Köln, ein Zimmer am Rande der Fernsehmesse. Larry Hagman trägt
Sommerhemd, Sommerhose. Erst hutlos, dann mit breitem Stetson. Auch der
Akzent: breit. „Haaa ya doin, eh’?“ Gute Laune, massiver Händedruck.
Es heißt, dass Texaner schlechte Laune bekommen, wenn man schlecht über
Amerika redet. Also soll dieser Texaner mal selbst über Amerika reden.
Ja, und dann geht’s allerdings los...
Mr.Hagman, in Ihrer Autobiografie „Hello Darlin’“. ..
Ist Ihnen nicht zu warm? Lassen Sie das Sakko an?
Ja, ich würde das Sakko gerne anlassen. In Ihrer Autobio...
Ich wundere mich, dass Ihnen nicht zu warm ist. Mir wäre es zu warm.
Gott, Sie haben immer noch diesen Blick, Mr.Hagman. Immer noch zum Fürchten.
Sie haben die Leute damit berauscht wie mit einer Droge.
Es gibt gefährlichere Drogen als mich, da bin ich Spezialist. Aber
„Dallas“ war eine Droge, ja. Hypnotisch. Heute könnten Sie das so
nicht mehr drehen. Zu lange Einstellungen, zu lange Dialoge, kein
einziger bewundernswerter Charakter. Die Figuren waren entweder Schwächlinge
oder Höllenhunde. Wunderbar war, wie die Höllenhunde die Schwächlinge
quälten. Heute würden die Leute schnell weiterzappen, fürchte ich.
Sie haben meine Autobiografie gelesen?
Ja, und mich ein bisschen gewundert. Sie waren in den Sechzigern
offenbar gegen den Vietnamkrieg.
Wieso wundert Sie das?
Womöglich hat man ein anderes Bild von Ihnen. Es gab zu Beginn der
Achtzigerjahre zwei amerikanische Schauspieler, die Angst verbreitet
haben: Der eine hieß Reagan, der andere Hagman.
Vor Larry Hagman musste sich noch kaum wer fürchten. Bei Reagan
sieht die Sache anders aus. Die Leute hatten allen Anlass, vor ihm Angst
zu haben.
Wieso?
Reagan war die Quintessenz eines gekauften Politikers. Er gehörte
der Firma General Electric. Ronald Reagan war ein totaler Idiot.
Wie bitte? Redet man so als Amerikaner, noch dazu als Texaner?
Ja, wenn man gefragt wird. Ich werde das nur selten gefragt.
Ich dachte, Sie seien Republikaner.
Jeder hält mich für einen Republikaner. Ich habe eine ganze Dekade
lang einen Ölmulti gespielt, ich trage einen Stetson, wenn ich Lust
dazu habe, und ich bin Texaner. Das ist alles. Die Republikaner schicken
mir heute noch Briefe, ob ich nicht Werbung für sie machen will. Ich
sage denen jedes Mal: „Lasst mich in Ruhe mit eurer gottverdammten
Bullenscheiße!“ Die Republikaner waren und sind dafür
verantwortlich, dass die Reichen reicher und die Armen ärmer werden.
Sie sind dafür verantwortlich, dass die soziale Balance in Amerika
zerstört ist. Vielleicht können wir auch noch ein bisschen über den
religiösen Fanatismus reden, mit dem sie das Land überziehen?
Selbst viele Demokraten unter Ihren Landsleuten sagen heute, dass
Reagan ein starker Präsident war.
Schauen Sie, er war wirklich ein gefährlicher Mann. Er hatte sich
selbst gehirngewaschen: Er war der Überzeugung, dass sein lifestyle the
absolute one and only way of life sei. Er konnte gut Witze erzählen,
gut reden und die Leute gut einseifen. Dumm war er nicht. Aber er stand
schon als Chef der Schauspielergewerkschaft in Hollywood auf der Seite
der Film- Multis, nicht auf der Seite der Schauspieler. Als Präsident
stand er dann auf der Seite der Strom- und Öl-Multis, nicht auf der
Seite der einfachen Menschen.
Wen haben Sie bisher gewählt?
