Ein tödliches Experiment

Hinweis: Dieses Stückchen ist nun der Anfang einer Fortsetzungsgeschichte im Michael T. Weiss Fanclub bei ClubPlanet.

***

Der Regen prasselte geduldig auf das Dach des alten Lagerhauses. Miss Parker starrte mißmutig in den grauen, wolkenverhangenen Himmel. Seit sie vor einer halben Stunde hier angekommen war, hatte sich das Wetter immer weiter verschlechtert. Unablässig fielen die Tropfen auf sie herunter, und mittlerweile war sie völlig durchnäßt. Genau das, was ihr noch gefehlt hatte.

Mit gezogener Waffe schlich sie um das verfallene Gebäude, suchte nach einem unaufälligen Eingang. Schließlich nahm sie mit einer Seitentür vorlieb. Ihr war alles recht, solange sie nur endlich ins Trockene kam. Sie holte tief Luft, verwundert, wie schwer ihr das Atmen fiel. Die Luft schien schwerer zu sein als gewöhnlich, verlangte von ihren Lungen eine deutlich höhere Leistung. Zusätzlich schien die Luft auf sie nieder zu drücken, war beinahe als Last auf ihren Schultern spürbar, schien ihren Kopf zusammenzupressen.

Verärgert stieß sie die Luft wieder aus. Das war alles nur Jarods Schuld. Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, das Sweeperteam wieder zu sich zu rufen, verwarf diese Idee aber wieder. Es war effektiver, einzeln das Gelände zu durchsuchen. Außerdem konnte sie sehr gut allein mit Jarod fertigwerden.

Miss Parker spürte, wie ihre Geduld langsam zur Neige ging. Verdammt, sie hatte keine Lust, noch länger durch den Regen zu laufen, um jedes einzelne Gebäude abzusuchen. Aber ihr blieb keine Wahl. Raines hatte deutlich gesagt, was passieren würde, wenn sie diesmal schon wieder mit leeren Händen zurückkam. Wenn Sie nicht in der Lage sind, mit Jarod zurückzukehren, sollten Sie vielleicht lieber gar nicht wiederkehren. Andererseits kann das Centre Sie überall finden. Was Drohungen anging, war das Centre wirklich unübertrefflich.

Dabei lag es nicht an fehlender Motivation, daß sie Jarod bis jetzt noch nicht zurückgebracht hatte. Oder vielleicht doch? Entnervt verließ sie die baufällige Halle. Ganz bestimmt würde sie nicht schon wieder darüber nachdenken.

Aus den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung war. Vielleicht war nur ein Vogel durch den Regen geglitten, aber Miss Parker wußte, daß sie ihren Instinkten vertrauen konnte. Etwas Großes hatte ihre Aufmerksamkeit erregt - ein Mensch. Jarod. Es war Zeit, das Spiel ein für alle Mal zu beenden; besonders, da es für sie beide soviel mehr als ein Spiel geworden war.

Miss Parker ging in die Richtung, in die der Schatten verschwunden war. Plötzlich stand sie in einer Gasse zwischen zwei Gebäuden, an deren einem Ende Kisten eine mehrere Meter hohe Barriere bildeten. Eine Sackgasse. Und der einzige Weg hinaus führte an ihr vorbei.

Beinahe erleichtert lächelte sie. Er saß in der Falle. Doch sie kannte ihn zu gut, um sich ihres Sieges schon gewiß zu sein. Nur wenn sie vorsichtig handelte, konnte sie verhindern, daß er ihr schon wieder entkam.

Eine nackte Glühbirne, die unter dem Dachvorsprung eines der Gebäude hing, spendete spärliches Licht. Es genügte, um Miss Parker die Umrisse einer Gestalt erkennen zu lassen, die erfolglos versuchte, den Kistenstapel zu erklimmen. Miss Parker beschloß, der Sache ein Ende zu setzen.

"Komm schon, Jarod. Es ist vorbei. Wieso gibst du nicht..."

Sie brach ab, überrascht, wie rauh und heiser ihre Stimme klang. Das Atmen fiel ihr noch schwerer als vor wenigen Minuten. Lautlos fluchte sie. Doch nicht ausgerechnet jetzt! Verdammt noch mal! Dieser unfähige alte Arzt hatte sie gewarnt, aber sie hätte nie gedacht, daß er recht gehabt hatte. Zum Teufel, sogar Sydney hatte ihr geraten, zu Hause zu bleiben.

Die Waffe noch immer auf die undeutliche Gestalt am anderen Ende der Gasse gerichtet, tastete Miss Parker mit ihrer anderen Hand nach einem Halt. Dieser Fieberschub war stärker als alle anderen vorangegangenen - obwohl sie das nicht mehr für möglich gehalten hatte.

