impotence

Impotenz..., ein Zukunftsmarkt

von Win Chit Oo

Impotenz: rund 11% der 260 Millionen erwachsenen Männer in Europa sind betroffen. Nach der „Baltimore Longitudinal Study“, die durchaus auf deutsche Verhältnisse übertragbar ist, klagen 8% der 55-jährigen über Erektionsstörungen; bei den 65-jährigen sind es schon 25% und bei den 75-jährigen gar 55%. Trockene Zahlen, gewiß, doch dahinter steht ein Alltagsleiden, das häufiger ist und manchmal belastender als klassische Zivilisationskrankheiten wie Bluthochdruck und Diabetes. Nun beginnt auch die pharmazeutische Industrie, diesen lukrativen Markt zu erschließen. Die Altersstruktur unserer Gesellschaft und das Bedürfnis nach beständiger Leistungsbereitschaft jetzt, morgen, immer verheißen bis zur Jahrtausendwende in Europa Jahresumsätze von mehreren 100 Millionen Mark.

Die Ursachen...

Manchmal haben Zigarettenmißbrauch, Übergewicht und Bluthochdruck oder eine unbehandelte Zuckerkrankheit das Gefäßsystem geschädigt; eine Arteriosklerose verengt die Penisarterien: sie können sich nicht mehr erweitern, um genug Blut heranzuschaffen - die Erektion fällt aus. Auch Medikamente kommen als Ursache in Frage: Benzodiazepine, Neuroleptika, Antidepressiva, aber auch der ß-Blocker für den Hochdruckpatienten. Nächtliche Spontanerektionen dagegen sind ein gutes Zeichen; ein körperlicher Schaden ist unwahrscheinlich. „69% der Erektionstörungen haben eine organische Ursache“, resümiert Prof. Porst aus Hamburg, ein renommierter Fachmann auf dem Gebiet der erektilen Dysfunktion. Meist hapert es an der arteriellen Blutzufuhr oder die Schwellkörper haben ein Leck, die venöse Abflußblockade ist defekt.

SKAT, die Spritze als Erektionshilfe

Erektionsstörungen sind schon seit den achziger Jahren medikamentös behandelbar: als besonders wirksam gilt eine Therapie mit der einprägsamen Abkürzung „SKAT“ (Schwellkörperautoinjektionstherapie). Unter den Augen eines erfahrenen Urologen lernt der Patient den Umgang mit der Spritze sowie die richtige Dosierung des Medikaments und verabreicht sich dann bei Bedarf selbst Injektionen, direkt in die Schwellkörper des Penis. Eingesetzt werden Wirkstoffe, die die Penisarterien stark erweitern: Papaverin, Phentolamin, Moxisylite; als „Goldstandard“ gilt aber das Gewebshormon Prostaglandin E1 (Alprostadil), mit einer Erfolgsquote von etwa 90%. Es steht weltweit für mehr als die Hälfte aller Verordnungen bei Impotenz, Seit August 1997 wird es auch in Deutschland angeboten. .

Unsere Nachbarländer

Bereits eine stattliche Auswahl an Mitteln gegen Impotenz gibt es in unseren Nachbarländern. Auch deutsche Unternehmen wie ASTA Medica und Schwarz Pharma sind dort präsent. In Frankreich beispielsweise konkurrieren zwei Alprostadilpräparate („Caverject“ und „Edex“) mit „Erecnos“ und „Icavex“, die beide den Wirkstoff Moxisylyte enthalten und bei französischen Experten als besonders gut verträglich gelten.

Die Risiken

Es ist nicht jedermanns Sache, vor dem Geschlechtsakt zur Spritze greifen zu müssen, denn die Spontanität bleibt auf der Strecke. Auch Nebenwirkungen, wie Schmerzen im Penis und mehrstündige Dauererektionen, (ein sogenannter Priapismus) veranlassen einige Patienten, die Therapie wieder abzusetzen.

Was bringt die Zukunft? „MUSE“, nicht unbedingt ein Fortschritt

Das Anwendungssystem „MUSE“, das seit Januar 1997 auf dem amerikanischen Markt ist, bietet da - so die vollmundige Werbung - einen handfesten Vorteil: Jedenfalls möchte das der Hersteller glauben machen. Alprostadil in einer besonderen Darreichungsform wird mit Hilfe eines Applikators in die Harnröhre eingebracht und wandert von dort in die Schwellkörper. Wie dem angesehenen Fachblatt „The New England Journal of Medicine“ zu entnehmen ist, verspricht diese Therapie eine Besserung oder Beseitigung von Erektionsstörungen bei etwa 65% der Betroffenen. Prof. Porst ist allerdings weniger euphorisch; er beziffert die Erfolgsquote bei seiner eigenen Klientel auf höchstens 48%. Trotzdem, der schwedische ASTRA-Konzern setzt auf die Neugier von Ärzten und Patienten; er möchte „MUSE“ noch 1998 auf den deutschen Markt bringen, denn in Amerika ist das Produkt ein Erfolg - bisher jedenfalls. Rund 68 Mio. US$ hat es bereits in die Kassen des Biotechnologieunternehmens Vivus (American Home Products) gespült. Allerdings, die Euphorie flaut allmählich ab; der Umsatz hat ein Plateau erreicht, Urologen bemängeln die Erektionsqualität und enttäuschte Anwender kehren in Scharen zur Injektionstherapie SKAT zurück.