Keinen Republikaner und keinen Demokraten. Die Demokraten sind nur
das etwas kleinere Übel. Wenn Sie heute etwas werden wollen als
Politiker in Amerika, müssen Sie nur eins haben: Geld. Sie müssen sich
Werbezeit fürs Fernsehen kaufen. Und wer gibt Ihnen das Geld? Und was müssen
Sie ihm dafür versprechen? Lauter dumme Fragen, eh? Das
Zwei-Parteien-System in den USA ist eine Katastrophe.
Gründen Sie doch eine eigene!
Ich bin seit den Sechzigerjahren Mitglied der Peace And Freedom
Party. Die wurde während des Vietnamkriegs gegründet.
Nie davon gehört.
Sie hat nur noch vier Mitglieder. Mich und drei andere. Sollen wir über
den amtierenden Präsidenten auch reden?
Wenn Sie möchten, aber wir sollten gleich auch ...
Während der Idiot Reagan gefährlich, aber nicht eigentlich dumm
war, sieht die Sache bei dem Idioten George W.Bush schon anders aus: Das
Land wird heute von einem Menschen regiert, der gefährlich und dumm
ist. George W. Bush fällt komplett aus dem Rahmen dessen heraus, was
Sie und ich unter einem sozialisierten Menschen verstehen. Er kann nicht
reden. Er kann nicht lesen. Er ist Legastheniker. Und, jetzt kommt das
Beste: Er ist unser Präsident.
Sieht ein Land anders aus, wenn es von einem Texander regiert wird?
Wie meinen Sie das denn?
Sieht es simpler aus?
Sie haben ein falsches Bild von Texas. Texas ist ein dynamischer
Staat, voller kluger Menschen. Fallen Sie nicht auf dieses
Texas-Klischee herein. Die ganze Sippschaft von George W.Bush treibt
sich sowieso eher in Maine herum als in Texas. Er inszeniert dieses
Texas-Ding, weil die Leute es urig finden. Bullshit!
Waren Sie schon so wütend auf Ihr Land, als Sie in den Fünfzigerjahren
erste Bühnenerfahrungen sammelten? Damals hatten es Ihre farbigen
Kollegen noch schwerer als heute.
Als ich in den Fünfzigern durch New York zog, hatten es alle Arten
von Minderheiten in Amerika deswegen schwer, weil man sie schlicht nicht
beachtet hat. Die einzige Minderheit, die sich langsam durchsetzte und
heute mehr oder weniger sozialisiert ist, sind die Latein- und Südamerikaner.
Aber das ist auch kein Wunder. Kalifornien besteht inzwischen zu 48
Prozent aus Hispanics.
Der beliebteste Name für neugeborene Jungen in Kalifornien ist heute
José.
Wissen Sie, warum? Weil man im Ernstfall aus dem Namen José den
Namen Joe machen kann. Bequem in allen Lebenslagen. Aber um auf Ihre
Frage von eben zurückzukommen: Ich war in den Fünfzigern noch nicht
sehr politisch.
Sie wurden es in den Sechzigern?
Natürlich. Vietnam. Der gewöhnliche Amerikaner kreischte damals
herum: „Jesus! Wir werden die verdammten Schlitzaugen doch nicht in
Dallas einmarschieren lassen?!“ Diese Einstellung war von der
Propaganda aus dem Zweiten Weltkrieg übrig geblieben. Da haben sie
Hiroshima und Nagasaki vernichtet. Die Menschen, die dort lebten, waren
im Verständnis der gehirngewaschenen Masse in Amerika keine Menschen.
Eher Tiere. Meine Landsleute standen auf der Straße und sagten: „Hey,
die Schlitzaugen glauben nicht an Jesus, sondern an Shindurindubindu,
fucking hell!“ Vietnam war nichts als purer Wahnsinn.
Verteidigungsminister McNamara hat sich später entschuldigt.
Nett von ihm. Da hatte außer ihm natürlich keiner was davon. Das
nutzt unseren toten Jungs nichts mehr, und den vielen Asiaten, die wir
weggeblasen haben, hilft es auch nicht. Und: Was ist mit Henry
Kissinger? Wieso sitzt Kissinger nicht im Knast? Er ist ein
Kriegsverbrecher.
Er versucht sich immerhin auch in der Aussöhnung mit...
Bullshit!
Gibt es Amerikaner, die Ihre Gnade finden?
