So,

jetzt ist es möglich, kündigt Eure Wohnung, keiner brauch mehr so was
altmodisches. Der Trend geht unaufhaltbar zum Leben im Fernsehen.
Der Einstieg ist ganz einfach: Zunächst sollte man sich beim Sender des
Vertrauens an das Leben vor der Kamera gewöhnen. Am besten
singenderweise im Frühstücksfernsehen, denn das ist schon die halbe
Miete auf dem Weg in die erste Talkshow, Dein Sprungbrett für Dein
Fernsehleben. Dort werden die Ansprüche aber auch schon gleich höher:
Jetzt muß nicht mehr ein Talent, nein, sondern eine Schwäche
bloßgestellt werden. Aber wir sind ja alle aufgeklärt und können frei
von der Leber weg darüber reden. Ja. Kein Problem. Ist man aber clever,
ist der Seelenstriptease gar nicht nötig: Berichtet man zum Beispiel von
Straftaten, die man gar nicht begangen hat, besteht gleich die Chance,
als scheinbar Krimineller für eine Justizsendung gecastet zu werden. Da
läßt sich dann auch ganz fix das Geld für's Mittagessen mitnehmen. An
dieser Stelle aber heißt es aufpassen, schnell passiert es, daß einen
die Fernsehrichterin vor laufenden Kameras zu einer Geldstrafe
verurteilt. ...die aufzubringen allerdings keine Umstände macht: Selbst
wenn's wegen der eigenen Doofheit nicht zu ein paar richtigen Antworten,
die einen zum Millionär machen könnten, reicht, läßt man sich halt nen
paar Wochen lang mit vielen Kameras und noch mehr Gehirnamputierten bei
freier Kost und Logis einschließen. Und zusätzlich kann man nicht nur ne
gute Stange Geld verdienen, sondern hat auch gute Chancen auf
Chartkarriere und Rollen in Soap-Operas.
Hat man zu Hause vielleicht noch ein paar Kinder unbeaufsichtigt sitzen,
sollte man zusehen, daß man schnell an diese Rollen kommt. Gespart
werden kann an dieser Stelle nämlich auch eine Ersatzbetreuung, denn das
funktioniert ja nun noch besser via Fernsehen. Schließlich werden die
Kinder ja heute sowieso vom Fernsehen und da doch am ehesten von Soaps
und Realityshows erzogen, was ja spätestens bewiesen ist, seit die
Werbemacher erkannt haben, daß ihre Werbung für Lollis mit Gimmicks oder
"Wendy"-Pferdecomics zur "Gute Zeiten"-Zeit viel besser aufgehoben sind
als in der Samstagmorgen-Comicschiene, die wohl eher von Erwachsenen
gesehen wird. So also besteht die Möglichkeit, den Kindern ja gleich
eine halbe Stunde lang vorzuleben, wie Ihr (Barbie-)Leben später
auszusehen hat.
Zudem unterstützt einen die Tendenz vieler Privatsender, Sendungen
größtenteils nur mit der Zusammenfassung oder gar dem gesamten Inhalt
anderer Sendungen zu füllen, ja ungemein bei der möglichst langen
pädagogischen Einwirkungsdauer von der Mattscheibe aus. Zum Glück heißt
das heute nicht mehr "Wiederholung", da würden die Kleinen ja ganz
schnell abschalten.
Also ist für alle gesorgt, ein eigenständiges Leben ist für keinen nicht
mehr notwendig, seit jeder Hansel den anderen im Fernsehen vorführen
darf, wie er durch seinen Alltag stolpert. Vielleicht auch sehr
interessant für einsame und alte Leute zum Beispiel, oder für faule,
kriegt man seine menschliche Nähe halt virtuell ins Wohnzimmer. Da lohnt
es sich dann wirklich gar nicht mehr, ein eigenes Leben zu führen,
schließlich kann man ja ein beliebiges anderes im Fernsehen mitleben.
Dumm leider nur, daß diese Idee hauptsächlich von äußerst
uninteressanten und in vielerlei Hinsicht unbegabten Leuten ausgeführt
wird. Aber das liegt vermutlich daran, daß die Sender nur
durchschnittliche Leute einsetzen, um sie als heimliche Comedyobjekte
der Lächerlichkeit preiszugeben.
Oder daran, daß alle anderen auch im echten Leben Spaß haben können.