Ethik
Das perfekte Kind
Ministerin Fischer plant ein neues Fortpflanzungsgesetz: Dürfen Frauen künftig Eizellen spenden und Gentests über das Schicksal von Embryonen entscheiden?
Perfekte Frauen als Lieferanten von Zuchtmaterial in den USA gibt es sie per Katalog. Bereits seit Ende der achtziger Jahre wenden sich Fertilisationskliniken wie das Huntington Reproductive Center in Los Angeles an Paare, die unter unerfülltem Kinderwunsch leiden. Männliche Samenspenden sind dabei Routine. Auch bei Unfruchtbarkeit der Frau kann ausgeholfen werden. Zum Preis von etwa 15 000 Mark darf das Paar aussuchen, welche Katalogdame eine Eizelle abgeben soll.
In Deutschland hingegen ist derlei Züchtung verboten. Anders als Männersamen dürfen weibliche Eizellen nach dem Embryonenschutzgesetz von 1991 nicht gespendet werden. Ist eine Frau unfruchtbar, bleibt ihr somit nur die Adoption, um an ein Kind zu kommen.
Doch das könnte sich ändern. Ab Mittwoch dieser Woche will sich Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer über die Zukunft der Reproduktionsmedizin beraten lassen. Mehr als 100 Experten hat sie zu einem Symposium im Kongresszentrum des Berliner Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin eingeladen und für drei Tage alle anderen Termine abgesagt. Das Ziel: Fischer will eine öffentliche Debatte provozieren, an deren Ende ein völlig neues Fortpflanzungsgesetz stehen soll.
Das scheint längst überfällig. In kaum einer Branche haben sich die technischen Möglichkeiten in den vergangenen Jahren stärker verändert als in der Gentechnik und der Reproduktionsmedizin. Die Politik hinkt dieser Entwicklung bislang hilflos hinterher. "Technisch haben wir inzwischen alle Möglichkeiten", sagt Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer. "Jetzt wollen wir wissen, was auch erlaubt ist."
Zum Beispiel das Spenden weiblicher Eizellen. Weil sich immer mehr unfruchtbare Frauen in Deutschland mit Kinderlosigkeit nicht abfinden wollen, herrscht längst ein reger Grenzverkehr ins benachbarte Ausland.
Die belgische Hauptstadt Brüssel gilt als Europas Basar für Retortenmedizin. Völlig legal hilft das Klinikum der dortigen Freien Universität bei der Beschaffung fremder Eizellen, befruchtet diese im Reagenzglas und setzt sie den Schwangerschaftstouristinnen ein. Auch in Italien und Großbritannien gibt es liberalere Regeln als hier zu Lande im vereinigten Europa ein unhaltbarer Zustand.
Dringend klären muss die Ministerin auch die Frage, ob Gentests künftig über das Schicksal von Embryonen entscheiden sollen. Die Bundesärztekammer will eine solche Kontrolluntersuchung jenen Eltern anbieten, in deren Erbanlagen schwere Krankheiten lauern.
Rein technisch ist dieser Test, die so genannte Präimplantationsdiagnostik (PID), kein Problem. Aus einem im Reagenzglas gezeugten Embryo wird eine Zelle entnommen und auf Krankheitsgene untersucht. Findet das Labor dabei einen Hinweis zum Beispiel auf die unheilbare Erbkrankheit Mukoviszidose, landet der Embryo im Abfall.
Doch Fischer will die PID verhindern. Sie befürchtet eine Selektion angeblich minderwertigen Lebens, eine moderne Variante der Nazi-Eugenik. Beistand holt sie sich bei der katholischen Kirche, dem CDU-Abgeordneten Hubert Hüppe und dem Ethikbeirat ihres Gesundheitsministeriums. "Die Toleranz gegenüber Behinderten sinkt", warnt dessen Vorsitzende, die Hamburger Professorin Regine Kollek. "Frauen geraten unter den Druck, ein perfektes Kind zu gebären."
Auch Fischer weiß, dass ihre Argumentation gegen den Test einen logischen Defekt aufweist. So wundern sich Kritiker, warum die Auslese belasteter Embryonen verboten sein soll, die Abtreibung eines behinderten Fötus während der Schwangerschaft hingegen legal ist. Anders als der Ethikbeirat hält die Bundesärztekammer die PID sogar für höchst hilfreich. Vielen Frauen könnten Fruchtwasseruntersuchungen, Gewissensprüfungen und Abtreibungen erspart bleiben.
Die Ministerin steckt in der Klemme. Den Schutz ungeborenen Lebens wichtiger zu finden als das Selbstbestimmungsrecht der Frauen Fischer fällt es schwer, sich an diese Rolle zu gewöhnen. "Ich sehe die Widersprüche und sage meine Meinung mit großer Vorsicht", gestand sie im kleinen Kreis. "Letztlich ist es eine Werteentscheidung."
Andere Länder in Europa haben sich längst entschieden. In Großbritannien, Belgien, den Niederlanden und sieben weiteren Staaten ist die PID zugelassen. Nach Schätzung von Fischers Abteilungsleiterin Ulrike Riedel sollen weltweit bereits 500 Paare ein genetisch geprüftes Kind auf die Welt gebracht haben, darunter auch deutsche.
Hier zu Lande ist die Rechtslage umstritten. Nach Auffassung des Gesundheitsministeriums kollidiert der Qualitätstest im Reagenzglas mit dem Embryonenschutzgesetz. Eine Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz unter dem inzwischen verstorbenen Justizminister Peter Caesar hingegen kam im vergangenen Jahr zu dem gegenteiligen Schluss.
Das verunsichert die deutsche Ärzteschaft. "Ich würde den Frauen gern helfen", klagt der Berliner Gynäkologe Heribert Kentenich. "Aber zurzeit kann ich sie nur ins Ausland schicken."
ALEXANDER NEUBACHER