Hören Sie mal, ich habe viele Freunde, und fast alle sind
Amerikaner. Einer meiner engsten Freunde ist Gore Vidal...
... der Ihre Ansichten teilt.
Ich liebe ihn. Gore ist ein wunderbarer Schriftsteller und Essayist.
Er ist unbestechlich. Er erkennt Amerika als das, was es ist: ein
wunderbares Land, das von korrupten Politikern und Geldhaien zerstört
wird.
Sind Sie ein Patriot?
Natürlich! Ich meine, was für eine Frage! Sind unsere Politiker
Patrioten? Sind die, die das Land regieren, Patrioten? Schauen Sie, ich
spende Jahr für Jahr einen Haufen Geld für Entwicklungsprojekte, eines
davon fördert alternative Energien. Amerika könnte, wenn die Politik
dies wollte, in fünf oder sechs Jahren zu einem sehr großen Teil von
alternativen Energien versorgt werden. Wir wären nicht mehr abhängig
von den Öl exportierenden Ländern, wir wären dann auch nicht mehr abhängig
von den verfickten Öl-Multis im eigenen Land...
Mr.Hagman, reden wir über lustigere Dinge. Es gibt zwar traurige
Geschichten über Ihre inzwischen überwundene Alkoholsucht. Aber stimmt
es, dass Sie Ihre Frau im Marihuana-Rausch mal fast im Pool ertränkt hätten?
Das stimmt. Finden Sie das lustig?
Sie lachen doch selbst gerade.
Also gut: Das war in den Sechzigern. Ich wäre später mal besser bei
Marihuana geblieben. Der Alkohol hatte mich fast schon gekillt, so, wie
er meinen Freund Keith Moon von den Who gekillt hat. Ich wollte Maj, mit
der ich seit 48 Jahren sehr glücklich verheiratet bin, damals in
Acapulco übrigens nicht ertränken. Ich rauchte mit ein paar Kollegen
zum ersten Mal Gras. Circa zehn Mal sagte ich: „Ich spür nix, wann
wirkt das Zeug?“ Ein Kollege antwortete: „Das fragst du jetzt zum so
und so vielten Mal! Es wirkt schon, Larry!“ Ich wieder: „Ich spür
nix, wann wirkt das Zeug?“ Darauf er: „Larry, du ruinierst meine
Nerven. Geh vor die Tür, geh an den Pool.“ Also ging ich an den Pool.
Da schwamm Maj herum. Sie war so schön.
Und dann?
Ich vermute, es hatte Züge von einer Vergewaltigung. Aber es war
lieb gemeint. Ich riss ihr den Bikini runter und wollte Unterwasser-Sex
mit ihr. Ich hatte vergessen, dass man unter Wasser nicht atmen kann.
Sie strampelte rum wie eine Irre. Das war sehr lustig. Wenn ich die
Geschichte heute erzähle, rutscht Maj immer noch unter den Tisch vor
Lachen. Wir haben immer gerne Marihuana geraucht. Ich habe immer gerne
Drogen ausprobiert. Und was Marihuana angeht: Ich meine, jeder raucht
Marihuana, Sie rauchen Marihuana, ich rauche Marihuana, und wenn es
endlich legal wäre, könnten auch die Leute Marihuana rauchen, die im
Krankenhaus liegen und Schmerzen haben. Marihuana wächst im Garten. Es
macht dich nett, es...
... es ist verboten. Aber Sie müssen nicht wieder über Ihr Land
schimpfen, es ist auch in Deutschland verbo...
Angenommen, es wäre verboten zu vögeln – was würden die Menschen
tun?
Wie?
Sie würden weiter vögeln! Ich meine, man kann nicht ein Kraut
verbieten, das die meisten Menschen in Kalifornien in ihren Gärten
wachsen lassen und das ihnen gut tut. Keiner sollte deswegen ins Gefängnis
gehen. Die Gefängnisse in Amerika sind überfüllt mit Menschen, die
wegen der Illegalität von Marihuana da sitzen. Sie nehmen dir dein
Haus, deine Familie, deinen Job, wenn du mit Marihuana erwischt wirst.
Leben Sie in einem hysterischen Land?
