Amerika baut Helden. Deswegen hat Amerika Helden. So viele Helden, daß
man meinen könnte, ganz Amerika wäre eine Riesenseifenblase aus Pathos.
Ist es der American Way of Life, der Phönix aus der Asche auferstehen
lassen kann, der diese Helden für die Gehirne der Bevölkerung schmiedet?
Der einem, der eben das geschafft hat, nicht nur eine Mauer aus Respekt
entstehen läßt, sondern ihn auch mit einer tränenrührenden Attitüde
umgibt? Der die Mehrheit davon träumen läßt, das zu schaffen, wofür
dieser einzelne Mensch alles, aber auch alles geopfert hat? Und diese
Helden sind doch auch nicht erst mit der Erfindung der Mattscheibe
entstanden, nein. Sie existierten schon immer, als Aushängeschilder der
amerikanischen Geisteshaltung, nämlich dem Bewußtsein, alles möglich
machen zu können. Doch bringt der American Dream diese Helden
automatisch hervor, oder sind amerikanische Helden nur die Mittel, um
alle weiter an eine Illusion glauben zu lassen? Die Wahrheit liegt
wahrscheinlich in der Mitte, auf jeden Fall haben sie an den Stars
fleißig gebastelt, auch wenn so was manchmal ne Menge Arbeit ist. Zum
Auffinden von erfolgreichen Beispielen muß man nur ein Personenlexikon
aufschlagen, unter einem beliebigem Namen, zum Beispiel "Armstrong".
Sofort purzeln die Erinnerungen an Helden auf den verschiedensten
Gebieten, handle es sich nun um Louis, Neil oder Lance.
Doch wen haben wir, die dichtenden und denkenden Deutschen? Nun, man
kann nicht behaupten, daß die kläglichen Versuche, auf ähnliche Weise
Volksheroen zu etablieren, von durchschlagendem Erfolg gekrönt worden
wären. Klar, unser Land ist nicht so groß wie das multikulturelle
Amerika, und die Chance, daß ein schwarzer, muslimischer Weltklasseboxer
bei uns an Parkinson erkrankt, ist ungleich kleiner. Aber viele bekannte
Persönlichkeiten eignen sich nun auch wahrlich nicht für eine solche
Heldenrolle. Der Adel hat wohl seinen Ruf durch seinen bekanntesten
Vertreter, den August Ernst, komplett verspielt. Auch sportliche
Siegertypen wie das Bobbele (darf doch jetzt wieder so genannt werden,
oder?) machen sich mit ebenso schmunzelnerregenden Peinlichkeiten
unbrauchbar wie abgehalfterte Schauspieler oder Schlagersänger, die
mittlerweile die Boulevardpresse als soziale Hängematte benutzen. Oder
kennt irgendjemand jemanden, der sich im Leben mal ne CD von Jürgen
Drews gekauft hat? Woher also heldenhafte Vorbilder nehmen und nicht
stehlen? Das Problem dürfte sein, die auserwählten Personen so geschickt
auf Überlebensgröße aufzublasen, daß es niemand merkt. Aber in
Deutschland gibt es die Bildzeitung und die bekommt ne ganze Menge mit.
So gesehen eigentlich ne feine Sache.
Aber liegt es wirklich am Mangel an in Frage kommenden Kandidaten, daß
es keine deutschen Helden gibt? Oder braucht unser System gar keine
Identifikation mit Idolen? Sollten wir angeblich so führersuchenden,
obrigkeitsergebenen Deutschen aufgrund eingehender demokratischer
Denkprozesse vielleicht einfach gelernt haben, jedweden Personenkult als
suspekt und verdächtig abzulehnen? Sind wir unfähig geworden, mal darauf
zu verzichten, stets und ständig miesmacherisch das Haar in der Suppe zu
suchen, anstatt mal pure Begeisterung und echte Bewunderung zu
empfinden? Auch wenn uns vielleicht manchmal ein wenig mehr
Begeisterungsfähigkeit ganz gut zu Gesicht stünde, wäre ich in jenem
Fall gar nicht mehr so böse, wenn der ältere Herr mit Hut und Zigarre im
Stadion auf dem teuren Sitzplatz zwei Reihen vor mir schon nach zwei
Spielminuten über eine unwichtige verpatzte Ballannahme des
hochbezahlten Jungkickers meckerte, und auch nicht, wenn in der
Frühstückspause auf dem Bau mit bösen Worten darüber gelästert würde,
"daß der Gysi ja eindeutig in der falschen Partei ist". Nein, ich danke
dafür, daß hier erwachsene Menschen hier propagandaunverseucht ihre
Meinung sagen.
Ja, aber gibt es da nicht doch Strömungen, die unsere Kritikfähigkeit
untergraben? Beispielsweise betreibt die letzendlich auch
kindererziehende Bravo Personenkult ohne Ende. Der Bekanntheitsgrad
diverser uninspirierter Möchtegernprominenter (ich muß keine Namen
nennen, jeder von Euch hat da sicher seinen speziellen Liebling) wächst
in der Tat beängstigend. Aber nein, ich denke, die Redaktion des
Jugendmagazins gehört nicht zu den bösen Seite der Macht, denn
spätestens mit dem Einsetzen leichter Gehirnaktivität wird doch
hierzulande dem Heranwachsenden die Lächerlichkeit seines Kults bewußt
gemacht, und zwar so direkt, daß Menschen sich häufig erst Jahre später
dazu ehrlich zu stehen trauen.
Am tollsten aber finde ich, daß uns unsere Idollosigkeit zu einem Humor
verhilft, der bei den Menschen in pathosgeprägten Staaten kaum
Verbreitung finden dürfte: Nicht nur die Unverfrorenheit, einen
politisch recht unbedarften Schauspieler zum Präsidenten zu krönen,
können wir amüsant finden, nein, auch im eigenen Land bildet sich
Angriffsfläche für hemmungslosen Spott: Die zahlreichen Beispiele ihrer
Kunst peinlicherweise fremdgehender Bekanntheiten ist doch schon einen
Schmunzler wert, oder nicht? So liegen in meiner persönlichen Hitliste
der singende Manfred Krug und der malende Udo Lindenberg auf vordesten
Rängen, allerdings um Längen geschlagen von Frank Zander. Den gibt's
nämlich noch und er ist gerade noch so prominent, daß er völlig ohne
Helm und ohne Gurt für interessierte Fans persönliche Geburtstagsgrüße
auf CDs sprechen darf.
Nein, unantastbare Ikonen gibt es hier nicht! Es lebe Deutschland, das
Land der Antihelden!

That's all Folks!
Martin