Die Zeit Nr. 33/1999
Von Peter Zolling
Rechtzeitig zur Jahrtausendwende erhebt Neil
Postman, die Kultur-Kassandra der modernen Informationsgesellschaft, wieder
einmal warnend seine Stimme. Dabei bleibt der New Yorker Soziologe auch im
neuesten Buch seinem Lebensthema treu: dem Bildungsverlust und Werteniedergang
im digitalen Zeitalter. In zahlreichen Publikationen hat Postman die seiner
Ansicht nach fatalen Auswirkungen blinder Technik- und Medienverherrlichung auf
das gesellschaftliche Bewusstsein und die politischen Demokratien gegeißelt -
und sich dafür mitunter nicht zu Unrecht den Vorwurf der Antiquiertheit
eingehandelt.
Wirklich Neues hat Postman diesmal zwar nicht
mitzuteilen, unzeitgemäß ist es aber allemal, was er Internet-Junkies und
kommerzhörigen Verächtern des humanistischen Kulturerbes entgegenhält. Mit
einem Rekurs auf die Klassiker der Aufklärung versucht er, eine Bilanz seiner
zivilisationskritischen Befunde über Sinnleere und Orientierungskrisen in
medien- und computerdominierten Gesellschaften zu ziehen. Seine Botschaft: Auf
dem Weg ins 21. Jahrhundert sollte möglichst viel von der Geisteshaltung jener
zurückliegenden Epoche mitgenommen werden.
Selbstverständlich meint auch
der amerikanische Sozialwissenschaftler nicht, dass bei Denkern wie Denis
Diderot, David Hume, Benjamin Franklin oder Alexis de Tocqueville konkrete
Antworten auf die Fragen von heute und morgen zu finden seien. Sein Appell
zielt vielmehr darauf, sich der kritischen Rationalität und Skepsis dieser
Philosophen der anbrechenden Moderne zu vergewissern. Denn Aufklärung als
fortwährender Prozess zur - frei nach Kant - Befreiung aus selbstverschuldeter
Unmündigkeit bedeute, mit Hilfe der Vernunft die Welt in Zusammenhängen zu
sehen und sinnhaft zu deuten.
Postman predigt keinen sterilen
Vernunftglauben, sondern erinnert die wachsende Cyberspace-Gemeinde ganz im
Gegenteil daran, dass die instrumentelle Vernunft aus sich heraus nie Fragen
nach dem Warum und Wozu lösen kann. Dazu bedarf es einer Reflexionsleistung, zu
der nur der Mensch imstande ist. Ohne moralisch-ethisch motiviertes und
wertebewusstes Denken und Handeln ist Fortschritt für den Zeitdiagnostiker
Postman nur eine Illusion.
Gegen den "Informationsmüll" der
Internet-Gesellschaft propagiert der Autor die Fähigkeit zum Lesen. Dadurch
würden Sprachkompetenz und Denken geformt und so überhaupt erst die Erkenntnis
der Wirklichkeit, sei sie real oder virtuell, ermöglicht.
Amüsant ist, wie der New Yorker Humanist mit common
sense postmoderne Dekonstruktivisten à la Derrida und Baudrillard
abwatscht. Wer die sophistische Begriffsverwirrung bis zur Realitätsverleugnung
steigere, könne wohl auch den Mond nicht mehr von grünem Käse unterscheiden,
macht er sich über die Apologeten der Beliebigkeit lustig. Unbeirrt von solchen
Moden, bleibt Postman dabei "zu sagen, was man meint, zu meinen, was man
sagt, und zu schweigen, wenn man nichts zu sagen hat".
Es ist das Verdienst des Medienkritikers
Postman, immer wieder auf die teils bedenklichen sozialen und psychischen
Folgen technologischer Revolutionen hinzuweisen. Leider wird daraus bisweilen
obskure Technikfeindschaft, etwa wenn er auf Anrufbeantworter und Faxgeräte
schimpft. Wer Fernsehen, Computer und Internet verteufelt, mystifiziert eine Welt,
die es zu entschlüsseln und zu beherrschen gilt - durch kritische Aneignung.
Neil Postman: Die Zweite Aufklärung
Vom 18. ins 21. Jahrhundert; Berlin Verlag,
Berlin 1999; 253 S., 38,- DM