Sildenafil

Vorteilhaft wäre natürlich ein Präparat zum Einnehmen. Tatsächlich gibt es eine oral wirksame Substanz: Sildenafil, ursprünglich als Mittel zur Erweiterung der Koronargefäße gedacht, wird derzeit weltweit in klinischen Studien erprobt. 50 bis 100 mg - so die bisherigen Erfahrungen - sorgen bei etwa zwei Dritteln der Behandelten für eine ausreichende Erektion von mindestens 10 Minuten Dauer. Auch Patienten, die wegen einer Rückenmarksverletzung impotent geworden sind, profi- tieren offenbar von der Substanz. Das zeigen Untersuchungen, zum Beispiel aus dem Zentrum für Wirbelsäulen- und Rückenmarksverletzungen in Murnau. Die amerikanische Pfizer-Gruppe, die sonst ihre Reputation eher Rheumamitteln und Herz Kreislauf-Präparaten verdankt, hat im September 1997 bei der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA und bei der europäischen EMEA Zulassungsanträge für Sildenafil gestellt und hofft, den Wirkstoff spätestens 1999 vermarkten zu können . Wertpapieranalysten erwarten dann eine beträchtliche Marktausweitung für Impotenzpräparate und für Sildenafil ein Milliardengeschäft, denn alle bisher verfügbaren Mittel zum Einnehmen sind von zweifelhaftem Nutzen. Aber auch hier gibt es kritische Stimmen "Wenn der Neugiereffekt erst eimal abgeflaut ist und die Karten auf dem Tisch liegen, wird Sildenafil beweisen müssen, ob es gegen etablierte Produkte wie "Caverject" bestehen kann", so ein Pharmaspezialist des Bankhauses Vontobel .

Impotenz und Venturekapital

Bei den verlockenden Marktaussichten wundert es nicht, daß die pharmazeutische Industrie aber auch namhafte Hochschulen nach weiteren noch besseren Stoffen suchen. Besonders junge Biotechnologieunternehmen wie Zonagen oder Senetek haben sich des einstmals anrüchigen Gebiets angenommen und sammeln eifrig Risikokapital. Zonagen setzt ebenfalls auf die „Tablette gegen Impotenz“ und hat ein Phentolaminpräparat zum Einnehmen entwickelt. Zwei klinische Studien sind jetzt abgeschlossen: 40 bzw.34% der Behandelten haben von der Therapie profitiert. Senetek dagegen baut auf SKAT, die etablierte Injektionstherapie mit einem Kombinationspräparat aus vasoaktivem intestinalem Polypeptid (VIP) und Phentolamin . Zulassungsanträge in Großbritannien, Dänemark und Irland lassen hoffen, daß das Präparat bereits 1998 in der EG verfügbar sein wird, zumal das Unternehmen auf eine große Phase-III-Studie an etwa 700 Patienten und eine Responderrate von 81% verweisen kann. Auch ein innovativer Autoinjektor, der bereits die gebrauchsfertige Lösung enthält und eine schmerzfreie Injektion ermöglicht, dürfte Senetek Pluspunkte bei den Anwendern bringen.

Mittel, die unter die Haut gehen

Medikamente, die durch die Haut gehen, z. B. Salben, die man in den Penis einmassiert, die sogenannte transdermale Therapie, das ist auch ein Ansatz in der Behandlung von Erektionstörungen. Nitroglyzerin käme in Frage oder der Hochdrucksenker Minoxidil, der als Haarwuchsmittel Karriere gemacht hat. natürlich auch Prostaglandine. Ideen gibt es viele, doch marktreife Produkte liegen noch in weiter Ferne. Immerhin, eine erste klinische Studie mit einem Alprostadil-Gel von Macro-Chem ist kürzlich abgeschlossen worden. 48 Patienten waren beteiligt und das Unternehmen reklamiert eine Erfolgsquote von 75%.

 

Zu diesem Beitrag gibt es einiges nachzutragen:

Sildenafil ist seit April 1998 unter dem Warenzeichen "VIAGRA" in den Vereinigten Staaten verfügbar. Der Erfolg, in dem obigen Beitrag schon vorhergesagt, übertrifft alle Erwartungen.. In der dritten Aprilwoche, bis zum 17. 04. 1998 verschrieben amerikanische Ärzte das neue Wunder gegen Impotenz rund 113.000-mal. "VIAGRA" dürfte damit eine der erfolgreichsten Produkteinführung in der Geschichte der pharmazeutischen Industrie sein, übertroffen nur von Celecoxib, einem COX-2-selektiven Antirheumatikum, das auf diesen Seiten ebenfalls vorgestellt wird.
Auch in der Bundesrepublik hat "VIAGRA" die Prostaglandinpräparate, die in die Schwellkörper injiziert werden müssen (SKAT), an den Rand gedrängt und ist unbestrittener Marktführer unter den sogenannten "Lifestyle-Arzneien".

Viagra Tabletten
Dr. Martin Baumgärtner/Bluebox 1999

Experten warnen allerdings vor Risiken und Nebenwirkungen: Wer nitrathaltige Medikamente einnimmt oder das in der "Gay-Scene" beliebte "Poppers" (Amylnitrit, Isobutylnitrit) schnüffelt, muß mit einem massiven Blutdruckabfall rechnen. Pfizer läßt sich die Neuerung übrigens gut bezahlen: eine Einzeldosis kostet in amerikanischen Apotheken etwa 10 Dollar. In der Bundesrepublik ist die Manneskraft aus der Retorte sogar noch kostspieliger; rund 107 DM nimmt der Apotheker für einer Viererpackung (100 mg) der "blauen Diamanten"

 

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