Die erstmalige Nutzung der Massenträgheit in Form rotierender Massen läßt sich auf das 6. Jahrtausend vor Christus datieren. In China wurden kleine Spindeln für die Herstellung von Fäden verwendet. Diese Spindeln bestanden aus einem hölzernen Stock als Achse und einer kleinen Scheibe mit zentraler Bohrung aus Stein, Holz, Metall, Ton, Glas oder Knochen, die als Schwungmasse diente (Bild 1(a)). Die Spindel war dabei direkt an den zu spinnenden Fasern aufgehängt und wurde von Hand in Rotation versetzt.
Bis zum 3. Jahrtausend v.Chr. hatte sich diese Spinntechnik bis nach Europa verbreitet. Es ist bemerkenswert, daß in Südamerika keine Spindeln mit Schwungscheiben gefunden wurden, und daß von der Kolonisation weitgehend unberührte Ureinwohner in Peru heute noch ihre Fäden mit Holzstöcken ohne Schwungmasse spinnen [1].
Bild 1: Historische Schwungräder aus dem asiatischen Raum [1]
(a) 6000 Jahre alte Spindel aus Stein mit zentraler Bohrung und wenigen Zentimetern Durchmesser, Fundort China
(b) Töpferscheibe aus Mesopotamien, Alter 4000 Jahre, Durchmesser 900 mm,
Dicke 80 mm
(c) Töpferscheibe aus Japan, Axialnadellager mit einer Lagerschale aus Porzellan und einem radialen Führungslager
(d) Töpferscheibe aus Indien in Verbundbauweise (Bambusringe in Lehm)
Eine weitere frühe Anwendung von Schwungrädern ist die Töpferscheibe. Sie kam um 4000 v.Chr. in Verwendung. Diese Verzögerung in der Entwicklung im Vergleich zur Spindel läßt sich mit den Schwierigkeiten erklären, die eine stationäre, reibungsarme Lagerung der sehr viel schwereren Töpferscheiben mit sich bringt.
Die ersten Töpferscheiben bestanden aus Holz, und ihre Existenz läßt sich heute direkt nur noch anhand der steinernen Lager nachweisen. Einfacher ist der indirekte Nachweis anhand der Töpfererzeugnisse, denen man leicht ansieht, ob sie von Hand geformt sind oder auf einer schnell rotierenden Scheibe unter Fliehkrafteinfluß hergestellt wurden. Aufgrund von Funden dieser Art wird heute vermutet, daß das Schwungrad früher als das Rad für die Fortbewegung erfunden wurde und damit das Schwungrad die älteste "Maschine" der Menschheitsgeschichte ist [1]. Die ältesten Töpferscheiben wurden in Vorderasien gefunden. Erst 400 v.Chr. fanden sie den Weg nach Mitteleuropa.
Das Material für Töpferscheiben aus späteren Jahrhunderten variiert von Stein über Holz, Lehm und Ton bis hin zu Verbundmaterialien. Aus in Indien gefundenen Überresten wurde ein sehr interessantes Töpferrad rekonstruiert, das in Bild 1(d) dargestellt ist. Die ringförmige Schwungmasse besteht aus Lehm, in den in tangentialer Richtung Bambusringe eingelegt sind. Zudem wird die Schwungmasse über hölzerne Speichen mit der Achse verbunden. Diese Konstruktion ist in Hinblick auf heutige Faserverbundschwungräder geradezu visionär. Die Töpferscheibe wurde mit den Füßen oder von Hand angetrieben und konnte die Rotation über mehrere Minuten aufrecht erhalten. Dabei erreichte sie Drehzahlen bis zu 100 min-1. Für ein in Mesopotamien gefundenes Töpferrad wurde der Energieinhalt zu 0,14 Wh bestimmt.
Solche Eigenschaften waren nur bei einer guten Lagerung möglich. Die Axiallast wurde in der Regel von Nadellagern aufgenommen. Dabei bestand die Lagerschale aus Stein, Porzellan oder Hartholz. Entweder stabilisierte sich die Scheibe durch die Präzession selber oder wurde durch ein radiales Gleitlager geführt. Die Lager wurden zum Teil auch mit Hilfe von pflanzlichen Ölen und Fetten sowie mit Bitumen geschmiert.
Mit der Einführung von Kurbeltrieben in Form von Spinnrädern und Handmühlen wurden die Schwungmassen unentbehrlich zur Glättung der ungleichförmigen Antriebsbewegung. Die sich im Mittelalter immer weiter verbreitenden Wind- und Wassermühlen machten sich auch die Trägheit ihrer drehenden Teile zu Nutze. Durch sie wurde der Einfluß der unstetigen Antriebskräfte oder Lasten verringert und eine gleichmäßigere Drehbewegung erreicht. Zusätzliche rotierende Massen wurden auch bei von Menschenkraft oder von Tieren angetriebenen Geräten angebracht.
