Ein ZEIT-Gespräch mit dem grünen Europaparlamentarier Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf über die Reform der Agrarpolitik, die Zwänge des Weltmarktes und die zukunft der deutschen Bauern.
Von Arne daniels und Fritz Vorholz
Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf gehört zu Europas profiliertesten Agrarpolitikern. Er vertritt seit 1984 die Grünen im Europäischen Parlament und ist dort Stellvertretender Vorsitzender des Agrarausschusses. Baringdorf ist außerdem Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), eines Zusammenschlusses von Landwirten, die sich von der Politik,des Deutschen Bauernverbandes nicht mehr vertreten fühlen. Er betreibt selbst einen Biohof im Ravensberger Land bei Bielefeld. Dort, sagt der in Philosophie promovierte 54jährige, habe er seine Wurzeln. Bei seinen vielen Reisen nach Straßburg und Brüssel fühle er sich dagegen "wie auf politischer Montage".
ZEIT: Herr Graefe zu Baringdorf, was kostet einen deutschen Bauern die Produktion eines Liters Milch?
Baringdorf: Zwischen 35 und 65 Pfennig,je nachdem, wie artgerecht er die Kühe hält.
ZEIT: Die Neuseeländer können das für etwa 20 Pfennig, richtig?
Baringdorf: Das stimmt. Die Kühe können dort ganzjährig weiden. Außerdem brauchen sie kein Kraftfutter, und wegen des milden Klimas sind Ställe weitgehend überflüssig. Die Investitionskosten sind deshalb sehr gering.
ZEIT: Offenbar ist die deutsche Landwirtschaft nicht konkurrenzfähig.
Baringdorf: Sie müssen aber sehen: Neuseeland produziert ungefähr soviel Milch wie Bayern. Den Weltmarkt können es unmöglich versorgen.
ZElT: Nehmen wir andere Beispiele: Die Argentinier können Rindfleisch günstiger liefern, die Amerikaner Getreide.
Baringdorf: Gut, auch die haben für diese Produkte bessere Standortbedingungen.
ZEIT: Davon merken die Europäer aber nichts. Im Gegenteil: Die Agrarpolitiker zwingen Verbraucher und Steuerzahler, eine Branche am Leben zu halten, die im Wettbewerb nicht bestehen kann. Finden Sie das gut?
Baringdorf: Erwarten Sie nicht von mir, daß ich diese Politik verteidige. Sie ist teuer, verursacht Umweltschäden, geht auf Kosten der Dritten Welt und hat den hiesigen Bauern am wenigsten genutzt -- gerade weil sie auf den Weltmarkt fixiert ist. Erstens kann aber der Weltmarkt Nahrungsmittel nicht in den Mengen und in der Qualität liefern, wie Europa sie braucht. Wenn wir massiv als Nachfrager auf dem Weltmarkt aufträten, würden die Preise sofort nach oben schnellen. Wir brauchen also unsere eigene Landwirtschaft. Und zweitens kann man zwar Getreide und Fleisch importieren, aber keine Kulturlandschaft.
ZEIT: Wenn Sie recht hätten und das Preisniveau stiege, könnten auch die europäischen Landwirte sehr schnell kostendeckend produzieren. Das europäische Subventionssystem wäre überflüssig.
Baringdorf: Das ist richtig. Denn die Weltmarktpreise sind vor allem deshalb niedrig, weil die Europäer selbst sie mit ihren Exportsubventionen in den Keller drücken. Nicht so sehr Neuseeländer und Amerikaner betreiben Preisdumping, sondern vor allem die EU. Drei Prozent der weltweit erzeugten Milch kommen auf den Weltmarkt, fünf bis acht Prozent des Getreides, in der gleichen Größenordnung Fleisch. Auf dem Weltmarkt verramschen die Erzeugerländer ihre Überschüsse, da findet permanent Ausverkauf statt.
ZElT: Genau damit will der europäische Agrarkommissar Frani Fischlei ja nun Schluß machen -- weil die EU wegen dieser Subventionen zunehmend Ärger mit ihren Handelspartnern bekommt. Dafür müßten Sie ihn doch beglückwünschen.
Baringdorf: Wenn die Exportsubventionen zurückgefahren werden, ist das in der Tat ein richtiger Schritt.
ZEIT: Sie wollen aber noch mehr. Die europäische Landwirtschaft soll sich vom Weltmarkt gänzlich abkoppeln. Die hiesigen Bauern sollen durch hohe Einfuhrzölle vor der Konkurrenz geschützt werden. Das hat mit Markt rein gar nichts mehr zu tun.
Baringdorf: Wir sagen, die europäischen Bauern sollen vor allem für Europa produzieren. Nach der geplanten Osterweiterung werden wir mit 500 Millionen Menschen nach China den zweitgrößten Binnenmarkt der Welt haben. Dann macht es erst recht keinen Sinn, sich auf den Weltmarkt zu kaprizieren. Diejenigen Bauern, die dennoch meinen, Ihre Produkte außerhalb Europas verkaufen zu können, sollen dies ruhig tun. Nur dürfen sie dafür keine staatliche Hilfe beanspruchen.