Was für eine sehr orginelle Frage! Natürlich. Es ging vollends los
mit der Clinton-Lewinsky-Sache. Großes Entertainment der religiösen
Rechten. Da haben sich Typen zum Richter aufgespielt, die es sich
wirklich nicht hätten erlauben dürfen. Und seit dem 11.9. 2001 hat
sich Amerika in Sachen Ideologie und Gehirnwäsche zu einem Land
entwickelt, das einem totalitären Staat in der Prägung der ehemaligen
Sowjetunion sehr ähnelt.
Wie äußert sich das?
Sie nehmen den Leuten fast sämtliche Rechte, die Polizei erhält im
Gegenzug auf eine Art und Weise freie Hand, die vollkommen wahnsinnig
ist. Dann ist die Gedankenkontrolle der religiösen Rechten in Amerika
ein Thema, das ihr Europäer gerne unterschätzt. Sie sind überall
unterwegs, in den Firmen, in den Schulen, überall. Sie mögen mich für
paranoid halten. Aber es gibt viele klar denkenden Menschen in Amerika,
die davor Angst haben, was diese Leute aus unserem Land machen.
Sie haben selbst in zwei großen Filmen mitgespielt, die sich
kritisch mit Ihrem Land befassten – „Primary Colors“ und
„Nixon“. Solche Filme würden in einem totalitären Land nicht
gedreht.
Da haben Sie Recht. Aber Sie vergessen nicht, dass beide Filme in
Amerika nicht wenige gute Kritiken bekamen, aber ziemliche Flops waren.
Unsere Leute wollen keine Filme mehr sehen, in denen der Präsident
schlecht abschneidet.
Viele Ihrer Kollegen wie Richard Gere oder Patrick Duffy, der in
„Dallas“ den Bobby spielte, haben sich dem Buddhismus zugewendet.
Ist das eine Flucht vor diesem religiösen Fanatismus?
Nein. Oder: ja, womöglich. Der Buddhismus ist eine friedliche Form
der Weltanschauung. Wir sollten uns darüber nicht lustig machen. Auch
wenn es bei Patrick am „Dallas“-Set immer wieder zu lustigen Ausbrüchen
kam.
Wie sahen die aus?
Er hatte diesen Tick, vom ersten Drehtag an. Unsereiner stritt sich
mit der Crew am Set herum, da hörten wir immer wieder aus einem
Nebenzimmer seltsames Gemurmel: „
Rabindranat-rabindradindra-radindabindra- rabindranat.“ So in der Art.
Da saß Patrick und meditierte. Unansprechbar. Vollkommen weggetreten.
Als er fertig war, kam er mit seiner netten Art angelaufen. Ich fragte
ihn einmal: „Hey Pat, was war heute das Thema deiner Meditation?“
Darauf er, ganz ernst: „Geld“.
Mr. Hagman, glauben Sie, Sie können mit dem, was Sie mir über Ihr
Land gesagt haben, auch in ein paar Stunden noch gut leben?
Reinsten Gewissens. Ich bin über 70 Jahre alt. Zweite Leber. Das
Leben ist großartig. Warum sollte ich Sie voll lügen?
Was machen Sie als Erstes, wenn Sie wieder daheim sind?
Ich fahre nach Santa Monica, wo ich wohne. Zumindest bis jetzt. Mal
sehen, ob Ihr Interview bis dahin reicht. Ich werde es wissen, wenn plötzlich
die Polizei vor der Tür steht. Great fun. Sollte ich nicht verhaftet
werden, geht es dann für zehn Tage nach Texas, wo Maj und ich Freunde
besuchen.
Freuen Sie sich auf Texas?
Halb, halb.
Wieso?
Es gibt zwei Namen, die Maj und ich in Texas nicht in den Mund nehmen
dürfen: Bush und Jesus. Wenn wir davon anfangen, gehen die Streitereien
mit unseren Freunde wieder los. Maj soll sich eher den Mund zunähen,
als über Politik oder Religion zu reden. Letztes Mal, als wir in Texas
waren, haben wir mit unseren Freunden nur noch über die vielen, vielen
reizenden Enkelkinder geredet.
Ist doch auch ganz nett.
Junger Mann, wenn Sie mal so alt sind wie ich, wissen Sie, wie
verdammt langweilig das werden kann.