Meereszoologie
Quelle: Angelo Mojetta: Ozeane der Welt
Tarnung

Ein grosser Teil der Evolutionsgeschichte der meeresbewohnenden Lebewesen geht auf den ewigen Kampf zwischen Räuber und Beutetier zurück. Die Tarnung oder Mimese erlaubt es den einen wie den anderen zu überleben. Es geht daher um die Kunst des Scheins, Dabei soll einer der beiden getäuscht werden. So kommt es, daß Plattfische ihre Färbung dem Untergrund anpassen können. Diese Technik hat der Krake noch weiter verfeinert. Er kann nicht nur die Farbe seiner Haut, sondern auch deren Beschaffenheit verändern Auf felsigem Untergrund wirkt sie wie zerklüftet und von zahlreichen Algen bewachsen. Es kommt oft vor, daß die Unterlage, die nachgeahmt werden soll, selbst ein Lebewesen ist. Der Saragossofisch aus der Familie der Fühlerfische hat am ganzen Körper Fortsätze und Hautlappen. Er ahmt damit die Blätter der Braunalge nach, zwischen denen er kleineren Fischen und Krebsen auflauert.  Die Imperator-Partnergarnele ahmt die Zeichnung der Spanischen Tänzerin nach, einer der größten Nacktkiemerschnecken des Indopazifiks. Noch raffinierter sind die Techniken, mit denen einige Fische arbeiten. Ein klassischer Fall ist die Nachahmung des Putzerfisches durch den Säbelzahnschleimfisch. Nach einigen schmerzhaften Attacken lernt das Opfer, nämlich der Fisch, der geputzt werden will, den Nachahmer kennen. In diesem individuellen Fall bedeutet dies, daß der Trick nicht mehr funktioniert. Es fallen aber immer wieder neue geduldige Opfer darauf herein.
Sinnesorgane

Jedes Mal, wenn wir in trübem Wasser oder nachts tauchen, stellen wir uns die Frage, ob uns nicht jemand dabei beobachtet. Diese Frage können wir ohne weiteres bejahen. Das Wasser dient als Medium für die unterschiedlichsten  Botschaften.  Die  Meeresbewohner setzen elektrische Signale, Schallsignale, chemische Signale und Lichtsignale auf ihre spezifische Weise ein.

Einige  Lebewesen  verfügen  über eine besonders große Zahl von Sinnesorganen.  Zu  ihnen  gehören auch die Haie. Aus sehr weiter Entfernung  nimmt  ihr  Geruchssinn Duftspuren eines möglichen Beutetieres wahr Der komplexe akustische  Apparat  dieser  Raubfische wird von den Bewegungen eines hilflos um sich schlagenden Tieres alarmiert. Aus größerer Nähe sind die Augen nützlich, und schließlich kommen  die  hochempfindlichen elektrischen  Organe zum  Einsatz. Mit ihnen können die Haie eine im Sand eingegrabene Scholle bei völliger Dunkelheit entdecken. Auch für viele Wale ist die Umwelt „durchsichtig“. Mit Ultraschallauten sondieren sie den Lebensraum und nehmen  Hindernisse  Beutetiere und Feinde wahr. Für die Kommunikation verwenden sie andere Sequenzen.  Pfeiftöne, Schnalz- und Klicklaute gehören zum Repertoire der Delfine. Unter den Walen finden wir auch singende Arten, etwa die Buckelwale mit ihren auffälligen, faszinierenden Melodien.

Auch unter Wasser ist der Gesichtssinn wichtig, aber nicht für alle. Die Dichte des Mediums und die Auslöschung der Lichtstrahlen mit zunehmender Tiefe haben die Evolution der Lichtsinnesorgane nicht begünstigt – ganz anders als auf dem Festland. Dennoch nehmen viele Fische Farben wahr und geben mit Hilfe des Farbwechsels Auskunft über innere Stimmungen und Zustände zum Beispiel Hunger, Angst, Liebe, Alter und Geschlecht. In den größten Tiefen herrscht absolute, ewige Dunkelheit. Hier gewinnt das Licht an Bedeutung. Viele Wirbeltiere haben deswegen stark entwickelte Augen. Hier kommunizieren viele Tierarten mit Lichtsignalen, Männchen und Weibchen ein und derselben Art erkennen sich an der unterschiedlichen Anordnung der Leuchtorgane oder Photophoren. Ein plötzlicher Lichtstrahl kann einen Augenblick lang einen Räuber blenden oder ein Beutetier zu einem zähnestarrenden Mund anlocken. Viele Tiere vertrauen ihr Schicksal auch dem Tastsinn und dem Geruchssinn an. Beim Gehen überprüft der Seestern dauernd die Duftstoffe im Wasser und tastet sich in der umgegebenden Welt gleichzeitig vorwärts. Ihr eigener Duft gelangt aber vielleicht noch früher zu den empfindlichen Riechzellen einer Herz- oder Jakobsmuschel. Diese ergreifen daraufhin die Flucht, die Herzmuschel mit Hilfe des beweglichen Fußes, die Jakobsmuschel durch eine Art Rückestoßschwimmen, bei der sie die Schalenhälften auseinanderklappt.

