September '95

La Paz, Bolivien, 29.08.1995

Wir gingen frühmorgens zum Bahnhof, und tatsächlich waren zwei Fahrkarten für uns vorrätig. Micha hatte sein Fahrrad und seine Campingausrüstung im Hotel gelassen, aber wir hatten dennoch unser zulässiges Gepäckgewicht ausgereizt, zusammen genau 39,9 kg.

Der Bahnhof sah aus wie aus dem letzten Jahrhundert, sauber, im Kolonialstiel und mit gepflegten, kleinen Palmen. Nur ein Zug war nirgends zu sehen. Der traf erst mit einiger Verspätung ein und wurde von uns und den anderen Fahrgästen mit Jubel begrüßt.

Es war eigentlich kein Zug, sondern mehr so eine Art Bus auf Schienen. Die Herren, die das Gepäck aufs Dach wuchten mussten, reagierten etwas unwirsch, als Micha ihnen die Fahrradtasche präsentierte. Wir nahmen unsere Plätze ein und mussten gleich feststellen, dass ein Gruppe alkoholisierter Holländer direkt vor uns saß. Sie hatten allesamt leuchtende, pinkfarbene Köpfe und stanken entsetzlich nach Schnaps.

Zug nach Bolivien Endlich ging es los, zunächst durch ein wunderschönes, grünes Flusstal, dann begann der lange Anstieg in die Anden. Der Zug schraubte sich langsam immer höher und man hatte einen Ausblick wie aus einem Flugzeug. Zwischendurch mussten wir öfters anhalten, um Steine oder Lamas von den Gleisen zu entfernen. Weiter oben tauchten langsam die ersten Büsche auf, und die Holländer hatten viel Spaß mit einer Tüte Kartoffelchips, die sich hier oben in der dünnen Luft fast zum Platzen aufgebläht hatte. Beim ersten offiziellen Stopp in 3.500 Meter Höhe musste sich erstmal die Hälfte der Passagiere übergeben. Die Holländer ließen sich aber dennoch nicht davon abhalten, weiterzusaufen und im Zug zu rauchen.

Eisberge am Wegesrand

Als wir an der bolivianischen Grenze ankamen mussten wir alle aussteigen und unsere Pässe abgeben. Wie wir so dasaßen kam ein Chilene in Sandalen an und versuchte Micha seine guten Wanderstiefel abzuschnorren. Nachdem wir endlich die Zollformalitäten hinter uns hatten ging es weiter durchs bolivianische Altiplano. Nach 2 Monaten in der Wüste kam uns alles so herrlich grün vor. Es gab einen kleinen Fluss, Lamas standen auf den Gleisen, rosafarbene Flamingos standen im Fluss und bunte Indiofrauen liefen in ihrer Tracht über die Felder.

Kaum in Bolivien angekommen wurde uns Cocatee serviert, den wir neugierig tranken. Im heißen Wasser schwammen einige Cocablätter. Eines fischten wir heraus und kauten neugierig darauf herum. Aber eigentlich schmeckte der Tee wie normaler Kräutertee.

Bunte Berge

Die Qualität der Gleise war unbeschreiblich, und ebenso die Federung des Zuges. Es schaukelte wie auf einem Kamel, und in regelmäßigen Abständen machte es "Kawumm" und alle Passagiere hüpften in ihren Sitzen auf und nieder.

Der bordeigene Koch zauberte in seiner winzigen Küche ein hervorragendes Abendessen, dass nicht einmal übertrieben teuer war. Als es ans bezahlen ging, erscholl vor uns ein furchtbares Geschrei. Ein paar Deutsche waren anscheinend der Meinung, dass das Ganze viel zu teuer war, und fast hätte einer den netten Ober und den Koch tätlich angegriffen. Der sympathische Schaffner mit dem verbrannten Gesicht konnte gerade noch schlichten. Ein paar andere Touris versuchten, ihre Reisekasse zu strecken, indem sie statt Tee nur heißes Wasser bestellten und ihre eigenen Teebeutel hineinhingen. Als die dann auch noch zu feilschen anfingen, weil sie pro Tasse ein paar Pfennig bezahlen sollten, wären wir vor Scham am liebsten im Boden versunken. Die wenigen bolivianische Fahrgäste an Bord hielten sich vornehm zurück, werden sich aber ihren Teil über die armen Europäer gedacht haben.

Langsam wurde es dunkel und die ersten Vororte La Paz's tauchten auf. Kurz darauf stockte uns der Atem: Vor uns tat sich eine riesige Schlucht auf, wie ein Kessel, in dem La Paz eingebettet lag und sich sanft anschmiegte. Die Lichter der Stadt funkelten und glitzerten überall. Wir schienen hoch über der Stadt zu schweben. Es dauerte über eine Stunde bis wir ganz "unten" auf 3.600 m waren, weil sich die Bahn in endlosen Serpentinen hinabschlängeln musste.

Endlich hielt der Zug und das Gepäck wurde in ein Zollhäuschen getragen. Während alle kleinen Täschchen und Rucksäcke penibel durchwühlt wurden, wurde unsere Monstertasche keines Blickes gewürdigt.

Vor dem Bahnhof heuerten wir einen cocakauenden Taxifahrer an, der uns zu einem Hotel fahren sollte, das wir uns vorher aus dem "South American Handbook" ausgesucht hatten. Er kurvte uns jedoch zuerst zu einem anderen Hotel, und als wir ablehnten und auf unser Hotel bestanden wollte er plötzlich 20 Bolivianos mehr, weil es ja Nacht sei, das Benzin so teuer und außerdem hätte er wegen uns extra einen Umweg fahren müssen. Micha weigerte sich natürlich, da der Preis vorher abgemacht war. Der Taxifahrer drohte mit der Polizei, aber als Micha stur blieb und mit dem Androhen der Touristenpolizei konterte gab er doch klein bei.

Im Hotel "Alem" rannte Micha mit der großen Tasche und dem Rucksack dem Hotelpagen hinterher in den dritten Stock und ich versuchte, ohne Gepäck hinterherzurennen. Ab dem zweiten Stock bekam ich weiche Knie, der Boden schwankte und kam näher und ich fühlte mich so leicht als ob ich gleich abheben wollte. Die dünne Luft auf 3.600 Meter machte mir zu schaffen. Das letzte Stockwerk hangelte ich mich an der Wand entlang bis zum Zimmer.

Micha besorgt bei einer Straßenverkäuferin noch 2 Cola und 2 Hamburger. Da sie aber auf Michas große Geldscheine nicht rausgeben konnte, sollte Micha erst bezahlen, wenn er die Flaschen zurückbringt.

