Trotzkis Trotzkismus
Über die historischen Wurzeln und den Gründer des Trotzkismus
Proletarische Rundschau Nr. 12, September 2003
Lew Dawidowitsch Bronstein wurde 1879 in der Südukraine geboren. Er
studierte in Odessa Mathematik, wurde bald, als Mitbegründer des südrussischen
Arbeiterbundes, in der antizaristischen Oppositionsbewegung aktiv. Diese Aktivität
führte 1898 zu seiner Verhaftung und Verbannung nach Sibirien. 1902 gelang
ihm, unter dem falschen Namen Trotzki, die Flucht nach London. Dort arbeitete
er gemeinsam mit Lenin in der Redaktion der marxistischen Zeitung Iskra (Funke).
Am II. Parteitag der russischen sozialdemokratischen Arbeiterpartei SDAPR
im Juni 1903 kam es zu einer Spaltung in zwei Fraktionen, Menschewiki und Bolschewiki.
Die Bolschewiki forderten eine straffere Organisation der Partei, jedes Mitglied
sollte sich verpflichtend an der Parteiarbeit beteiligen, das wurde abgelehnt.
Trotzki befand sich damals unter der Mehrheit, die Lenin vorwarf er wolle aus
der Partei einen engen Kader von Verschwörern machen und keine Organisation
der Arbeiterklasse. Eine weitaus gewichtigere Streitfrage war aber, die Rolle
der Partei in und nach der bürgerlichen Revolution in Russland. Die Hauptaufgaben
dieser bestanden darin, die Selbstherrschaft (den Zaren) hinwegzufegen, demokratische
Freiheiten einzuführen, den Bauern Land zu geben und die Leibeigenschaft
abzuschaffen. Alle Fraktionen waren sich darin einig, dass das Proletariat,
aufgrund der Schwäche der russischen Bourgeoisie, die führende Rolle übernehmen
werde. Die Menschewiki gingen davon aus, dass wegen des Charakters der Revolution,
man ein Bündnis mit der liberalen Bourgeoisie eingehen werde müssen.
Danach wäre auch noch eine historische Etappe der kapitalistischen Herrschaft
notwendig, eine sozialistische Revolution läge also in ferner Perspektive.
Im Gegensatz dazu, betonten die Bolschewiki die entscheidende Bedeutung der
Bauernschaft und ihr revolutionäres Potential, das man in einem Bündnis
nutzen könnte. Nach der Revolution wären eine Herrschaft des Proletariats
und der Bauern innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft möglich (mit
einem entsprechenden Agrarprogramm) und damit ein Hinüberwachsen der bürgerlichen
Revolution in eine sozialistische Revolution.
Trotzki
selbst sah sich zu der Zeit zu keiner der beiden Fraktionen zugehörig,
arbeitete Anfangs mit den Menschewiki zusammen, teilte aber nicht ihre Orientierung
an der liberalen Bourgeoisie. Trat für die Einheit der Partei ein und
war als unabhängiger sozialdemokratischer Publizist tätig.
Im Jänner 1905 brach, ausgehend vom Streik der Arbeiter des Putilov-Werkes
in Petersburg, die Revolution aus, und weitete sich in mehreren Wellen über
Russland auch auf Polen und Lettland aus. Am Höhepunkt der revolutionären
Bewegung im Oktober, wurden in mehreren Städten Sowjets, bestehend aus
den Streikkomitees, gebildet. In Petersburg wurde Trotzki zum Vorsitzenden
gewählt. Die Revolution endete mit der Unterdrückung des Aufstandes
der Arbeiter in Moskau im Dezember, und alle Zentren wurden mit blutigen Repressionsmaßnahmen überzogen.
Trotzki wurde erneut verhaftet und zu einer lebenslangen Verbannung nach Sibirien
verurteilt. In der Verbannung schrieb er Perspektiven und Ergebnisse in denen
er seine Erfahrungen analysiert und aufbauend auf Parvus (in Deutschland lebender
russischer Sozial-demokrat und Freund Trotzkis), die hochgelehrte Theorie der
permanenten Revolution entwickelt. Diese bestand im Kern darin, dass das russische
Proletariat sich in einer sozialistischen Revolution nur dann behaupten könne,
wenn der Funke der Revolution auch auf das europäische Proletariat übergreift,
das ihm dann zur Hilfe kom men werde. Denn während das Proletariat in
der ersten Etappe (bürgerliche Revolution) die Unterstützung der
Bauernschaft, genießen werde wird es mit einer sozialistischen Revolution
die Masse der Kleineigentümer gegen sich aufbringen und wegen seiner Schwäche
die Errungenschaften einer solchen, nicht aus eigener Kraft festigen können.
