Eine Erinnerung und ein Versprechen

"Jarod, wo willst du hin?"

"Wir können sie nicht einfach hierlassen."

"Warum nicht? Jarod!"

Jarod hörte nicht auf seinen Bruder und lief zu dem Balken in der Mitte der Scheune, an den Miss Parkers bewußtlose Gestalt gefesselt war.

"Miss Parker?"

Sie stöhnte leise, öffnete aber nicht die Augen. Auch im schummrigen Licht konnte Jarod die Blutergüsse erkennen, die Lyles Schläge in ihrem Gesicht hinterlassen hatten. Ihre Lippen waren trocken und aufgesprungen. Wütend biß Jarod die Zähne zusammen. Wie konnte dieser Bastard es wagen? Dafür würde er bezahlen.

"Kyle, bitte gib mir die Feldflasche."

"Wieso sollten wir unser Wasser an sie..."

"Kyle."

"Schon gut. Hier."

Vorsichtig setzte Jarod die Flasche an ihre Lippen und stützte dabei ihren Kopf im Nacken. Ihre Haut fühlte sich viel zu heiß an. Sobald sie das Wasser schmeckte, öffnete sie die Augen und trank in gierigen Schlucken. Schließlich nahm Jarod ihr die Flasche weg.

"Nicht so schnell", sagte er.

Parker blinzelte mehrmals, dann sah sie sich in der Scheune um.

"Wo ist dieser Bastard?"

Jarod zuckte mit den Schultern.

"Weg."

"Das kann ich selbst sehen. Mach mich los."

Sie rüttelte an den Handschellen.

"Ich halte das für keine gute Idee, Jarod", meinte Kyle.

"Hey, dich hat keiner gefragt", zischte Parker.

Jarod griff nach dem Werkzeug auf dem Tisch, und zwei Minuten später war sie frei. Sie massierte ihre Handgelenke und fuhr sich durchs Haar. Dabei zuckte sie mit einem schmerzerfüllten Gesichtsausdruck zusammen. Wut blitzte in ihren Augen auf.

"Welche Richtung?" wollte sie wissen.

"Westen", antwortete Jarod.

Parker machte ein paar Schritte, dann schwankte sie. Jarod griff nach ihrem Arm, um sie zu stützen.

"Du solltest es langsam angehen lassen. Du warst eine Weile bewußtlos."

"Nicht so lange, wie Lyle es sein wird."

Sie schüttelte seine Hand ab, ging zum Ausgang und drehte sich noch einmal um.

"Wenn ich zurückkomme, sollte ihr lieber noch hier sein. Ich möchte nicht mit leeren Händen ins Centre zurückkehren."

Jarod lächelte liebenswürdig und sah ihr nach, bis sie verschwunden war. Kyle schüttelte den Kopf.

"Glaubst du, es war klug, sie gehenzulassen?"

"Niemand hält Miss Parker fest, es sei denn, sie möchte es. Und das bedeutet, daß Mr. Lyle jetzt in ziemlich großen Schwierigkeiten steckt."

"Was uns etwas Zeit verschafft."

Jarod grinste.

"Genau."

***

"Wo willst du hin?"

"Ich habe eine Verabredung."

"Jarod, du bist verrückt."

Mittlerweile war es Abend geworden, und in der Scheune gab es nur noch wenig Licht. Trotzdem konnte Jarod die Gestalt erkennen, die an der Werkbank lehnte, den Blick nach unten gerichtet. Die Waffe in ihren Händen zeigte auf den Boden.

"Ich dachte schon, du kommst nicht", sagte Parker ohne aufzusehen.

"Wie geht es Mr. Lyle?"

"Besser, als er es verdient hat. Er dürfte jetzt schon auf halbem Weg zum Centre sein."

"Was macht dein Kopf?"

"Viel besser. Du solltest lieber gehen, bevor ich meine Waffe finde."

Sie lächelte, ebenso wie er.

"Und bevor das Sweeperteam hier eintrifft?"

Miss Parker zuckte mit den Schultern

"Manche Dinge ändern sich nie."

"Ja. Aber manchmal werden sie wieder so, wie sie einmal gewesen sind."

"Vielleicht."

Er drehte sich um und ging zur Tür.

"Jarod?"

"Ja?"

"Danke."

"Bis zum nächsten Mal, Miss Parker."

"Dann werde ich dich zurückbringen."

Jarod lachte leise.

"Vielleicht."

Neben der Tür lehnte Kyle an der Wand.

"Was war denn das?"

"Eine Erinnerung an alte Zeiten."

Und ein Versprechen für die Zukunft.

...

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