La Paz, Bolivien, 30.08.1995

Nachdem Micha die Fahrradtasche ausgepackt und im Zimmer ein heillosen Chaos veranstaltet hatte gingen wir ein wenig in der Stadt spazieren. Wir beobachteten interessiert das bunte Treiben in den Straßen und Gassen. Im Goethe-Institut lasen wir die Zeitungen und Zeitschriften der letzten Wochen, um mal wieder zu wissen, was denn so daheim passiert war. Internet gab's ja noch nicht, zumindest nicht so richtig.

Wir versuchten irgendwo einen Supermarkt oder Laden zu finden, aber so etwas scheint es in der ganzen Stadt nicht zu geben. Man muss alles mühsam bei diversen Straßenverkäuferinnen zusammenklauben. Das ist zwar anfangs ganz amüsant und man bekommt auch fast alles, man muss nur wissen wo und legt für einen größeren Einkauf locker ein paar Kilometer zurück.

Die hygienischen Verhältnisse waren unbeschreiblich. Überall stank es erbärmlich, was die dünne Luft noch unerträglicher machte. Auf dem Rückweg zum Hotel kamen wir an einer Reihe Obstverkäuferinnen vorbei, die ihre Waren einfach auf dem Asphalt ausgebreitet hatten. Wir beobachtete, wie sich eine dieser dicken Marktfrauen aus Ihrem Gemüse erhob, einen halben Meter unterhalb ihres Warenberges in die Hocke ging und einfach auf den Bürgersteig pinkelte. Das ganze lief den Hang hinab in die Tomaten der Nachbarin, die das ganze beiläufig beobachtete und anscheinend als völlig normalen Vorgang zur Kenntnis nahm.

La Paz, Bolivien, 31.08.1995

Nachts konnten wir beide wegen der dünnen Luft nicht einschlafen. Micha stand trotzdem früh auf, um Geld zu wechseln und um bei der Venezuelanischen Botschaft vorbeizuschauen. Er brauchte für seine Weiterfahrt ein Einreisevisum und wollte schauen, ob er es hier bekommen könne.

Micha kam zwar ohne Visum, dafür aber mit einer bolivianischen Zeitung und süßen, puddinggefüllten Backwaren zurück. Dann liefen wir hoch zum Friedhof, weil dort die Busse zum Titicacasee abfahren sollten. Es ging ständig bergauf, vorbei an bunten Marktfrauen, die die komischsten Sachen zum Verkauf anboten. Es gab eingelegte Eidechsen und die eigenartigsten Kartoffeln, die ich je gesehen hatte. Es gab gelbe, rote, rosafarbene, schwarze und violette in allen Größen und Formen, rund, länglich, dick und dünn und verkrüppelte.

Ich konnte nur sehr langsam gehen und es dauerte ewig, bis wir endlich den Busbahnhof erreicht haben. Bei der am zuverlässigsten erscheinenden Busgesellschaft kauften wir zwei Tickets nach Copacabana, am Titicacasee und begaben uns dann wieder in unser Hotel, um unsere Sachen für morgen vorzubereiten.

01.09.95 Copacabana

Um 11 mussten wir an der Busstation sein. Ich ging noch mal zur Post, während Micha mein Fahrrad und überzähliges Gepäck im Hotelkeller einlagerte. Ein kleiner Rucksack sollte für unsere Tour genügen.

Heute waren wir klüger. Anstatt den Berg unter Erleidung extremster Atemnot hochzuhecheln bestiegen wir für 30 Pfennig ein Colectivo, das uns zügig hochbrachte. Die Fahrt war chaotisch. Alle zwei Sekunden dachte ich, unser Taxi würde entweder einen Fußgänger oder einen anderen Kleinbus rammen. Oft fuhren sie nur mit einem Abstand von ein bis zwei Zentimeter aneinander vorbei. Der zehnjährige Beifahrer hing dabei zum Fenster hinaus und schrie lauthals das Fahrtziel in die Menge.

An unserem Bus angekommen übergaben wir unseren Rucksack vertrauensvoll dem Schaffner, diesmal ein 12-jähriger, der ihn oben aufs Dach schnallte. Neben mir pinkelte ein alter Bolivianer mitten auf die Straße. Überall stank es dermaßen nach Urin und Coca, das wir uns bis zur Abfahrt in das etwas angenehmer duftende Wartehäuschen setzten.

Als wir in den Bus einstiegen roch es noch ganz gut. Der Bus füllte sich mit Kleinkindern mit rotzigen Nasen, alten Frauen, die auf ihren riesigen Beuteln auf dem Boden saßen und alten Männern mit Schnapsflaschen in der Hand. Der Bus war voll wie ein Schulbus bei Hitzefrei, es drang kein Lüftchen mehr herein und es begann zu stinken, dass man sich kaum noch zu atmen traute.

Wir verließen La Paz und nach eineinhalb Stunden erreichten wir bereits den Titicacasee. Der Bus hielt an, wir mussten alle aussteigen und mit einer Personenfähre auf eine Halbinsel übersetzen. Das Aussteigern dauerte eine Weile, da jede Bolivianerin, sobald sie die Stufen des Busses hinuntergeklettert war, erst mal in die Hocke ging und direkt vorm Eingang hinpinkelte. Alle anderen warteten geduldig, bis sie an der Reihe waren, die Herren wateten durch die Pfütze und benutzten zu ihrer Erleichterung das rechte Vorderrad.

Die Passagiere wurden mit einem Motorboot übergesetzt während der Bus auf eine klapprige, wenig vertrauenerweckende Holzfähre verladen wurde. Rechts dümpelten in einem kleinen Hafen die Boote der bolivianischen Kriegsmarine.

Die Fahrt ging weiter und es drängten sich noch mehr Fahrgäste in den Bus. Es wurde so voll dass sich die Passagiere zwischen uns und der Sitzreihe vor uns quetschten.

Für die restlichen km bis Copacabana benötigten wir eine Ewigkeit, aufgrund der Straßenverhältnisse ging es nur noch im Schritttempo voran.

Endlich kamen wir an und ich setzte mich erst mal hin, um nach Luft zu schnappen. Micha ging derweil ein Hotel suchen und kam nach wenigen Minuten zurück. Er hatte ein Zimmer gefunden, das winzig klein war, dafür hatte man aber eine herrliche Aussicht auf den Titicacasee. Die Matratze bestand aus in Plastikfolie einschweißten Strohballen, man konnte sich im Zimmer kaum umdrehen und es war ziemlich ungemütlich. Von dünner Luft und dem Gestank im Bus hatte ich Kopfschmerzen und mir war übel. Micha besorgte ein paar Limonen, aber die halfen auch nicht viel. Ich musste mich übergeben, mir war schwindlig und ich hatte Sehstörungen.

Abends wurde das Wasser im Hotel abgestellt, die Klospülung funktionierte nicht mehr und man konnte sich nicht einmal mehr die Zähne putzen.

Copacabana, 02.09.95

Ich konnte auf der harten Matratze nicht schlafen und wartete fröstelnd bis die Sonne aufging. Wir suchten uns dann früh doch ein anderes Hotel, mit zwei großen Betten und eigenem Badezimmer, in dem auch die ganze Nacht Wasser vorhanden war.

