September '95
Der Bahnhof sah aus wie aus dem letzten Jahrhundert, sauber, im
Kolonialstiel und mit gepflegten, kleinen Palmen. Nur ein Zug war
nirgends
zu sehen. Der traf erst mit einiger Verspätung ein und wurde von uns
und den
anderen Fahrgästen mit Jubel begrüßt.
Es war eigentlich kein Zug, sondern mehr so eine Art Bus auf Schienen.
Die
Herren, die das Gepäck aufs Dach wuchten mussten, reagierten etwas
unwirsch,
als Micha ihnen die Fahrradtasche präsentierte. Wir nahmen unsere
Plätze ein
und mussten gleich feststellen, dass ein Gruppe alkoholisierter
Holländer
direkt vor uns saß. Sie hatten allesamt leuchtende, pinkfarbene Köpfe
und
stanken entsetzlich nach Schnaps.
Als wir an der bolivianischen Grenze ankamen mussten wir alle
aussteigen und
unsere Pässe abgeben. Wie wir so dasaßen kam ein Chilene in Sandalen an
und
versuchte Micha seine guten Wanderstiefel abzuschnorren. Nachdem wir
endlich
die Zollformalitäten hinter uns hatten ging es weiter durchs
bolivianische
Altiplano. Nach 2 Monaten in der Wüste kam uns alles so herrlich grün
vor.
Es gab einen kleinen Fluss, Lamas standen auf den Gleisen, rosafarbene
Flamingos standen im Fluss und bunte Indiofrauen liefen in ihrer Tracht
über
die Felder.
Kaum in Bolivien angekommen wurde uns Cocatee serviert, den wir
neugierig
tranken. Im heißen Wasser schwammen einige Cocablätter. Eines fischten
wir
heraus und kauten neugierig darauf herum. Aber eigentlich schmeckte der
Tee
wie normaler Kräutertee.
Die Qualität der Gleise war unbeschreiblich, und ebenso die Federung
des
Zuges. Es schaukelte wie auf einem Kamel, und in regelmäßigen Abständen
machte es "Kawumm" und alle Passagiere hüpften in ihren Sitzen auf und
nieder.
Der bordeigene Koch zauberte in seiner winzigen Küche ein
hervorragendes
Abendessen, dass nicht einmal übertrieben teuer war. Als es ans
bezahlen
ging, erscholl vor uns ein furchtbares Geschrei. Ein paar Deutsche
waren
anscheinend der Meinung, dass das Ganze viel zu teuer war, und fast
hätte
einer den netten Ober und den Koch tätlich angegriffen. Der
sympathische
Schaffner mit dem verbrannten Gesicht konnte gerade noch schlichten.
Ein
paar andere Touris versuchten, ihre Reisekasse zu strecken, indem sie
statt
Tee nur heißes Wasser bestellten und ihre eigenen Teebeutel
hineinhingen.
Als die dann auch noch zu feilschen anfingen, weil sie pro Tasse ein
paar
Pfennig bezahlen sollten, wären wir vor Scham am liebsten im Boden
versunken. Die wenigen bolivianische Fahrgäste an Bord hielten sich
vornehm
zurück, werden sich aber ihren Teil über die armen Europäer gedacht
haben.
Langsam wurde es dunkel und die ersten Vororte La Paz's tauchten auf.
Kurz
darauf stockte uns der Atem: Vor uns tat sich eine riesige Schlucht
auf, wie
ein Kessel, in dem La Paz eingebettet lag und sich sanft anschmiegte.
Die
Lichter der Stadt funkelten und glitzerten überall. Wir schienen hoch
über
der Stadt zu schweben. Es dauerte über eine Stunde bis wir ganz "unten"
auf
3.600 m waren, weil sich die Bahn in endlosen Serpentinen
hinabschlängeln
musste.
Endlich hielt der Zug und das Gepäck wurde in ein Zollhäuschen
getragen.
Während alle kleinen Täschchen und Rucksäcke penibel durchwühlt wurden,
wurde unsere Monstertasche keines Blickes gewürdigt.
Vor dem Bahnhof heuerten wir einen cocakauenden Taxifahrer an, der uns
zu
einem Hotel fahren sollte, das wir uns vorher aus dem "South American
Handbook" ausgesucht hatten. Er kurvte uns jedoch zuerst zu einem
anderen
Hotel, und als wir ablehnten und auf unser Hotel bestanden wollte er
plötzlich 20 Bolivianos mehr, weil es ja Nacht sei, das Benzin so teuer
und
außerdem hätte er wegen uns extra einen Umweg fahren müssen. Micha
weigerte
sich natürlich, da der Preis vorher abgemacht war. Der Taxifahrer
drohte mit
der Polizei, aber als Micha stur blieb und mit dem Androhen der
Touristenpolizei konterte gab er doch klein bei.
Im Hotel "Alem" rannte Micha mit der großen Tasche und dem Rucksack dem
Hotelpagen hinterher in den dritten Stock und ich versuchte, ohne
Gepäck
hinterherzurennen. Ab dem zweiten Stock bekam ich weiche Knie, der
Boden
schwankte und kam näher und ich fühlte mich so leicht als ob ich gleich
abheben wollte. Die dünne Luft auf 3.600 Meter machte mir zu schaffen.
Das
letzte Stockwerk hangelte ich mich an der Wand entlang bis zum Zimmer.
Micha besorgt bei einer Straßenverkäuferin noch 2 Cola und 2 Hamburger.
Da
sie aber auf Michas große Geldscheine nicht rausgeben konnte, sollte
Micha
erst bezahlen, wenn er die Flaschen zurückbringt.
Wir versuchten irgendwo einen Supermarkt oder Laden zu finden, aber so
etwas
scheint es in der ganzen Stadt nicht zu geben. Man muss alles mühsam
bei
diversen Straßenverkäuferinnen zusammenklauben. Das ist zwar anfangs
ganz
amüsant und man bekommt auch fast alles, man muss nur wissen wo und
legt für
einen größeren Einkauf locker ein paar Kilometer zurück.
Die hygienischen Verhältnisse waren unbeschreiblich. Überall stank es
erbärmlich, was die dünne Luft noch unerträglicher machte. Auf dem
Rückweg
zum Hotel kamen wir an einer Reihe Obstverkäuferinnen vorbei, die ihre
Waren
einfach auf dem Asphalt ausgebreitet hatten. Wir beobachtete, wie sich
eine
dieser dicken Marktfrauen aus Ihrem Gemüse erhob, einen halben Meter
unterhalb ihres Warenberges in die Hocke ging und einfach auf den
Bürgersteig pinkelte. Das ganze lief den Hang hinab in die Tomaten der
Nachbarin, die das ganze beiläufig beobachtete und anscheinend als
völlig
normalen Vorgang zur Kenntnis nahm.
Micha kam zwar ohne Visum, dafür aber mit einer bolivianischen Zeitung
und
süßen, puddinggefüllten Backwaren zurück. Dann liefen wir hoch zum
Friedhof,
weil dort die Busse zum Titicacasee abfahren sollten. Es ging ständig
bergauf, vorbei an bunten Marktfrauen, die die komischsten Sachen zum
Verkauf anboten. Es gab eingelegte Eidechsen und die eigenartigsten
Kartoffeln, die ich je gesehen hatte. Es gab gelbe, rote, rosafarbene,
schwarze und violette in allen Größen und Formen, rund, länglich, dick
und
dünn und verkrüppelte.
