Bachmanns
intellektuelle Biographie:
die innovativste Erbin der Wiener Moderne
Neuerdings ist das Wort „intellektuelle Biographie“
in der Bachmann-Forschung zum Modewort geworden.
Der Engel der Literatur ist einer der Versuche, wenn nicht der
allererste überhaupt, sich mit der Prosa Bachmanns durch die Analyse des
„geistigen Prozesses“ ihres Werkes auseinanderzusetzen. So werden Bachmanns geistige Beziehungen zu
Wittgenstein, Heidegger, Musil, Groddeck,
Hofmannstahl, Benjamin, Proust, Simone Weil weitreichend thematisiert
und in den Kontext ihres Werkes und ihrer geistigen Entwicklung eingefügt.
Besonderes Augenmerk wird nicht zuletzt auf die wichtigen und bisher wenig
beachteten Beziehungen zu anderen literarischen Traditionen (wie z. B. jene
zur französischen und italienischen Literatur) gelegt; auch die „utopische“
Rolle des Zitats in ihrer Schreibweise (vor allem Paul Celan und Nelly Sachs, aber auch
Stendhal, Flaubert, Shakespeare, Ungaretti, Josef
Roth) findet besondere Berücksichtigung.
Die Hauptthese des Buches ist also eine einfache und
deutliche.
Zum einen zählt Ingeborg Bachmann
zu jenen Autoren, die einmal ein großer Literaturkritiker als die „erleuchtetsten“ bezeichnet hat, und die immer seltener
werden: Autoren, die die literarische Sprache in das Zentrum einer ganzen
geistigen Welt zu verwandeln wissen. Deswegen ist es wohl gerechtfertigt,
von einem philosophischen Vermächtnis in Bachmanns Oeuvre zu reden.
Die zweite These ist, daß
gerade die Art und Weise, wie Bachmann diese geistige Welt charakterisiert,
das Gesamtbild unserer Autorin prägt; daher wird in diesem Buch gezeigt,
wie Bachmanns sowohl dichterisches als auch humanes Projekt als die
Fortsetzung und Weiterentwicklung der Kultur der Wiener Moderne in einem
neuen kulturellen Kontext verstanden werden sollte. Die Identität wichtiger
Figuren wie Malina (Malina) und Franz Josef Trotta (Drei Wege zum
See) hat sie nicht als Epigone, sondern als innovative Erbin jener
„Familie würdiger Geister“, die – wie sie einmal geschrieben hat – „die
Nestroysche Luft noch geatmet haben“, geschaffen. Hier, in ihrer Beziehung
zur geistigen Haltung von „Positivisten und Mystiker“ wie Musil und
Wittgenstein, aber auch in jener zu Hofmannsthal und Proust, liegt die
„echte Aktualität“ ihres Oeuvres für unsere Zeit. Denn erst wenn die Spezifizität dieser geistigen Haltung ans Tageslicht
kommt, werden auch die oft bestrittenen Beziehungen zu ihren Zeitgenossen
deutlicher.