Wir gingen runter ans Seeufer und wollten dort ein wenig spazieren gehen, doch der Weg war durch ein Militärgebiet abgeschnitten. Trotzig war dort zu lesen "Uns hat auch einmal ein Stück Meer gehört. Bolivien hört erst am Pazifik auf". Die armen Bolivianer. Im Laufe der Jahrhunderte haben Ihnen alle Nachbarn ein Stück abgenommen. Paraguay hat sich ein Stück aus dem Gran Chaco herausgerissen, die Chilenen haben sich im Salpeterkrieg die Atacama nördlich von Antofagasta einverleibt, und gerade mal vor 70 Jahren hat sich Brasilien während eines Kautschukbooms den heutigen Bundesstaat Acre gesichert. Entschädigt wurde Bolivien dafür jeweils durch eine Bahnlinie, im Fall Chiles z.B. durch die Strecke Arica - La Paz.

Wir mussten also umkehren und wurden dabei von Leuten verfolgt, die uns mit ihren Booten zur Isla de Sol fahren wollten. Ein kleiner Junge war dabei besonders aufdringlich, er verfolgte uns über mehrere Häuserblocks und lies erst von uns ab als wir auf eine Polizeistreife zusteuerten. Dieses Verhalten hat uns ein wenig überrascht, denn bisher waren die meisten Bolivianer, denen wir begegnet waren, freundlich und sehr zurückhaltend. In La Paz hat Micha sogar einmal beinahe eine Bettlerin über den Haufen gerannt, weil sie - im Gegensatz zu den chilenischen Schnorrern -dermaßen unauffällig herumstand, das man sie kaum wahrnahm.

Wir umrundeten das Sperrgebiet und liefen dann eine ganze Weile am See entlang. Auf einer Anhöhe ruhten wir uns aus, mit herrlichem Blick auf eine kleine Insel und das wundervoll glitzernde Wasser des Titicacasees.

Zurück in der Stadt haben wir dann bei einem weniger aufdringlichen Herren eine Fahrt zur Isla del Sol gebucht. Eigentlich hörte sich das alles ganz entspannend an: Ein bisschen Boot fahren, um die Insel laufen, in einem Restaurant essen, das es dort angeblich geben sollte und sich dann in einem Billighotel schlafen legen.

Danach gingen wir in einem guten und billigen Restaurant essen. Kurz darauf kann ein ganzes Bataillon Polizisten herein, die hier ebenfalls ihr Abendmahl zu sich nahmen. Uns war ein wenig mulmig, hatte man doch nur wenig gutes über die korrupte bolivianische Polizei gehört. Zu den Spezialitäten der Dienststelle Copacabana gehört laut South American Handbook das konfiszieren angeblich gefälschter Travellerschecks, die man dann nur nach zahlen einer horrenden "Bearbeitungsgebühr" zurückbekommt. Heute hatten die Herren aber wohl nur essen und trinken im Sinn.

Isla del Sol, 03.09.95

Wir standen früh auf und gingen runter zum Boot. Dort mussten wir noch eine Ewigkeit warten, obwohl es immer wieder hieß, das es gleich losgehen würde. Schließlich stieg außer uns noch ein Trupp Israelis ins Boot, die nach kurzer Zeit und ungefragt ihre Räubergeschichten aus ihrem gerade abgelaufenen Wehrdienst zum Besten gaben. Wir erfuhren unter anderem, das alle Bolivianer langsam und "stupid" wären, und das alle die nicht gern zur Armee gingen, ein "Problem im Kopf" hätten. Außerdem wäre in Israel alles besser und in Peru gäbe es ein Netzwerk israelischer Hotels und Restaurant, wo man herrlich unter sich sein könne.

So tuckerten wir langsam auf stürmischer See dahin und mir wurde vom Geschwätz und Geschaukel immer unwohler. Wir hielten zunächst im Süddorf an wo unsere Kriegshelden ausstiegen, dann fuhren wie mit einem noch kleineren Bötchen weiter zum Norddorf. Es schwankte dermaßen stark, das ich fast vom Sitz fiel, und als wir endlich ankamen musste ich mich erst mal hinsetzen und mich ausruhen.

Dorfjugend Es kamen innerhalb weniger Sekunden so an die 15 Kinder an, die nicht kapieren wollten, das ich die 3 Kekse und den Apfel selber essen wollte. Sie wollten unbedingt etwas geschenkt bekommen und wir merkten gleich, das hier wohl öfters Touristen vorbeikommen.

Wie wollten erst mal zu den Ruinen laufen. Auf dem Weg dorthin kam uns ein Bolivianer mit Wollmütze entgegen, der 5 Bolivianos Eintritt haben wollte. Wir wussten zwar, das man hier Eintritt zahlen müsse, jedoch kam uns das ganze ziemlich inoffiziell vor. Wir gingen also erst mal zusammen ins Museum und es stellte sich tatsächlich heraus, das unser Begleiter der Museums- und Ruinendirektor war...

Zwei Jungs fühlten sich zum Fremdenführer berufen und wollten uns unbedingt alles erklären. Die meiste Zeit deuteten sie auf irgendwelche Gegenstände und sagten "Inka, Inka", obwohl darunter groß und deutlich zu lesen war, das es aus einer ganz anderen Indiokultur stammte. Wir teilten uns schließlich auf, damit sie nur noch einen nerven konnten und sie nervten dann nur noch Michael.

Wir wanderten langsam den Berg hinauf zu den Ruinen. Es gab zwar nur ein paar Mauerreste zu besichtigen, die auch noch von anderen Besuchern als Toilette zweckentfremdet wurden, aber die Landschaft und der Blick auf den See war überwältigend.

Unweit der Ruinen war ein Trampelpfad zu sehen, und plötzlich kam Micha auf die Idee, quer über die Insel zum Süddorf zu laufen. Das Problem war allerdings, das es immer weiter bergauf ging. Ich hatte unglaublichen Hunger und Kopfschmerzen, aber Micha lies sich nicht von seinem Vorhaben abbringen. Als mir schließlich eine kurze Pause zugestanden wurde legte ich mich hin und schlief einfach ein. Micha weckte mich schließlich und zerrte mich weiter bergauf, und ich wurde immer wütender. Ich wollte zumindest unten am Ufer statt oben am Bergrücken laufen, aber Micha meinte, da unten würde es nicht durchgehen und ich solle mich nicht so anstellen. Schließlich nervte ich so lange, das wir doch runter ans Ufer gingen und wir fanden auch ein winziges Dorf, wo uns auch ein Zimmer angeboten wurde. Die angebotene Übernachtungsmöglichkeit stellte sich jedoch als Strohmatratze im Zimmer des Sohnemanns heraus, so das ich auf Rückkehr ins Norddorf bestand.

