernen, auch
uns und alles, was wir dir erzählen, anzuzweifeln. Es gibt keinen aufrichtigen
Menschen auf dieser Reise. Vielleicht ist aber gerade das die einzige Lüge, die
ich dir an diesem Abend erzähle, und die Geschichte der Illuminaten ist
wirklich wahr und keine Erfindung", flüstern die Gestalten des Robert
Anton Wilson.
Die Leiche war
verkohlt, ohne Hinweis auf Fremdeinwirkung
"Wir sind sicher, Karl
wäre noch am Leben, wenn Staatsschutz und Medien ihn nicht durch
Kriminalisierung und skrupellose Sensationsgier in den Tod getrieben
hätten!" heißt es in einer Todesanzeige seiner Freunde. Am 22. Mai 1989,
einen Tag vor seinem Tod, zieht Karl um in eine Wohnung, die der
Verfassungsschutz ihm als Kronzeugen bezahlt. Freke, sein Schulfreund, besucht
ihn an diesem Tag und hilft beim Umzug. "Vom Verfassungsschutz abhängig zu
sein hat ihm natürlich nicht gepaßt", sagt er. "Er war nicht so gut
drauf." Ernsthafte Sorgen um Karl habe er sich aber nicht gemacht.
Am nächsten Tag verläßt
Karl seinen Arbeitsplatz für eine Dienstfahrt und kommt nicht zurück. Seine
Freunde, den Verfassungsschutz auf den Fersen, suchen ihn fieberhaft. Am 1.
Juni findet die Polizei in einem Waldstück bei Gifhorn den Wagen und eine
völlig verkohlte Leiche. Anhand einer nicht verbrannten Fingerkuppe wird Karl
Koch identifiziert. Die Staatsanwaltschaft schließt die Akten später: keine
Anhaltspunkte für Fremdeinwirkung. Man geht davon aus, daß Karl sich selbst mit
Benzin übergossen und angezündet hat.
Karl war 23 und starb am
23. Die 23 war für ihn die magische Zahl und beeindruckte auch Schmid und das
Filmteam. "Plötzlich haben wir überall die 23 gesehen. Wahrscheinlich ist
das selektive Wahrnehmung." Vielleicht sind Zweifel an dieser Erklärung
die ersten Schritte Richtung Paranoia.
"Zu der 23: Sie
ist überall. Alle großen Anarchisten starben am 23. des einen oder anderen
Monats. Sacco und Vanzetti am 23. August, Bonnie und Clyde am 23. Mai
... und Harpo Marx wurde am 23. November geboren", behauptet - mit einem Zwinkern? -
Wilson.
"Eigentlich ist er 'n
Anarchist gewesen", sagt Urmel. - "Er war ein Visionär", sagt
Jojo. - "Ich glaube", sagt Hans-Christian Schmid, der mit vielen Zeitzeugen
gesprochen hat, "daß er eine intelligente, sensible, engagierte Person
war. Aber irgendwie auch naiv, nicht gegen die Härten des Alltags gewappnet.
Man legt vieles bloß, wenn man so obsessiv ist, so leidenschaftlich. Er war wie
eine Wunderkerze, die an beiden Enden brennt."
© beim Autor/DIE ZEIT
1999 Nr. 03
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