Ich warf eine Rose ins Meer,
eine blühende Rose ins grüne Meer.
Und weil die Sonne schien, Sonne schien,
sprang das Licht hinterher,
mit hundert zitternden Zehen hinterher.
Als die erste Welle kam,
wollte die Rose, meine Rose, ertrinken.
Als die zweite sie sanft auf ihre Schultern nahm,
mußte das Licht, das Licht ihr zu Füßen sinken.
Da faßte die dritte sie am Saum,
und das Licht sprang hoch, zitternd hoch, wie zur Wehr;
aber hundert tanzende Blütenblätter
wiegten sich rot, rot, rot um mich her,
und es tanzte mein Boot,
und mein Schatten auf dem Schaum,
und das grüne Meer, das Meer.

Richard Dehmel

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Am grauen Strand, am grauen Meer
und seitab liegt die Stadt;
der Nebel drückt die Dächer schwer,
und durch die Stille braust das Meer
eintönig um die Stadt.

Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai
kein Vogel ohne Unterlass;
die Wandergans mit hartem Schrei
nur fliegt in Herbstesnacht vorbei,
am Strande weht das Gras.

Doch hängt mein ganzes Herz an dir,
du graue Stadt am Meer;
der Jugend Zauber für und für
ruht lächelnd doch auf dir, auf dir,
du graue Stadt am Meer.

Theodor Storm

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Ans Haff nun fliegt die Möwe,
Und Dämmrung bricht herein;
Über die feuchten Watten
Spiegelt der Abendschein.

Graues Geflügel huschet
Neben dem Wasser her;
Wie Träume liegen die Inseln
Im Nebel auf dem Meer.

Ich höre des gärenden Schlammes
Geheimnisvollen Ton,
Einsames Vogelrufen-
So war es immer schon.

Noch einmal schauert leise
Und schweiget dann der Wind;
Vernehmlich werden die Stimmen,
Die über der Tiefe sind.

Theodor Storm

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Das Meer ist weit, das Meer ist blau,
im Wasser schwimmt ein Kabeljau.
Da kömmt ein Hai von ungefähr,
ich glaub von links, ich weiß nicht mehr,
verschluckt den Fisch mit Haut und Haar,
das ist zwar traurig, aber wahr. - - -
Das Meer ist weit, das Meer ist blau,
im Wasser schwimmt kein Kabeljau.

Heinz Erhard

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Komm, lieber schöner Knabe,
Komm näher an's Gestad!
Und willst du, so bereite
Ich dir ein lieblich Bad.

Du siehst, die See verbreitet
Sich spiegelhell vor dir;
Kein Wellchen soll sich regen,
Die See gehorchet mir,

Genieß des Bades Freuden
In blauer Fluthen Schooß,
Und schau von fern mein schönes
Krystallnes Sommerschloß.

Mit klaren Ambrafenstern,
Mit Perlenmutter-Thor:
Du kommst bei seinem Anblick
Dir wie im Himmel vor.

Und vollends meine Gärten,
Wo Baum sich reiht an Baum
Mit Obst so vieler Arten,
Du kennst die Namen kaum.

Und Wundervögel singen
In Meng' auf jedem Ast,
Die Sinne, Kind, vergehen
Beim Horchen einem fast.

Komm, gib die Hand mir, komme!
Die Fluth ist seicht und lau;
Sieh hier viel bunte Muscheln
Wie ausgestellt zur Schau.

Komm, komm! ich geb' in Menge
Korallen, Perlen dir;
Kehrst du nach Hause, Mutter
Und Schwestern danken mir.

Und Früchte sollst du kosten,
Wie du noch nie geschmeckt;
Komm, gib den Arm mir, Knabe,
Damit dich ja nichts schreckt, -

Der Knabe naht der Nixe,
Kann ihr nicht widerstehn,
Steigt in die Fluth; kein Auge
Hat ihn seitdem gesehn.

Elisabeth Kulmann

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Das sind die Bänke von Goodwin-Sand,
Sie sind nicht Meer, sie sind nicht Land,
Sie schieben sich, langsam, satt und schwer,
Wie eine Schlange hin und her.

Und die Schiffe, die mit dem Sturm gerungen
Und die schäumende Wut der Wellen bezwungen
Und die gefahren über die Welt,
Unzertrümmert, unzerschellt,
Sie sehen die Heimat, sie sehen das Ziel,
Da schiebt sich die Schlange unter den Kiel
Und ringelt Schiff und Mannschaft hinab,
Zugleich ihr Tod, zugleich ihr Grab.