Ich bekam kaum noch Luft und konnte nur noch ganz langsam gehen. Micha lief schon mal voraus und besorgte uns ein riesiges Zimmer mit 6 Betten. Abendessen und Cocatee hatte er auch schon bestellt aber ich wollte mich eigentlich nur noch schlafen legen. Da es kein elektrisches Licht gab stellte Micha unzählige kleine Kerzen auf. Später kam unsere Gastgeberin mit ihrer Tochter herauf und brachte uns zwei gebratene Fische mit Reis und Kartoffeln. Beim Gedanken an Essen wurde mir jedoch speiübel. Ich stellte fest das es hier überhaupt kein Bad gab, und Micha konnte mir gerade noch eine leere Wasserflasche aufschneiden und verließ anschließend diskret das Zimmer...

Copacabana, 04.09.1995

Als ich morgens zum Fenster auf den See hinausblickte ging gerade die Sonne auf. Im Hafen hatte ein riesiges Kreuzfahrtschiff festgemacht. Micha schaute auch für einen Augenblick hinaus, schlief dann aber sofort weiter.

Um unsere Gastgeberin nicht zu beleidigen ließen wir die eineinhalb Abendessen, die gestern übrig geblieben waren, in einer Plastiktüte verschwinden, so dass es aussah, als hätten wir alles aufgegessen.

Zum Frühstück bekamen wir Kaffee und zwei steinharte Brötchen, außerdem erfuhren wir, das um 9 Uhr ein Boot zum Süddorf ablegen sollte. Schließlich warteten wir bis ca. 12 Uhr im Hafen, und da kam das Boot auch schon und für 10 Bolivianos nahm uns der Bootsbesitzer noch mit zur Isla de la Luna. Natürlich durften wir den anderen Tourteilnehmern nicht verraten, wie günstig wir die Karte bekommen hatten.

Noch mal eineinhalb Stunden warten und das Boot tuckerte endlich los. Der Titicaca-See war an diesem Tag sehr ruhig und so gefiel es uns sehr, auf dem See herum zu fahren. Auf der Isla de la Luna hatte man eine knappe halbe Stunde Zeit, Inka-Ruinen oben auf dem Berg anzusehen, doch der Bootsbesitzer nahm es nicht so genau mit der Zeit und wollte nach ein bisschen mehr als einer viertel Stunde wieder aufbrechen. "Vamos, vamos", rief er und tuckerte zurück zur Sonneninsel.

Dort gab es eine große, alte Terrassenanlage, auf denen auch noch heute Mais, Kartoffeln usw. angepflanzt werden. Auch diesmal dauerte die halbe Stunde wesentlich kürzer, so das ich dem Bootsbesitzer zweimal darauf aufmerksam machen musste, das Micha noch fehle, der erst nach 29 Minuten 59 Sekunden als letzter vom Hügel herunterkam.

So tuckerten wir mit einem Abstecher über den Sonnentempel schließlich zurück nach Copacabana. Wir buchten uns wieder in unser altes Hotel ein, gingen daraufhin sofort in ein Restaurant und bestellten uns eine große Portion "Comida".

Puno, Dienstag den 05.09.95

Wir standen zeitig aus den Federn, packten unsere Sachen und verließen das Hotel. Natürlich war das erste Ziel des Tages ein anständiges Frühstück, denn wie hatten viel vor, es sollte schließlich mit dem Bus nach Puno in Peru gehen. Die Restaurantbesitzerin organisierte sogar unsere Bustickets und wir liefen noch ein wenig durch Copacabana, bevor wir am "Busterminal" in unseren Bus stiegen. Es saßen nur Touris im Bus und wir fuhren Richtung Grenze, die wir nach ca. 30 Minuten erreicht hatten. Dort mussten wir schließlich aussteigen und unsere Ausreise zunächst bei einem bolivianischen Beamten registrieren lassen. Bei einem zweiten Beamten bekamen wir den Ausreisestempel in den Pass. Dann mussten wir die 200 Meter über die Grenze laufen und schließlich den peruanischen Einreisestempel beantragen; dazu mussten wir eine Tarjeta ausfüllen, die wir auf gar keinen Fall verlieren durften.

Eine Spanierin war ganz aufgelöst vor Tränen, weil sie zur Einreise ein Visum brauchte (in früheren Zeiten hatten sich die Spanier in diesem Teil der Welt nicht gerade mit Ruhm bekleckert und Peruaner sind nachtragend), und man sagte ihr, sie solle zurück nach La Paz und ein Visum beantragen. Sie versuchte es mit Bestechungsgeld, aber entweder war der Peruaner ausnahmsweise nicht korrupt oder der Betrag war zu gering. Sie ging wieder zurück zur bolivianischen Grenze, heulte da noch ein bisschen rum und bekam dann doch noch Papiere, mit denen sie nach Peru einreisen durfte. Wir durften dann wieder in den Bus steigen und weiter ging es, vorbei an der bemerkwerten Landschaft rund um den Titicacasee.

Der Bus stoppte und nahm zwei schwerbewaffnete Polizisten auf - ob man sich nun sicherer fühlen sollte oder nicht, das wussten wir nicht. Der Busfahrer erklärte über Mikrophon die weitere Reisemöglichkeit nach Cuzco: es gibt drei Möglichkeiten. Mit dem Bus (schlechte Straße, angeblich gefährlich wegen der vielen Banditen, die den Bus stoppen und die Leute ausrauben), mit dem Helikopter (zu teuer) oder mit dem Zug (dauert 12 Stunden). Wir hatten uns schon für den Zug entschieden.

In Puno angekommen, wurden wir im größten Trubel der Stadt aus dem Bus herausgeworfen. Am Terminal wartete eine ganze Garnison Fahrradrikschas, deren Besitzer unglaublich darauf erpicht waren, uns durch Puno zu befördern und die einen fast mit Gewalt daran hindern wollten, zu Fuß zu gehen. Wir taten dies trotzdem. Die Suche nach dem von uns aus dem Reiseführer erwählten Hotel war etwas umständlich, weil es in Puno keine Straßenschilder gibt und wir erst aufgrund eines anderen gefundenen Hotels unsere Position interpolieren konnten.

Das Hotel "Italia" war etwas teuer, aber immerhin gab es ein großes Zimmer mit richtigen Betten und einem Bano privado, 6 Handtücher, 3 Seifen, Klopapier (nicht selbstverständlich!), heißes Wasser (auch nicht selbstverständlich) und einem Fernsehapparat (der pure Luxus!!) und es duftete herrlich (das wichtigste). Naja, es roch eigentlich nach nichts, aber immerhin besser als der penetrante Cocageruch, der sich in allem festfraß.