"In 'Ergebnisse und Perspektiven' schreibt Trotzki: 'Ohne direkte
staatliche Unterstützung durch das europäische Proletariat wird
die Arbeiterklasse Russlands nicht imstande sein, die Macht zu behaupten
und ihre zeitweilige Herrschaft in eine dauernde sozialistische Diktatur
zu verwandeln. Daran darf man nicht einen Augenblick zweifeln.'
Was besagt dieses Zitat? Es besagt, dass der Sieg des Sozialismus in einem
Lande, im vorliegenden Fall in Russland unmöglich ist 'ohne direkte
staatliche Unterstützung durch das europäische Proletariat',
das heißt vor der Machteroberung durch das europäische Proletariat.
Was hat diese 'Theorie' mit dem Satze Lenins von der Möglichkeit des Sieges
des Sozialismus 'in einem einzeln genommenen kapitalistischen Lande'
gemein?"[1]
Den Begriff der permanenten Revolution hat Trotzki bei Marx entlehnt. Er ist
im Zusammenhang mit der "Ansprache der Zentralbehörde an den Bund
vom März 1850"[2] zu
finden, in der Marx und Engels die Forderungen einer revolutionären Arbeiterpartei
in der bürgerlich demokratischen Revolution in Deutschland aufstellen.
Die Analyse geht davon aus, dass in dieser die kleinbürgerlichen Demokraten
das Übergewicht erhalten. Diese wiederum erstreben eine Änderung
der gesellschaftlichen Zustände, wodurch ihnen die bestehende Gesellschaft
möglichst erträglich und bequem gemacht wird. Das heisst: Der Herrschaft
und raschen Vermehrung des Kapitals soll entgegengearbeitet werden wobei sie
hoffen, hoffen die Arbeiter durch mehr oder minder versteckte Almosen zu bestechen
und ihre revolutionäre Kraft zu brechen. Dem gegenüber stellen sie,
dass es im Interesse der Partei des Proletariats sei, die Revolution permanent
zu machen, so lange, bis alle mehr oder weniger besitzenden Klassen von der
Herrschaft verdrängt sind, die Staatsgewalt vom Proletariat erobert und
die Assoziation der Proletarier nicht nur in einem Lande, sondern in allen
herrschenden Ländern der ganzen Welt so weit vorgeschritten ist, dass
die Konkurrenz der Proletarier in diesen Ländern aufgehört hat und
dass wenigstens die entscheidenden produktiven Kräfte in den Händen
der Proletarier konzentriert sind. Die Losung Revolution in Permanenz! wird
hier verwendet um klar und deutlich aufzuzeigen was die Partei des Proletariats
von den demokratischen Kleinbürgern trennt, denn es kann sich für
sie nicht um Veränderung des Privateigentums handeln, sondern nur um seine
Vernichtung, nicht um Vertuschung der Klassengegensätze, sondern um Aufhebung
der Klassen, nicht um Verbesserung der bestehenden Gesellschaft, sondern um
Gründung einer neuen.
Trotzkis
Losung lautete aber nicht Revolution in Permanenz sondern Revolution immer
und überall! Die Arbeiterklasse muss jederzeit und überall für
die sozialistische Revolution kämpfen. Es ist eine Politik der Kapitulation
und des Defätismus, denn warum sollte sich das Proletariat mit einer bürgerlich
demokratischen Revolution aufhalten wenn die einzige Lösung die Flucht
nach vorne, sprich Weltrevolution sein kann. Dass die sozialistische Revolution
Russlands die erste in einer Reihe von nationalen Revolutionen sein wird müssen,
formuliert er in "Perspektiven und Ergebnisse" (1906) folgendermaßen:
"Wenn das russische Proletariat, das vorübergehend die Macht
erlangt hat, nicht aus eigener Initiative die Revolution auf den Boden Europas überträgt,
so wird die europäische feudalbourgeoise Reaktion es dazu zwingen. Diese
These versucht er anhand eines fiktiven Szenarios (Polen schließt sich
der Revolution an, wird von der deutsch-österreichischen Konterrevolution
angegriffen) zu beweisen: Es ist ganz offensichtlich, dass die russische
Revolution ihre westliche Avantgarde (Polen) nicht in den Händen der
preußisch-österreichischen Söldner lassen kann... Welche
Position würde hierbei das deutsche und österreichische Proletariat
einnehmen? Es ist klar, dass es einem konterrevolutionären Kreuzzug
seiner nationalen Armeen nicht ruhig zuschauen kann. Der Krieg eines feudal-bourgeoisen
Deutschland gegen ein revolutionäres Russland bedeutet unweigerlich
die proletarische Revolution in Deutschland."