Auch viele Larven gehen der Nase nach und können nur auf diese Wiese die richtige Stelle finden, and der sie sich anheften, seßhaft werden und weiter wachsen. Möglicherweise helfen ihnen dabei erwachsene Tiere der eigenen Art, die chemische Locksstoffe aussenden.
Andere Meerestiere nehmen Schallwellen, Erschütterungen und Vibrationen warh. Besonders deutlich zeigen dies festsitzende Röhrenwürmer. Wenn sich ihnen ein Taucher mit seiner Fotoausrüstung nähert, ziehen sie ihre bunten Tentakelkronen blitzschnell in die Röhren.
Symbiose

Im Reich der Lebewesen kommt es sehr oft von daß ganz verschiedene Arten eng nebeneinander leben und dabei in einem Verhältnis zu beiderseitigem Nutzen stehen. Diese Vergesellschaftung nennen wir Symbiose. Sie kann ganz  unterschiedliche Ausprägungen aufweisen. Eine sehr lockere Symbiose besteht zum Beispiel zwischen den Schiffshaltern    oder   Saugfischen einerseits  und  Großfischen  andererseits. Die Schiffshalter sind sehr wohl imstande, selbst zu schwimmen. Sie lassen sich aber lieber von großen Fischen transportieren und profitieren  gleichzeitig  von  Nahrungsresten.   Als   Gegenleistung befreien sie ihre Trägerfische von Parasiten,  die  somit  auch   eine  zusätzliche Nahrungsquelle darstellen. Der Nutzen  bei  dieser Beziehung erscheint uns recht einseitig; wir sprechen auch vom Kommensalismus.  Eine  weitergehende  Kooperation herrscht zwischen der Seerose Calliactis parasitica, die im Mittelmeer und Atlantik vorkommt, und dem Einsiedlerkrebs Dardanus amsor. Der Krebs wohnt in einer leeren Schneckenschale und pflanzt darauf die Seerose. Diese profitiert von  den  Nahrungsresten  und schützt gleichzeitig den Krebs mit ihren nesselnden Tentakeln.

Merkwürdige Assoziationen zu Verteidigungszwecken finden wir auch zwischen Fischen und Stachelhäutern. Seeigel mit ihren langen Stacheln  wirken  abschreckend. Der Schnepfenmesserfisch verbirgt sich mit seinem schneidenartigen abgeflachten Körper zwischen den Stacheln  der giftigen  Diademseeigel. Als  zusätzliche  Tarnung  trägt er noch Längsstreifen. Sein Refugium teilt  er  gelegentlich   mit   Nadelfischen und Kardinalfischen. Eine  noch  exklusivere  Beziehung pflegen die mysteriösen Eingeweidefische. Sie verbringen  einen großen Teil ihrer Zeit verborgen im Enddarm von Seegurken. Höchst raffiniert und komplex ist die Symbiose zwischen den Clown- oder Anemonenfischen der Gattung Amphiprion sowie tropischen Seeanemonen (Gattungen Heteractis, Stichodactyla,  Entacmaea).  Dabei sind spezifische Assoziationen möglich, denn  der Fisch  A. nigripes lebt nur mit H. magnifica zusammen. Diese Fische haben sich im Lauf der Evolution daran gewöhnt, in einer Art Gefängnis zu leben, die aus den nesselnden Tentakeln der Seeanemone besteht. Hier leben sie in Sicherheit. Als Gegenleitung befreien sie die Seeanemone von Abfällen und verteidigen sie auch gegen Räuber. Diese Art Symbiose muß sich jedoch langsam entwickeln. Jeder  junge  Anemonen-   oder Clownfisch muß seine eigene Anemone finden und sie davon überzeugen,  ihm  Gastfreundschaft  zu gewähren. Dies geschieht schrittweise. Der Fisch schwimmt immer näher an den Tentakeln der Seeanemone vorbei. Diese gibt Stoffe ab, die sich mit dem Schleim über der Fischhaut  vermischen.  Auf  diese Weise entwickelt der Fisch einen chemischen Passepartout, der die Seeanemone daran hindert, ihre Nesselbatterien abzuschießen. Am Ende akzeptiert die Seeanemone den Fisch als Teil ihrer selbst.
Die Fortpflanzung


