Whiskeygedanken
von Andreas Fehn
Whisky ist ein herrliches Getränk.
Wie brennendes Petroleum tropft der Scotch zähflüssig die Speiseröhre hinab.
Hinterlässt das durch genussvollen Schmerz geprägte Bewusstsein, dass mein Körper aus mehr besteht als aus dem, was mir der Spiegel allmorgendlich wenig verharmlosend zeigt. Ich atme aus, und Rauch überlagert meinen Geschmacksinn. Beim Whisky wird die Maische über Torffeuer gedarrt. Wie dunkle, knorrige Finger einer Moorleiche steigen die Dämpfe vom Magen aus empor. Greifen in schützender Geste nach meinem Hirn, umfassen es, kapseln es behutsam ab von störenden äußeren Einflüssen. Drücken dann langsam zu. Quetschen es aus, bis sich im Inneren kein widerstrebender Gedanke mehr regt.
Letzteres ist mein Etappenziel für den heutigen Morgen. Ich kann nicht sagen, ob ich es tatsächlich erreichen werde, denn der Inhalt der Flasche neigt sich in bedrückender Weise dem Ende zu.
Ich weiß, was ihr nun sagen werdet. Es sei eine Sache der Betrachtung. Diese "Glas halb voll/halb leer" Geschichte. Aber der Ansatz ist falsch. Halb voll oder halb leer zählt nicht, die Beachtung gilt dem ersten Wort, und halb ist stets zu wenig, ist niemals ganz. Alles oder Nichts schließt aus, dass jemand "oder" verlangt. Dennoch ist "oder" das, was man in den meisten Fällen bekommt. Wenn überhaupt.
Du liegst knapp sechs Meter hinter mir. Räumlich trennen uns lediglich zwei Türen. Ein paar Ziegelsteine. Ein paar Kilo Putz, ein paar Meter Tapete. Eine überwindbare Distanz, gaukelt die Logik mit gespielter Barmherzigkeit, um einen Moment später höhnisch darauf los zu lachen. Ob Du noch lebst? Ich weiß es nicht. Es spielt auch keine Rolle. Das Leben sei ein Kreislauf, sagen sie, und nicken sich zu, ihre große Weisheit anerkennend. Dabei ist es ein Irrglaube, alles würde sich wiederholen, 360°, warte nur einen Augenblick, und Deine Chance kommt zurück. Sicher, es dreht sich, aber nicht wie das Laufrad im Hamsterkäfig, auch wenn das Ergebnis meist aufs Gleiche heraus kommt. Es dreht sich, bewegt sich jedoch dabei fort, wie eine Murmel. Kollidiert mit anderen Murmeln, bleibt schließlich stehen. So, wie Du stehen geblieben bist. An der letzten Kreuzung, die unsere Wege in meiner verklärten Sicht gemeinsam erreichten. Du hast mir noch zu gewunken, aber ich musste weitergehen. Keine Möglichkeit, rückwärts zu laufen. Nur eine Retrospektive gelingt mir, während sich die Kreuzung mit jedem weiteren Meter des Weges im Dunst der Erinnerung verliert.
Nichts dreht sich auf der Stelle.
Alles bewegt sich fort.
Du bist weg.
Einen letzten Whisky noch. Eine Farbe wie ein Sonnenuntergang. Warm und sanft.
Warm und sanft wie die Feuchtigkeit, die plötzlich meine nackten Füße erreicht. Habe ich das Badewasser angelassen? Oder ist es Blut? Dein Blut? Nein, das müsste schon geronnen sein. Ich habe eingepisst.
Es ist schlimm, wie man sich selbst zum Affen macht, nur, weil man sich plötzlich ohne den anderen nicht mehr komplett fühlt. Ich habe Dich erst vor drei Jahren kennen gelernt. Zuvor habe ich gut gelebt, wirklich. Ich kam klar. Dann kamst Du.
Jedes Bestreben von Dir, mich zu verlassen ? als würde man mir das Herz herausreißen, es vor meinen Augen kneten, um dann genüsslich hinein zu beißen.
Ich schlürfe den letzten Tropfen Malt aus dem Glas. Das Denken funktioniert immer noch. Nicht richtig, das hat es schon seit Tagen nicht mehr. Eine Tatsache, die es umso schlimmer macht. Ich halte die leere Flasche in die ersten Strahlen der Morgensonne. Sie brechen sich in dem Glas. Glas brach am gestrigen Abend. Glas bricht auch jetzt, als mir die Flasche aus der zitternden Hand gleitet. Ein Nachhall allzu frischer Erinnerungen.
Es ist ein schöner Morgen, da draußen. Ich stehe auf, streiche meine nasse Hose glatt. Die äußere Erscheinung ist unwichtig, denn wenn niemand hinguckt, bin ich auch nicht da.
Ich steige über Dich hinweg. Du liegst da, reglos, genau wie Er. Ich gehe zu Ihm, fische seine Geldbörse aus der Tasche. Sie ist gut gefüllt. Hätte ein schöner Abend werden sollen, gestern. Sicherlich wäre Er spendabel gewesen. Nun spendiert Er mir eine neue Flasche Whisky, gleich oben an der Tankstelle. Oder auch zwei Flaschen.
Eben genug, um die Gedanken zum Stillstand zu bringen an diesem klaren, hellen Morgen.
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