Trotzki übersieht bei der gesamten Beweisführung, dass die Arbeiter/innenklasse
aus eigener Kraft ausschließlich ein gewerkschaftliches Bewusstsein entwickeln
kann, und das Bewusstsein über den prinzipiellen Gegensatz zwischen ihrer
Klasse und dem gegenwärtigen sozialen System nicht hervorbringt. Er unterschätzte
die führende Rolle der Arbeiter/innenklasse bei der revolutionären
Umgestaltung und überschätzte gleichzeitig die Kräfte des westeuropäischen
Proletariats (siehe "linker" Opportunismus,
Grundbegriffe des Marxismus-Leninismus)
Die
Jahre 1908-1911 bedeuten für die russische Sozialdemokratie Jahre des
Niedergangs und der Auflösung. Die Verfolgung aller revolutionären
Kräfte durch die Regierung Stolypin, übte großen Druck auf
die Organisationen aus und in der SDAPR entfachte sich ein heftiger Streit über
die Notwendigkeit illegaler Organisationen. Teile der Menschewiki wollten ihre
Arbeit legalisieren, d.h.: Dumawahlen, parlamentarische Arbeit in der Duma,
legale Zeitungen, gewerkschaftlicher Arbeit etc.. und traten offen für
die Liquidierung der illegalen Organisationen ein. Bei den Bolschewiki gab
es wiederum Leute die eine Art Fetisch aus der Illegalität machten und
jede legale Arbeit ablehnten (Otsowisten). Auch waren die Geldbeschaffungsaktionen
der Bolschewiki, so genannte Expropriationen, organisierte Überfälle
auf Banken und ähnliche Einrichtungen, sehr umstritten. Trotzki trat vehement
gegen diese "Raubüberfälle" ein und versuchte sich immer
wieder als Versöhner zwischen den Fraktionen. In seiner Monatszeitschrift
Prawda argumentierte er: "...unsere historischen Fraktionen, der Bolschewismus
und der Menschewismus, sind ursprünglich rein intellektuelle Gebilde [...]
für die Einheit der Partei."
Anfang 1910 gab es, nach einem dreiwöchigen Plenum des ZK, konkrete Versuche
die Partei wieder zu einen, und seine Zeitung wurde zum Organ ernannt. Die
Einigung kam letztendlich aber nicht zustande, da die Menschewiki ihren Teil
der Abmachung, mit den Liquidatoren abzubrechen, nicht einhielten.
Im Jänner 1912 wurde in Prag eine Konferenz der Bolschewiki einberufen
die sich zu einem Parteitag erklärte und ein neues Zentralkomitee wählte.
Dies bedeutete den endgültigen Bruch mit den Menschewiki. Es wurde beschlossen
eine legale Tageszeitung mit dem Titel Prawda, zu Trotzkis Entsetzen, zu veröffentlichen,
die bis zum Ausbruch des Krieges erschien.
Als
Reaktion auf diese "Spaltung" lud Trotzki im August zu einer Gegenkonferenz
in Wien ein, an der Menschewiki, linksradikale ehemalige Bolschewiki (wurden
im Zuge des Kampfes gegen die Liquidation ausgeschlossen), der Jüdische
Bund und Trotzkis Gruppe teilnahmen. Dieser als der "Augustblock" bekannte
Bund zerfiel aber rasch und mit Ausbruch des ersten Weltkrieges trennte sich
Trotzki auch von den Menschewiki, die immer öfter mit offen chauvinistischen
reaktionären Vaterlands-Losungen auftraten.
Lenin sagte im Jahre 1914, dreieinhalb Jahre vor der Oktoberrevolution, folgendes über
Trotzki: "Die alten Teilnehmer an der marxistischen Bewegung in Russland
kennen die Figur Trotzkis genau, und für sie lohnt es nicht von ihr zu
sprechen. Aber die junge Arbeitergeneration kennt sie nicht, und man muss von
ihr sprechen, denn die ist eine Figur, die typisch ist für alle jene fünf
ausländischen Grüppchen, die faktisch ebenfalls zwischen den Liquidatoren
und der Partei schwanken. In den Zeiten der alten 'Iskra' (1901 bis 1903) gab
man diesen Schwankungen und von 'Ökonomisten' zu den alten 'Iskra'-Leuten
und umgekehrt über laufenden den Namen 'Tuschinoer Überläufer' (so
nannte man in der Zeit der Wirren in Russland die Krieger, die von einem Lager
ins andere überliefen, Anm.) [...]