Bis ins späte Mittelalter konnten die Philosophen und Naturwissenschaftler das Phänomen der Massenträgheit nicht erklären, und dennoch wurde die Massenträgheit schon seit Jahrtausenden ausgenutzt. Erst Galileo Galilei formulierte im 17. Jahrhundert das Gesetz von der Trägheit der Masse.
Bild 2: Dampfmaschine mit eisernem Schwungrad von James Watt (1784) [1]
Durch die Entwicklung der Dampfmaschinen im 18. Jahrhundert gewannen die Schwungräder weiter an Bedeutung. Gleichzeitig vollzog sich auch ein Wechsel von Holzschwungrädern zu Eisenschwungrädern. Viele Schwungräder wurden gegossen, andere wiederum geschmiedet.
Es ist anzumerken, daß sich die Aufgaben der Schwungräder im Laufe der Zeit gewandelt haben. Waren sie in Form der Töpferscheibe und der Spindel als Energiespeicher zur Aufrechterhaltung der Bewegung benutzt worden, so wurden sie seit der Entdeckung der Dampfmaschine bis ins 20. Jahrhundert als träge Masse zur Vergleichmäßigung von Drehbewegungen eingesetzt. Oft übernahmen die Schwungräder gleichzeitig die Aufgabe von Riemenscheiben. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der Form der Räder wider. Zunehmend wurde die Masse auf dem größten Durchmesser konzentriert und die Verbindung zur Achse mit Hilfe von Speichen hergestellt. Die Auslegung der Schwungräder zielte auf ein möglichst hohes Trägheitsmoment und niedrige Drehzahlen ab.
Die Abmessungen der Dampfmaschinenschwungräder nahmen mit der Zeit beträchtliche Ausmaße an, und die Fliehkraftbelastungen überstiegen manches Mal die Festigkeit der meist aus Gußeisen bestehenden Räder. So wird von einem Schwungrad der Firma Corliss Steam Engine Co. berichtet, das 1891 in Manchester, New Hampshire, U.S.A., auseinanderbrach und dabei drei Arbeiter tötete. Das gußeiserne Schwungrad hatte einen Durchmesser von über 9 m, eine Breite von 2,80 m, eine Masse von 52 t und wurde von 10 Speichen getragen. Der Unfall geschah, als die Antriebsriemen durchrutschten und somit die Last abgeworfen wurde. Das Schwungrad beschleunigte auf eine Überdrehzahl von 61 min-1 und barst [2].
Auch für die Ende des 19. Jahrhunderts aufgekommenen Verbrennungsmotoren waren und sind heute noch die Schwungräder zur gleichmäßigen Übertragung der Kolbenkräfte auf den Antriebsstrang essentiell. Um die gleiche Zeit wurden auch die ersten Turbomaschinen von Parsons und de Laval entwickelt. Erst mit den aus diesem Bereich gewonnenen Kenntnissen und Berechnungsmethoden konnte der Drehzahlbereich für Schwungräder nach oben erweitert werden. Die Scheibe gleicher Festigkeit, die ursprünglich von de Laval für seine hochtourigen Dampfturbinen entwickelt wurde, ist auch heute noch eine der wichtigsten Formen für Stahlschwungräder.
Als reiner Energiespeicher war das Stahlschwungrad von John A. Howell von 1884 ausgelegt. Bei einer Masse von 160 kg und einer maximalen Drehzahl von 21000 min-1 speicherte es genug Energie, um einen Torpedo bei einer Geschwindigkeit von 55 km/h 1,5 km weit durch das Wasser zu bewegen. 1911 wurde ein 44 t schweres Schwungrad mit einem Speicherinhalt von 34 kWh an einer elektrifizierten Bergeisenbahnstrecke in Italien installiert [1].
In den zwanziger Jahren verwendete man Motorgeneratoren mit großen Schwungrädern, die Ilgner-Umformer, zum Abfangen von Lastspitzen in Walzwerken und bei Fördermaschinen. 1924 lieferte die AEG einen Ilgner-Umformer, dessen Schwungrad einen Durchmesser von 4 m und eine Breite von 1 m hatte. Bei 750 min-1 speichert es rund 166 kWh [3]. Bereits 1931 wurde in Kursk in der ehemaligen Sowjetunion eine Schwungradenergiespeicheranlage in Verbindung mit einer Windkraftanlage betrieben.
Bild 3: Schwungrad im mobilen Einsatz [4]
Nicht unerwähnt bleiben soll die Verwendung des Schwungrades bei Spielzeugen wie zum Beispiel Kreisel, Jo-Jo und Diabolo. Bevor die handelsüblichen Trockenbatterien auf dem Markt waren, wurden Spielzeugautos neben Speicherfedern hauptsächlich mit Schwungradenergiespeichern angetrieben.
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