ZEIT: Das beantwortet aber nicht die Frage, warum die gesamte Landwirtschaft vor billigerer ausländischer Konkurrenz geschützt werden soll.
Baringdorf: Weil wir aufpassen miissen, daß uns über den Preis nicht Produktionsbedingungen aufgezwungen werden, die in Europa niemand haben will -- etwa eine durchrationalisierte Landwirtschaft, die ökologisch höchst bedenklich ist. Oder Löhne, von denen hier niemand leben kann. Das ist, auf Europa bezogen, sozialökoiogisches Dumping.
ZEIT: Anderswo scheint die Sonne häufiger, sind die Böden besser. Dies ist doch keine unfaire Konkurrenz.
Baringdorf: Gegen solche Konkurrenz ist nichts einzuwenden, der müssen und können wir uns stellen.
ZElT: Schutzzölle unterscheiden aber nicht zwischen guter und böser Konkurrenz.
Baringdorf: Journalisten kann man in Kenia ja auch billiger einkaufen. Man kann überhaupt alles irgendwo billiger kaufen. Auch wenn das nicht unbedingt Dumping sein muß, bringt es unser Gefüge hier durcheinander. Das Gerede von Globalisierung und Liberalisierung ist ein großer Bluff. Liberalisierung ist immer eine Waffe der Stärkeren die ihre Vorteile ausspielen wollen.
ZEIT: Andere Branchen mußten sich der Konkurrenz auch stellen -- Autoindustrie, Textilindustrie, Unterhaltungselektronik. Warum soll ausgerechnet die Landwirtschaft geschützt werden?
Baringdorf: Zum Beispiel, weil mit einer vernunftigen Erzeugung von Lebensmitteln Kulturlandschaft geschaffen oder erhalten wird. Und diese läßt sich eben nicht importieren.
ZEIT: Der ganze Milliardenaufwand also, damit wir uns ein paar Land- schaftspfleger halten?
Baringdorf: Nein. wir wollen nicht angestellte Landschaftspfleger sein. Wer das will, soll Fachleute beschäftigen und sie nach A 2 bezahlen. Wir wollen durch die ökologisch verträgliche Erzeugung von Lebensmitteln die Kulturlandschaft erhalten. Im übrigen ist es eine Illusion zu glauben, wir könnten Europa oder auch nur on zu glauben, wir könnten Europa oder auch nur Deutschland allein über den Weltmarkt ernähren. Es ist überhaupt nicht möglich, hier auf Produktion zu verzichten. Wir brauchen die F1ächen, um die Leute satt zu machen. Und wir brauchen auch bei uns Menschen, die willens und in der Lage sind, Landwirtschaft zu betreiben -- gerade wenn in den kommenden Jahrzehnten die Nachfrage nach Lebensmitteln weltweit deutlich steigen wird.
Es geht bei der Agrarreform also nicht um das Ob, sondern um das Wie der Produktion: Versuchen wir, um jeden Preis konkurrenzfähig zu werden? Gehen wir in Richtung Agrarindustrie? Oder setzen wir auf ökologisch veträglichen Landbau?
ZEIT: Welche Folgen hätte es für die Landwirtschaft, wenn sich Agrarkommissar Fischler mit seinen Vorstellungen durchsetzt: Senkung der Garantiepreise für Milch, Fleisch und Weizen, dafür direkte Ausgleichszahlungen an die Bauern?
Baringdorf: Manche Bauern werden so strikt rationalisieren, daß sich das Ganze trotzdem noch lohnt. Andere sind dazu nicht in der Lage. Ihre Produktionskosten sind dann höher als die Preise, die sie erzielen. Sie können nur wegen der Ausgleichszahlungen weiter wirtschaften, müssen also praktisch Eintrittsgeld bezahlen, wenn sie ihren Stall betreten. Deshalb werden sie mittelfristig aufgeben. Fischler will über den Preisdruck rationelle Strukturen schaffen, so daß die Europäer irgendwann einmal ohne staatliche Hilfe exportieren können.
ZEIT: Was ist daran falsch?
Baringdorf: Es geht in Richtung Agrarindustrie. Erstens droht ein großer sozialer Aderlaß, weil weniger Menschen in der Landwirtschaft tätig sein werden. Ein Fünftel der Beschäftigten wird dann in der Lage sein, die heutigen Mengen zu produzieren -- und das sind auch nicht gerade Bauern: Um fünf Millionen Hühner halten zu können, brauchen Sie Elektriker, Chemiker und Leute, die tote Hühner beseitigen und Scheiße abtransportieren. Zweitens zwingt der Preisdruck zu einem vermehrten Einsatz von Chemie und Gentechnik -- und beschert den Verbrauchern Produkte, die nicht gerade ökolotisch hergestellt und gesundheitsfördernd sind. Schon heute gehen achtzig Prozent der Antibiotika ins Tierfutter und nicht etwa in die Humanmedizin. Solche Dinge haben die intensive Landwirtschaft ja so in Verruf gebracht. Und drittens wird bei diesen Preisen der Ackerbau auf rund der Halfte aller Flächen nicht mehr lohnend sein, obwohl dort anständige Erträge möglich sind. Wir haben hier im Ravensberger Hügelland mit die besten Böden der Welt, und trotzdem wurde sich der Anbau kaum mehr rechnen. Diese mächen müßten dann von Landschaftspflegern künstlich gestaltet oder der Natur überlassen werden.