Die 'Tuschinoer Überläufer' erklären sich als über
den Fraktionen stehend, und das aus dem einzigen Grunde, weil sie ihre Ideen
heute der einen, morgen der anderen Fraktion 'entlehnen'. Trotzki war in den
Jahren 1901 bis 1903 ein eifriger 'Iskra'-Anhänger, und Rjasanow bezeichnet
seine Rolle auf dem Parteitag von 1903 als die Rolle des 'Leninschen Knüppels'.
Ende 1903
ist
Trotzki eifriger Menschewik, das heißt, er ist von den Iskra-Leuten zu
den 'Ökonomisten' übergelaufen; er verkündet: 'Zwischen der
alten und der neuen 'Iskra' liegt ein Abgrund'. Im Jahre 1904/05 rückt
er von den Menschewiki ab und nimmt eine schwankende Haltung ein, wobei er
bald mit Martow (den 'Ökonomisten') zusammenarbeitet, bald die absurd
linke 'permanente Revolution' verkündet. Im Jahre 1906/07 nähert
er sich den Bolschewiki, und im Frühjahr 1907 erklärt er sich mit
Rosa Luxemburg solidarisch.
In der Periode des Zerfalls geht er, nach langen 'nichtfraktionellen' Schwankungen,
wiederum nach rechts, und im August 1912 geht er einen Block mit den Liquidatoren
ein. Jetzt rückt er wiederum von ihnen ab, wobei er jedoch dem Wesen der
Sache nach ihre armseligen Gedanken wiederholt.
Derartige Typen sind charakterlich als Trümmer geschichtlicher Gestaltung
und Formationen von gestern, als die proletarische Massenbewegung in Russland
noch schlief und ein beliebiges Grüppchen 'genügend Platz' hatte,
um sich als Strömung, als Gruppe, als Fraktion, mit einem Wort, als eine
'Macht' hinzustellen, die von Vereinigung mit anderen redet.
Es ist notwendig, dass die junge Arbeitergeneration genau wisse, mit wem sie
es zu tun hat ...” [3]
1915 nahm Trotzki an der internationalen, von italienischen und Schweizer
Sozialisten organisierten, Zimmerwald-Konferenz gegen den Krieg teil. An dieser
Konferenz nahmen Revolutionäre und Pazifisten teil, es kam zu einer allgemeinen
gemeinsamen Erklärung und einer Form des Manifestes, das Trotzki verfasste.
Die Pazifisten und die so genannten Zentristen unter Kautsky verlangten die
Herstellung des Friedens durch ein Schiedsgericht und Verhandlungen. Die Bolschewiki
betonten, dass dies eine Wiederherstellung der Imperien bedeuten würde
und dass der einzige Ausweg aus einem imperialistischen Krieg nur die Revolution
sein könnte. Lenins Losung den Krieg gegen die eigene Regierung, dass
heißt in einen Bürgerkrieg umzuwandeln wurde mehrheitlich abgelehnt.
Lenin der sich zu der Zeit in Zürich befand eilte mit seinen berühmten
Aprilthesen unterm Arm nach Petersburg. Die Konferenz der Bolschewiki, die
kurz darauf stattfand, beschloss ein Kampfprogramm auf deren Grundlage und
gab die Losung: "Alle Macht den Sowjets!!" heraus. Um aber die langwierige
Arbeit zur Hebung des proletarischen Klassenbewusstseins leisten zu können,
und allseitig innerhalb des Sowjets wirksam zu werden, mussten sich alle proletarischen
internationalistischen Gruppen fest zusammenzuschließen und die sozialdemokratischen
Kräfte stärker organisiert werden. Der Vorschlag sich den Bolschewiki
anzuschließen wurde auch Trotzki, der im Mai nach Petersburg zurückgekehrt
ist, und mit seiner "Zwischengruppe" im Sowjet tätig ist, gemacht.