Micha sprintete allein los, um Zugtickets zu besorgen, während ich auf dem Bett herumlümmelte und Fernsehen sah; auf den 4 empfangbaren Kanälen kam aber nichts gescheites. Später gingen wir völlig ausgehungert in irgendetwas, das sich "Restaurant Internacional" nannte. Das "Lomo Internacional" war lustig, jedoch wollte keine der Beilagen so recht zur Anderen passen: Fleisch, eine Banane, 2 Scheiben Toastbrot, Schinken, Käse, Reis, Pommes, Spiegelei, Tomate, Gurken, grüner Salat und Avocado... Ich trank dazu einen Coca-Tee, damit meine Kopfschmerzen aufgrund der dünnen Luft vergingen und nahm zusätzlich noch ein Aspirin.

Im Hotel duschte ich ausgiebig und im Fernsehen sah man beunruhigendes: Die Franzosen hatten doch wirklich ihre Atombombentests in Muroroa durchgeführt, obwohl die ganze Welt dagegen war. Naja. Chile hat seinen Botschafter aus Frankreich zurückgezogen. Wenn man sich vorstellt, das Chile und vor allem Chiles Fischvorkommen von der Radioaktivität, die durch diese Tests freigesetzt werden, als nächstes Land betroffen sind, kann man es auch verstehen. Und auch wir waren wütend.

Cuzco, 06.09.95

Es ging sehr früh los, um 6 Uhr mussten wir schon aus dem Hotel sein. Am Abend vorher brachte uns noch ein Mitarbeiter eines Reiseunternehmens die Zugtickets vorbei, insgesamt alles ziemlich windige Typen. Daneben hatte man uns schon ein Hotel mit Shuttleservice vom Bahnhof organisiert; das zumindest ersparte uns den Weg durch die Stadt und ersparte uns vor allem, von mehr oder weniger gewieften, auf Touristen spezialisierten Taxifahrern betrogen zu werden. Nachdem wir ausgecheckt hatten, reihten wir uns in den langen Treck aus Touris Richtung Bahnhof ein.

Wir hatten Platzkarten und gegenüber saß eine Holländerin, ruhig und nett, die schon seit 8 Jahren in Lima wohnte. Die Leute in der zweiten Klasse hatten es schwer, weil es dort keine Platzkarten gab; alle versuchten, einen Sitzplatz zu bekommen und rannten auf den Zug zu. Schließlich war es so ein Gedränge, das man befürchten musste, das nicht alle mitgenommen werden konnten. Die Aufpasser riegelten dann einfach den Wartesaal ab und es gab viel Geschrei, Kinder standen vor der Tür und unterhielten sich mit den Eltern, die noch im Wartesaal standen. Es war richtig toll organisiert. Am Schluss machten sie wieder die Tür auf und es durften dann doch alle einsteigen.

Wir hatten schon viel über diese Zugfahrt und von der Gefahr von Diebstählen auf dieser Zugfahrt gelesen. Einige erfahrene Mitreisende ketteten sogar ihr Gepäck an und verwendeten irre viele Schlösser. Ein "fliegender Händler" wollte wichtige Informationen über Machu Picchu weitergeben, teilte an jeden einen Bogen Papier aus und wollte für seinen Comicreiseführer nach 4 Soles haben. Alle gaben ihn wieder zurück. Der Zeitungsverkäufer verkaufte nur Zeitungen vorm Vortag, was aber bis 10.00 Uhr in diesem Land nichts ungewöhnliches ist, der Schaffner verkaufte Empanadas und Erfrischungen und dann kamen noch viel mehr fliegende Händler, die Spielkarten, Kaugummis, Schokolade, Kekse und Strickwaren aus Lamawolle verkauften, so das es ein einziges Generve war.

Der Zug hatte schon bei der Abfahrt Verspätung, dann zuckelte er ewig langsam dahin, um nach eineinhalb Stunden zu halten und dann noch mal eineinhalb Stunden in einem Bahnhof rumzustehen und auf den Zug aus der Gegenrichtung zu warten. Es gibt nämlich nur ein Gleis, ohne Ausweichmöglichkeit auf der Strecke.

Dann ging es in unbeschreiblichen Schneckentempo weiter. Es stieg eine Nonne zu, die ein unglaubliches Chaos anrichtete, weil sie alle Taschen und Rücksäcke, die angekettet waren, verschieben lassen wollte, so das sie mehr Platz im Gepäcknetz über sich hatte. Wir sahen das alle aber gar nicht ein, weil sie schließlich auch zu den berüchtigten "well-organized" Diebesbanden gehören könnte. Und es stiegen immer mehr dubiose Gestalten zu, so dass man sein Gepäck nie aus den Augen lassen konnte.

Die Peruanische Familie neben uns bekreuzigten sich, als der Zug losfuhr, was mich leicht beunruhigte. Eine alter Indianerin und ihr traurig abgerissen aussehender Mann saßen unweit von uns. Sie kauften bei einem Zwischenstop auf irgendeinem Provinzbahnhof ein halbes totes Schwein, das zum Fenster hereingereicht wurde. Die beiden Peruaner, die dem Paar direkt gegenübersaßen, hätten fast einen Kotzanfall bekommen, nahmen es dann aber doch mit Humor und machten sich über die alte Indianerin lustig.

Es stiegen immer mehr und immer eigenartigere Menschen zu und die Fahrt dauerte und dauerte. Irgendwann fiel ich in eine Art Duldungsstarre und verlor jegliches Zeitgefühl. Es wurde dunkel und wir kamen Cuzco immer näher, zusätzlich zu den well-organized Diebesbanden (O-Ton South American Handbook) stiegen nun auch die Hotelanwerber zu.

Als wir nur noch wenige Kilometer zur Endstation hatten, stieg ein ganz eigenartiger Typ zu uns ins Abteil und setzte sich dem Touristen-Block gegenüber und guckte sich gemütlich um. Sofort kam die "Security" angeschossen und forderte ihn auf, das Abteil zu verlassen, aber er weigerte sich und meinte, er wäre Passagier in diesem Zug und könne sitzen wo er wolle. Die Typen von der Security, bei denen der Kerl offensichtlich schon einschlägig bekannt war, blieben aber unnachgiebig und nach weiteren 5 Minuten Diskussion hatten sie ihn endlich aus dem Abteil befördert. Diebe steigen in peruanischen Zügen gerne kurz vor der Endstationein, wurde uns erklärt, um dann in der allgemeinen Aufbruchsstimmung und im Gewühl der Leute ihre Beute zu machen.

Wir rollten in den Bahnhof von Cuzco ein. Auf alles gefasst stiegen wir aus und hielten unser Gepäck fest, als ob unser Leben davon abhängen wurde. Vor dem Zug war ein schreckliches Gewühl aus komisch abgerissenen Gestalten, Indianern, schicken Peruanern und Touris.

