Heimkehr
"Syd?"
"Miss Parker, sind Sie das?"
Sydney wölbte erstaunt die Brauen. Seit über einem Monat hatte er nichts von
ihr gehört, obwohl Broots und er ständig versucht hatte, sie zu erreichen. Es
tat ihm gut, ihre Stimme zu hören, aber ihm fiel auf, daß sie rauh und erschöpft
klang. Fast so, als ob es ihr schwerfiele zu sprechen.
"Können Sie herkommen?"
Das klang überhaupt nicht nach Miss Parker. Sydney begann, sich Sorgen zu
machen.
"Ja. Wo sind Sie, Miss Parker?"
"In meinem Büro. Danke, Syd."
Bevor Sydney etwas erwidern konnte, hatte sie schon aufgelegt. Er beschloß,
keine Zeit zu verlieren und sofort zu ihr zu gehen.
Die Tür war nur angelehnt, aber Sydney klopfte trotzdem an.
"Kommen Sie rein, Syd."
Ihre Stimme klang noch abgespannter als am Telefon. Sydney betrat das Büro, in
dem kein Licht brannte. Aus einem Reflex heraus tastete er nach dem
Lichtschalter.
"Nicht, bitte."
Sie saß auf der Couch, die Beine angewinkelt, die Arme um die Knie geschlungen.
Ohne Licht konnte Sydney keine Einzelheiten erkennen, aber ihre Haltung bot ihm
genügend Anhaltspunkte. Irgend etwas stimmte ganz und gar nicht mit ihr. Als er
sich ihr näherte, hob sie den Kopf, um ihn anzusehen, und Sydney mußte unwillkürlich
an den Tag denken, an dem ihre Mutter ermordet worden war. Damals hatte sie
genauso verloren ausgesehen.
Vorsichtig setzte er sich neben sie auf die Couch. Fast zögernd streckte er
eine Hand nach ihr aus, strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Einen
Moment lang kämpfte sie noch darum, die Kontrolle zu wahren, dann gab sie nach
und sank in seine ausgestreckten Arme. Lautlose Schluchzer schüttelten ihren Körper,
und Tränen strömten über ihr Gesicht.
Sydney war erschüttert. Er hielt sie fest, strich beruhigend durch ihr Haar und
murmelte leise Worte des Trostes.
"Shh, Miss Parker. Lassen Sie es raus. So ist es gut. Ich bin für Sie
da."
Es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder beruhigte und etwas von ihm zurückzog.
Wortlos reichte er ihr ein Taschentuch.
"Danke, Syd", sagte sie mit einer Wärme, die ihn fast noch mehr
schmerzte als ihre Tränen. In diesem Augenblick erinnerte sie ihn so sehr an
ihre Mutter. Genau wie Catherine litt sie jetzt und suchte seine Hilfe. Was,
wenn er ihr Vertrauen enttäuschte, wenn er ihre Schmerzen nicht lindern konnte,
obwohl er sich das fast verzweifelt wünschte? Er fühlte sich für sie
mindestens ebenso verantwortlich wie für Jarod.
"Wenn Sie reden möchten..."
"Bald, Sydney. Jetzt möchte ich nur noch nach Hause, fort von hier."
"Natürlich."
Er überlegte kurz, bevor er weitersprach.
"Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Broots herbitte? Wir sind beide nicht in
der Verfassung zu fahren."
Als sie ihn fragend ansah, lächelte er leicht.
"Ich fahre grundsätzlich nicht, wenn ich etwas getrunken habe."
Sie berührte ihn am Arm und nickte leicht, fast unmerklich.
"Nur zu, Syd. Er gehört ja schließlich fast zur Familie."
Ihm entging nicht die Bitterkeit, mit der sie das letzte Wort aussprach. Den
Grund dafür konnte er erahnen, aber er fragte sie nicht danach. Die Antworten
konnten warten, bis sie bereit war, darüber zu sprechen.
***
Broots fühlte sich nicht wohl. Im Rückspiegel betrachtete er seine beiden
Mitfahrer. Miss Parker war nicht sie selbst, und Sydney wirkte außerordentlich
besorgt. Niemand hatte ihm gesagt, was los war, aber daran war er schon gewöhnt.
Irgendwie bezweifelte er, daß er es wirklich wissen wollte, denn ohne Zweifel
war das Center darin verwickelt, möglicherweise sogar der Tower. Nein, der
Tower hatte mit Sicherheit etwas damit zu tun. Ein Schauer lief über seinen Rücken.
Der Tower bedeutete höchste Gefahr.
Es war schon dunkel draußen, aber er konnte trotzdem erkennen, daß Miss Parker
in keiner guten Verfassung war. Sie war blaß und wirkte erschöpft, außerdem
fast erschreckend dünn. Bisher hatte sie kaum mit ihm gesprochen, und fast wünschte
er sich einen ihrer bissigen Kommentare. Als er in ihr Büro gekommen war, hatte
sie sogar gelächelt und schien froh gewesen zu sein, ihn zu sehen. Zu diesem
Zeitpunkt hatte er angefangen, sich wirklich Sorgen zu machen.
Broots war erleichtert, als sie Miss Parkers Zuhause erreichten. Die Atmosphäre
im Wagen war drückend, fast schon deprimierend.
"Wir sind da", sagte Broots mit einer Stimme, die ihm selbst viel zu
laut erschien. Im Rückspiegel sah er, wie Sydney nickte und Miss Parker einen
langen Blick zuwarf.
...
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