Die See ist still, die Ebb ist nah,
Mastspitzen ragen hier und da,
Und wo sie ragen in die Luft,
Da sind es Kreuze über der Gruft;
Ein Kirchhof ist's, halb Meer, halb Land, -
Das sind die Bänke von Goodwin-Sand.

Theodor Fontane

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"Wer ist John Maynard?"

"John Maynard war unser Steuermann,
Aus hielt er, bis er das Ufer gewann,
Er hat uns gerettet, er trägt die Kron,
Er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard."
-
Die "Schwalbe" fliegt ueber den Eriesee,
Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee;
Von Detroit fliegt sie nach Buffalo -
Die Herzen aber sind frei und froh,
Und die Passagiere mit Kindern und Fraun
Im Dämmerlicht schon das Ufer schaun.
Und plaudernd an John Maynard heran
Tritt alles:"Wie weit noch, Steuermann?"
Der schaut nach vorn und schaut in die Rund:
"Noch dreissig Minuten...Halbe Stund."

Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei -
Da klingt's aus dem Schiffsraum her wie ein Schrei,
"Feuer!" war es, was da klang,
Ein Qualm aus Kajüt und Luke drang,
Ein Qualm, dann Flammen lichterloh,
Und noch zwanzig Minuten bis Buffalo.

Und die Passagiere, buntgemengt,
Am Bugspriet stehn sie zusammengedrängt,
Am Bugspriet vorn ist noch Luft und Licht,
Am Steuer aber lagert sich's dicht,
Und ein Jammern wird laut:"Wo sind wir? wo?"
Und noch fünfzehn Minuten nach Buffalo. --

Der Zugwind wächst, doch die Qualmwolke steht,
Der Kapitän nach dem Steuer späht,
Er sieht nicht mehr seinen Steuermann,
Aber durchs Sprachrohr fragt er an:
"Noch da, John Maynard?"
"Ja, Herr. Ich bin."
"Auf den Strand! In die Brandung!"
"Ich halte drauf hin."
Und das Schiffsvolk jubelt:"Halt aus! Hallo!"
Und noch zehn Minuten bis Buffalo. --

"Noch da, John Maynard!" Und die Antwort schallt's
Mit ersterbender Stimme:"Ja, Herr, ich halt's!"
Und in die Brandung, was Klippe, was Stein,
Jagt er die "Schwalbe" mitten hinein.
Soll Rettung kommen, so kommt sie nur so.
Rettung: der Strand von Buffalo!
-
Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt.
Gerettet alle. Nur einer fehlt!
-
Alle Glocken gehn; ihre Töne schwelln
Himmelan aus Kirchen und Kapelln,
Ein Klingen und Läuten, sonst schweigt die Stadt,
Ein Dienst nur, den sie heute hat:
Zehntausend folgen oder mehr,
Und kein Aug im Zuge, das tränenleer.

Sie lassen den Sarg in Blumen hinab,
Mit Blumen schliessen sie das Grab,
Und mit goldner Schrift in den Marmorstein
Schreibt die Stadt ihren Dankspruch ein:
"Hier ruht John Maynard! In Qualm und Brand
Hielt er das Steuer fest in der Hand,
Er hat uns gerettet, er trägt die Kron,
Er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard."

Theodor Fontane

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Die Möwen sehen alle aus,
als ob sie Emma hießen.
Sie tragen einen weißen Flaus
und sind mit Schrot zu schießen.

Ich schieße keine Möwe tot,
Ich laß sie lieber leben --
und füttre sie mit Roggenbrot
und rötlichen Zibeben.

O Mensch, du wirst nie nebenbei
der Möwe Flug erreichen.
Wofern du Emma heißest, sei
zufrieden, ihr zu gleichen.

Christian Morgenstern

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Wenn man ans Meer kommt
soll man zu schweigen beginnen
bei den letzten Grashalmen
soll man den Faden verlieren

und den Salzschaum
und das scharfe Zischen des Windes
einatmen
und ausatmen
und wieder einatmen

Wenn man den Sand sägen hört
und das Schlurfen der kleinen Steine
in langen Wellen
soll man aufhören zu sollen
und nicht mehr wollen wollen
nur Meer

Nur Meer

Erich Fried

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Bild:

Das Bild ist ein Ausschnitt aus "Miranda The Tempest"
von John William Waterhouse (1849-1917)

 

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