Als wir aus dem Bahnhof hinausgingen, gab es plötzlich ein ziemliches Geschrei: zwei Polizisten wollten das Gepäck von einem Pärchen durchwühlen, die jedoch gaben die Sachen nicht her, sondern zerrten die Bündel den Polizisten immer wieder aus den Händen. Daraufhin schlitzte der Polizist die Bündel einfach mit einem Messer auf, woraufhin die Frau wie eine Verrückte anfing zu schreien.

Wir liefen schnell an ihnen vorbei um uns in den Shuttlebus zu setzten. Wir nahmen den Rucksack mit in den Bus anstatt wie vom Fahrer befohlen oben auf den Dachgepäckträger, das war sicherer. Wir mussten solange warten, bis der Bus brechend voll war. Wir klapperten alle möglichen Hotels ab, prächtige Paläste, unerschwinglich. Wir jedoch fuhren weiter, in eine völlig dubiose Gegend, der Bus hielt an und wir wurden auf die Straße gesetzt. Das Hotel "Tumi II" war völlig unauffällig. An der Rezeption wurden wir argwöhnisch gemustert, weil unsere Schuhe und Hosenbeine voller Matsch waren, der Bus hatte nämlich genau vor einem Schlammloch gehalten.

Endlich wurden wir in unser Zimmer gebracht, es lag im Keller, hatte kein Fenster, war ziemlich klein, hatte drei Betten, sonst nichts, eine Glühbirne hing von der Decke, ziemlich runtergekommen. Das war nicht das, was wir für das Geld erwartet hätten. Dieses Zimmer war höchsten 15 Mark wert, keine 30.

Als wir den Rucksack vom Schlamm reinigen wollten, stellte sich heraus, das das Wasser nicht funktionierte. Micha ging zur Rezeption und beschwerte sich - man sagte ihm, in ganz Cuzco würde das Wasser nicht funktionieren und ein anderes Zimmer könne sie uns auch nicht geben, da sie nicht die Hotelbesitzerin wäre. Wir diskutierten noch ein paar Runden mit der Dame und schließlich hatten wir eine Preissenkung um 20 Soles herausgehandelt, sie hätte jetzt aber kein Geld bei sich und könne uns die 20 Soles nicht zurückgeben.

Nach der Aufregung gingen wir auf die Suche nach einem guten Restaurant und fanden schließlich eines, das zu unserem Lieblingsrestaurant in Cuzco wurde, weil alles so gut schmeckte und die Portionen riesig waren. Wir machten noch eine kleine Sightseeing Tour und schauten uns schnell noch "Santo Dominigo" bei Nacht an, der ehemalige Sonnentempel der Inkas in Cuzco, der ehemaligen Hauptstadt des Inkareiches, der von den Spaniern zerstört wurde und auf dessen Überresten - wie sollte es anders sein - eine katholische Kirche errichtet worden war.

Gegen halb vier in der Früh fing ein Hahn in unmittelbarer Nähe an zu schreien und das dermaßen penetrant, dass wir sofort aufwachten. Er befand sich in einem Käfig, der im Treppenhaus des Hotels hing. Micha sagte zu mir: "Dreh ihm den Hals um, der ist so laut, dass ich ihn mir gleich unters Kopfkissen legen kann".

Wir bekamen bis zum Morgen keinen richtigen Schlaf und standen zeitig auf.

Cuzco, 07.09.95

Wir stiegen zeitig aus den Federn, um ein anderes Hotel zu suchen. Die Dame an der Rezeption hatte nach wie vor "jetzt im Moment leider keine 20 Soles", aber wir sollten abends wiederkommen. Zum krähenden Hahn meinte sie nur, "Ja, der ist ein Problem". Nach einigen Anlaufschwierigkeiten und vor allem viel betrügerischer Energie bei den Hotelbesitzern fanden wir schließlich doch ein gutes und preiswertes Zimmer.

Die Strategie des Rezeptzionisten war nämlich nicht ganz aufgegangen. Er hatte Micha ein großes, sonniges Zimmer gezeigt und mit Micha einen fairen Preis ausgehandelt. Nachdem wir eingecheckt und bezahlt hatten wollte man uns aber plötzlich in ein ganz anderes Zimmer führen, viel kleiner, dunkel und muffig. Micha sorgte jedoch lautstark dafür, das wir doch noch das Vorzeigezimmer bekamen.

Wir mussten jetzt erst mal frühstücken, danach ging es auf Stadterkundungstour, wir liefen die berühmten Ruinen der Stadt ab, setzten uns auf den Plaza de Armas, schauten uns von da aus die Kathedrale und die Kirche an und ließen uns von Schnorrern, kleinen Betrügern und fliegenden Händlern belästigen. Ständig wollte uns irgendjemand die Schuhe putzen (Shoeshine, shoueshine, Mister) oder uns Kaugummi verkaufen.

Wir gingen schließlich wieder zum Bahnhof um Fahrkarten nach Machu Picchu zu kaufen - natürlich machte der Schalter vor unserer Nase zu, weil der Schalterbeamte "mal kurz" weg musste. Nachdem wir eine Stunde warten sagte man uns, das der Fahrkartenschalter an diesem Tag überhaupt nicht mehr öffnen würde und man doch so gegen halb sechs am nächsten Morgen vorbeikommen sollte.

Wir besuchten dann eines der hiesigen Adventure-Reisebüros, in denen man Inka-Trail-Touren buchen konnte, um Zugfahrttickets nach Machu Picchu zu kaufen, aber die wollten gleich 100 - 200 Dollars, obwohl das teuerste Zugticket nur 30 Dollar kostet. Auch konnte man gar nicht verstehen, warum wir keine Lust hatten, den Inca-Trail zu "machen".

Micha versuchte am Abend noch mal seine 20 Soles zu bekommen, aber die Dame war angeblich nicht da. Während er weg war wollte ich duschen und stellte erstens fest, das das Wasser im Hotel schrecklich kalt war und es zweitens, kurz nachdem ich das bemerkt hatte, kein Wasser mehr aus der Leitung kam. Eine Dusche hätte mir und meinen Haaren nicht schlecht gestanden.

Cuzco (Machu Picchu), 08.09.95

Zugfahrt nach Machu Picchu

Wir standen bereits um fünf Uhr auf, um rechtzeitig am Bahnhof zu sein. Ich war schrecklich müde und fast hätte ich weitergeschlafen. Ohne Frühstück und dick angezogen (in 3500 Metern Höhe ist es früh noch sehr frisch) wollten wir das Hotel verlassen. Natürlich hing ein großes Schloss an der Tür, so das wir nicht rauskamen. Alles rütteln half nichts, wir machten uns schließlich auf die Suche nach irgendeinen Hotelangestellten. Plötzlich hörten wir ein tiefes, fast unmenschliches Stöhnen eines Erwachenden. Der Rezeptzionist kämpfte sich mühsam aus dem Schlaf, stand auf, schwankte, knallte gegen eine Tür und es dauerte einige Zeit bis er endlich in der Lage war, das Schloss zu öffnen.