Eines der entscheidenden Kennzeichen aller Lebewesen ist ihre Fähigkeit zur Fortpflanzung.  Seitdem  es Autoreduplikation  gibt,  ersetzen neue Individuen die untergegangenen. Die Systeme zur Fortpflanzung werden dabei immer komplexer und vollkommener. Einige Lebewesen können sich in einer halben Stunde fortpflanzen. Andere brauchen  für die Vorbereitung viele Jahre und sehen die Frucht ihrer Anstrengungen erst nach mehreren Monaten.

Die Fortpflanzung der Art ist ein unumgänglicher  Imperativ  -  und koste es auch das eigene Leben. Dies geschieht zum Beispiel  bei den Kraken: Die Weibchen pflegen und schützen ihre gelegten Eier, ohne sie auch  nur für einen Augenblick zu verlassen. Dabei verzichten sie auch auf die Nahrungsaufnahme. Beim Schlüpfen der Jungtiere sind sie  so  schwach, daß  sie  innerhalb kurzer Zeit sterben.

Nicht immer bedeutet die Geburt der neuen Generation den Untergang  der vorhergehenden.  Dorsche, Makrelen, Heringe und viele andere Fische legen in jeder Saison Million von Eiern ab, und das über viele Jahre hinweg. Ähnliches zeigt sich  bei  den  Wirbellosen. Wenn deren  Fortpflanzungszeit  gekommen ist, verfärbt sich das Meer gelegentlich, etwa bei der Fortpflanzung der Steinkorallen im Großen Barrierriff vor Australien.

Nicht wenige Fischarten wechseln ihr Geschlecht während des Lebens. Meist ist ein  Individuum erst männlich und wird dann weiblich. Unter Wasser ist die Sexualität oft eine ziemlich  komplizierte Angelegenheit, und man darf sie nicht abgetrennt von den Lebensumständen sehen. Bei Fischen mit einem Territonalverhalten und einem Harem müssen die Männchen groß sein. Für andere Arten ist es jedoch von  Nutzen, als kleine Individuen  männlich zu sein, weil die Samenzellen sehr viel weniger Platz brauchen als die Eier. Für die Eiproduktion hingegen sind große Individuen  notwendig. Schließlich gibt es auch zwittrige Arten. Sie verhalten sich gleichzeitig oder kurz uintereinander wie Männchen und Weibchen.

Den regelmäßigen Wechsel zwischen einer Generation, die  sich geschlechtlich fortpflanzt und einer oder mehreren Generationen mit ungeschlechtlicher Fortpflanzung nennen wir Generationswechsel. Er ist bei den Hohltieren und den Algen weitverbreitet. Wer eine kleine planktische Qualle sieht, wird wohl kaum vermuten, daß es sich um ein Stadium im Lebenszyklus einer meeresbewohnenden Hydro-
zoe handelt. Von vielen Algen kennen wir nur die makroskopische, deutlich erkennbare Phase.

Bei den Fortpflanzungsstrategien unterscheiden wir zwei Typen, die wir als r und K kennzeichnen. Die Arten mit r-Strategie erzeugen eine hohe Zahl von Nachkommen, um die sie sich nicht weiter kümmern. Durch die natürliche Auslese bleiben die tüchtigsten am Leben und pflanzen sich ihrerseits wieder fort. Die K-Strategen, zu denen auch der Mensch, die Wale, viele Haie und auch  nicht  wenige  Wirbellose gehören,  haben  nur  sehr wenige Nachkommen. Diese verfügen jedoch von den ersten  Stadien an über Verteidigungsmechanismen oder werden von ihren Eltern so lange behütet und geschützt, bis sie ein selbständiges Leben aufnehmen können. Im Extremfall lernen sie von ihren Eltern, und es findet eine kulturelle Übertragung statt.
Die Verteidigung

Eine Sandfläche in geriger Tiefe, darüber durchsichtiges, hellblaues Wasser: Auch der ruhigste    Lebensraum im Meer ist in Wirklichkeit ein Schlachtfeld, auf dem dauernd ums Überleben gekämpft wird. Fast alle Waffen, die der Mensch erfunden finden ihre Entsprechung auch in der Unterwasserwelt:  Harpunen, Hebel,  Gifte, elektrische  Schläge,Fallen, Schneiden, Keulen. Der Verteidigung  dienen  Panzer  Schutzschilde,  Barrieren,  schnelle  Flucht und perfekte Tarntrachten.