ZEIT: Was ökologisch unbedenklich wäre.
Baringdorf: Mag sein. Aber von diesen Flächen wird niemand mehr satt. Und die übrige Landwirtschaft wird zunehmend zum agrarindustriellen Rohstofflieferanten der Lebensmittelindustrie.
Früher kamen von jeder Mark, die der Verbraucher für Nahrung ausgegeben hat, achtzig Pfennig beim Bauern an; heute sind es nur noch zwanzig Pfennig. Welchen Sinn macht es, den Getreidepreis um zwanzig Prozent zu senken, wenn der Anteil am Brötchen nur noch ein Pfennig ist?
ZEIT: Agrarkommissar Fischler, ein Feind der Bauern?
Baringdorf: So einfach ist es nicht. In seinem Reformvorschlag spielen Umweltaspekte ja durchaus eine Rolle. So will er die Höhe der Ausgleichszahlungen an soziale und ökologische Kriterien bin- den. Also: Geld soll es nicht für tausend Hektar geben, sondern vielleicht nur für dreihundert. Und wenn wir schon Prämien für Kühe geben, dann sollen die gefälligst auf der Weide laufen und uns den Bruch oder die Aue offenhalten; das ist billiger, als Landschaftspfleger einzustellen. Derjenige Bauer aber, der die Milch so produziert, kann damit hohere Preise erzielen ...
ZEIT: ... durch Direktvermarktung ...
Baringdorf: ... weil immer mehr Leute sagen: Irgendwie schmeckt die Milch besser. Das heißt, zusammen mit der Prämie kommt diese Art der Milchproduktion plötzlich in die Gewinnzone, obwohl sie extrem unrationell ist. Also fördert Fischler indirekt einen Marktzugang, den er von seiner Grundlogik überhaupt nicht im Blick hat. Dieser Markt folgt nicht mehr ausschließlich dem Konkurrenzdiktat, sondern beruht auf der Kommunikation zwischen Erzeugern und Verbrauchern. Die Leute kommen dann mit ihren Kindern zum Einkauf auf die Höfe und gucken sich die Sau an.
ZEIT: Mehr als eine Marktnische ist das aber nicht, oder?
Baringdorf: Immerhin wächst die Zahl der Ver- braucherinnen und Verbraucher, die mit der Wachs- tumslogik nichts anfangen können -- weil, so argumentieren sie, die Bauern die Landschaft kaputtmachen, die Tiere quälen. uns mit Chemie vergiften und dafür auch noch Subventionen kriegen. Diese Menschen wollen Produkte kaufen, die aus artgerechter Tierhaltung stammen und bei deren Produktion die Kulturlandschaft ökologisch gestaltet wird. Und warum sollte man nicht denen, die teuer auf dem Biohof einkaufen, die Möglichkeit geben. die Mehrkosten von der Steuer abzusetzen?
ZEIT: Meinen Sie das ernst?
Baringdorf: Selbstverständlich. Diese Leute verantworten ja auch nicht die mit Steuergeldern finanzierte Uberschußproduktion und die dadurch ausgelösten Umweltschäden sowie die Arbeitslo- sigkeit. Solange mit einer Kilometerpauschale das Autofahren gefördert wird und keiner daruber lacht, halte ich meinen Vorschlag aufrecht.
ZEIT: Glauben Sie wirklich, daß diese Art der Landwirtschaft die Deutschen ernähren könnte?
Baringdorf: Jedenfalls eher als wenn wir der Weltmarkt- und Rationalisierungslogik folgen würden; nach dieser Logik fallen ja fruchtbarste F1ächen aus der Produktion heraus. Aber Sie haben recht: Die Produktion je Hektar und je Tier würde zurückgehen. Wir müßten also mit unseren Ernährungsgewohnheiten, besonders mit dem hohen Fleischkonsum, etwas zurückstecken. Aber selbstverständlich kann sich Europa ernähren.
ZEIT: Haben Sie die Vision. daß die europäische Agrarwirtschaft irgendwann aus eigener Kraft le- ben kann, auch ohne Ausgleichszahlungen?
Baringdorf: Sehr wohl. Wenn die großen Agrarexporteure der Welt sich verständigen. das Dumping endlich zu beenden. Wenn sich die Verbraucher ihrer Einkaufsmacht bewußt werden. Und wenn Preise und Kosten ehrlicher berechnet werden als heute -- und nicht den Steuerzahlern oder künftigen Generationen aufgehalst werden.
ZEIT: Fürchten Sie nicht. der Museumslandwirtschaft das Wort zu reden?
Baringdorf: Im Gegenteil. Was wir fordern, ist wirklich konsequent ökologische Marktwirtschaft.