So liefen wir also durch das dunkle, einsame und kalte Cuzco. Am Bahnhof standen schon drei Leute vor uns am Schalter. Eine Frau kaufte 10 einzelne Tickets und brauchte schrecklich lang dafür. Während wir uns also die Beine in den Bauch standen, fragten uns der zweite in der Schlange, ob wir aus Deutschland wären. Er war Peruaner, der in Deutschland lebt und mit seiner deutschen Frau und Kind Peru besucht. Als er an der Reihe war, bot es sich an, gleich für uns die Karten mitzukaufen, weil der dritte Mensch in der Schlange auch so aussah, als ob er mindestens noch 20 Karten einzeln kaufen wollte und dafür mindestens eine halbe Stunde bräuchte.

Und tatsächlich, so war es auch. Später beobachteten wir, wie er die Tickets völlig überteuert an zu spät gekommene Touristen weiterverkaufte...

Das deutsch-peruanische Pärchen und wir setzten uns im Bahnhofscafe an einen Tisch und wir unterhielten uns ein bisschen. Die beiden erzählten, das sie auf der Busfahrt nach Cuzco zwei europäisch wirkende Fahrradfahrer gesehen hätten, die den ganzen Tag Gesprächsthema im Bus waren. Und das erzählten sie uns, ohne zu wissen, das wir bis vor kurzem auch noch Fahrradreisende waren!

Wir gingen dann zum Zug und nahmen unsere Plätze ein. Die Zugfahrt begann zunächst im Zick-Zack-Kurs bergauf, wobei der Zug ständig vor- und rückwärts fuhr, um die Steigung zu überwinden und man glaubte, kaum von der Stelle zu kommen. Nach dem Anstieg ging es von 3600 auf 2500 Metern herunter, und jedes Mal, wenn man aus dem Fenster sah, war die Landschaft grüner. Zum Schluss fand man sich in einem Urwald voller fremder, exotischer Pflanzen, Tiere und Bäume wieder.

Wir fuhren am Fluss entlang und plötzlich sahen wir einen riesigen Menschenauflauf: die Teilnehmer des heutigen Inka-Trails, wie sie noch frisch und munter bei "Kilometro 88" am Flussufer standen und ihr Gepäck von Trägern zusammenpacken ließen.

Endlich kamen wir im Tal bei Machu Picchu an. Micha empörte sich furchtbar über den völlig überzogenen Fahrpreis von 6 Dollar für den Bus hoch zu den Ruinen (wo Touristen sind kostet es meistens Dollars statt Soles) und entschloss sich, den Berg zu Fuß hochzulaufen, während ich mit dem Peruaner und seiner deutschen Frau mit dem Bus hochfuhr.

Es ging ständig steil bergauf und ich dachte schon, Micha braucht dafür mindestens zwei Stunden. Oben angekommen liefen wir dem Strom aus Touristen hinterher und mussten 10 Dollar Eintritt bezahlen. Jetzt hatte man schon fast 100 Mark ausgegeben! Aber was sollte man anderes machen...

Machu Picchu

Als wir Machu Picchu betraten, war Micha schon längst da und wartete auf uns! Die Ruinen waren noch perfekt erhalten, es fehlten nur die Strohdächer. Ein Wunder, das diese Stadt nicht von den Spaniern entdeckt wurden. Es gab noch eine perfekt erhaltene Wasserversorgung, natürlich nicht, um daraus zu trinken oder sich zu waschen, nein, dieses Wasser diente rein rituellen Zwecken, wenn man den Guides vor Ort glauben sollte. Das Wasser floss klar und kühl durch die Wasserleitungen und man konnte sich daran erfrischen. Wir entdeckten den rituellen Dorfplatz, eine rituelle Sonnenuhr, einen rituellen Kalender, rituelle Felder und eine rituelle Kinderrutsche aus Stein. Früher schien das ganze Leben rein rituell gewesen zu sein.

In Machu Picchu

Der Abgrund neben den schmalen Pfad fiel manchmal 500 Meter steil in die Tiefe, so das ich meine Höhenangst kaum zügeln konnte. Am Ende des Dorfes begann der Pfad nach Huanpicchu, dem neuen Berg der alten Inkas. Man sollte sich eigentlich registrieren, wenn man diesen Weg laufen wollte, wir liefen einfach los. Die Stufen bestanden aus klobigen Steinklötzen, es war beschwerlich zu laufen. Dazu kam die schwüle Hitze, so das ich sehr bald aufgab und Micha allein weiter den Berg hochrennen ließ.

Micha erzählte mir später, das dieser Peruaner einige Zeit nach ihm auf dem Gipfel ankam. Zuerst hörte er, bevor er überhaupt jemanden sehen konnte, ein Japsen, Stöhnen und Keuchen, es fluchte auf spanisch, als der Peruaner endlich völlig durchgeschwitzt um die Ecke bog und sich fix und fertig auf einen Stein warf, um sich auszuruhen. Als er sich endlich wieder einigermaßen gesammelt hätte, knipste er wie wild mit der Kamera und filmte auf Teufel komm raus die Gegend. Micha musste ihn filmen, wie er cool auf einen Stein lümmelte und seiner Mutter eine Botschaft auf spanisch übermittelte.

Währenddessen genoss ich die überwältigende Atmosphäre in Machu Picchu, setzte mich auf verschiedene rituelle Steine. Einmal passierte etwas eigenartiges: ich hörte, wie jemand einen Pfad entlang kam, aber dann hörte ich keine Schritte mehr. Ich drehte mich um und sah mich Auge in Auge mit einem Lama in Begleitung mit einem weiteren Lama. Die beiden gingen an mir vorbei, blieben nach ein paar Schritten jedoch stehen und sahen mich entrüstet an, als ob sie mich gleich vollspucken wollten. Ich schaute dann lieber mal weg und dann trabten sie weiter. Diese Lamas, immer sind sie gleich entsetzt oder entrüstet, legen die Ohren an und stolzieren in der Gegend rum.

Irgendwann kam Micha auch mal wieder von dem Berg herunter und wir liefen noch ein wenig durch die Ruinen. Während ich wieder in den Bus stieg, der uns zum Bahnhof brachte, lief Micha wieder zu Fuß hinab. Als wir einige Serpentinen gefahren waren, stand ein Junge am Wegesrand, der winkte und rief irgendetwas mit seiner durchdringenden Stimme. Auch in der nächsten Serpentine stand er wieder und so ging es weiter, bis wir endlich unten waren... irgendwann verstand ich, das er "good bye" rief; natürlich wollte er für sein nerviges Geschrei noch ein Trinkgeld haben.

Micha erzählte, das er auf dem Weg nach unten Schilder gesehen hatte, die vor Bären warnen. Nun hatte er noch nie etwas von Bären in Südamerika gehört. Aber irgendwann hörte er etwas rascheln und eine Gruppe kleiner Ameisenbären mit langer Rüsselnase stand vor ihm, schaute ihn verduzt an und rannte wieder in das Dickicht.