Ich konnte nur sehr langsam gehen und es dauerte ewig, bis wir endlich
den
Busbahnhof erreicht haben. Bei der am zuverlässigsten erscheinenden
Busgesellschaft kauften wir zwei Tickets nach Copacabana, am
Titicacasee und
begaben uns dann wieder in unser Hotel, um unsere Sachen für morgen
vorzubereiten.
Heute waren wir klüger. Anstatt den Berg unter Erleidung extremster
Atemnot
hochzuhecheln bestiegen wir für 30 Pfennig ein Colectivo, das uns zügig
hochbrachte. Die Fahrt war chaotisch. Alle zwei Sekunden dachte ich,
unser
Taxi würde entweder einen Fußgänger oder einen anderen Kleinbus rammen.
Oft
fuhren sie nur mit einem Abstand von ein bis zwei Zentimeter aneinander
vorbei. Der zehnjährige Beifahrer hing dabei zum Fenster hinaus und
schrie
lauthals das Fahrtziel in die Menge.
An unserem Bus angekommen übergaben wir unseren Rucksack vertrauensvoll
dem
Schaffner, diesmal ein 12-jähriger, der ihn oben aufs Dach schnallte.
Neben
mir pinkelte ein alter Bolivianer mitten auf die Straße. Überall stank
es
dermaßen nach Urin und Coca, das wir uns bis zur Abfahrt in das etwas
angenehmer duftende Wartehäuschen setzten.
Als wir in den Bus einstiegen roch es noch ganz gut. Der Bus füllte
sich mit
Kleinkindern mit rotzigen Nasen, alten Frauen, die auf ihren riesigen
Beuteln auf dem Boden saßen und alten Männern mit Schnapsflaschen in
der
Hand. Der Bus war voll wie ein Schulbus bei Hitzefrei, es drang kein
Lüftchen mehr herein und es begann zu stinken, dass man sich kaum noch
zu
atmen traute.
Wir verließen La Paz und nach eineinhalb Stunden erreichten wir bereits
den
Titicacasee. Der Bus hielt an, wir mussten alle aussteigen und mit
einer
Personenfähre auf eine Halbinsel übersetzen. Das Aussteigern dauerte
eine
Weile, da jede Bolivianerin, sobald sie die Stufen des Busses
hinuntergeklettert war, erst mal in die Hocke ging und direkt vorm
Eingang
hinpinkelte. Alle anderen warteten geduldig, bis sie an der Reihe
waren, die
Herren wateten durch die Pfütze und benutzten zu ihrer Erleichterung
das
rechte Vorderrad.
Die Passagiere wurden mit einem Motorboot übergesetzt während der Bus
auf
eine klapprige, wenig vertrauenerweckende Holzfähre verladen wurde.
Rechts
dümpelten in einem kleinen Hafen die Boote der bolivianischen
Kriegsmarine.
Die Fahrt ging weiter und es drängten sich noch mehr Fahrgäste in den
Bus.
Es wurde so voll dass sich die Passagiere zwischen uns und der
Sitzreihe vor
uns quetschten.
Für die restlichen km bis Copacabana benötigten wir eine Ewigkeit,
aufgrund
der Straßenverhältnisse ging es nur noch im Schritttempo voran.
Endlich kamen wir an und ich setzte mich erst mal hin, um nach Luft zu
schnappen. Micha ging derweil ein Hotel suchen und kam nach wenigen
Minuten
zurück. Er hatte ein Zimmer gefunden, das winzig klein war, dafür hatte
man
aber eine herrliche Aussicht auf den Titicacasee. Die Matratze bestand
aus
in Plastikfolie einschweißten Strohballen, man konnte sich im Zimmer
kaum
umdrehen und es war ziemlich ungemütlich. Von dünner Luft und dem
Gestank im
Bus hatte ich Kopfschmerzen und mir war übel. Micha besorgte ein paar
Limonen, aber die halfen auch nicht viel. Ich musste mich übergeben,
mir war
schwindlig und ich hatte Sehstörungen.
Abends wurde das Wasser im Hotel abgestellt, die Klospülung
funktionierte
nicht mehr und man konnte sich nicht einmal mehr die Zähne putzen.
Ich konnte auf der harten Matratze nicht schlafen und wartete fröstelnd
bis
die Sonne aufging. Wir suchten uns dann früh doch ein anderes Hotel,
mit
zwei großen Betten und eigenem Badezimmer, in dem auch die ganze Nacht
Wasser vorhanden war.
Wir gingen runter ans Seeufer und wollten dort ein wenig spazieren
gehen,
doch der Weg war durch ein Militärgebiet abgeschnitten. Trotzig war
dort zu
lesen "Uns hat auch einmal ein Stück Meer gehört. Bolivien hört erst am
Pazifik auf". Die armen Bolivianer. Im Laufe der Jahrhunderte haben
Ihnen
alle Nachbarn ein Stück abgenommen. Paraguay hat sich ein Stück aus dem
Gran
Chaco herausgerissen, die Chilenen haben sich im Salpeterkrieg die
Atacama
nördlich von Antofagasta einverleibt, und gerade mal vor 70 Jahren hat
sich
Brasilien während eines Kautschukbooms den heutigen Bundesstaat Acre
gesichert. Entschädigt wurde Bolivien dafür jeweils durch eine
Bahnlinie, im
Fall Chiles z.B. durch die Strecke Arica - La Paz.
Wir mussten also umkehren und wurden dabei von Leuten verfolgt, die uns
mit
ihren Booten zur Isla de Sol fahren wollten. Ein kleiner Junge war
dabei
besonders aufdringlich, er verfolgte uns über mehrere Häuserblocks und
lies
erst von uns ab als wir auf eine Polizeistreife zusteuerten. Dieses
Verhalten hat uns ein wenig überrascht, denn bisher waren die meisten
Bolivianer, denen wir begegnet waren, freundlich und sehr
zurückhaltend. In
La Paz hat Micha sogar einmal beinahe eine Bettlerin über den Haufen
gerannt, weil sie - im Gegensatz zu den chilenischen Schnorrern
-dermaßen
unauffällig herumstand, das man sie kaum wahrnahm.
Wir umrundeten das Sperrgebiet und liefen dann eine ganze Weile am See
entlang. Auf einer Anhöhe ruhten wir uns aus, mit herrlichem Blick auf
eine
kleine Insel und das wundervoll glitzernde Wasser des Titicacasees.
Zurück in der Stadt haben wir dann bei einem weniger aufdringlichen
Herren
eine Fahrt zur Isla del Sol gebucht. Eigentlich hörte sich das alles
ganz
entspannend an: Ein bisschen Boot fahren, um die Insel laufen, in einem
Restaurant essen, das es dort angeblich geben sollte und sich dann in
einem
Billighotel schlafen legen.