Die  raffiniertesten Verteidigungssysteme findet man bei festsitzenden Lebewesen. Da sie auf die Flucht verzichtet haben, müssen sie abschrecken. Sehr viele Hydrozoen und Seeanemonen greifen auf Nesselzellen  zurück. Diese sind aber nicht immer wirksam. Einige Nacktkiemerschnecken fressen die nesselnden Polypen mit Vergnügen und verschlucken dabei die Nesselzellen ganz. Schließlich transportieren sie sie in die Fortsätze, mit denen sie ihren Körper schmücken. Die Nacktkiemerschnecken nutzen also die fremden Nesselzellen, um sich selbst zu schützen. Ihre eigene Ungenießbarkeit zeigen sie auch noch durch extravagante Warntrachten an. Ihre Farben und Muster sind Warnschilder, die mögliche Räuber vom Zubeißen abhalten. Eine ähnliche Erscheinung beobachten wir bei den Doktorfischen, die zu  beiden Seiten des Schwanzstiels eine Art Skalpell tragen. Auch sie zeigen es durch leuchtende Farben an. Die zähnestarrenden  Kiefer  vieler  Fische, etwa von Haien, Muränen und Barrakudas, sind gerade zu einem Symbol räuberischen Daseins geworden. Sie stellen aber genauso wirksame Verteidigungswaffen dar. Nicht immer wird eine Verteidigung jedoch mit derart auffälligen Mitteln erreicht. Gelegentlich entdeckt man, daß sich auch Lebewesen verteidigen können, die gemeinhin als völlig  harmlos  gelten,  etwa  die Zuckertange an den Küsten des Atlantiks. Mit Hilfe des Wellenschlages  und  ihres  elastischen Tallus ,,fegen" sie ihre nächste Umgebung, so daß sich dort keine Tangfresser wie  Weichtiere,  Seeigel   oder Krebse  aufhalten  können. Damit schaffen sie auch Platz für ihre Nachkommen.

Die gewagtesten Verteidigungssysteme beruhen jedoch auf der Täuschung. Meister in dieser Kunst sind jene Fische, die selbst harmlos sind, aber in  ihrer Färbung und in ihrem Verhalten giftige oder sehr wehrhafte Fischarten nachahmen. Der Augenfleck-Mirakelbarsch (Caloplesiops altivelis) flüchtet sich bei Bedrohung in eine Spalte und läßt nur den hinteren Teil des Körpers herausragen; er sieht wie der Kopf einergroßen Muräne
Ökologische Nischen

Bei der Betrachtung eines Korallenriffs ergibt sich spontan die Frage: ,,Wie können auf derart engem Raum so viele verschiedene  Organismen  leben, jede mit ihren ganz spezifischen Bedürfnissen im  Hinblick auf Raum  und Ernährung?" Die Antwort ist einfach und beinhaltet ein Konzept der Ökologie.  Das  Zusammenleben vieler Arten  hängt  davon  ab, ob jede eine unterschiedliche ökologische Nische findet. Der Begriff der ökologischen Nische findet seine Analogie beim ,,Beruf“ des Menschen. Bei uns können nicht zu viele gleichartige Geschäfte nebeneinander liegen. Und im übertragenen Sinn gilt dies auch für das Korallenriff sowie auch für alle Bewohner des Festlandes. Das Riff kann nicht zwei Arten beherbergen, die genau dieselben ökologischen Bedürfnisse aufweisen. Wenn zwei solche Arten aufeinandertreffen, verschwindet eine der beiden - oder sie weicht auf eine andere ökologische Nische aus.

