G. Bente & B. Fromm
Psychologisches Institut, Universität zu Köln
"... und neue Kommunikationsdienste einschließlich neuer Programmformen und -strukturen sollen im Rahmen der Aufgaben der LfR regelmäßig, insbesondere hinsichtlich der Medienwirkungen, durch unabhängige Einrichtungen der Kommunikationsforschung wissenschaftlich untersucht werden." (§ 52 Abs. 3 LRG NRW)
Die Beiträge der neuen Programmform, die die LfR im Rahmen ihrer Aufgaben vom Psychologischen Institut der Universität Köln (Leitung Prof. Bente) untersuchen läßt, werden unter dem Begriff "Affektfernsehen" zusammengefaßt. Gemeint sind "Sendungen, in denen einzelne Menschen bzw. Einzelschicksale im Mittelpunkt stehen." (LfR 1994) Das Genre beinhaltet sowohl Unterhaltungs- als auch Infotainment-Sendungen, die von privaten aber auch öffentlich-rechtlichen Sender ausgestrahlt werden. Bei der Veröffentlichung des Intimen verschieben sich zunehmend die öffentlichen und privaten Grenzen. Häufig werden aus unterhaltungs- bzw. sensationsorientierten Effekten Tabus in Frage gestellt oder gebrochen.
Verfolgt man den öffentlichen Diskurs um Sendungen, die Einzelschicksale von Menschen auf emotionalisierende Weise thematisieren, so stößt diese Art von Unterhaltung in der Presse fast ausschließlich auf vernichtende Kritik. Mit Schlagzeilen wie "Die Explosion des Intimen" (Frankfurter Rundschau, 26.3.1994), "Gefühls-Prostitution" (Aachener Volkszeitung, 17.12.1992) wird die "gnadenlose Konkurrenz mit dem Obszönen und Peinlichen" (KStA, 6/7.8.1994) diskutiert, die häufig die Grenze des guten Geschmacks überschreitet.
Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" beschreibt die RTL-Talkshow von Hans Meiser als nachmittäglichen Exhibitionistentreff, wo unter dem Deckmantel vorgeblicher Erkenntnisse scham- und hemmungslos mit menschlichen Problemen hantiert wird (vgl. Der Spiegel, 30/1994).
Immer häufiger wird der Talk mit Therapie in Verbindung gebracht. "Der 'heiße Stuhl' des Talkmasters wird zur Couch des Psychotherapeuten" schreibt der Kölner Stadtanzeiger (KStA, 6/7.8.1994), und SAT 1-Redakteur Ulrich Meyer moderiert demnächst eine "Seelenberatung" (vgl. Der Spiegel 32/1994).
Die Einschaltquoten hingegen sprechen durchaus für das Interesse der Zuschauer. In den USA wurde unlängst der erste Non-stop-Talksender der Welt gestartet (vgl. TV Spielfilm 17/94) und dem RTL-Moderator Hans Meiser schwappte bei der EXPRESS-Telefonaktion eine wahre Begeisterungswelle entgegen. "Frauen schwärmen: Ich liebe sie" (EXPRESS, 28.6.1994).
Welche Sendungen gehören zum Genre Affektfernsehen? Da Einzelschicksale in verschiedensten Programmformen, vom Magazin über die Show bis hin zum Spielfilm thematisiert werden, ist eine definitorische Abgrenzung notwendig, wie auch eine zusätzliche Kategorisierung innerhalb des Genres, da dieses sich, wie oben beschrieben, aus heterogenen Inhalten zusammensetzt.
In Absprache mit dem Auftraggeber haben wir folgende Einteilungen vorgenommen:
Im Rahmen des Projektes werden Einzelschicksale und zwischenmenschliche Beziehungen als Thema der "Fernsehunterhaltung" analysiert. Verschiedene Ansätze der Medienwirkungs- und Kommunikationsforschung werden zur Erklärung des Phänomens "Affektfernsehen" herangezogen. Sie sollen in der Lage sein, die Darstellung der Personen, das vorgestellte Menschenbild, die Vermittlung von Emotionen und die Konsequenzen für Individuum und Gesellschaft abzubilden.
Motivanalyse
Struktur- und Inhaltsanalyse
Untersucht werden die Beiträge hinsichtlich der jeweils vermittelten Inhalte und Kommunikationsformen. Kategorisierungen erfolgen nach formalen und inhaltlichen Aspekten. Im Detail werden ausgewählte Sendungen daraufhin untersucht, welche "Beziehungsbotschaften" und impliziten Wertsetzungen sie enthalten und welche Kommunikationsformen eingesetzt werden.
Wirkungsanalyse
Im Experiment (n= 200) sollen anhand von Auschnitten der betreffenden
Sendungen unmittelbare affektive Wirkungen erfaßt werden.
Daneben werden Fernsehmotive und tatsächliches Fernsehverhalten
erfragt, sowie Persönlichkeitsfragebogen eingesetzt, um diese
mit der unmittelbaren Wirkung auf den Probanden ins Verhältnis
zu setzen.
Juristische Beurteilung
§ 12 des Landesrundfunkgesetzes NRW verpflichtet die Sender bei ihrer Programmgestaltung zum Schutz der persönlichen Ehre. Im Bezug auf die Veröffentlichung von Privatem und die Verschiebung von Tabuzonen soll gefragt werden, inwieweit Affektfernsehen ethische oder sogar juristische Tatbestände provoziert.