Danach gingen wir in einem guten und billigen Restaurant essen. Kurz
darauf
kann ein ganzes Bataillon Polizisten herein, die hier ebenfalls ihr
Abendmahl zu sich nahmen. Uns war ein wenig mulmig, hatte man doch nur
wenig
gutes über die korrupte bolivianische Polizei gehört. Zu den
Spezialitäten
der Dienststelle Copacabana gehört laut South American Handbook das
konfiszieren angeblich gefälschter Travellerschecks, die man dann nur
nach
zahlen einer horrenden "Bearbeitungsgebühr" zurückbekommt. Heute hatten
die
Herren aber wohl nur essen und trinken im Sinn.
Wir standen früh auf und gingen runter zum Boot. Dort mussten wir noch
eine
Ewigkeit warten, obwohl es immer wieder hieß, das es gleich losgehen
würde.
Schließlich stieg außer uns noch ein Trupp Israelis ins Boot, die nach
kurzer Zeit und ungefragt ihre Räubergeschichten aus ihrem gerade
abgelaufenen Wehrdienst zum Besten gaben. Wir erfuhren unter anderem,
das
alle Bolivianer langsam und "stupid" wären, und das alle die nicht gern
zur
Armee gingen, ein "Problem im Kopf" hätten. Außerdem wäre in Israel
alles
besser und in Peru gäbe es ein Netzwerk israelischer Hotels und
Restaurant,
wo man herrlich unter sich sein könne.
So tuckerten wir langsam auf stürmischer See dahin und mir wurde vom
Geschwätz und Geschaukel immer unwohler. Wir hielten zunächst im
Süddorf an
wo unsere Kriegshelden ausstiegen, dann fuhren wie mit einem noch
kleineren
Bötchen weiter zum Norddorf. Es schwankte dermaßen stark, das ich fast
vom
Sitz fiel, und als wir endlich ankamen musste ich mich erst mal
hinsetzen
und mich ausruhen.
Wie wollten erst mal zu den Ruinen laufen. Auf dem Weg dorthin kam uns
ein
Bolivianer mit Wollmütze entgegen, der 5 Bolivianos Eintritt haben
wollte.
Wir wussten zwar, das man hier Eintritt zahlen müsse, jedoch kam uns
das
ganze ziemlich inoffiziell vor. Wir gingen also erst mal zusammen ins
Museum
und es stellte sich tatsächlich heraus, das unser Begleiter der
Museums- und
Ruinendirektor war...
Zwei Jungs fühlten sich zum Fremdenführer berufen und wollten uns
unbedingt
alles erklären. Die meiste Zeit deuteten sie auf irgendwelche
Gegenstände
und sagten "Inka, Inka", obwohl darunter groß und deutlich zu lesen
war, das
es aus einer ganz anderen Indiokultur stammte. Wir teilten uns
schließlich
auf, damit sie nur noch einen nerven konnten und sie nervten dann nur
noch
Michael.
Wir wanderten langsam den Berg hinauf zu den Ruinen. Es gab zwar nur
ein
paar Mauerreste zu besichtigen, die auch noch von anderen Besuchern als
Toilette zweckentfremdet wurden, aber die Landschaft und der Blick auf
den
See war überwältigend.
Unweit der Ruinen war ein Trampelpfad zu sehen, und plötzlich kam Micha
auf
die Idee, quer über die Insel zum Süddorf zu laufen. Das Problem war
allerdings, das es immer weiter bergauf ging. Ich hatte unglaublichen
Hunger
und Kopfschmerzen, aber Micha lies sich nicht von seinem Vorhaben
abbringen.
Als mir schließlich eine kurze Pause zugestanden wurde legte ich mich
hin
und schlief einfach ein. Micha weckte mich schließlich und zerrte mich
weiter bergauf, und ich wurde immer wütender. Ich wollte zumindest
unten am
Ufer statt oben am Bergrücken laufen, aber Micha meinte, da unten würde
es
nicht durchgehen und ich solle mich nicht so anstellen. Schließlich
nervte
ich so lange, das wir doch runter ans Ufer gingen und wir fanden auch
ein
winziges Dorf, wo uns auch ein Zimmer angeboten wurde. Die angebotene
Übernachtungsmöglichkeit stellte sich jedoch als Strohmatratze im
Zimmer des
Sohnemanns heraus, so das ich auf Rückkehr ins Norddorf bestand.
Ich bekam kaum noch Luft und konnte nur noch ganz langsam gehen. Micha
lief
schon mal voraus und besorgte uns ein riesiges Zimmer mit 6 Betten.
Abendessen und Cocatee hatte er auch schon bestellt aber ich wollte
mich
eigentlich nur noch schlafen legen. Da es kein elektrisches Licht gab
stellte Micha unzählige kleine Kerzen auf. Später kam unsere
Gastgeberin mit
ihrer Tochter herauf und brachte uns zwei gebratene Fische mit Reis und
Kartoffeln. Beim Gedanken an Essen wurde mir jedoch speiübel. Ich
stellte
fest das es hier überhaupt kein Bad gab, und Micha konnte mir gerade
noch
eine leere Wasserflasche aufschneiden und verließ anschließend diskret
das
Zimmer...
Als ich morgens zum Fenster auf den See hinausblickte ging gerade die
Sonne
auf. Im Hafen hatte ein riesiges Kreuzfahrtschiff festgemacht. Micha
schaute
auch für einen Augenblick hinaus, schlief dann aber sofort weiter.
Um unsere Gastgeberin nicht zu beleidigen ließen wir die eineinhalb
Abendessen, die gestern übrig geblieben waren, in einer Plastiktüte
verschwinden, so dass es aussah, als hätten wir alles aufgegessen.
Zum Frühstück bekamen wir Kaffee und zwei steinharte Brötchen, außerdem
erfuhren wir, das um 9 Uhr ein Boot zum Süddorf ablegen sollte.
Schließlich
warteten wir bis ca. 12 Uhr im Hafen, und da kam das Boot auch schon
und für
10 Bolivianos nahm uns der Bootsbesitzer noch mit zur Isla de la Luna.
Natürlich durften wir den anderen Tourteilnehmern nicht verraten, wie
günstig wir die Karte bekommen hatten.
Noch mal eineinhalb Stunden warten und das Boot tuckerte endlich los.
Der
Titicaca-See war an diesem Tag sehr ruhig und so gefiel es uns sehr,
auf dem
See herum zu fahren. Auf der Isla de la Luna hatte man eine knappe
halbe
Stunde Zeit, Inka-Ruinen oben auf dem Berg anzusehen, doch der
Bootsbesitzer
nahm es nicht so genau mit der Zeit und wollte nach ein bisschen mehr
als
einer viertel Stunde wieder aufbrechen. "Vamos, vamos", rief er und
tuckerte
zurück zur Sonneninsel.
Dort gab es eine große, alte Terrassenanlage, auf denen auch noch heute
Mais, Kartoffeln usw. angepflanzt werden. Auch diesmal dauerte die
halbe
Stunde wesentlich kürzer, so das ich dem Bootsbesitzer zweimal darauf
aufmerksam machen musste, das Micha noch fehle, der erst nach 29
Minuten 59
Sekunden als letzter vom Hügel herunterkam.