Im Sommer 1917 trat er unter Akzeptierung des Programms und des Statuts der
Bolschewistischen Partei bei, und wurde wenig später bei der Juli-Demonstration
als Bolschewik verhaftet. Nach seiner Freilassung im September wurde er ins
Zentralkomitee der Partei gewählt, und übernahm den Vorsitz im Petrograder
Sowjet, in dem die Bolschewiki mittlerweile die Mehrheit stellten. Zu der Zeit
wurde im ZK auch ein neuer bewaffneter Aufstand diskutiert und mit einer Mehrheit,
Kamenjew und Sinojew erheben Einspruch, beschlossen. Bekanntlich fand die Oktoberrevolution
am 25. Oktober (nach dem alten russischen Kalender) statt. Die Machtübernahme
wurde am landesweiten Sowjetkongress, der gerade in Petrograd tagte, bekannt
gegeben.
Nach dem Sieg der Oktoberrevolution kam es zu ersten Auseinandersetzungen
zwischen Trotzki und der Partei. Trotzki wurde zum Außenkommissar ernannt
und damit beauftragt die Friedensver-handlungen mit Deutschland in Brest-Litovsk
zu führen. Da der Imperialistische Krieg und die eigene Konterrevolution,
das Land und die Men-schen stark mitgenommen hatte und eine Atem-pause notwendig
wurde, gab die Partei die Direktive "Frieden um jeden Preis" aus.
Trotzki handelte aber nach seiner eigenen These "Weder Krieg, noch Frieden",
und erklärte bei den Ver-handlungen: “.... wir ziehen unsere
Armee und unser Volk aus dem Krieg zurück, sehen uns aber genötigt,
auf die Unterzeichnung eines Friedensvertrages zu verzichten.” Keine
zwei Wochen später, nachdem Deutschland weiter ins Innere des Landes einrückte,
musste die Sowjetunion doch einen Friedensvertrag, diesmal mit weitaus härteren
Bedingungen unterzeichnen. Mit dem Inkrafttreten des neuen Vertrages verlor
sie mehr als ein Viertel ihres europäischen Territoriums, ihres gesamten
anbaufähigen Landes und ihres Eisenbahnnetzes, ein
Drittel
ihrer Textilindustrie sowie nahezu drei Viertel ihrer Schwerindustrie und ihres
Bergbaus. Trotzki legte daraufhin sein Amt nieder und wurde stattdessen, wegen
seiner Erfahrung, mit der Organisierung der Roten Armee beauftragt. Hier leistet
er zweifelsohne gute und wichtige Arbeit, erntet aber am VIII. Parteitag im
März 1919 Kritik wegen seiner "diktatorischen Haltung" und seiner "Bewunderung
für Militärspezialisten". Trotzki war bekannt für seinen
Individualismus, seinem autoritären Leitungsstil, seiner Vorliebe für
militärische Disziplin und seiner aristokratische und bonapartistische
Auffassung von der Partei: Lenin sei ein Chef umgeben von unterwürfigen
Stellvertretern, die sich um die laufenden Gelegenheiten kümmern.
Im Dezember 1919 möchte Trotzki dieselben militärischen Methoden
bei der Mobilisierung der Arbeiter wie bei der Armeeführung anwenden,
und schlägt die "Militarisierung der Betriebe" vor. Die ihm
unterliegende Eisenbahn wird solchermaßen organisiert, und prompt gerät
er in Konflikt mit den Gewerkschaften. Lenin kritisiert diese Vorgehens-weise
als eine Gefährdung der Diktatur des Proletariats, solche bürokratische
Scherereien könnten die Partei von den Massen trennen.
Der Streit um den "Sozialismus in einem Lande" setzte im Übergang
von der Periode Lenins zu der von Stalin ein. Ab 1922 gab es darum eine große
ideologische und politische Debatte die bis 1927 währte. Trotzki veröffentliche
1922 sein Werk "Ergebnisse und Perspektiven" und versah es mit einem
neuen Vorwort.
"Nehmen wir das im Jahre 1922 geschrieben "Vorwort" Trotzkis
zu dem Buch "Das Jahr1905". Trotzki sagt in diesem "Vorwort" über
die "permanente Revolution":
'... dass die russische Revolution wohl unmittelbar vor bürgerlichen
Zielen steht, jedoch bei ihnen nicht wird stehen bleiben können. Die Revolution
wird ihre nächsten Aufgaben nicht anders lösen können als dadurch,
dass sie das Proletariat an die Macht bringt. Dieses aber wird, nachdem es
die Macht erobert hat, sich nicht auf den bürgerlichen Rahmen der Revolution
beschränken können. Im Gegenteil, gerade zur Sicherung ihres Sieges
wird die proletarische Avantgarde schon in der ersten Zeit ihrer Herrschaft
tiefstgehende eingriffe nicht nur in das feudale, sondern auch in das bürgerliche
Eigentum vornehmen müssen. Hierbei wird sie in feindliche Zusammenstöße
nicht nur mit allen Gruppierungen der Bourgeoisie geraten, die sie im Anfang
ihres revolutionären Kampfes unterstützt haben, sondern auch mit
den breiten Massen der Bauernschaft, mit deren Beihilfe sie zur Macht gekommen
ist. Die
Widersprüche
in der Stellung der Arbeiterregierung in einem rückständigen Lande
mit einer erdrückenden Mehrheit bäuerlicher Bevölkerung werden
nur im internationalen Maßstab, in der Arena der Weltrevolution des Proletariats
ihre Lösung finden können.'
