Badische Zeitung, 22. Juni 1998
Von unserem Redakteur Markus Grill
FREIBURG. Er weiß nicht, worüber er sich mehr aufregen soll: über seine
Ehrlichkeit oder über die Gängelei der Univerwaltung? Jörg Gerber schreibt zur Zeit
seine Doktorarbeit in Geschichte, wurde aber vor zwei Monaten exmatrikuliert. Offizielle
Begründung: Weil er einen Job als Parkwächter hat, darf er kein Student mehr sein. Das
Kuriose: Die Freiburger Uni ist landesweit die einzige, die die gesetzliche Bestimmung
dessen, was ein eingeschriebener Student so nebenher verdienen darf, anwendet.
Wie dem 33jährigen Jörg Gerber geht es zur Zeit mehreren hundert Freiburger Nachwuchswissenschaftlern. In einem einmaligen Verwaltungsakt hat die Universität mehr als 40 Prozent aller Doktoranden aus der Matrikel gestrichen. Während es im Wintersemester noch 1283 Doktoranden gab, sind heute nur noch 747 eingeschrieben. Ihre rechtlichen Promotionsmöglichkeiten sind damit freilich nicht eingeschränkt doch entfallen für die Betroffenen die finanziellen Vorteile, wie sie Studenten etwa bei der Krankenversicherung oder durch Sondertarife im öffentlichen Nah-verkehr genießen.
Im Februar hatte die Univerwaltung erstmals den Doktoranden einen Fragebogen geschickt, in den Auskunft über ihre Arbeitseinkünfte verlangt wurde. Der Grund: Das Ministerium habe per Erlaß festgelegt, daß ,,Doktoranden nur dann eingeschrieben werden dürfen, wenn sie in keinem Arbeits-, Dienst- oder sonstigen Ausbildungsverhältnis stehen". Schon drei Wochen vor Abgabeschluß der Fragebögen schrieb das Studentensekretariat die Doktoranden erneut an: ,,Leider wurde der Vordruck von Ihnen bis heute nicht zurückgesandt. Wir empfehlen Ihnen deshalb, sich bis zum 31.3.1998 zu exmatrikulieren."
Jörg Gerber traute seinen Augen nicht, als er den Brief las. Er rief im Studentensekretariat an und erkundigte sich, wie er denn seinen Lebensunterhalt bezahlen solle? Eine Mitarbeiterin beruhigte ihn: Die Regelung gelte nur für Vielverdiener. Gerber gab also arglos die 1000 Mark an, die er als Parkwächter verdiente. Das dritte Schreiben des Studentensekretariats an ihn fiel knapp und klar aus: ,,1. Sie werden von Amts wegen exmatrikuliert. 2. Dieser Bescheid ergeht kostenfrei." Solche Briefe hat die Uni massenhaft verschickt: Sie hat alle Doktoranden exmatrikuliert, die mehr als 820 Mark im Monat verdienen. Ausgenommen sind wissenschaftliche Hilfskräfte und Tutoren.
Dabei beruht die Massenexmatrikulation offenbar auf einem Mißverständnis. Alles hatte begonnen mit einer Anfrage der Uni Tübingen an das Wissenschaftsministerium, ob Doktoranden, die halbtags als wissenschaftliche Mitarbeiter beschäftigt sind, immatrikuliert sein dürfen. Das Ministerium verneinte dies mit Bezug auf Paragraph 54, Absatz 4 des Universitätsgesetzes.
Das Gesetz ist zwar schon alt, doch weder Ministerium noch Universitäten hatten sich bisher daran gehalten. Das änderte sich auch nicht, als das Wissenschaftsministerium die Antwort an Tübingen zeitgleich an die übrigen Hochschulen des Landes versandte. Mit einer Ausnahme: Freiburg. Hier startete die Univerwaltung eilfertig ihre Umfrage unter den Doktoranden. Laut Thomas Nesseler, Sprecher der Universität, habe man damit genau der Absicht des Ministeriums und seines Erlasses entsprochen. In Stuttgart sieht man's anders: Der Sprecher des Wissenschaftsministers, Gunter Schanz: ,,Wir haben nie verlangt, die Nebenverdienste der Doktoranden auf breiter Front zu überprüfen."
Selbst im Wissenschaftsministerium ist man der Ansicht, daß jemand, der eine Doktorarbeit schreibt, auch nebenher jobben darf. Es könne doch nicht sein, sagt Schanz, daß ein Doktorand exmatrikuliert werde, nur weil er 1000 Mark im Monat verdient. Sonst müßte man ja bald alle exmatrikulieren. Womit er durchaus recht hat: Fast alle Doktoranden jobben, wenn sie nicht ein Stipendium oder einen Platz im Graduiertenkolleg ergattert haben
Im Freiburger Rektorat versteht man derweil die Welt nicht mehr: Die Uni habe doch erst in Verhandlungen mit dem Ministerium erreicht, daß 620-Mark-Jobs von der Regelung ausgenommen werden, sagt Sprecher Nesseler Und vor 14 Tagen hat der Senat der Universität sogar ans Ministerium appelliert, den Doktoranden die Beschäftigung als wissenschaftliche Mitarbeiter zu erlauben. Den Schwarzen Peter für die Exmatrikulationen schieben Stuttgart und Freiburg gekonnt zwischen sich hin und her.
Derweil sind aber Doktoranden die Dummen: Der 33jährige Jörg Gerber müßte seit seiner Exmatrikulation die volle Sozialversicherung im Rahmen seines Parkwächter~Jobs zahlen. Das aber will sein Arbeitgeber nicht, weil er seinen Anteil dazuzahlen müßte, und bot Ihm nur noch einen abgabenfreien 620-Mark-Job an. Der Fall ist typisch: Ohne Studentenausweis hat man auf dem Arbeitsmarkt deutlich schlechtere Karten. Und nicht nur dort: Offiziell darf Jörg Gerber auch nicht mehr in der Mensa essen.