Die  Unterscheidung zweier verschiedener  ökologischer  Nischen fällt leicht, wenn man große Räume und sehr verschiedene Lebewesen in Betracht zieht. So ist es nicht verwunderlich, wenn ein Hai und eine Putzergarnele gleichzeitig an einem Korallenriff vorkommen oder wenn ein Krake und ein Brassen nebeneinander eine Posidonienwiese bewohnen. Ihre Lebensgewohnheiten und Dimensionen sind so verschieden, daß sie sich gegenseitig nicht stören. Viel  schwieriger sind  aber schon die Strategien zu verstehen, die die Grundlage für die Verbreitung der Steinkorallen  oder der zahlreichen Falterfische bilden, die vor  dem  Glas  unserer  Maske erscheinen. Das dauernde Nebeneinander und sogar Übereinander der  Steinkorallen,  die  alle  im wesentlichen dieselbe Struktur und Lebensweise haben, bringt uns zur Frage, welche Faktoren denn deren Verbreitung,  Konkurrenz  oder Koexistenz  bestimmen.  Dieselbe Frage stellt sich bei den Falterfischen,  die  mindestens  auf  den ersten  Blick  eine  sehr  ähnliche Lebensweise haben und sich von Tieren  auf der  Oberfläche  der Korallenstöcke   ernähren. Hier stoßen wir wieder auf das Konzept der ökologischen Nische subtiler Unterschiede zwischen den Arten.
Seegraswiesen

Weite Bereiche der Meeresböden erinnern den Taucher an Wiesen oder an Wälder. Die Seegraswiesen des Mittelmeers werden von einer echten Blütenpflanze gebildet, dem Neptunsgras (Posidomia  oceanica). Es wächst auf Hartböden wie auf Sandböden bis in eine Tiefe von 35 bis 40 m und kommt bis zur Wasseroberfläche von wo es Barrieren und Lagunen bildet. Das Neptunsgras hat eine lange Evolution hinter sich. Es entstand aus einem grasartigen Gewächs des Festlandes, das regelmäßig Blüten und Früchte entwickelte. Ausgehend  davon  paßte es sich dem  Meer an, ohne die kennzeichnenden Merkmale einer Blütenpflanze aufzuleben.

Das Neptunsgras bildet Rhizome in den Sedimenten aus und verfestigt diese. Die Wurzelstöcke wachsen sowohl in der Horizontalen wie in der Vertikalen und erhöhen das Niveau der Seegraswiese pro Jahr um ungefähr einen Zentimeter Die Blätter entspringen zu sechst oder siebt  direkt  den  Rhizomen und erreichen eine Länge von bis zu eineinhalb Metern. Ein Quadratmeter Seegrasblatt produziert täglich über 14 Liter Sauerstoff.

Noch faszinierender ist die Welt, die  sich  um  dieses  Neptunsgras versammelt.  Die  Seegraswiesen stellen das stabile Endstadium einer benthischen  Sukzession  dar.  Das Seegras selbst wird von den Tieren kaum gefressen, bildet aber trotzdem das Zentrum eines artenreichen Lebensraumes. Von den Blattspitzen bis zur Wurzel besteht ein deutliches Gefälle im Hinblick auf die Lichtfülle und die Wasserbewegung. So entstehen Schichten mit unterschiedlichen Bewohnern.

Auf den Blättern setzen sich Mikroalgen, Foraminiferen, Moostierchen, Hydroiden fest. Diese Schicht zieht kleine Weichtiere, Würmer,  Krebstiere und Stachelhäuter an, die hier schneidend, raspelnd und saugend zu Werk gehen. Am Boden zwischen  den Wurzeln  teilen  sich Steckmuscheln, Schlangensterne, Seesterne, Seeigel, Borstenwürmer; Kraken, Grundein, Skorpionsfische, Krebse und viele andere Tiere ein Territorium, das viele tote organische Abfälle enthält. Meerbrassen, Streifenbrassen, Mönchsfische. Junker, Lippfische, Wolfsbarsche und Knurrhähne schwimmen  in  oder über diesen Wiesen, verfolgen Beutetiere, paaren  sich  oder überwachen ein Territorium oder ein Eigelege.

An den Küsten Kaliforniens kann man wahren Wäldern mit einer sehr artenreichen Tierwelt begegnen. Die wichtigste Pflanze ist hier eine  Braunalge, die  Macrocystis pyrifera, die auch als Kelp bezeichnet wird. Sie entsteht aus einem mikroskopischen Gametophyten, der aus einer der 70 Millionen Zoosporen hervorgegangen ist, die eine reife Alge pro Quadratzentimeter fruchtbarer Oberfläche erzeugt. Der Kelp kann in den ersten Phasen seines Lebens seine Dimensionen  alle zwei  bis drei Wochen verdoppeln. Schließlich wächst er pro Tag 20 bis 30 cm, bis er eine Höhe von 30 bis 40 m erreicht. In  der Gestaltung seines Thallus erinnert der Kelp an eine höhere Pflanze: Er scheint Wurzeln, Leitbündel und richtige Blätter zu haben. Doch diese Strukturen sind alle aus einem sehr einfachen Thallus hervorgegangen.