Sie durfte sich jetzt auf keinen Fall eine Schwäche erlauben. Die Welt um sie herum begann zu schwanken, um dann zu verschwimmen. Miss Parker blinzelte heftig, ließ erst jetzt die Pistole sinken. Ein paar Augenblicke später fiel ihre Waffe mit einem dumpfen Pochen zu Boden. Verzweifelt kämpfte Miss Parker gegen die Schwärze an, die unerbittlich auf sie zu wogte. Sie versuchte, die Schmerzen zu ignorieren, die stechend durch ihren Rücken pulsierten, sich in Arme und Beine ausbreiteten und schließlich ihre Hände und Füße betäubten. Der Schmerz prickelte unter ihrer Haut, ließ sie glauben, ihre Nerven stünden in Flammen. Ihr Kopf fühlte sich an, als würde er von einer unglaublichen Kraft langsam zusammengedrückt.

Miss Parker versuchte, sich zu konzentrieren. Jarod durfte nicht entkommen. Jarod...

Ein dunkler Schemen glitt auf sie zu, als sie langsam in sich zusammensank und der gnädigen Schwärze nachgab.

***

Jarod verließ das Gebäude so leise wie möglich. Deutlich konnte er Miss Parkers Schritte in der Halle hören. Gehetzt sah er sich um. Er hatte nicht geplant, sie heute zu treffen, aber das war schließlich schon öfter vorgekommen. Bisher war es ihm immer gelungen, ihr zu entkommen.

Ihre Schritte wurden lauter, teilten ihm mit, daß sie die Halle ebenfalls gleich verlassen würde. Willkürlich entschied er sich für eine Richtung, um zumindest erst einmal aus ihrem Blickfeld zu gelangen.

Eine schlecht beleuchtete Gasse bot ihm Zuflucht. Als er sich von Miss Parker entfernte, stellte er entsetzt fest, daß er in eine Sackgasse gelaufen war. Jarod zwang sich, ruhig nachzudenken, aber seine Gedanken rasten ebenso sehr wie sein Herz. Er saß in der Falle. In ihrer Falle.

An ihr führte kein Weg vorbei, also mußte er versuchen, über die Kisten zu klettern, die ihm den Fluchtweg versperrten. Möglicherweise konnte er auf das Dach einer der Hallen gelangen und sich auf diese Weise etwas Zeit verschaffen.

Das Holz der Kisten war im Regen glitschig geworden, und mehr als einmal rutschte Jarod ab. Sein Ziel rückte in weite Ferne, aber er war keinesfalls gewillt, aufzugeben. Nichts konnte ihn dazu bringen, ins Centre zurückzukehren. Jedenfalls nicht lebendig.

Hinter sich hörte er plötzlich ein metallenes Klicken. Als hätte sie seine Gedanken erraten, hatte Miss Parker den Hahn ihrer Waffe gespannt. Mit Sicherheit stand sie schußbereit hinter ihm. Jarod drehte sich um, überlegte dabei fieberhaft, um doch noch einen Weg aus dieser Situation zu finden.

"Komm schon, Jarod. Es ist vorbei. Wieso gibst du nicht..."

Ihre Stimme klang völlig anders als sonst. Oh sicher, der bestimmte Tonfall war derselbe wie immer, aber ihre Stimme war rauh, fast schon heiser. Außerdem meinte Jarod, ein leichtes Zittern darin zu hören. Irgend etwas stimmte nicht. Sie schien selbst überrascht zu sein, wurde immer leiser und brach schließlich mitten im Satz ab.

Trotz der schlechten Sichtverhältnisse konnte Jarod erkennen, wie verschiedene Emotionen über ihr Gesicht spielten. Zunächst Überraschung, dann eine Mischung aus Angst und Verzweiflung, schließlich so etwas wie Resignation.

Für einen Moment lenkte ihre Waffe seine Aufmerksamkeit auf sich. Miss Parker zielte noch immer auf ihn, jetzt allerdings sehr viel unsicherer. Nach einem Moment ließ sie die Pistole sinken, die noch etwas später unbeachtet auf den Boden fiel.

Sorge regte sich in Jarod. Das war kein Spiel oder ein Trick. Ein Blick in ihr schmerzverzerrtes Gesicht war dafür Beweis genug. Sein medizinisches Wissen sagte ihm, daß ihr ernsthaft etwas fehlte. Nur Augenblicke später lief er zu ihr und erreichte sie gerade noch rechtzeitig, um ihren bewußtlosen Körper aufzufangen.

Jetzt hatte er seinen Ausweg, aber plötzlich war das gar nicht mehr wichtig für ihn.

***

Sie trieb in einem Meer aus schwarzer Hitze. Ihr Körper schien weit weg zu sein, und doch konnte sie deutlich den Schmerz fühlen, der mit jedem Atemzug darin pulsierte. Nach ein paar Augenblicken - oder vielleicht auch nach einer sehr viel längeren Zeit - driftete der Schmerz fort von ihr. Er war noch immer da, füllte sie aber nun nicht mehr aus, erinnerte nur durch ein vages Pochen an seine Existenz.

***

Viel später - oder vielleicht auch kurz darauf - tropfte angenehme Kühle in ihr Empfinden. Ihr war klar, daß dieses Gefühl etwas mit ihrem Körper zu tun haben mußte. Sie konzentrierte sich, versuchte, die Empfindung mit einem bestimmten Teil ihres Körpers in Verbindung zu bringen.

