Gefangen

"Ist mit Miss Parker alles in Ordnung, Syd?"

"Ich würde sagen, nein."

Broots sah rüber zu Miss Parker, die auf dem Boden saß, den rücken an die Wand gelehnt, den Blick ins Leere gerichtet.

"Wenigstens regt sie sich jetzt nicht mehr so auf", wisperte Broots so leise, daß Sydney ihn kaum verstehen konnte.

"Ich weiß nicht, ob das so gut ist", antwortete Sydney nachdenklich. Broots sah ihn erstaunt an.

"Meinen Sie, daß wir mit ihr reden sollten?" fragte er dann und machte Anstalten, zu ihr zu gehen. Sydney hielt ihn am Arm fest.

"Nicht." Er schüttelte den Kopf. "Wir sollten sie für eine Weile in Ruhe lassen."

Nachdem Broots noch einmal skeptisch zu Miss Parker gesehen hatte, nickte er.

"Wie Sie meinen. Sie sind der Arzt."

Sydney grinste.

"Wo wir gerade davon reden... Wie fühlen Sie sich, Broots?"

"Oh, ähm, gut, schätze ich. Angesichts der Umstände... Eine längere Zeit hier zu verbringen, noch dazu ohne Ausweg, ist nicht gerade eine angenehme Vorstellung. Aber es könnte schlimmer sein."

"Ach ja?"

Sydney hob die Brauen.

"Nun, keiner von uns ist verletzt, wir haben Luft, genug Wasser und sogar etwas zu essen. Und Mr. Raines ist nicht hier."

Sydney klopfte ihm auf die Schulter, aber ihm entging nicht, wie Miss Parker zusammenzuckte, als Raines erwähnt wurde. Betont langsam ging er zu ihr und ging neben ihr in die Hocke.

"Wie geht es Ihnen, Miss Parker?" fragte er ruhig.

Sie drehte den Kopf, um ihn anzusehen. Wut funkelte in ihren Augen.

"Oh, herzlichen Dank, Syd. Alles bestens, könnte gar nicht besser sein. Wieso lassen Sie mich nicht einfach in Ruhe?"

"Sie sehen nicht so aus, als ob Sie sich sehr wohl fühlen."

Sie schloß die Augen und atmete tief ein.

"Vielleicht sollten Sie ein wenig schlafen, Miss Parker", schlug Sydney vor. Parker öffnete die Augen und spannte sich an.

"Ich kann hier nicht schlafen. Nicht hier unten", flüsterte sie, und ihre Stimme klang entsetzt.

Es fiel Sydney nicht schwer, sie zu verstehen. Dieser Ort flößte ihnen allen Unbehagen ein, aber für Parker mußte es besonders schlimm sein.

"Es wird eine Weile dauern, bis man uns hier rausholt. Irgendwann müssen Sie sich ausruhen."

"Ich weiß, Syd. Ich weiß."

***

Sydney widerstand der Versuchung, erneut auf die Uhr zu sehen. Es war stockdunkel, und das Benzin in Miss Parkers Feuerzeug würde nicht ewig halten.

"Sydney?"

"Ja, Broots?"

"Ich glaube, ich habe etwas gehört."

Sydney lauschte angestrengt, konnte aber nichts hören.

"Ich höre nichts."

"Es klang wie... Ach, was soll's, wahrscheinlich habe ich mich geirrt."

Für eine Weile waren nur Miss Parkers regelmäßige Atemzüge zu hören. Sie schlief zwar, aber Sydney machte sich trotzdem Sorgen um sie. Irgend etwas belastete sie, mehr noch als das Eingesperrtsein. Sie hatte sich zusammengerollt und bewegte sich immer wieder unruhig.

Sydney saß neben ihr und strich immer wieder über ihren Rücken, um sie zu beruhigen. Plötzlich hielt er inne.

"Syd..."

"Ja. Ich hab's auch gehört."

Irgendwo hinter der Barriere aus Schutt und Geröll bewegte sich etwas... oder jemand.

"Glauben Sie, daß man schon nach uns sucht?"

"Vielleicht. Bald werden wir's wissen."

Die Geräusche wurden lauter, und bald lösten sich die ersten Steine und fielen zu Boden. Sydney ging zur Geröllhalde, wo auch Broots wartete. Schließlich arbeitete sich eine Gestalt ins Freie, gefolgt von einem lauten Rumpeln. Im Schein des Feuerzeugs erkannte Sydney ihren Besucher.

"Jarod! Was machst du denn hier?"

"Hallo, Syd, Broots. Ich war in der Nähe und dachte, ich schau mal vor-bei. Leider ist der Tunnel hinter mir eingestürzt, aber ich habe etwas mit-gebracht."

Er hielt ein paar Kerzen hoch, dann sah er Sydney besorgt an.

"Ist mit euch alles in Ordnung?"

"Ja, wir sind alle unverletzt. Und du?"

"Mir geht's gut."

Sydney zündete eine der Kerzen an und musterte seinen ehemaligen Schütz-ling. Jarod sah aus, als hätte er seit Tagen nicht mehr geschlafen, und Sorge prägte seine Züge. Er sah sich um, bis er Miss Parker entdeckte.

"Syd, geht es ihr gut?"

"Sie fühlt sich hier unten nicht sehr wohl."

Jarod nickte nachdenklich, dann ging er zu ihr. Er kniete sich neben sie und berührte sie an der Schulter.

Sydney konnte nicht verstehen, was die beiden sagten, aber Miss Parker wirkte wesentlich entspannter, und auch Jarod sah viel besser aus.

"Ich glaube, wir können alle etwas Schlaf vertragen", meinte Sydney zur Welt im allgemeinen und blies die Kerze aus.

***

Jarod lehnte sich entspannt an die Wand. Miss Parker saß neben ihm, ihre Schulter berührte seine.

"Du siehst furchtbar aus, Jarod. Wann hast du das letzte Mal geschlafen?" 

"Ich weiß nicht. Vor ein paar Tagen. Ich kann im Centre nicht schlafen."

"Hm, ich weiß."

Jarod zögerte kurz.

"Ich würde dich gerne um einen Gefallen bitten..."

"Ja."

***

Syd konnte nicht schlafen. Er machte das Feuerzeug an und lächelte, als er Jarod und Miss Parker sah. Also hatte er sich nicht getäuscht.

***

Jarod fühlte sich wohl. Zum ersten Mal seit Tagen war er entspannt genug, um seine beklemmenden Angstgefühle zu vergessen.

Es fühlte sich so gut an, sie wieder in seinen Armen zu halten. Sie hatte ihm gefehlt.

...

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