Unter Rentenbetrügern

Die Mehrheit der Wähler, so hat Friedrich Merz plötzlich erkannt, erwartet im Rentenstreit mit der Regierung vor allem eines von der Union: gute Argumente. Nicht einmal 24 Stunden zuvor hatte der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion empörten Genossen und Grünen noch zugerufen, sie sollten nicht so zimperlich sein, bloß weil der Kanzler auf einem CDU-Fahndungsplakat als krimineller Rentenbetrüger erscheint. Da gibt es wirklich nichts zu relativieren: Friedrich Merz hat seine Meinung radikal geändert. Aus Einsicht, wie zu seinen Gunsten angenommen werden soll. Womit wir mitten drin sind im jüngsten Disput: Auch die Sozialdemokraten haben in den vergangenen zwei Jahren ihre Positionen zur Rente revidiert. Die Union nennt diesen Gesinnungswandel einen „Rentenbetrug in Serie“. Tatsache ist aber, dass gerade die Lernfähigkeit der Genossen hilft, den Reformstau in der Bundesrepublik aufzulösen. Mit anderen Worten: Die neue Einsicht der SPD ist gut für das Land.

Der Reihe nach: Unbestreitbar haben die Sozialdemokraten – inklusive des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder – Front gegen Kohls Rentenreformer Norbert Blüm gemacht. Dessen demografischer Faktor galt ihnen im Wahlkampf 1998 als Teufelszeug. Das war – angesichts der seit langem absehbaren Lage – ein schwerer Fehler. Mag die Bitterkeit der Union über die Attacken der einstigen SPD-Opposition diesen Betrugsvorwurf zumindest erklären, so sind die angeblichen rot-grünen Sündenfälle zwei und drei Hirngespinste der Christdemokraten.

Tatsache ist, dass Schröders Regierungskoalition die Renten in einem Jahr nur in Höhe der Inflationsrate erhöht hat – und damit geringer als ursprünglich in Aussicht gestellt. Folge des langsameren Anstiegs waren Entlastungen für den Bundeshaushalt in Milliardenhöhe. Ohne diesen Beitrag der Alten hätte Finanzminister Hans Eichel seine Sparziele nicht erreichen können, die im In- und Ausland viel Beifall ausgelöst haben. Es ging also um eine politische Güterabwägung. Die Behauptung der CDU, die Bürger seien wissentlich getäuscht worden, erscheint so unglaubwürdiger denn je. Bleibt Rentenbetrug Nummer drei, das Reformvorhaben von Blüm-Nachfolger Walter Riester. Alles Getöse der Union kann nicht übertönen, dass die CDU zu großen Teilen das anstrebt, was Rot-Grün jetzt macht: Einstieg in eine zusätzliche kapitalgedeckte Rente und langfristige Stabilisierung der Beiträge – nur um die wichtigsten Punkte zu nennen. Wer all dies Betrug nennt, gerät selbst in akuten Betrugsverdacht.