Etwas - jemand - berührte ihre Stirn.

Miss Parker stöhnte leise, wachte langsam aus ihren Fieberträumen auf. Nur zögernd öffnete sie die Augen. Kühle Finger lagen auf ihrer Stirn, bildeten einen angenehmen Kontrast zu der Hitze in ihrem Inneren.

Eine Frage formte sich in ihren Gedanken. Die Worte krochen sehr viel langsamer als sonst durch ihr Bewußtsein.

"Wo...", war schließlich alles, was sie hervorbrachte. Entsetzt registrierte sie, wie schwach ihre Stimme klang.

Irgendwo über ihr schwebte undeutlich ein Gesicht. Erst als sie ein paarmal blinzelte, gewann es deutlichere Konturen.

"Nicht reden." Das war Jarods Stimme, sanft, dunkel. Aber er klang merkwürdig. Gleichermaßen erleichtert und besorgt. Seine Finger glitten von ihrer Stirn, über ihre Schläfe, bis sie leicht ihre Wange berührten.

"Du warst eine ganze Weile bewußtlos. Womit auch immer du dich angesteckt hast - es hat dich schlimm erwischt. Eine Weile sah es gar nicht gut aus."

Sie fand, daß er müde klang. Fast so müde wie sie sich fühlte.

"Schlaf noch ein bißchen", forderte er sie unendlich sanft auf. "Du brauchst jetzt viel Ruhe. Wenn du Schmerzen hast, laß es mich einfach wissen. Ich habe dir zwar ein Schmerzmittel gegeben, aber ich kann die Dosis noch erhöhen."

Miss Parker wollte etwas antworten, aber ihre Gedanken strebten schon wieder der Schwärze zu, die sie gerade erst verlassen hatten. Sie war zu schwach, um sich dagegen zu wehren, also ließ sie es zu. Ihre Augen fielen zu, und dann war sie wieder allein in einem Ozean aus Dunkelheit und Hitze.

***

"Wie hoch ist die Todesrate?"

Lyle unterdrückte ein Seufzen. Er hatte es gründlich satt, immer wieder dieselben Fragen zu beantworten. Aber dies war eine Anhörung des Towers, und die Fragen des Towers wurden immer beantwortet.

"Etwa dreißig Prozent. Das Team, das an dieser Sache arbeitet, hat mir aber versichert, daß dieser Wert jederzeit erhöht werden kann."

"Was ist mit der Testphase?"

"Die erste Phase ist bereits abgeschlossen. Mittlerweile befinden sich die Tests in der zweiten Phase. Mehrere Versuchspersonen wurden infiziert; soweit bekannt ist die Krankheit bei allen ausgebrochen."

"Soweit bekannt?"

Unwillen erklang in der tiefen, körperlosen Stimme. Jetzt kam der schwierige Teil. Lyle haßte diese Befragungen, und er verstand nur zu gut, daß sein Vater jedesmal ihn schickte. Verdammt noch mal, er hatte mehr als genug von dem alten Knacker...

"Eine der Testpersonen wurde nach der Infizierung in ihre normale Umwelt entlassen, um zu testen, wie sich das Virus unter diesen Umständen entfaltet", erwiderte Lyle und versuchte den grellen Scheinwerfer zu ignorieren, der den großen Raum in zwei Bereiche teilte. Während er im Lichtkegel stand und so geblendet wurde, daß er nichts sah, befanden sich die anderen in der Dunkelheit jenseits von ihm, ungesehen. Sie sahen alles, und er konnte gar nichts erkennen. Er wußte nicht einmal, wie viele Angehörige des Towers sich mit ihm im Zimmer aufhielten. Bisher hatte er drei Stimmen voneinander unterscheiden können.

"Was ist mit den Risiken, die dieses Verfahren in sich birgt?"

"Es besteht nur ein geringes Risiko, daß das Virus mutiert. Die Testperson kann niemanden anstecken, da die Infektion bisher nur unter ganz speziellen Bedingungen möglich ist und häufig scheitert. Aber wir arbeiten bereits an diesem Problem", fügte er hastig hinzu.

"Um noch einmal auf die Todesrate zurückzukommen... Es erscheint uns relativ ineffektiv, einen Virus mit so geringem Tötungspotential zu entwickeln."

"Wie bereits gesagt, die Todesrate läßt sich beinahe beliebig erhöhen. Die Überlegungen der Verantwortlichen gingen in die Richtung, daß ein biologischer Kampfstoff die Bevölkerung nur soweit schwächen soll, daß sie leicht unterworfen werden kann."

Für eine Weile herrschte Schweigen jenseits des Lichts. Lyle widerstand der Versuchung, Unruhe oder gar Ungeduld zu zeigen.

"Ein interessanter Gedanke. Man wird sich weiter damit beschäftigen. Sie können jetzt gehen, Mr. Lyle. Wir erwarten, daß Sie uns bei unserem nächsten Treffen von Ihren Fortschritten berichten werden."

...

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