Auf der Rückfahrt ging langsam die Sonne unter und der Urwald wurde in ein geheimnisvolles Licht getaucht. Als es dunkel wurde konnte man das Feuer aus dem Schornstein der Lok erkennen und mit seinen Scheinwerfern erhellte die Lok die Umgebung. Der Vollmond ging auf und man konnte noch viel von der Landschaft erkennen, Flüsse, Berge, Täler, Steine..

Als wir Cuzco näher kamen, mussten wir die Zick-Zack-Strecke wieder nach unten fahren, nach und nach eröffnete sich ein atemberaubender Blick auf das nächtliche Cuzco. Wir verabschiedeten uns von dem peruanisch-deutschen Pärchen und gingen ausgehungert wieder in unser Lieblingslokal "El Tronquito" und aßen ein Lomo mit unglaublich viel Knoblauch drauf.

Cuzco (Machu Picchu), 09.09.95

Wir waren so müde, das wir an diesem Samstag erst mal ausschlafen wollten. Um 7 Uhr wurden wir durch laute Musik geweckt, so das ich dank eines bekloppten Halbstarken früher auf den Beinen war, als gewollt.

Wir wollten uns heute schon mal um die Rückreisemöglichkeiten nach La Paz kümmern. Da gab es drei Optionen: mit dem Bus, mit dem Zug oder mit dem Flugzeug. Wir liefen von Reisebüro zu Reisebüro und jedes erzählte uns etwas anderes über Preise, Steuern und Gebühren. Nach langem Suchen kauften wir bei Aero Peru ein paar Flugtickets.

Cuzco, 10.09.95

Sacsayhuanan

Zum Frühstück gab es Kekse und Hühnercremesuppe, ich bekam noch einen Kaffee und dann ging es auf zu den Ruinen mit dem unaussprechlichen Namen Sacsayhuanan, die auf einen Hügel nahe der Stadt lagen. Micha schwärmte schon die ganze Zeit von den Steinen, die er schon als Kind in Reiseberichten bewundert hätte und die er schon immer mal sehen wollte. Also wanderten wir die steilen Treppen hoch und ich lief ganz langsam, weil ich nicht wieder diese schreckliche Höhenkrankheit bekommen wollte.

Oben angekommen fanden wir uns fast als einzige Touristen vor. Weil heute Sonntag war, befanden sich alle Anderen auf dem berühmten Indiomarkt in Pisaq. Es gab nur Einheimische, die ein Picknick machten, herumradelten oder auf dem Rasen Fußball spielten. Die Ruinen bestanden aus riesigen Steinen, die perfekt ineinander eingepasst waren. Einer dieser Steine hatte sogar 13 Ecken...Wir stiegen auf den höchsten Punkt der Ruinen, die ein Sonnentempel gewesen sein soll und wir fanden dort eine Art Thron und eine speziell für Festivitäten konstruierte Anlage aus Kanälen, mit der man im ganzen Tempelkomplex Chicha verteilen konnte. Es gab ein kleines Theater, wieder eine Art Kinderrutsche, und Sitzmöglichkeiten, die in Stein gehauen waren. Auch hier war natürlich wieder alles rein rituell.

Es gab 22 große Torbögen, die wir alle abliefen. Da der Markt in Pisaq bald zuende sein musste, erwarteten wir die restlichen Touris. Die Polizei brachte sich in Stellung und begann von allen ankommenden Touristen Eintrittsgeld zu kassieren - nur von uns wollten sie nichts. Wir liefen wieder hinunter in die Stadt und von oben aus wirkte Cuzco wie eine italienische Kleinstadt. Ein wundervoller Tag. Und am Abend hat Micha auch noch seine 20 Soles zurückerobert, die wir im ersten Hotel zu viel bezahlt hatten.

Nachwort

Wanderung in den Yungas

.... hier endet mein Reisebericht. Leider ist mein letztes Tagebuch zur Zeit nicht auffindbar und bis ich es gefunden habe, muss der geneigte Leser leider auf die abenteuerlichen Geschichten aus den Yungas verzichten, dem Nebelwald Boliviens und der heimtückischen tropischen Ameise, die mich bei einer Tour durch den Urwald angefallen hatte und deren Biss sich entzündete, so dass ich heute noch ein vorzeigbare Narbe von diesem Zwischenfall habe. Und dann gab es natürlich die Geschichte, als Micha stundenlang ein bolivianisches Urwaldflüsschen aufstaute und dem Coca-Bauern, den wir in seiner Siesta störten und der uns empfahl, lieber einen anderen Weg zu laufen, als durch seine Coca-Plantage.

Tiwanaku

Wenn ich das Tagebuch finde, werde ich auch noch von unserer Reise nach Tiwanaku berichten, Ruinen, die von einer Zivilisation lange vor den Inkas stammen. Die Geschichte, wie mein Fahrrad in einen Jute-Sack eingenäht und per Post nach Deutschland verschickt wurde und meinem abenteuerlichen Rückflug von La Paz über Santa Cruz nach Caracas und schließlich über London nach Frankfurt, warum es kein Licht am Flughafen von La Paz gibt und die Start- und Landbahnen mit Fackeln beleuchtet sind. Und natürlich von dem traurigen Abschied von Michael und Südamerika und der Kampf um eine Kerze im einem Hotel in Caracas, in dem es keinen Strom und kein Wasser gab.

Bergpiste in den Yungas

Seit meiner Fahrradtour in Chile sind schon viele Jahre vergangen und obwohl ich sehr viele andere Dinge seitdem erlebt habe, denke ich immer noch gerne an diese Zeit zurück und vermisse die Unbeschwertheit und Freiheit von damals. Ich möchte mich bei allen bedanken, die sich im Laufe der Jahre in meinem Gästebuch eingetragen und die mir Emails geschrieben haben. Und ich möchte auch meine liebenswerten Kollegen und alte Freunde grüßen, die sich ab und zu einmal auf meine Homepage verirren und sich nie in mein Gästebuch eingetragen . Viele Grüße schicke ich auch an meine Freundin Sabine, die mir immer Briefe und Pakete postlagernd nach Chile gesendet hat.

Frankfurt am Main, im November 2002

Marion Hetzelt

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Vorwort

Puerto Montt, Osorno, Villarica, Temuco (April '95)
Cañete, Concepción, Talca, Valparaiso (Mai '95)
Santiago de Chile, Portillo (Juni '95)
La Serena, Copiapo, Antofagasta (Juli '95)
Antofagasta, San Pedro, Iquique, Arica (August '95)
----- La Paz, Coroico, Cuzco (September '95) -----

Radtourbilder aus Feuerland, Patagonien, Südchile
Radtourbilder aus Bolivien, Brasilien, Venezuela

Gästebuch

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