So tuckerten wir mit einem Abstecher über den Sonnentempel schließlich
zurück nach Copacabana. Wir buchten uns wieder in unser altes Hotel
ein,
gingen daraufhin sofort in ein Restaurant und bestellten uns eine große
Portion "Comida".
Wir standen zeitig aus den Federn, packten unsere Sachen und verließen
das
Hotel. Natürlich war das erste Ziel des Tages ein anständiges
Frühstück,
denn wie hatten viel vor, es sollte schließlich mit dem Bus nach Puno
in
Peru gehen. Die Restaurantbesitzerin organisierte sogar unsere
Bustickets
und wir liefen noch ein wenig durch Copacabana, bevor wir am
"Busterminal"
in unseren Bus stiegen. Es saßen nur Touris im Bus und wir fuhren
Richtung
Grenze, die wir nach ca. 30 Minuten erreicht hatten. Dort mussten wir
schließlich aussteigen und unsere Ausreise zunächst bei einem
bolivianischen
Beamten registrieren lassen. Bei einem zweiten Beamten bekamen wir den
Ausreisestempel in den Pass. Dann mussten wir die 200 Meter über die
Grenze
laufen und schließlich den peruanischen Einreisestempel beantragen;
dazu
mussten wir eine Tarjeta ausfüllen, die wir auf gar keinen Fall
verlieren
durften.
Eine Spanierin war ganz aufgelöst vor Tränen, weil sie zur Einreise ein
Visum brauchte (in früheren Zeiten hatten sich die Spanier in diesem
Teil
der Welt nicht gerade mit Ruhm bekleckert und Peruaner sind
nachtragend),
und man sagte ihr, sie solle zurück nach La Paz und ein Visum
beantragen.
Sie versuchte es mit Bestechungsgeld, aber entweder war der Peruaner
ausnahmsweise nicht korrupt oder der Betrag war zu gering. Sie ging
wieder
zurück zur bolivianischen Grenze, heulte da noch ein bisschen rum und
bekam
dann doch noch Papiere, mit denen sie nach Peru einreisen durfte. Wir
durften dann wieder in den Bus steigen und weiter ging es, vorbei an
der
bemerkwerten Landschaft rund um den Titicacasee.
Der Bus stoppte und nahm zwei schwerbewaffnete Polizisten auf - ob man
sich
nun sicherer fühlen sollte oder nicht, das wussten wir nicht. Der
Busfahrer
erklärte über Mikrophon die weitere Reisemöglichkeit nach Cuzco: es
gibt
drei Möglichkeiten. Mit dem Bus (schlechte Straße, angeblich gefährlich
wegen der vielen Banditen, die den Bus stoppen und die Leute
ausrauben), mit
dem Helikopter (zu teuer) oder mit dem Zug (dauert 12 Stunden). Wir
hatten
uns schon für den Zug entschieden.
In Puno angekommen, wurden wir im größten Trubel der Stadt aus dem Bus
herausgeworfen. Am Terminal wartete eine ganze Garnison
Fahrradrikschas,
deren Besitzer unglaublich darauf erpicht waren, uns durch Puno zu
befördern
und die einen fast mit Gewalt daran hindern wollten, zu Fuß zu gehen.
Wir
taten dies trotzdem. Die Suche nach dem von uns aus dem Reiseführer
erwählten Hotel war etwas umständlich, weil es in Puno keine
Straßenschilder
gibt und wir erst aufgrund eines anderen gefundenen Hotels unsere
Position
interpolieren konnten.
Das Hotel "Italia" war etwas teuer, aber immerhin gab es ein großes
Zimmer
mit richtigen Betten und einem Bano privado, 6 Handtücher, 3 Seifen,
Klopapier (nicht selbstverständlich!), heißes Wasser (auch nicht
selbstverständlich) und einem Fernsehapparat (der pure Luxus!!) und es
duftete herrlich (das wichtigste). Naja, es roch eigentlich nach
nichts,
aber immerhin besser als der penetrante Cocageruch, der sich in allem
festfraß.
Micha sprintete allein los, um Zugtickets zu besorgen, während ich auf
dem
Bett herumlümmelte und Fernsehen sah; auf den 4 empfangbaren Kanälen
kam
aber nichts gescheites. Später gingen wir völlig ausgehungert in
irgendetwas, das sich "Restaurant Internacional" nannte. Das "Lomo
Internacional" war lustig, jedoch wollte keine der Beilagen so recht
zur
Anderen passen: Fleisch, eine Banane, 2 Scheiben Toastbrot, Schinken,
Käse,
Reis, Pommes, Spiegelei, Tomate, Gurken, grüner Salat und Avocado...
Ich
trank dazu einen Coca-Tee, damit meine Kopfschmerzen aufgrund der
dünnen
Luft vergingen und nahm zusätzlich noch ein Aspirin.
Im Hotel duschte ich ausgiebig und im Fernsehen sah man beunruhigendes:
Die
Franzosen hatten doch wirklich ihre Atombombentests in Muroroa
durchgeführt,
obwohl die ganze Welt dagegen war. Naja. Chile hat seinen Botschafter
aus
Frankreich zurückgezogen. Wenn man sich vorstellt, das Chile und vor
allem
Chiles Fischvorkommen von der Radioaktivität, die durch diese Tests
freigesetzt werden, als nächstes Land betroffen sind, kann man es auch
verstehen. Und auch wir waren wütend.
Es ging sehr früh los, um 6 Uhr mussten wir schon aus dem Hotel sein.
Am
Abend vorher brachte uns noch ein Mitarbeiter eines Reiseunternehmens
die
Zugtickets vorbei, insgesamt alles ziemlich windige Typen. Daneben
hatte man
uns schon ein Hotel mit Shuttleservice vom Bahnhof organisiert; das
zumindest ersparte uns den Weg durch die Stadt und ersparte uns vor
allem,
von mehr oder weniger gewieften, auf Touristen spezialisierten
Taxifahrern
betrogen zu werden. Nachdem wir ausgecheckt hatten, reihten wir uns in
den
langen Treck aus Touris Richtung Bahnhof ein.
Wir hatten Platzkarten und gegenüber saß eine Holländerin, ruhig und
nett,
die schon seit 8 Jahren in Lima wohnte. Die Leute in der zweiten Klasse
hatten es schwer, weil es dort keine Platzkarten gab; alle versuchten,
einen
Sitzplatz zu bekommen und rannten auf den Zug zu. Schließlich war es so
ein
Gedränge, das man befürchten musste, das nicht alle mitgenommen werden
konnten. Die Aufpasser riegelten dann einfach den Wartesaal ab und es
gab
viel Geschrei, Kinder standen vor der Tür und unterhielten sich mit den
Eltern, die noch im Wartesaal standen. Es war richtig toll organisiert.
Am
Schluss machten sie wieder die Tür auf und es durften dann doch alle
einsteigen.