Lenin spricht von dem Bündnis des Proletariats und den werktätigen
Schichten der Bauernschaft als der Grundlage der Diktatur des Proletariats.
Bei Trotzki dagegen ergeben sich 'feindliche Zusammenstöße' der 'proletarischen
Avantgarde' mit den 'breiten Massen der Bauernschaft'.
Lenin spricht von der Führung der werktätigen und ausgebeuteten Massen
durch das Proletariat. Bei Trotzki dagegen ergeben sich 'Widersprüche
in der Stellung der Arbeiterregierung in einem rückständigen Lande
mit einer erdrückenden Mehrheit bäuerlicher Bevölkerung'.
Nach Lenin schöpft die Revolution ihre Kräfte vor allem unter den
Arbeitern und Bauern Rußlands selbst. Bei Trotzki dagegen ergibt sich,
dass man die notwendigen Kräfte nur 'in der Arena der Weltrevolution
des Proletariats' schöpfen kann.
Wie aber, wenn es der internationalen Revolution beschieden sein sollte, mit
Verspätung einzutreffen? Gibt es da irgendeinen Licht- blick für
unsere Revolution? Bei Trotzki gibt es keinen Lichtblick, denn 'die Widersprüche
in der Stellung der Arbeiterregierung […] werde nur […] in der
Arena der Weltrevolution des Proletariats ihre Lösung finden können.' Nach
diesem Plan verbleibt unserer Revolution nur die eine Perspektive: in ihren
eigenen Widersprüchen fortzuvegetieren und in Erwartung der Weltrevolution
auf dem Halm zu verfaulen.” [4]
Da er bei den alten Bolschewiki mit seinen Argumenten nicht durchkam, änderte
Trotzki seine Taktik und wetterte fortan gegen die "degenerierte" und "bürokratische" Parteiführung
der KPDSU. Trotz Fraktionsverbot, baute er eine Oppositionsgruppe, in der er
vor allem junge Leute um sich scharte, auf. Als dann die Diskussion für
abgeschlossen erklärt wurde und darüber in der Partei eine Abstimmung
stattfand, erhielten die Anhänger der fraktionellen Machenschaften Trotzkis
nur zwischen 1 und 1,5% der Stimmen und Trotzki wurde aus der Partei ausgeschlossen.
Nach einjährigen Verbannungsaufenthalt in Kasachstan wird er 1929 in die
Türkei abgeschoben. Von 1933 bis 1937 wird er als Staatenloser in Frankreich
und Norwegen hin- und hergeschoben, bis er schließlich in Mexiko landete
wo er seine letzen Lebensjahre verbringt. Er betrachtet die Komintern als "entartet" und “stalinistisch”,
und kommt, nach der Machtübernahme Hitlers in Deutschland 1933, zu dem
Schluss, dass ein neues internationales Organ der Revolution unentbehrlich
sei. Die so genannte IV. Internationale wird offiziell 1938 in Paris gegründet.
Trotzki wird am 20 August 1940 in Coyocan in seinem eigenem Haus, von einem
enttäuschten Trotzkisten mit einem Eispickel angegriffen und tödlich
verwundet.
Der Trotzkismus ist in seiner Buntheit und wegen der mit linksradikalen Parolen
geschmückten Linie zu einer feindlichen Strömung des Marxismus-Leninismus
geworden. Mit seiner freien Fraktionierung ist er ein besonderer Anziehungspunkt
für, sich vor der proletarischen Disziplin fürchtende, intellektuelle
Kleinbürger. Den Organisationen der IV. Internationale, von denen jede
einzelne den wahren Marxismus für sich gepachtet sah, und andere der Betrügerei
und ähnlichem beschuldigte, gelang es nie sich in der Arbeiterklasse zu
verankern oder gar in einem Land die Macht zu ergreifen.