Wir hatten schon viel über diese Zugfahrt und von der Gefahr von
Diebstählen
auf dieser Zugfahrt gelesen. Einige erfahrene Mitreisende ketteten
sogar ihr
Gepäck an und verwendeten irre viele Schlösser. Ein "fliegender
Händler"
wollte wichtige Informationen über Machu Picchu weitergeben, teilte an
jeden
einen Bogen Papier aus und wollte für seinen Comicreiseführer nach 4
Soles
haben. Alle gaben ihn wieder zurück. Der Zeitungsverkäufer verkaufte
nur
Zeitungen vorm Vortag, was aber bis 10.00 Uhr in diesem Land nichts
ungewöhnliches ist, der Schaffner verkaufte Empanadas und Erfrischungen
und
dann kamen noch viel mehr fliegende Händler, die Spielkarten,
Kaugummis,
Schokolade, Kekse und Strickwaren aus Lamawolle verkauften, so das es
ein
einziges Generve war.
Der Zug hatte schon bei der Abfahrt Verspätung, dann zuckelte er ewig
langsam dahin, um nach eineinhalb Stunden zu halten und dann noch mal
eineinhalb Stunden in einem Bahnhof rumzustehen und auf den Zug aus der
Gegenrichtung zu warten. Es gibt nämlich nur ein Gleis, ohne
Ausweichmöglichkeit auf der Strecke.
Dann ging es in unbeschreiblichen Schneckentempo weiter. Es stieg eine
Nonne
zu, die ein unglaubliches Chaos anrichtete, weil sie alle Taschen und
Rücksäcke, die angekettet waren, verschieben lassen wollte, so das sie
mehr
Platz im Gepäcknetz über sich hatte. Wir sahen das alle aber gar nicht
ein,
weil sie schließlich auch zu den berüchtigten "well-organized"
Diebesbanden
gehören könnte. Und es stiegen immer mehr dubiose Gestalten zu, so dass
man
sein Gepäck nie aus den Augen lassen konnte.
Die Peruanische Familie neben uns bekreuzigten sich, als der Zug
losfuhr,
was mich leicht beunruhigte. Eine alter Indianerin und ihr traurig
abgerissen aussehender Mann saßen unweit von uns. Sie kauften bei einem
Zwischenstop auf irgendeinem Provinzbahnhof ein halbes totes Schwein,
das
zum Fenster hereingereicht wurde. Die beiden Peruaner, die dem Paar
direkt
gegenübersaßen, hätten fast einen Kotzanfall bekommen, nahmen es dann
aber
doch mit Humor und machten sich über die alte Indianerin lustig.
Es stiegen immer mehr und immer eigenartigere Menschen zu und die Fahrt
dauerte und dauerte. Irgendwann fiel ich in eine Art Duldungsstarre und
verlor jegliches Zeitgefühl. Es wurde dunkel und wir kamen Cuzco immer
näher, zusätzlich zu den well-organized Diebesbanden (O-Ton South
American
Handbook) stiegen nun auch die Hotelanwerber zu.
Als wir nur noch wenige Kilometer zur Endstation hatten, stieg ein ganz
eigenartiger Typ zu uns ins Abteil und setzte sich dem Touristen-Block
gegenüber und guckte sich gemütlich um. Sofort kam die "Security"
angeschossen und forderte ihn auf, das Abteil zu verlassen, aber er
weigerte
sich und meinte, er wäre Passagier in diesem Zug und könne sitzen wo er
wolle. Die Typen von der Security, bei denen der Kerl offensichtlich
schon
einschlägig bekannt war, blieben aber unnachgiebig und nach weiteren 5
Minuten Diskussion hatten sie ihn endlich aus dem Abteil befördert.
Diebe
steigen in peruanischen Zügen gerne kurz vor der Endstationein, wurde
uns
erklärt, um dann in der allgemeinen Aufbruchsstimmung und im Gewühl der
Leute ihre Beute zu machen.
Wir rollten in den Bahnhof von Cuzco ein. Auf alles gefasst stiegen wir
aus
und hielten unser Gepäck fest, als ob unser Leben davon abhängen wurde.
Vor
dem Zug war ein schreckliches Gewühl aus komisch abgerissenen
Gestalten,
Indianern, schicken Peruanern und Touris.
Als wir aus dem Bahnhof hinausgingen, gab es plötzlich ein ziemliches
Geschrei: zwei Polizisten wollten das Gepäck von einem Pärchen
durchwühlen,
die jedoch gaben die Sachen nicht her, sondern zerrten die Bündel den
Polizisten immer wieder aus den Händen. Daraufhin schlitzte der
Polizist die
Bündel einfach mit einem Messer auf, woraufhin die Frau wie eine
Verrückte
anfing zu schreien.
Wir liefen schnell an ihnen vorbei um uns in den Shuttlebus zu setzten.
Wir
nahmen den Rucksack mit in den Bus anstatt wie vom Fahrer befohlen oben
auf
den Dachgepäckträger, das war sicherer. Wir mussten solange warten, bis
der
Bus brechend voll war. Wir klapperten alle möglichen Hotels ab,
prächtige
Paläste, unerschwinglich. Wir jedoch fuhren weiter, in eine völlig
dubiose
Gegend, der Bus hielt an und wir wurden auf die Straße gesetzt. Das
Hotel
"Tumi II" war völlig unauffällig. An der Rezeption wurden wir
argwöhnisch
gemustert, weil unsere Schuhe und Hosenbeine voller Matsch waren, der
Bus
hatte nämlich genau vor einem Schlammloch gehalten.
Endlich wurden wir in unser Zimmer gebracht, es lag im Keller, hatte
kein
Fenster, war ziemlich klein, hatte drei Betten, sonst nichts, eine
Glühbirne
hing von der Decke, ziemlich runtergekommen. Das war nicht das, was wir
für
das Geld erwartet hätten. Dieses Zimmer war höchsten 15 Mark wert,
keine 30.
Als wir den Rucksack vom Schlamm reinigen wollten, stellte sich heraus,
das
das Wasser nicht funktionierte. Micha ging zur Rezeption und beschwerte
sich
- man sagte ihm, in ganz Cuzco würde das Wasser nicht funktionieren und
ein
anderes Zimmer könne sie uns auch nicht geben, da sie nicht die
Hotelbesitzerin wäre. Wir diskutierten noch ein paar Runden mit der
Dame und
schließlich hatten wir eine Preissenkung um 20 Soles herausgehandelt,
sie
hätte jetzt aber kein Geld bei sich und könne uns die 20 Soles nicht
zurückgeben.
Nach der Aufregung gingen wir auf die Suche nach einem guten Restaurant
und
fanden schließlich eines, das zu unserem Lieblingsrestaurant in Cuzco
wurde,
weil alles so gut schmeckte und die Portionen riesig waren. Wir machten
noch
eine kleine Sightseeing Tour und schauten uns schnell noch "Santo
Dominigo"
bei Nacht an, der ehemalige Sonnentempel der Inkas in Cuzco, der
ehemaligen
Hauptstadt des Inkareiches, der von den Spaniern zerstört wurde und auf
dessen Überresten - wie sollte es anders sein - eine katholische Kirche
errichtet worden war.
Gegen halb vier in der Früh fing ein Hahn in unmittelbarer Nähe an zu
schreien und das dermaßen penetrant, dass wir sofort aufwachten. Er
befand
sich in einem Käfig, der im Treppenhaus des Hotels hing. Micha sagte zu
mir:
"Dreh ihm den Hals um, der ist so laut, dass ich ihn mir gleich unters
Kopfkissen legen kann".
Wir bekamen bis zum Morgen keinen richtigen Schlaf und standen zeitig
auf.
Wir stiegen zeitig aus den Federn, um ein anderes Hotel zu suchen. Die
Dame
an der Rezeption hatte nach wie vor "jetzt im Moment leider keine 20
Soles",
aber wir sollten abends wiederkommen. Zum krähenden Hahn meinte sie
nur,
"Ja, der ist ein Problem". Nach einigen Anlaufschwierigkeiten und vor
allem
viel betrügerischer Energie bei den Hotelbesitzern fanden wir
schließlich
doch ein gutes und preiswertes Zimmer.
Die Strategie des Rezeptzionisten war nämlich nicht ganz aufgegangen.
Er
hatte Micha ein großes, sonniges Zimmer gezeigt und mit Micha einen
fairen
Preis ausgehandelt. Nachdem wir eingecheckt und bezahlt hatten wollte
man
uns aber plötzlich in ein ganz anderes Zimmer führen, viel kleiner,
dunkel
und muffig. Micha sorgte jedoch lautstark dafür, das wir doch noch das
Vorzeigezimmer bekamen.
Wir mussten jetzt erst mal frühstücken, danach ging es auf
Stadterkundungstour, wir liefen die berühmten Ruinen der Stadt ab,
setzten
uns auf den Plaza de Armas, schauten uns von da aus die Kathedrale und
die
Kirche an und ließen uns von Schnorrern, kleinen Betrügern und
fliegenden
Händlern belästigen. Ständig wollte uns irgendjemand die Schuhe putzen
(Shoeshine, shoueshine, Mister) oder uns Kaugummi verkaufen.
Wir gingen schließlich wieder zum Bahnhof um Fahrkarten nach Machu
Picchu zu
kaufen - natürlich machte der Schalter vor unserer Nase zu, weil der
Schalterbeamte "mal kurz" weg musste. Nachdem wir eine Stunde warten
sagte
man uns, das der Fahrkartenschalter an diesem Tag überhaupt nicht mehr
öffnen würde und man doch so gegen halb sechs am nächsten Morgen
vorbeikommen sollte.
Wir besuchten dann eines der hiesigen Adventure-Reisebüros, in denen
man
Inka-Trail-Touren buchen konnte, um Zugfahrttickets nach Machu Picchu
zu
kaufen, aber die wollten gleich 100 - 200 Dollars, obwohl das teuerste
Zugticket nur 30 Dollar kostet. Auch konnte man gar nicht verstehen,
warum
wir keine Lust hatten, den Inca-Trail zu "machen".
Micha versuchte am Abend noch mal seine 20 Soles zu bekommen, aber die
Dame
war angeblich nicht da. Während er weg war wollte ich duschen und
stellte
erstens fest, das das Wasser im Hotel schrecklich kalt war und es
zweitens,
kurz nachdem ich das bemerkt hatte, kein Wasser mehr aus der Leitung
kam.
Eine Dusche hätte mir und meinen Haaren nicht schlecht gestanden.
Wir standen bereits um fünf Uhr auf, um rechtzeitig am Bahnhof zu sein.
Ich
war schrecklich müde und fast hätte ich weitergeschlafen. Ohne
Frühstück und
dick angezogen (in 3500 Metern Höhe ist es früh noch sehr frisch)
wollten
wir das Hotel verlassen. Natürlich hing ein großes Schloss an der Tür,
so
das wir nicht rauskamen. Alles rütteln half nichts, wir machten uns
schließlich auf die Suche nach irgendeinen Hotelangestellten. Plötzlich
hörten wir ein tiefes, fast unmenschliches Stöhnen eines Erwachenden.
Der
Rezeptzionist kämpfte sich mühsam aus dem Schlaf, stand auf, schwankte,
knallte gegen eine Tür und es dauerte einige Zeit bis er endlich in der
Lage
war, das Schloss zu öffnen.
So liefen wir also durch das dunkle, einsame und kalte Cuzco. Am
Bahnhof
standen schon drei Leute vor uns am Schalter. Eine Frau kaufte 10
einzelne
Tickets und brauchte schrecklich lang dafür. Während wir uns also die
Beine
in den Bauch standen, fragten uns der zweite in der Schlange, ob wir
aus
Deutschland wären. Er war Peruaner, der in Deutschland lebt und mit
seiner
deutschen Frau und Kind Peru besucht. Als er an der Reihe war, bot es
sich
an, gleich für uns die Karten mitzukaufen, weil der dritte Mensch in
der
Schlange auch so aussah, als ob er mindestens noch 20 Karten einzeln
kaufen
wollte und dafür mindestens eine halbe Stunde bräuchte.
Und tatsächlich, so war es auch. Später beobachteten wir, wie er die
Tickets
völlig überteuert an zu spät gekommene Touristen weiterverkaufte...
Das deutsch-peruanische Pärchen und wir setzten uns im Bahnhofscafe an
einen
Tisch und wir unterhielten uns ein bisschen. Die beiden erzählten, das
sie
auf der Busfahrt nach Cuzco zwei europäisch wirkende Fahrradfahrer
gesehen
hätten, die den ganzen Tag Gesprächsthema im Bus waren. Und das
erzählten
sie uns, ohne zu wissen, das wir bis vor kurzem auch noch
Fahrradreisende
waren!
Wir gingen dann zum Zug und nahmen unsere Plätze ein. Die Zugfahrt
begann
zunächst im Zick-Zack-Kurs bergauf, wobei der Zug ständig vor- und
rückwärts
fuhr, um die Steigung zu überwinden und man glaubte, kaum von der
Stelle zu
kommen. Nach dem Anstieg ging es von 3600 auf 2500 Metern herunter, und
jedes Mal, wenn man aus dem Fenster sah, war die Landschaft grüner. Zum
Schluss fand man sich in einem Urwald voller fremder, exotischer
Pflanzen,
Tiere und Bäume wieder.
Wir fuhren am Fluss entlang und plötzlich sahen wir einen riesigen
Menschenauflauf: die Teilnehmer des heutigen Inka-Trails, wie sie noch
frisch und munter bei "Kilometro 88" am Flussufer standen und ihr
Gepäck von
Trägern zusammenpacken ließen.
Endlich kamen wir im Tal bei Machu Picchu an. Micha empörte sich
furchtbar
über den völlig überzogenen Fahrpreis von 6 Dollar für den Bus hoch zu
den
Ruinen (wo Touristen sind kostet es meistens Dollars statt Soles) und
entschloss sich, den Berg zu Fuß hochzulaufen, während ich mit dem
Peruaner
und seiner deutschen Frau mit dem Bus hochfuhr.
Es ging ständig steil bergauf und ich dachte schon, Micha braucht dafür
mindestens zwei Stunden. Oben angekommen liefen wir dem Strom aus
Touristen
hinterher und mussten 10 Dollar Eintritt bezahlen. Jetzt hatte man
schon
fast 100 Mark ausgegeben! Aber was sollte man anderes machen...
Als wir Machu Picchu betraten, war Micha schon längst da und wartete
auf
uns! Die Ruinen waren noch perfekt erhalten, es fehlten nur die
Strohdächer.
Ein Wunder, das diese Stadt nicht von den Spaniern entdeckt wurden. Es
gab
noch eine perfekt erhaltene Wasserversorgung, natürlich nicht, um
daraus zu
trinken oder sich zu waschen, nein, dieses Wasser diente rein rituellen
Zwecken, wenn man den Guides vor Ort glauben sollte. Das Wasser floss
klar
und kühl durch die Wasserleitungen und man konnte sich daran
erfrischen. Wir
entdeckten den rituellen Dorfplatz, eine rituelle Sonnenuhr, einen
rituellen
Kalender, rituelle Felder und eine rituelle Kinderrutsche aus Stein.
Früher
schien das ganze Leben rein rituell gewesen zu sein.
Der Abgrund neben den schmalen Pfad fiel manchmal 500 Meter steil in
die
Tiefe, so das ich meine Höhenangst kaum zügeln konnte. Am Ende des
Dorfes
begann der Pfad nach Huanpicchu, dem neuen Berg der alten Inkas. Man
sollte
sich eigentlich registrieren, wenn man diesen Weg laufen wollte, wir
liefen
einfach los. Die Stufen bestanden aus klobigen Steinklötzen, es war
beschwerlich zu laufen. Dazu kam die schwüle Hitze, so das ich sehr
bald
aufgab und Micha allein weiter den Berg hochrennen ließ.
Micha erzählte mir später, das dieser Peruaner einige Zeit nach ihm auf
dem
Gipfel ankam. Zuerst hörte er, bevor er überhaupt jemanden sehen
konnte, ein
Japsen, Stöhnen und Keuchen, es fluchte auf spanisch, als der Peruaner
endlich völlig durchgeschwitzt um die Ecke bog und sich fix und fertig
auf
einen Stein warf, um sich auszuruhen. Als er sich endlich wieder
einigermaßen gesammelt hätte, knipste er wie wild mit der Kamera und
filmte
auf Teufel komm raus die Gegend. Micha musste ihn filmen, wie er cool
auf
einen Stein lümmelte und seiner Mutter eine Botschaft auf spanisch
übermittelte.
Währenddessen genoss ich die überwältigende Atmosphäre in Machu Picchu,
setzte mich auf verschiedene rituelle Steine. Einmal passierte etwas
eigenartiges: ich hörte, wie jemand einen Pfad entlang kam, aber dann
hörte
ich keine Schritte mehr. Ich drehte mich um und sah mich Auge in Auge
mit
einem Lama in Begleitung mit einem weiteren Lama. Die beiden gingen an
mir
vorbei, blieben nach ein paar Schritten jedoch stehen und sahen mich
entrüstet an, als ob sie mich gleich vollspucken wollten. Ich schaute
dann
lieber mal weg und dann trabten sie weiter. Diese Lamas, immer sind sie
gleich entsetzt oder entrüstet, legen die Ohren an und stolzieren in
der
Gegend rum.
Irgendwann kam Micha auch mal wieder von dem Berg herunter und wir
liefen
noch ein wenig durch die Ruinen. Während ich wieder in den Bus stieg,
der
uns zum Bahnhof brachte, lief Micha wieder zu Fuß hinab. Als wir einige
Serpentinen gefahren waren, stand ein Junge am Wegesrand, der winkte
und
rief irgendetwas mit seiner durchdringenden Stimme. Auch in der
nächsten
Serpentine stand er wieder und so ging es weiter, bis wir endlich unten
waren... irgendwann verstand ich, das er "good bye" rief; natürlich
wollte
er für sein nerviges Geschrei noch ein Trinkgeld haben.
Micha erzählte, das er auf dem Weg nach unten Schilder gesehen hatte,
die
vor Bären warnen. Nun hatte er noch nie etwas von Bären in Südamerika
gehört. Aber irgendwann hörte er etwas rascheln und eine Gruppe kleiner
Ameisenbären mit langer Rüsselnase stand vor ihm, schaute ihn verduzt
an und
rannte wieder in das Dickicht.
Auf der Rückfahrt ging langsam die Sonne unter und der Urwald wurde in
ein
geheimnisvolles Licht getaucht. Als es dunkel wurde konnte man das
Feuer aus
dem Schornstein der Lok erkennen und mit seinen Scheinwerfern erhellte
die
Lok die Umgebung. Der Vollmond ging auf und man konnte noch viel von
der
Landschaft erkennen, Flüsse, Berge, Täler, Steine..
Als wir Cuzco näher kamen, mussten wir die Zick-Zack-Strecke wieder
nach
unten fahren, nach und nach eröffnete sich ein atemberaubender Blick
auf das
nächtliche Cuzco. Wir verabschiedeten uns von dem peruanisch-deutschen
Pärchen und gingen ausgehungert wieder in unser Lieblingslokal "El
Tronquito" und aßen ein Lomo mit unglaublich viel Knoblauch drauf.
Wir waren so müde, das wir an diesem Samstag erst mal ausschlafen
wollten.
Um 7 Uhr wurden wir durch laute Musik geweckt, so das ich dank eines
bekloppten Halbstarken früher auf den Beinen war, als gewollt.
Wir wollten uns heute schon mal um die Rückreisemöglichkeiten nach La
Paz
kümmern. Da gab es drei Optionen: mit dem Bus, mit dem Zug oder mit dem
Flugzeug. Wir liefen von Reisebüro zu Reisebüro und jedes erzählte uns
etwas
anderes über Preise, Steuern und Gebühren. Nach langem Suchen kauften
wir
bei Aero Peru ein paar Flugtickets.
Zum Frühstück gab es Kekse und Hühnercremesuppe, ich bekam noch einen
Kaffee
und dann ging es auf zu den Ruinen mit dem unaussprechlichen Namen
Sacsayhuanan, die auf einen Hügel nahe der Stadt lagen. Micha schwärmte
schon die ganze Zeit von den Steinen, die er schon als Kind in
Reiseberichten bewundert hätte und die er schon immer mal sehen wollte.
Also
wanderten wir die steilen Treppen hoch und ich lief ganz langsam, weil
ich
nicht wieder diese schreckliche Höhenkrankheit bekommen wollte.
Oben angekommen fanden wir uns fast als einzige Touristen vor. Weil
heute
Sonntag war, befanden sich alle Anderen auf dem berühmten Indiomarkt in
Pisaq. Es gab nur Einheimische, die ein Picknick machten, herumradelten
oder
auf dem Rasen Fußball spielten. Die Ruinen bestanden aus riesigen
Steinen,
die perfekt ineinander eingepasst waren. Einer dieser Steine hatte
sogar 13
Ecken...Wir stiegen auf den höchsten Punkt der Ruinen, die ein
Sonnentempel
gewesen sein soll und wir fanden dort eine Art Thron und eine speziell
für
Festivitäten konstruierte Anlage aus Kanälen, mit der man im ganzen
Tempelkomplex Chicha verteilen konnte. Es gab ein kleines Theater,
wieder
eine Art Kinderrutsche, und Sitzmöglichkeiten, die in Stein gehauen
waren.
Auch hier war natürlich wieder alles rein rituell.
Es gab 22 große Torbögen, die wir alle abliefen. Da der Markt in Pisaq
bald
zuende sein musste, erwarteten wir die restlichen Touris. Die Polizei
brachte sich in Stellung und begann von allen ankommenden Touristen
Eintrittsgeld zu kassieren - nur von uns wollten sie nichts. Wir liefen
wieder hinunter in die Stadt und von oben aus wirkte Cuzco wie eine
italienische Kleinstadt. Ein wundervoller Tag. Und am Abend hat Micha
auch
noch seine 20 Soles zurückerobert, die wir im ersten Hotel zu viel
bezahlt
hatten.
.... hier endet mein Reisebericht. Leider ist mein letztes Tagebuch zur
Zeit
nicht auffindbar und bis ich es gefunden habe, muss der geneigte Leser
leider auf die abenteuerlichen Geschichten aus den Yungas verzichten,
dem
Nebelwald Boliviens und der heimtückischen tropischen Ameise, die mich
bei
einer Tour durch den Urwald angefallen hatte und deren Biss sich
entzündete,
so dass ich heute noch ein vorzeigbare Narbe von diesem Zwischenfall
habe.
Und dann gab es natürlich die Geschichte, als Micha stundenlang ein
bolivianisches Urwaldflüsschen aufstaute und dem Coca-Bauern, den wir
in
seiner Siesta störten und der uns empfahl, lieber einen anderen Weg zu
laufen, als durch seine Coca-Plantage.
Wenn ich das Tagebuch finde, werde ich auch noch von unserer Reise nach
Tiwanaku berichten, Ruinen, die von einer Zivilisation lange vor den
Inkas
stammen. Die Geschichte, wie mein Fahrrad in einen Jute-Sack eingenäht
und
per Post nach Deutschland verschickt wurde und meinem abenteuerlichen
Rückflug von La Paz über Santa Cruz nach Caracas und schließlich über
London
nach Frankfurt, warum es kein Licht am Flughafen von La Paz gibt und
die
Start- und Landbahnen mit Fackeln beleuchtet sind. Und natürlich von
dem
traurigen Abschied von Michael und Südamerika und der Kampf um
eine
Kerze im einem Hotel in Caracas, in dem es keinen Strom und kein Wasser
gab.
Seit meiner Fahrradtour in Chile sind schon viele Jahre vergangen und
obwohl
ich sehr viele andere Dinge seitdem erlebt habe, denke ich immer noch
gerne
an diese Zeit zurück und vermisse die Unbeschwertheit und Freiheit von
damals. Ich möchte mich bei allen bedanken, die sich im Laufe der Jahre
in
meinem Gästebuch eingetragen und die mir Emails geschrieben haben. Und
ich
möchte auch meine liebenswerten Kollegen und alte Freunde grüßen, die sich ab und zu
einmal
auf meine Homepage verirren und sich nie in mein Gästebuch eingetragen
. Viele Grüße schicke ich auch an meine Freundin Sabine, die mir immer Briefe und Pakete postlagernd nach Chile gesendet hat.
Frankfurt am Main, im November 2002
Marion Hetzelt
Hier geht's weiter:
Puerto Montt, Osorno, Villarica, Temuco (April
'95) Radtourbilder aus
Feuerland, Patagonien, Südchile
La Paz, Bolivien, 29.08.1995
Wir gingen frühmorgens zum Bahnhof, und tatsächlich waren zwei
Fahrkarten
für uns vorrätig. Micha hatte sein Fahrrad und seine Campingausrüstung
im
Hotel gelassen, aber wir hatten dennoch unser zulässiges Gepäckgewicht
ausgereizt, zusammen genau 39,9 kg.
Endlich ging es los, zunächst durch ein wunderschönes, grünes Flusstal,
dann
begann der lange Anstieg in die Anden. Der Zug schraubte sich langsam
immer
höher und man hatte einen Ausblick wie aus einem Flugzeug.
Zwischendurch
mussten wir öfters anhalten, um Steine oder Lamas von den Gleisen zu
entfernen. Weiter oben tauchten langsam die ersten Büsche auf, und die
Holländer hatten viel Spaß mit einer Tüte Kartoffelchips, die sich hier
oben
in der dünnen Luft fast zum Platzen aufgebläht hatte. Beim ersten
offiziellen Stopp in 3.500 Meter Höhe musste sich erstmal die Hälfte
der
Passagiere übergeben. Die Holländer ließen sich aber dennoch nicht
davon
abhalten, weiterzusaufen und im Zug zu rauchen.
La Paz, Bolivien, 30.08.1995
Nachdem Micha die Fahrradtasche ausgepackt und im Zimmer ein heillosen
Chaos
veranstaltet hatte gingen wir ein wenig in der Stadt spazieren. Wir
beobachteten interessiert das bunte Treiben in den Straßen und Gassen.
Im
Goethe-Institut lasen wir die Zeitungen und Zeitschriften der letzten
Wochen, um mal wieder zu wissen, was denn so daheim passiert war.
Internet
gab's ja noch nicht, zumindest nicht so richtig.
La Paz, Bolivien, 31.08.1995
Nachts konnten wir beide wegen der dünnen Luft nicht einschlafen. Micha
stand trotzdem früh auf, um Geld zu wechseln und um bei der
Venezuelanischen
Botschaft vorbeizuschauen. Er brauchte für seine Weiterfahrt ein
Einreisevisum und wollte schauen, ob er es hier bekommen könne.
01.09.95 Copacabana
Um 11 mussten wir an der Busstation sein. Ich ging
noch
mal zur Post, während Micha mein Fahrrad und überzähliges Gepäck im
Hotelkeller einlagerte. Ein kleiner Rucksack sollte für unsere Tour
genügen.
Copacabana, 02.09.95
Isla del Sol, 03.09.95
Es kamen innerhalb weniger Sekunden so an die 15 Kinder an, die nicht
kapieren wollten, das ich die 3 Kekse und den Apfel selber essen
wollte. Sie
wollten unbedingt etwas geschenkt bekommen und wir merkten gleich, das
hier
wohl öfters Touristen vorbeikommen.
Copacabana, 04.09.1995
Puno, Dienstag den 05.09.95
Cuzco, 06.09.95
Cuzco, 07.09.95
Cuzco (Machu Picchu), 08.09.95
Cuzco (Machu Picchu), 09.09.95
Cuzco, 10.09.95
Nachwort
Cañete, Concepción, Talca,
Valparaiso
(Mai '95)
Santiago de Chile, Portillo
(Juni
'95)
La Serena, Copiapo, Antofagasta
(Juli
'95)
Antofagasta, San Pedro, Iquique,
Arica
(August '95)
----- La Paz, Coroico, Cuzco (September '95)
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Radtourbilder
aus Bolivien, Brasilien, Venezuela